'Ich bin nicht von der Zeitlichkeit' (eBook)
224 Seiten
Residenz Verlag
978-3-7017-4730-6 (ISBN)
Betty Paoli eigentlich Barbara Glück, geboren 1814 in Wien, gestorben 1894 in Baden bei Wien. Betty Paoli war nicht nur die erste Journalistin Österreichs, sondern auch Lyrikerin, Theater- und Literaturkritikerin, Übersetzerin und Essayistin. Sie war mit Franz Grillparzer befreundet und unterstützte Ferdinand von Saar und Marie von Ebner-Eschenbach.
Betty Paoli eigentlich Barbara Glück, geboren 1814 in Wien, gestorben 1894 in Baden bei Wien. Betty Paoli war nicht nur die erste Journalistin Österreichs, sondern auch Lyrikerin, Theater- und Literaturkritikerin, Übersetzerin und Essayistin. Sie war mit Franz Grillparzer befreundet und unterstützte Ferdinand von Saar und Marie von Ebner-Eschenbach.
BRIEFE AN EINEN VERSTORBENEN
Die Welt ist meine See, der Schiffsmann Gottes Geist,
Mein Leib das Schiff, die Seel’ ist’s, die nach Hause reist.
Angelus Silesius
I.
Es war im Herbst, im Herbst, wo die Natur
Noch einen letzten, trüben Gruß uns winket,
Wo öd’ und fahl die lenzverwais’te Flur
Und Blatt um Blatt verwelkt zu Boden sinket,
Wo Baum und Strauch, gleich irrenden Gedanken,
Im scharfen Hauch des eis’gen Nordwinds schwanken,
Wo nur der treue Aster Duftgebet
Des hingeschied’nen Sommers Sarg umweht,
Wo Vögel eilig nach dem Süden fliehen –
Da sah ich meinen Engel heimwärts ziehen.
Und soll mich’s wundern, daß so früh du schiedst?
Daß du entfaltend deiner Seele Schwingen
Die feindlich rauhen Winterstürme miedst,
Die über mein gebeugtes Haupt ergingen?
War nicht dein Wesen Duft und Blume ganz?
Ein Sonnenstrahl, ein süßer Maienglanz,
Ein Nachtigallenlied voll trunk’nem Sehnen,
Die seligste von Gottes Freudenthränen? –
Ich dacht’ es oft, und wenn du mich umschlangst,
Wenn meine Lippen an den deinen hingen,
Da hörte ich mit tiefer Seelenangst
Aus ferner Geisterwelt den Mahnruf dringen,
Auch du vernahmst ihn und mit heit’rem Blick
Gabst du es auf, der Erde ärmlich Leben;
Ein neidenswerther Loos schien dir’s, zurück
In deines Gottes Sonnenherz zu beben.
Als du den Schmuck der Fluren sahst verschwinden,
Da neigtest du die schöne Stirn zur Ruh’,
Und als der Winter nah, da eiltest du,
Das Reich des ew’gen Frühlings aufzufinden.
Mit dir sah ich des Lebens Glück und Heil,
Des aufgestürmten Herzens Fried’ und Segen
Für immer in den Schooß der Erde legen
Und die Verzweiflung blieb mein einzig Theil.
Ich hatte dich geliebt – nur Gott allein
Weiß, mit wie unauslöschlich heißen Flammen!
An deiner Leiche sank mein Sein zusammen,
An deinem Sarge brach mein Himmel ein.
Ich hatte dich geliebt mit aller Kraft
Und aller Schwäche meines Frauenherzens,
Mit aller Gluth der Dichterleidenschaft,
Mit aller Inbrunst menschgeword’nen Schmerzens,
Mein ganzes Heil hatt’ ich auf dich gesetzt,
Statt aller andern Güter dich erkoren
Und mein tief innerst Hoffen sah ich jetzt
Auf immerdar zertrümmert und verloren.
O wüßtest du, in welcher finstern Pein
Mein unerleuchtet Herz zurückgeblieben,
Wie ich mich einsam fühlte und allein,
Es würde deines Jenseits Freuden trüben!
Soll ich dir sprechen von den bangen Nächten,
Wo ich in meines Kummers Finsternissen
Es wagte, mit dem Ewigen zu rechten,
Daß er das gold’ne Liebesband zerrissen?
Von jenen Tagen, wo ich meine Wange,
Die glühende, an deinem Grabstein kühlte,
Wo meine Seele nichts empfand und fühlte,
Als Sehnsucht nur nach ew’gem Untergange?
Der Tod warf seinen düstern Riesenschatten
Auf aller Freuden lügenhaften Schein;
Die Erde schien mir nur ein Grab zu sein,
Darin das Glück des Lebens zu bestatten.
Sie suchten mich zu trösten – eitler Trost,
Der nie zum Herzen seinen Weg gefunden!
