Die Welt als Spiel (eBook)
256 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-44021-0 (ISBN)
Pierre Basieux studierte Mathematik, Physik, Philosophie, promovierte mit einem Thema aus dem Bereich Operations Research und Spieltheorie und war einige Jahre als Gymnasiallehrer tätig. In den achtziger Jahren war er bei einem multinationalen Konzern in leitender Position für Planung, Steuerung und Logistik verantwortlich. Seit 1990 arbeitet er als selbständiger Unternehmensberater.
Pierre Basieux studierte Mathematik, Physik, Philosophie, promovierte mit einem Thema aus dem Bereich Operations Research und Spieltheorie und war einige Jahre als Gymnasiallehrer tätig. In den achtziger Jahren war er bei einem multinationalen Konzern in leitender Position für Planung, Steuerung und Logistik verantwortlich. Seit 1990 arbeitet er als selbständiger Unternehmensberater.
KAPITEL 1
Glück, Geschicklichkeit, Nachahmung
Der Begriff Spiel ist als wissenschaftlicher Terminus problematisch geworden. Das mag wohl daran liegen, dass die Analyse zahlloser menschlicher Tätigkeiten im Lauf der Zeit immer mehr gemeinsame Grundstrukturen offenbarte. Zufallsspiele, Geschicklichkeitsspiele, gemischte Spieltypen, Wettbewerbssituationen in Sport, Beruf und Wirtschaftsleben, Planspiele und auch Ahmungsspiele stellen ständig sich wiederholende Lebenssituationen mit teilweise gleichen oder ähnlichen Grundregeln dar.
Es wäre sicher unzutreffend, Spiel als Gegenteil oder Negation von Ernst aufzufassen, da es bitterernste Spiel- oder Wettbewerbssituationen geben kann. Für konkrete Analysen von Spielsituationen empfiehlt es sich, die Spiele in Grundkategorien mit gemeinsamen spezifischen Merkmalen einzuteilen.
F. G. Jünger teilt die Spiele nach ihrem Entstehungsgrad in folgender Weise ein:
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auf Zufall abgestellte Glücksspiele («Alea», Würfelspiel, Ungewissheit, Glückszufall),
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auf Geschicklichkeit abgestellte Geschicklichkeitsspiele («Agon», der Wettkampf) und
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auf Ahmung abgestellte vor- und nachahmende Spiele («Mimikry», Verstellung, Maskierung und Ilinx, Rausch, Trance und Ekstase).
Überlässt man dem Zufall den entscheidenden Ausgang des Spiels, so liegt ein Glücksspiel vor; man müsste diese Spiele eher Zufallsspiele nennen. Damit der Zufall tatsächlich zum nicht vorhersehbaren Bestandteil des Spiels werden kann, muss er in dessen räumlichen und zeitlichen Grenzen verfügbar und wiederholbar sein. Die Regeln des Glücksspiels fordern einen klar umgrenzten Bereich zufälliger Ereignisse, den bekannten Ereignisvorrat. Die Ereignisse selbst werden durch einen Mechanismus hervorgebracht, ohne dass das Ergebnis im Einzelnen vorher bekannt ist. Würfelspiele, Schwarzer Peter, Lotto und Roulette zählen zu den klassischen Glücksspielen.
Die Regeln der Geschicklichkeitsspiele fordern von den Spielern besondere Fähigkeiten. Der Umstand, ob diese Fähigkeiten größer oder geringer sind, füllt hier den Spielraum aus. Die Entscheidungen werden nicht einem Zufallsmechanismus zugeteilt, sondern von den spielenden Personen getroffen. Jede Handlung unterliegt dem Anspruch auf Qualität. Wenn jemand beim Roulette auf Rot setzt, ist das weder gut noch schlecht, der Zufall entscheidet über Gewinn oder Verlust. Wenn aber jemand beim Schach eine Figur bewegt, so ist der Zug schwach oder stark; das Urteil ist prinzipiell sofort möglich, auch wenn es erst später offenbar wird. Die Arten von Geschicklichkeit, die in ein Spiel eingehen können, sind zahlreich. Sie reichen von körperlichen bis zu geistig-seelischen Fähigkeiten, die meistens verbunden auftreten, wobei die eine oder die andere Seite überwiegt. Dame, Schach, Fußball, Tennis und Seiltanz sind beispielhafte Geschicklichkeitsspiele.
