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Wir teilen den Himmel (eBook)

Gewagter Sprung von West nach Ost - Liebe in Zeiten des Kalten Krieges
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
270 Seiten
Neufeld-Verlag
978-3-86256-796-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wir teilen den Himmel -  Gerlinde Breithaupt
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'Normalerweise führt der Heilige Geist die Theologen immer in den Westen', meint der Magdeburger Bischof Werner Krusche verschmitzt. Auch die Staatssicherheit stutzt: Ist diese junge Frau wirklich nur aus Liebe in die DDR übergesiedelt? Dabei war es für die Theologiestudentin Gerlinde Schnübbe zunächst alles andere als klar, dass ihr Weg sie in die DDR führen würde. Ja, sie hatte sich in den Erfurter Theologiestudenten Joachim Breithaupt verliebt. Aber konnten sie Gott nicht in Brasilien oder Afrika dienen? Aus Liebe, aber auch aus Berufung findet Gerlinde zu einem klaren Ja und erlebt mit Joachim schließlich den ganz normalen Alltag einer Pfarrersfamilie in einem kleinen Dorf im Bezirk Halle. Nicht nur die ständige Beobachtung und Konfrontation durch die Stasi ist dabei herausfordernd. Schließlich erlebt Familie Breithaupt auch das Wunder der friedlichen Revolution 1989. Die Autorin erzählt die spannende und ungewöhnliche Geschichte einer grenzübergreifenden Liebe sowie ihrer persönlichen Berufung zwischen 1977 und 1990. Ein packendes Stück deutscher Zeitgeschichte.

Gerlinde Breithaupt, 1953 in Hannover geboren, siedelte 1981 aus der Bundesrepublik in die DDR. Bis 2018 war sie Pfarrerin. Heute lebt sie gemeinsam mit ihrem Mann im Ruhestand in Halle an der Saale.

Gerlinde Breithaupt, 1953 in Hannover geboren, siedelte 1981 aus der Bundesrepublik in die DDR. Bis 2018 war sie Pfarrerin. Heute lebt sie gemeinsam mit ihrem Mann im Ruhestand in Halle an der Saale.

I. Der Himmel über uns


Euphorie

Strahlend hell empfängt er mich, umfängt mich mit seinem Blau: Der Himmel über uns. Die beklemmende Grenzüberquerung liegt wieder einmal hinter mir. In der orangefarbenen Ente meiner Freundin Christa mit Göttinger Kennzeichen erreiche ich in den frühen Morgenstunden Nordhausen. Dort treffe ich meinen Liebsten, Joachim Justus, den jungen Vikar in Salza. Endlich wieder einander in den Armen liegen…

Gemeinsam setzen wir die Fahrt über die holprige Fernverkehrsstraße F 80 Richtung Osten fort. Hier irgendwo werden wir einmal leben und arbeiten, aber wo genau?

Großflächige Felder fliegen rechts und links an uns vorbei. Später im Jahr werden hier Rüben gehackt, von Reihen fleißiger gebückt gehender Frauen, mit Kopftüchern zum Schutz gegen Sonne und Wind. Aber jetzt verzaubern weiß blühende Kirschbäume die Landschaft. Die Maisonne erwärmt mir das Herz für diese Schönheit der Natur. Nicht umsonst nennt man diese Ebene zwischen Kyffhäuser und Harz die Goldene Aue. Kirchtürme ragen rechts und links von der Straße sichtbar auf. Welcher mag einmal „unser“ sein? Wohin sendet die Kirche uns? Wir passieren die kleinen Dörfer. Schlichte Häuser mit rissigen grauen Fassaden. Menschen sind am Werkeln in Schuppen und Hof. In mir jubelt es. Bald werde ich hier sein und bleiben. Bald nie mehr getrennt. So gewiss bin ich mir, obwohl die nächsten Schritte so ungewiss sind. Wie wird sie möglich, die Übersiedlung in die DDR?

Wir erreichen die Kreisstadt Sangerhausen, umkreisen die Ringstraße dreimal vergeblich, bis wir dann doch noch das eine Schlupfloch in die Innenstadt finden. Sankt Jacobi, wir platzen mitten in den Sonntagsgottesdienst hinein. Vertraute liturgische Klänge mildern das Fremde, geben mir ein Gefühl von Heimat. „Das kennst du. Hier kannst du sein“, flüstert es in mir. Wir durchqueren dann das hügelige Harzvorland, die gemeinsame Zeit vergeht wie im Flug.

