Gespenster-Krimi 161 (eBook)
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-7234-1 (ISBN)
Der junge Butler Isaac Finley ist unentschlossen: Soll er die neue Stellung bei Lady Enderby annehmen? Er weiß, dass sie eine Spezialistin für das Übersinnliche ist. Dass sie als Beraterin für die britischen Polizeibehörden arbeitet, wann immer ein mysteriöser Fall ihre Hilfe verlangt. Und dass eine Anstellung bei ihr ihn mit dem Unerklärlichen und Schaurigen in Kontakt und in Gefahr bringen wird!
Bevor er sich entscheiden kann, taucht Lady Enderby bei ihm auf - in Begleitung von Chief Inspector Vince Ferrow. Und Isaac Finley muss seine womöglich neue Dienstherrin in den Ort Dreary begleiten, wo ein neuer Fall auf sie wartet. Es geht um ein junges Mädchen, das unter grausigen Umständen zu Tode gekommen ist. Um einen längst vergessenen Friedhof. Und um eine schreckliche Kreatur, die in dieser Gegend ihr Unwesen treibt ...
Der Leichentuch-
Fresser
von Henry Cardell
Der Friedhof lag mitten im Dreary Forest. Tief in einem Teil des Waldes, der seit Ewigkeiten zugewuchert und beinahe unzugänglich war. Fernab jeglicher Zivilisation und versteckt vor neugierigen Blicken, von der Natur im Laufe der Jahrzehnte in Besitz genommen.
Früher hatten sich Legenden um diesen dunklen und geheimnisvollen Ort gerankt. Geschichten, die man sich in den Dörfern der Umgebung nur zugeflüstert hatte. Erzählungen, die von unheimlichen Vorgängen und Ereignissen berichteten. Etwa davon, dass Besucher ein widerwärtiges und grauenvolles Schmatzen aus der Tiefe hörten. Ganz so, als würde dort eine unvorstellbare Kreatur lauern und gierig auf etwas herumkauen.
Inzwischen aber war der Friedhof bei den meisten in Vergessenheit geraten. An den Schrecken, der angeblich dort hauste, erinnerten sich nur noch die älteren Einheimischen.
Doch alles, was vergessen ist, kann eines Tages wiederkehren ...
Südengland, 1968
Der Donnerschlag folgte so unmittelbar auf den grellen Lichtblitz, dass der Wanderer ängstlich zusammenzuckte.
Für einen Moment hatte er das Gefühl, dass der Wald, der ihn umgab, erbebte. Das dumpfe Vibrieren, das er unter seinen Füßen spürte, schien ihm bis in die Haarspitzen zu ziehen, und er bildete sich ein, dass es seine Zähne zum Klappern brachte. Nach zwei Sekunden war dieser Eindruck verschwunden, und um ihn herum kehrte wieder Stille ein. Zumindest vorläufig.
Vorsichtig hob der junge Mann den Kopf und blickte hinauf zu den Baumwipfeln, die sich wie dunkle Schatten vor dem grauen Abendhimmel abzeichneten. Vor wenigen Minuten hatte noch absolute Windstille geherrscht, doch jetzt wankten die Äste und Zweige in einem hektischen, windgetriebenen Tanz, begleitet vom lauter werdenden Rauschen und Rascheln der Blätter.
Genauso schnell, wie die heftigen Windböen und der Donner aufgekommen waren, hatten sich dicke Gewitterwolken über den Himmel geschoben. Sie hatten die Umgebung innerhalb weniger Minuten auf unheimliche Weise verdunkelt, wie es um diese Uhrzeit nicht zu erwarten war.
Der Wanderer im grünen Parka rümpfte die Nase. Wenn er die Anzeichen richtig deutete, musste das Unwetter genau über ihm sein, und wie auf ein unsichtbares Zeichen hin setzte tatsächlich ein heftiger Regen ein.
