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Durch die Wiese (eBook)

Insekten und Spinnentiere unter der literarischen Lupe

Florian Huber (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
200 Seiten
Czernin Verlag
978-3-7076-0844-1 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
19,99 inkl. MwSt
(CHF 19,50)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
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Ohne Insekten wäre unser Leben nicht nur ärmer, es wäre gar nicht möglich: Rainer Maria Rilke, Wilhelm Busch, Marlen Haushofer, Tomas Tranströmer, Franz Kafka, Maurice Maeterlinck, Lewis Carroll, Maria Sibylla Merian, Vladimir Nabokov und viele weitere Autor:innen begeistern mit Gedichten, Essays und Erzählungen u?ber die faszinierende heimische Insektenwelt. Sie summen, schwirren, krabbeln, fliegen, brummen, flattern oder kriechen - Insekten halten nicht nur unser Ökosystem aufrecht, zwischen Schönheit und Vergänglichkeit, Ekel und Nutzen, der friedlichen Natur oder dem emsigen Treiben im Ameisenbau sind sie auch Inspirationsquelle vielzähliger Ku?nstler:innen und Autor:innen. Als Bestäuber unserer Pflanzen, als Nahrungsquelle oder als Schädlingsbekämpfung tragen sie einen wichtigen Teil zur Vielfalt der Natur bei. »Durch die Wiese« versammelt historische wie aktuelle literarische Texte und nimmt die heimische Insektenwelt genau unter die Lupe. So formuliert die Anthologie ein eindrucksvolles Plädoyer fu?r den Erhalt der Insektenvielfalt.

Florian Huber studierte Philosophie in Wien, verbrachte mehrere Forschungsaufenthalte an der Harvard University und forschte am Lehrstuhl fu?r Kulturgeschichte des Wissens der Leuphana Universität in Lu?neburg zum Verhältnis von Literatur und Naturwissenschaften. Zahlreiche Publikationen zur Literatur- und Wissenschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.

Florian Huber studierte Philosophie in Wien, verbrachte mehrere Forschungsaufenthalte an der Harvard University und forschte am Lehrstuhl für Kulturgeschichte des Wissens der Leuphana Universität in Lüneburg zum Verhältnis von Literatur und Naturwissenschaften. Zahlreiche Publikationen zur Literatur- und Wissenschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.

William H. Gass (1924–2017)


Orden der Insekten

Wir hatten an dem Haus sicher nichts zu beklagen, schließlich hatten wir das vorherige mehr als satt gehabt, wir hatten aber noch nicht lange darin gewohnt, als ich jeden Morgen die Leiber von Käfern einer großen schwarzen Art erblickte, die als Flecken auf dem Teppich am Treppenfuß lagen; ganz zufällig, so, wie Würmer nach einem Regen auf der Straße sterben müssen; als ich sie zum ersten Mal erblickte, sahen sie aus wie Knäuel dunkler Wolle oder wie Dreckkrumen von den Schuhen der Kinder, oder manchmal, wenn die Vorhänge zugezogen waren, flößten sie mir wie Tintenflekken oder tiefe Brandspuren Schrecken ein, denn ich war von dem dicken Teppich ganz früh eingeschüchtert worden und war in der ersten Woche mit dem Wunsch darübergelaufen, meine nackten Füße möchten meine Schuhe verschlucken. Die Panzer waren gewöhnlich zerbrochen. Beine und andere Körperteile, die ich nicht identifizieren konnte, lagen verstreut neben ihnen wie abgeblätterter Rost. Gelegentlich fand ich sie auf dem Rücken liegend, ihre geriffelte Unterseite sah orangefarben aus, während neben ihnen Schmierspuren von dunkelbraunem Pulver lagen, die mit dem Staubsauger sorgsam weggesaugt werden mußten. Wir glaubten, unsere Katze habe sie getötet. Nachts war sie damals oft krank – das war für sie ungewöhnlich –, und wir konnten uns keinen anderen Grund denken. So, auf dem Rücken liegend, sahen sie sogar im Tod rührend aus.

Ich konnte mir nicht vorstellen, woher die Käfer gekommen waren. Ich selber bin peinlich genau. Das Haus war sauber, die Geschirrschränke dicht verschlossen und ordentlich, und wir haben nie einen gesehen, der lebte. Das vorherige Haus hatten die flachen braunen struppigen Küchenschaben befallen, alle nur aus Drahtigkeit und Geschwindigkeit bestehend, und diese hatten wir ja denn doch gesehen, wie sie, vom Küchenlicht erschreckt, durch die Scheuerleisten und die Bodenritzen hereinsickerten; und in der Speisekammer hatte ich beinahe meine Hand um eine geschlossen, ehe sie floh und ihren Schatten auf das Stärkemehl warf wie ein Bild des Alarms, der meine Hand gepackt hatte.