Ahmungsspiele sind gekennzeichnet durch das Heraustreten aus dem gewöhnlichen Leben und das Schaffen einer Welt des Spiels mit eigenen Ordnungen. Ein kleines Mädchen, das mit einer Puppe spielt, ahmt nach, was es von Erwachsenen gesehen hat, und zugleich ahmt es vor, was es später vielleicht einmal tun wird. Außer den Kinderspielen gehören zur Ahmung alle Arten von Spielen, die etwas darstellen: von Verkleidungen beim Karneval bis zu den künstlerischen Darbietungen in Filmen und auf den Brettern, die die Welt bedeuten.
Man hat vom Menschen behauptet, er sei vor allem ein Nachahmungstier. Das ist gar nicht so abwegig, denn wer im Sport, im Spiel oder allgemein im Leben gut sein will, wird Erfolgreiche nachahmen. Selbst das Lernen durch Versuch und Irrtum, also solches bestimmt nicht die wirtschaftlichste Lernart, enthält eine starke Nachahmungskomponente. Überhaupt legt die Evolution nahe, dass Nachahmung der Elterntiere durch die Nachkommen der wichtigste soziale Lernprozess sein dürfte und ein wichtiges Komplement der Erfahrung. Beide Fähigkeiten, Erfahrung und (evolvierte) Nachahmung, setzen Blickverfolgung (bei der Futtersuche, beim Jagen und Gejagtwerden) voraus und sind als Voraussetzungen des Informationstransfers aufzufassen.
Die drei Grundkategorien von Spielen treten häufig miteinander verknüpft auf. Reine Glücksspiele kommen verhältnismäßig selten vor. Werden Zufall und Geschicklichkeit in gewissen Situationen vereinigt, so entsteht ein gemischter Spieltyp. Zu den Gemischten Spieltypen gehören die meisten Kartenspiele. Über die Verteilung der Karten entscheidet vorwiegend der Zufall, bei den weiteren Entscheidungen kommt es auch auf vernünftige Überlegungen an. Black Jack und Poker sind beispielhafte Exponenten.
Außer den meisten Kartenspielen können etwa noch Sportwetten und Börsenspekulationen als gemischte Spieltypen angesehen werden. Aber selbst das Roulette, das von jeher als reines Glücksspiel galt, können wir unter gewissen Voraussetzungen als einen gemischten Spieltyp betreiben, wie wir noch ausführlich sehen werden.
Die Existenz gemischter Spieltypen mit einer Ahmungskomponente leuchtet uns sofort ein, wenn wir bedenken, dass jemand, der ein Geschicklichkeitsspiel lernen will, bessere Spieler nachahmen muss. Umgekehrt bedürfen die Ahmungsspiele einer besonderen Geschicklichkeit. Der Zufall scheint, als eine Grundstruktur der realen Welt, seine Pfoten bei jedem Spieltyp im Spiel zu haben.
Spiele und Wahrscheinlichkeiten – Geschichtliches
Im 17. Jahrhundert waren Glücksspiele in den höheren gesellschaftlichen Schichten Frankreichs sehr verbreitet: Karten-, Würfel- und Brettspiele; auch das Roulette wurde allmählich bekannt.