Pünktlich kurz vor Mitternacht erreiche ich wieder die Grenze. Heraus aus dem Dunkel unbeleuchteter Straßen – nun in grellweißes Licht getaucht. Ich bin die einzige Autofahrerin hier. Bleierne Müdigkeit überfällt mich nach diesem langen, schönen Tag – jetzt nur noch nach Hause und ins Bett. Da übersehe ich schon die erste rote Ampel, fahre drüber. Eine graue Gestalt taucht auf, nicht ein Fünkchen Humor in der Uniform, winkt STOPP. Zurück vor die rote Ampel, bitteschön. Diese schaltet nun auf Grün. Ich fahre wieder vor, amüsiert und genervt über soviel deutsch-deutsche Korrektheit und Machtgetue. Dann das Übliche, Passkontrolle, Zoll … Das große metallschwere Tor zur Freiheit öffnet sich, ich fahre hindurch, übersehe schon wieder etwas, diesmal diese bahnweisenden rot-weiß-gestreiften Plastikhütchen, wie man sie von Baustellen kennt. Sie purzeln, kegeln, und im Rückspiegel seh’ ich die wild gestikulierenden Arme der Grenzer … „Jetzt könnt ihr mich mal …; hier ist eure Macht zu Ende, ich bin durch“, denke ich nur noch und fahre in die Nacht.

Misstrauen bei der Staatssicherheit

„Wer ist diese BRD-Bürgerin Schnübbe? Immer wieder reist sie von Göttingen nach Nordhausen-Salza, um einen gewissen Joachim Breithaupt zu besuchen.“ In der Stasi-Zentrale der Stadt Nordhausen kommt eine gewisse Nervosität auf. Major Kellemann drückt an diesem Vormittag seine achte Zigarette im Aschenbecher aus, während er sich über verschiedene Dokumente beugt. Darunter befinden sich sämtliche seit September 1979 verfassten Protokolle vom Grenzübergang Duderstadt-Worbis über diese BRD-Bürgerin: Die Schnübbe sei sehr wortkarg, mache aber kein Hehl daraus, welches das Ziel ihrer wiederholten Besuche sei. Sie und der Breithaupt seien beide Theologen und stünden in regem Austausch miteinander – so viel war bei den sich wiederholenden Befragungen an der Grenze herauszuhören. Wenn es nur diese Protokolle wären, gäbe es keinen Grund zur Beunruhigung.

„Aber das ist nicht alles! Schauen Sie mal hier, Genosse Schnack. Diese Mitteilung bekam ich kürzlich von Erfurt übersandt. Sie stammt allerdings schon vom 17.7.79. Jetzt haben wir Juni 1980. Es muss sich da um einen abgefangenen Brief mit schlecht leserlichem Absender gehandelt haben:

„Empf.: Breithaupt, Joachim, Erfurt

Abs.: Schübke?, Gerlinde, Göttingen

Liebesverhältnis.

Abs. ist vermutl. kirchl. gebunden. Sie betrachtet die Liebe zum Empf. aus kirchl. Sicht.“

Auch Oberleutnant Schnack wird hellhörig. Langsam steht er von seinem Platz auf und geht mit schlurfenden Schritten rüber zum Schreibtisch seines Vorgesetzten. Dabei wischt er sich die Schweißperlen von der Stirn. Sein Leibesumfang ist beträchtlich, schon die geringste Wärme bringt ihn ins Schwitzen. „Genosse Major, dem müssen wir auf jeden Fall nachgehen. Über den Breithaupt habe ich bereits Erkundigungen eingezogen. Sein erster Wohnsitz ist Erfurt. Sein Vater war dort Pfarrer an der Luthergemeinde. Der Breithaupt selbst hat zunächst in Halle und dann in Rostock Theologie studiert und ist jetzt Vikar beim Pfarrer von Salza. Er ist bisher nicht in auffälliger Weise in Erscheinung getreten. Seine Einstellung zum Sozialismus müsste allerdings erst noch herausgearbeitet werden.“ „Übernehmen Sie das, Genosse Schnack. Und vor allem versuchen Sie ’rauszukriegen, ob der Breithaupt die Absicht verfolgt, in die BRD zu der Schübke auszureisen.“ „Jawohl, Genosse Major.“

Wie alles begann

Wir schreiben das Jahr 1977. Ich studiere in Heidelberg Theologie und lebe in einer WG mit vier weiteren Studentinnen. Wir teilen christliches Leben miteinander und haben dieselben Themen. Eine von ihnen ist Gudrun, die mit sieben Jahren, noch vor dem Mauerbau, mit ihrer Familie die DDR verlassen hat. Sie steht seitdem in regem Kontakt mit ihren Verwandten auf dem Lande in der Nähe von Berlin. Auch jetzt wieder plant sie einen Besuch dorthin. Da kommt mir spontan eine Idee:

„Du, ich fahre mit dir in die DDR. Da war ich noch nie. Ich schreibe den Breithaupts, das sind Bekannte meiner Eltern, vielleicht besorgen sie mir ein Visum. Wir kommen doch durch Erfurt, wenn du mit dem Auto Richtung Berlin fährst.“ Erfurt! – ein warmes Gefühl aus den Kindheitsschilderungen meines Vaters steigt in mir auf. Gustav-Adolf-Straße 9. Der Erker brach ab in der Bombennacht 1945. Aber das Haus steht noch.