Tot, auf den Rücken gedreht, waren ihre drei Beinpaare fein hochgezogen und scheu über ihre Mägen gefaltet. Wenn sie liefen, so nehme ich an, wurden ihre Vorderbeine nach vorn gestoßen und dann eingebogen, um den Körper nachzuziehen. Ich frage mich noch immer, ob sie hochsprangen. Mehr als einmal habe ich gesehen, wie unsere Katze eine ihrer Klauen unter eine Flügeldecke schob und einen in die Luft warf, dann kauerte sie ruhig, während das Insekt herunterfiel, tat so, als springe sie nach ihm hoch – aber es war bei Tageslicht; der Käfer war tot; sie war nicht mehr eigentlich interessiert; und sie lief augenblicklich weg. Anstelle ihres Hüpfens steht nur dieses Bild. Sogar wenn ich tatsächlich sähe, wie die beiden hinteren Beinpaare heraussprängen, wie sie es hätten tun müssen, wenn einer hochsprang, so meine ich doch, ich würde das Ergebnis unwirklich und mechanisch finden, einen armseligen Versuch, gemessen an dem plötzlich aufschießenden Halsüberkopfflug, den die Tatze unserer Katze veranstaltete. Ich meine, ich könnte es nachschlagen, aber es ist kein Lehrfach für Frauen ... Käfer.

Zunächst reagierte ich wie erforderlich, beugte mich über sie, fragte mich, was zum Teufel; doch bevor es mir einfiel, zog ich meine Hand zurück, und mich schauderte. Bösartiges, häßliches, gepanzertes Zeug: sie benützten ihre Schatten, um groß auszusehen. Der Apparat saugte sie ein, während ich in eine andere Richtung blickte. Ich erinnere mich an die plötzliche Spannung des Schreckens, die mich ergriff, als ich einen durch den Schlauch rasseln hörte. Ich war natürlich erleichtert, daß sie tot waren, denn ich hätte nie einen töten können, und wenn sie lebend in den Staubbeutel des Staubsaugers geknallt wären, dann, glaube ich, hätte ich die Alpträume wiederbekommen, die ich hatte, als mein Mann gegen die roten Ameisen in der Küche kämpfte. Die ganze Nacht lag ich wach und dachte an die Ameisen, noch lebendig im Bauch des Apparates, und als ich auf den Morgen hin endlich einschlief, befand ich mich selber in dem entsetzlichen elastischen Tunnel der Saugdüse, wo ich sie vor mir hörte: Hunderte Körper, die im Dreck raschelten.

Ich sehe ihre Spezies nie als eine lebendige vor mir, sondern als eine, die ausschließlich aus den Kadavern auf unserem Teppich gebildet ist, alle die neuen Toten werden im Fortgang einer geheimnisvollen Gattungsspur erzeugt – vielleicht durch diesen Staub, in dem sie manchmal liegen –, werden durch die Luft getragen, festigen sich über Nacht und bilden sich spontan, von einem Körper ausgehend zum nächsten, so wie es vor dem Einbruch des wissenschaftlichen Zeitalters die Maden taten. Ich besitze ein einziges Buch über Insekten, ein kleines überholtes Handbuch auf Französisch, das mir ein guter Freund im Scherz gab – wegen meines Gartens, wegen der Eigentümlichkeit der Bildtafeln, dem Spaß, mit dem man in so eleganter Sprache über Würmer lesen konnte –, und mein Käfer sieht sich dort auf seinem Bild, wie er den Stengel einer Orchidee hochklettert. Unter dem Bild steht sein Name: Periplaneta orientalis L. Ces répugnants insectes ne sont que trop communs dans les cuisines des vieilles habitations des villes, dans les magasins, entrepôts, boulangeries, brasseries, restaurants, dans la cale des navires etc., so fängt der Text an. Dennoch sind sie für mich eine neue Erfahrung, und ich glaube, daß ich jetzt dafür dankbar bin.

Das Bild brauchte mir nicht zu zeigen, daß es davon zwei Sorten gab, den erwachsenen und die Nymphe, denn zu der Zeit hatte ich schon die Leichen beider gesehen. Nymphe. Du lieber Himmel, was wir für Namen gebrauchen. Die eine war dunkel, hingekauert, häßlich, schlau. Die andere, schlanker, hatte harte, futteralartige Flügel, die wie eine weitere Schale über ihren Rücken gezogen waren, und man konnte feine verwobene Linien sehen, die wie fossile Gaze um sie gesponnen waren. Die Nymphe war von reicher goldener Farbe, zwischen den Körpersegmenten wurde sie dunkel wie Mahagoni. Beide hatten Beine, die unter einer Lupe wie Rosenstiele aussahen, und die der Nymphe waren bei gutem Licht so durchsichtig, daß man meinte, man sehe ihre Nerven zusammenfließen und wie eine verästelte Ritze bis an die äußerste Spitze jeder Klaue laufen.