Im Jahr 1654 konfrontierte der Chevalier de Méré einen der brillantesten philosophischen und mathematischen Geister der Epoche, Blaise Pascal (1623 – 1662), brieflich mit einem Problem über die Einsätze in einem Würfelspiel. Der berühmte Physiker und Mathematiker Christiaan Huygens, der von diesem Briefwechsel erfuhr, verfasste daraufhin 1657 die erste Abhandlung der Mathematikgeschichte über die Theorie der Wahrscheinlichkeit: «De ratiociniis in ludo aleae» («Überlegungen beim Würfelspiel»). Das Wort «Erwartung» (lateinisch: expectatio) taucht darin auf, verstanden als «gerechter Preis, für den ein Spieler seinen Platz in einer Partie abgeben würde» – ein sehr suggestiver Begriff, der jedoch nach und nach präzisiert und formalisiert werden musste, da es unzählige Paradoxien zu lösen galt. Nun begann der Aufschwung der Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Pierre Simon de Laplace (1749 – 1827), Professor der Mathematik an der Pariser Militärakademie (wo 1784/85 Napoleon, der spätere Konsul und Kaiser, sein Schüler war), gab in seiner «Théorie analytique des probabilités» (1812) als Erster eine genaue Definition des Begriffs der Wahrscheinlichkeit an – heute als klassischer Wahrscheinlichkeitsbegriff bezeichnet – und stellte Regeln für das Rechnen mit Wahrscheinlichkeiten auf. Darin schreibt er: «Es ist bemerkenswert, dass eine Wissenschaft, die mit der Betrachtung von Glücksspielen begann, der wichtigste Gegenstand des menschlichen Wissens werden sollte … Die wichtigsten Fragen des Lebens sind in der Tat vorwiegend Probleme der Wahrscheinlichkeit.»
Unter der Voraussetzung, dass nur endlich viele Versuchsergebnisse möglich sind, definiert Laplace die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses A, p(A), wie folgt:
Es ist das Verhältnis der Anzahl von Möglichkeiten für das Ereignis A und der Gesamtzahl möglicher Ereignisse – unter der Annahme, dass alle Ausgänge gleichwahrscheinlich sind. Doch was ist unter «gleichwahrscheinlich» zu verstehen? Dass die Wahrscheinlichkeiten alle dieselben sind? Zirkelschluss! Diese Grundsatzfrage hat in der Entstehungsphase der Wahrscheinlichkeitstheorie eine Menge Ärger bereitet (der erst 1933 durch die axiomatische Grundlegung der Wahrscheinlichkeit durch Andrej Kolmogorov behoben wurde).
Im täglichen Leben können wir aber durchaus vorliebnehmen mit dieser einfachsten Definition der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses – das Maß für das Eintreten dieses Ereignisses, also ein Maß des Vertrauens –, die wir wie folgt kurz darstellen können:
Dabei steht p für «Wahrscheinlichkeit» (probabilité, probability), während mit hn (A) die relative Häufigkeit für beliebig viele (n) Wiederholungen des Versuchs bezeichnet wird. Dies stellt eine Brücke zwischen der Fiktion Wahrscheinlichkeit und der Empirie dar, die zum sogenannten Gesetz der großen Zahlen führt. NA stellt die Anzahl der bezüglich der Ereignisqualität A günstigen Fälle dar (zum Beispiel «ungerade Zahl» beim Würfeln, dann ist NA = 3). Und N ist die Anzahl aller möglichen Fälle, unter denen Ergebnisse mit dem Ereignismerkmal A ausgewählt wurden (im Fall des Würfels ist N = 6). p(A) ist also das Verhältnis der Anzahl der bezüglich A günstigen Fälle zur Anzahl aller möglichen Fälle, unter denen diejenigen mit dem Merkmal A ausgewählt wurden (in unserem Beispiel ist p(A) = 3/6 = 1/2 oder 50 Prozent). Die klassische Definition führt Wahrscheinlichkeitsfragen auf kombinatorische Abzählprobleme zurück und ist einfach ein probates Konzept, das uns beim Raten hilft. Wird der Versuch tausendmal wiederholt (n = 1000), erhalten wir mit h1000 (A) bei einem unverfälschten Würfel...
Erscheint lt. Verlag | 1.4.2011 |
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Zusatzinfo | Zahlr. s/w Grafiken |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Mathematik / Informatik ► Mathematik ► Statistik | |
Technik | |
Schlagworte | existenzielles Spiel • Glücksspiel • Grundmuster • innovatives Spiel • kreatives Spiel • Mathematik • Naturschauspiel • Wettbewerb |
ISBN-10 | 3-644-44021-2 / 3644440212 |
ISBN-13 | 978-3-644-44021-0 / 9783644440210 |
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