Er zog sich die Kapuze seiner Jacke über den Kopf , doch es war weniger der Regen, der ihm Sorgen machte. Vielmehr quälte ihn der Gedanke, dass ein Blitz in einem Baumstamm einschlagen konnte, während er direkt daneben stand. Er musste diesen verdammten Wald auf dem schnellsten Weg verlassen.
Wie konnte er nur so leichtsinnig gewesen sein, sich während der letzten Rast von der Gruppe zu trennen? Und wie dumm und peinlich war es, sich im Anschluss an diese dämliche Aktion im Wald zu verlaufen?
Der junge Mann fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und seufzte. Das Ganze hatte ein lustiges Wochenende werden sollen, an dem er mit seinen Kommilitonen den Beginn der Semesterferien feiern wollte. Weit weg von nervigen Eltern, strengen Professoren und unzähligen Büchern, die durchgeackert werden mussten. Dafür ein paar Tage mit viel Natur und reichlich Bier und in weiblicher Gesellschaft.
Am Arsch, dachte er verbittert. Bis auf die Knochen durchnässt irrte er stattdessen durch ein abgelegenes Waldgebiet und hatte nicht den Hauch einer Ahnung, in welcher Richtung sich seine Freunde oder das nächste Kaff mit einem warmen Pub befanden.
Frustriert mit sich und der Welt zog er eine klobige Stablampe aus der Seitentasche des Parkas und leuchtete damit auf die Armbanduhr an seinem Handgelenk. Doch im Bruchteil einer Sekunde war das Uhrenglas von unzähligen Regentropfen benetzt, und er konnte die Zeiger trotz der Lampe nicht mehr richtig erkennen.
Ein weiterer gleißender Blitz in Verbindung mit einem krachenden Donnerschlag löste den Studenten aus seiner Starre. Er durfte mit der Suche nach einem sicheren Unterstand nicht länger warten. Wenn ihn schon kein Blitz traf, war die Möglichkeit immerhin recht groß, dass er sich eine Lungenentzündung zuzog, falls er weiterhin schutzlos in Regen und Wind verharrte.
Entschlossen straffte er die Schultern, hielt den Strahl seiner Taschenlampe vor sich auf den Boden und lief ohne genaues Ziel in eine willkürlich ausgewählte Richtung los.
Während er auf seinem verzweifelten Weg durch den Wald damit beschäftigt war, so vielen Unebenheiten wie möglich auszuweichen, zuckte der Schein der Lampe hin und her. Er erzeugte bizarre Schatten zwischen den Baumstämmen und Sträuchern.
Der Student versuchte, sich krampfhaft einzureden, dass er ruhig bleiben und sich konzentrieren musste. Doch mit jedem Yard, den er tiefer in den Wald lief, und mit jeder Minute, die verging, beschleunigte er unbewusst seine Schritte ein klein wenig mehr.
Den nicht schwächer werdenden Sturmgeräuschen nach schien ihn das Gewitter auf beunruhigende Weise zu verfolgen.
Ständig fragte er sich, ob es sinnvoller wäre, die Richtung zu wechseln und auf einem anderen Weg sein Glück zu versuchen. Irgendwo hatte er einmal gelesen, dass es ratsam war, immer geradeauszulaufen, falls man sich verirrt hatte. Je länger er darüber nachdachte, desto logischer erschien ihm das, auch wenn er wusste, dass es in dieser Dunkelheit schwer sein würde, überhaupt einen geraden Weg einzuhalten.
Die Nervosität in ihm wuchs. Verzweifelt versuchte er abzuschätzen, welche Zeitspanne vergangen war, seit er sich von der Gruppe getrennt hatte. Es konnte mittlerweile durchaus mehrere Stunden lang her sein, schätzte er. Wie viele, vermochte er allerdings nicht zu sagen.
Er fragte sich gerade, ob seine Freunde nach ihm suchten (oder vielleicht sogar die Polizei über sein Verschwinden informiert hatten), als sich sein rechter Fußknöchel in einer Wurzel verfing.