Ich bekomme einen herzlichen Brief zurück, mit einem Foto der Familie Breithaupt.

Von links nach rechts: Wolfgang, Vater Wolfgang, Mutter Ingeborg, Hans-Otto mit Hanne, Inge mit Diethard. Vorn: Joachim Justus.

Die Neugier steigt. Doch meine Freundin Gudrun bekommt ihr Visum nicht rechtzeitig und so entscheide ich mich, von Heidelberg allein mit dem Zug zu fahren …

25. November 1977. Erfurt Hauptbahnhof. Ich schaue mich verwirrt um. Holt mich jemand ab? Ich taste mich durch die Menschenmenge vorwärts. Ein etwa zehn bis zwölfjähriger Junge schaut mich an: „Ich kann Ihren Koffer tragen.“ Ich lasse es geschehen, hab ja noch genug Tragetaschen mit Mitbringseln von meiner Mutter. Plötzlich ist er in dem Menschengewühl verschwunden, ich kriege einen Schreck, da taucht er wieder auf, selber erschrocken. Leider kapiere ich nicht, dass er auf ein Trinkgeld wartet. Erster Fettnapf in diesem fremden Land. Draußen frage ich mich durch, „welche Straßenbahn …?“ Ich steige ein, tausche bei einem Passanten ein 2-DM-Stück gegen eine Fahrkarte ein – was soll ich sonst machen? –, steige um, komme in der Karl-Marx-Allee, im Pfarrhaus der Luthergemeinde direkt an der Kirche, richtig an. Joachim öffnet mir die Tür: „Ach, da bist du ja. Hatte versucht, dich am Bahnhof abzuholen. Wusste ja nicht, wie du aussiehst …“ Er sieht den großen Beutel voller Zitrusfrüchte. Während seine Mutter sich darüber freut, schaut er etwas verächtlich darauf, will sich nicht bedürftig fühlen. Kann ich verstehen und entschuldige mich auch gleich: „Meine Mutter wollte, dass ich …“

Drinnen wird gerade Geburtstag gefeiert, Familie, ein paar Freunde sind da. Ich werde ins Gespräch gezogen, man „erklärt“ mir die DDR auf unterschiedlichste Weise. Ich komme mir vor wie eine Exotin, alles ist so fremd und trotzdem durch die Sprache so vertraut. Es verwirrt mich total. Was will man von mir? Mitleid und Bedauern? Oder Bewunderung für dieses tapfere Christsein? Zugeben, dass im Westen auch nicht alles rosig ist? Eine Mischung aus allem? Dass jeder in dieser Familie ein absolutes Unikat ist, begreife ich natürlich erst sehr viel später.

Am nächsten Tag: Anmeldung bei der Polizei, Stadtbesichtigung. Es kommt mir durch die früheren Erzählungen meines Vaters so vertraut vor, als mir Vater Breithaupt alles zeigt und dabei so wunderbar erzählt. Schöne alte Fassaden sehe ich, aber alles grau und bröckelig, und ein unvergesslicher Geruch aus Zweitakter-Abgasen und Braunkohlequalm aus den Schornsteinen liegt wie eine Dunstglocke über der Stadt.

Wir sind zurück in der Wohnung. Dieser interessante und aufmerksame junge Mann aus der Familie Breithaupt ist so alt wie ich und studiert Theologie wie ich. Später wird er mir verraten, dass ihm bei unserem allerersten Telefongespräch meine Stimme gefiel: „Ob die mal meine Frau wird?“, schoss es ihm durch den Kopf. Welch absurder Gedanke.

Joachims Studienort ist die Hansestadt Rostock. „Wie ist das bei euch? Bei uns ist das so …“ Ein...

Erscheint lt. Verlag 26.10.2024
Zusatzinfo Mit 35 s/w-Fotografien
Verlagsort Luhe-Wildenau
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte 1977 bis 1990 • Allstedt • Ausreiseantrag • Berliner Mauer • Berufung • Bischof Werner Krusche • Breitungen • DDR • Deutsche Einheit • Dittichenrode • Erfurt • Flucht • Grenze • Halle an der Saale • Hannover • Heidelberg • Herbst 1989 • Hermannsburg • Jochen Klepper • Kirche in der DDR • Koinonia • Leipzig • Liebe • Magdeburg • Mauerfall • Pfarrhaus • Predigerseminar • Roßla • Rostock • Sangerhausen • Sömmerda • Spitzel • Staatssicherheit • Stasi • Volkspolizei • Wende • Wickerode • Wiedervereinigung
ISBN-10 3-86256-796-6 / 3862567966
ISBN-13 978-3-86256-796-6 / 9783862567966
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