Er war mit seinem eisig kalten Frost
Nur noch ein Dolchstich mehr zu meinen Wunden!
Nur wenn ich dem Gewühle mich entriß,
Mich flüchtend in des Waldes Nachtverließ,
Wenn ich des Winters wilde Sturmesglocken
Durch blätterlose Wipfel hörte brausen,
Und wenn die Pulse der Natur zu stocken
Mir dünkten, wie vor namenlosem Grausen,
Da war es, wo mein Herz befriedigt schlug!
Mir war’s ein schaurig wonniges Empfinden,
Rings um mich her das dunkle Bild zu finden
Des Tod’s, den ich im eig’nen Busen trug! –
Und als der Stunden ewig gleicher Gang
Den Frühling wieder zu der Erde brachte,
Als neues Leben durch die Schöpfung drang,
Der Athem Gottes sie auf’s neu durchfachte,
Als Jubellieder sang der Wesen Chor,
Da fühlt ich erst, was ich mit dir verlor!
Da fühlt ich, daß für mich des Lenzen Prangen
Auf immerdar mit dir zu Grab gegangen!
Vergebens trank mein Aug’ das Sonnenlicht –
Mein inn’res Dunkel konnt’ es nicht erhellen!
Vergebens drückte ich mein Angesicht
In grüner Wiesen blumenreiche Wellen –
Der milde Kuß, von Frühlings Mund gesandt,
Er konnte nicht mein brennend Herz erfrischen,
Noch konnte seine weiche Blüthenhand
Den starren Gram aus meiner Brust verwischen;
Mir war’s, als hättest du der Erde Pracht
Mit dir hinab in deine Gruft genommen,
Als hätte in der wonnetiefen Nacht
Der Liebe Stern in hell’rem Glanz geglommen,
Als hätte durch die lau durchwehten Lüfte
Der Vögel Lied mit hold’rem Klang gebebt,
Die Blumen ausgegossen süß’re Düfte,
Als du, mein Liebling! noch im Licht gelebt! –
Gedenkst du noch der Hütte, die am Fuß
Des dunkeln Bergs sich hebt in sanfter Stille,
Des düstern Thales freundliche Idylle?
Dort fand uns oft des Abends letzter Gruß!
Dort saß ich oft, wie oft! an deiner Seite,
Das Haupt an deine treue Brust geschmiegt,
Froh triumphirend, daß im Lebensstreite
Ich deiner Liebe Krone mir ersiegt.
Die Nebel wallten auf wie Opferrauch,
Die Sterne sprühten heil’ge Andachtsfunken,
Wir saßen, schweigend, in uns selbst versunken,
Und Beider Wesen nur ein Liebeshauch. –
Jetzt zog mich’s eines Tags aus meiner Zelle
Hinaus zu jener heimathlichen Stelle;
Die stille Hütte wollt’ ich wieder sehen,
Geschied’nen Glückes Leichenfest begehen.
So schritt ich durch des Waldes schatt’ge Gänge
Den Geist zurück nach fernen Tagen lenkend
Und mitten in dem holden Lenzgepränge
Des todten Freundes inniglich gedenkend.
Und wie ich also sinnend weiter ging,
Und tiefer mich die Waldesnacht umfing,
Und licht’res Sonnengold die Berge krönte,
Und schmelzender der Vögel Lied ertönte,
Da wollt’ es mich mit süßem Trug umfloren:
Ein eitler Traum sei’s, daß ich dich verloren?
Ich sah dich wieder wandeln neben mir,
Ich hörte deiner Stimme theure Laute
Und mein geheimstes, seligst Hoffen schaute
Verkörpert und befriedigt ich in dir.
Ich stützte lächelnd mich auf deinen Arm,
Erzählte dir, von Gottes Strahl durchglommen,
Wie meines ganzen Lebens Glück und Harm
In meiner Liebe Ewigkeit verschwommen,
Wie süßer die um dich geweinte Zähre,
Als jede Lust, die sonst mein eigen war,
Und wie ich weiter nichts zu sein begehre,
Als nur ein Opfer auf dem Brandaltar!
Und während ich so Herz und Sinn in mir
Von sel’gen Träumen gern ließ unterjochen
Kam ich an’s Ziel; die nied’re Hüttenthür,
Sie öffnete sich meinem leisen Pochen.
Die Kleine, die zum Freunde dich erkor –
Weißt du? die Kleine mit den gold’nen Locken,
Sie sprang bei meinem Eintritt...
Erscheint lt. Verlag | 7.10.2024 |
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Verlagsort | Salzburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Annette von Droste-Hülshof • Lyrik • Wiener Autorin |
ISBN-10 | 3-7017-4730-X / 370174730X |
ISBN-13 | 978-3-7017-4730-6 / 9783701747306 |
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