Bei Berührung sind ihre Beine in die angezogene Stellung zurückgefallen, und je mehr ich sie anschaue, umso weniger glaube ich meinen Augen. Die Verworfenheit in diesen Käfern ist herrlich. Ich besitze eine Sammlung, die ich jetzt in Schachteln für Schreibmaschinenfarbbänder aufbewahre, und obgleich ihre Körper mit der Zeit austrocknen und ihr inneres Fleisch zerfällt, bleiben ihre äußeren Züge bestehen, so wie sie, glaube ich, im Leben bestanden, eine ägyptische Entschlossenheit, denn ihre Panzerplatten sind stark, und der Tod muß Knochen brechen, um hineinzukommen. Nun da die schwere Seele gegangen ist, ist ihre Hülle leicht.

Ich vermute, daß wir, wenn wir mit unseren Knochen so vertraut wären wie mit unserer Haut, Tote nie begraben, sondern sie in ihren Zimmern wie in einem Schrein aufbewahren würden, sie so arrangierten, wie wir sie bei einem Besuch vorfänden; und unsere Feinde, wenn wir ihre Körper von den Schlachtfeldern stehlen könnten, würden so, wie sie starben, ins Museum gestellt werden, der Stahl noch immer beredt in ihren Flanken steckend, ihre Metallhelme schief, die Zehenschützer an ihren Schuhen ungetragen, und Freund und Feind wären so wundersam historisch, daß wir in hundert Jahren die Kiefer noch zur immer selben Rede geöffnet vorfänden und alle Teile, mit denen wir unser Leben verbrachten, so schräggeneigt, wie sie immer waren – Brustkasten. Kragen. Schädel –, noch immer so wiederholungssüchtig, noch immer trotzig, engelsleicht, noch immer unseres Gedenkens, unserer Zuneigung würdig. Was heißt es eigentlich, wenn man sagt, das Leben verlasse sie, nachdem die Katze durch die Flügeldecke hindurchgebissen und das Fleisch innen zerwühlt habe? Zu unserem Unglück, so möchte ich klagen, sind unsere Knochen geheim, kommen erst zum Schluß an die Oberfläche, so müssen wir lieben, was zugrunde geht: die Muskeln und das Wässerige und die Fette.

Zwei Spitzen wie Dolche vom Hinterteil ausgestreckt. Ich vermute, ich werde ihre Funktion nie kennen. Diese Art von Wissen regt mein Interesse nicht an. Zunächst einmal mußte ich meine Augen auf Nahaufnahme einstellen, und wie ich es jetzt sehe, waren die ganze Änderung, der neuerliche Wechsel meines Lebens die Folge davon, daß ich endlich einer Sache überhaupt nahe kam. Es war ein selbstkasteiender Akt, so erinnere ich mich, eine Strafe, die ich mir selber auferlegte für die schlechtgelaunten Worte, die ich meinen Kindern mitten in der Nacht zuschrie. Ich fühlte instinktiv, daß die Insekten ansteckend und ihre eigene Krankheit waren, deshalb hielt ich mir, als ich niederkniete, ein Taschentuch über die untere Hälfte des Gesichtes ... sah nur Grauen ... wandte mich ab, mir war schlecht, ich bedeckte die Augen ... aber für den Rest des Tages suchte mich die schlimmste denkbare Wut heim: unbestimmt, grübelnd, schuldig und beschämt.

Daraufhin kam ich ihnen oft nahe; sagen wir zunächst einmal, um die Unterschiede zu der goldenen Nymphe herauszufinden; fuhr ihnen mit einem gefärbten Nagel, den ich mir lange hatte wachsen lassen, zwischen die Kinnteile, beobachtete die Bewegung der Kiefer, die Stengel der Antennen, den totenschädelförmigen...

Erscheint lt. Verlag 20.1.2025
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Anthologien
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Ameisen • Bienen • Erdboden • Insekten • Insektenvielfalt • Insektenwelt • Käfer • Lebensraum • Literatur • Ökosystem • Plädoyer • Spinnen • Texte • Tiere • Wiese
ISBN-10 3-7076-0844-1 / 3707608441
ISBN-13 978-3-7076-0844-1 / 9783707608441
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