Ihm entfuhr ein lautes Keuchen, als er der Länge nach auf dem regennassen Waldboden schlug und sich beinahe ein Stück der Zunge abbiss. Die Stablampe entglitt seiner Hand, holperte davon und blieb außerhalb seiner Reichweite liegen.
Der junge Mann unterdrückte einen üblen Fluch, der ihm auf den Lippen lag. Dann rappelte er sich mühevoll auf und verharrte für einen Augenblick kniend auf dem feuchten Waldboden. Er musste dringend Luft holen und starrte dabei keuchend in die undurchdringliche Finsternis.
Ein erneuter Blitz fuhr vom Himmel und tauchte die Umgebung für den Bruchteil einer Sekunde in ein taghelles Licht.
Überraschend schälte sich in diesem Moment direkt vor der Nase des Wanderers ein Grabstein aus der Dunkelheit.
Der unerwartete Anblick hatte zur Folge, dass der junge Mann einen Schrei ausstieß, den jedoch ein weiterer Donnerschlag völlig verschluckte.
Obwohl der Sturz über die Wurzel dafür gesorgt hatte, dass ihm beide Knie schmerzten, fuhr der Student in die Höhe und taumelte gleichzeitig einige Schritte zurück.
Der Wald um ihn herum war mitsamt dem einsamen Grabstein wieder in Dunkelheit versunken.
Nachdem er den ersten Schrecken überwunden hatte, näherte er sich vorsichtig der Stablampe und hob sie auf. Dann lenkte er ihren Strahl behutsam auf das Objekt, das ihn so erschreckt hatte.
Sein besorgter Verstand hatte ihm keinen Streich gespielt, es war tatsächlich ein Grabstein. Er war sehr alt, entsprechend stark verwittert und von Moosflechten und eingetrocknetem Vogeldreck übersät.
Der Student beugte sich nach vorne und konnte auf dem Stein mit einiger Mühe den Vornamen HORACE entziffern. Der dazugehörige Nachname war jedoch unlesbar. Dem darunter eingemeißelten Datum zur Folge hatte jener unbekannte Horace diese irdischen Gefilde bereits im Jahr Siebzehnhundert-Soundso verlassen, was dem jungen Mann ein verblüfftes Aufstöhnen entlockte. Das war mindestens dreihundert Jahre her. Wo, zur Hölle, war er hier gelandet?
Langsam schob er sich wieder in die Höhe und ließ dabei den Schein der Taschenlampe zur Seite wandern.
Und dann wurde ihm klar, wo er sich befand.
Er stand mitten auf einem uralten Friedhof!
†
Um sich herum sah er unzählige Grabsteine, Engelsstatuen und Kreuze in den unterschiedlichsten Größen, Formen und Stilen, die nach einem nicht erkennbaren Muster im Wald verteilt waren. Die meisten von ihnen ragten schief aus dem Boden, und einige waren im Lauf der Zeit zur Seite gekippt. Allen gemein war ihr ausgeprägt verwitterter Zustand, der dem des ersten Grabsteins ähnelte, den der Student zu Gesicht bekommen hatte.
Überall rankte sich gelbes und braunes Unkraut empor, und zwischen den Grabstätten standen vereinzelt dürre, kahle Bäume. Der Boden des Totenackers war mit nassem Laub und Gestrüpp überzogen.
Was, in aller Welt, hatte ein Friedhof mitten im Wald verloren? Und wer, zum Teufel, lag hier begraben?
Ein Schauer rann dem jungen Mann über den Rücken, der eindeutig nichts mit der Kälte des Regens zu tun hatte. Die Überraschung, die ihn übermannt hatte, seit der erste Grabstein so unerwartet vor ihm aufgetaucht war, sorgte sogar dafür, dass er vergessen hatte, immer noch völlig durchnässt inmitten eines heftigen Gewitters zu stehen.
Ihn ergriff das unbestimmte Gefühl, dass er nicht mehr allein auf dem...
Erscheint lt. Verlag | 7.12.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-7234-0 / 3751772340 |
ISBN-13 | 978-3-7517-7234-1 / 9783751772341 |
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