Dorian Hunter 161 (eBook)
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-7250-1 (ISBN)
»Holla, siehst du die Metze? Was für ein Rasseweib!«
Ich hatte nicht gehört, wie sich zwei Reiter näherten. Ich staunte, denn sie trugen die Kleidung von Söldnern aus dem Dreißigjährigen Krieg.
»Wer seid ihr?«, fragte ich.
»Wir sind Landsknechte des Kaisers und kämpfen für das Heilige Römische Reich.«
»Welches Jahr schreiben wir?«
»Anno Domini 1629, im Spätsommer ...«
Ziccis Rettungsversuch bringt Coco in unerwartete Gefahr. Unverhofft findet sie sich in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges wieder, von ihrer Familie durch einen Abgrund von fast vier Jahrhunderten getrennt.
1. Kapitel
Abi glaubte nicht, dass ihnen etwas zugestoßen war. Martin, der die Räume von Basajaun mit lärmender Fröhlichkeit erfüllte, hätte es bemerkt, wenn mit seiner Mutter etwas nicht in Ordnung wäre.
»Phillips Zustand ist bedenklich«, meinte Ira. »Vermutlich schlägt seine Unruhe auf uns über.«
»Das ist es nicht allein«, widersprach Abi.
Aus Gründen, die keiner im Castillo genau kannte, schien sich so etwas wie ein Aufstand der Bergbauern anzubahnen. Bisher hatten sie sich, von gelegentlichen, unbedeutenden Vorfällen abgesehen, friedlich verhalten.
Nun aber versammelten sie sich, stießen Drohungen aus, verlangten die Räumung des Castillos. Juan Urales hatte sich zu ihrem Wortführer gemacht. Schon vor Dorians und später Cocos Abreise hatte Abi eindrücklich davor gewarnt, dass sich etwas zusammenbraute, aber der Herr Dämonenkiller hatte nichts davon hören wollen.
Abi erinnerte sich, wie sich vor vier Tagen die quälende Unruhe zum ersten Mal entladen hatte.
Langsam kam Phillip die Treppenstufen hinauf. Seine golden schillernden Augen hefteten sich auf die Stirnwand, die von zwei wuchtigen Mauerbögen begrenzt wurde.
Das Fresko war fast völlig restauriert. Leitern und die fahrbare Plattform, auf der Ira arbeitete, standen noch da. Ebenso Farbtöpfe und Teile ihres Handwerkszeugs. Bunt und abstoßend brutal, aber künstlerisch genau, breiteten sich die uralten Fresken um die erhaben ausgeführten Teile der Wand.
Der Hermaphrodit blieb stehen und begann zu zittern. Aus seiner Kehle drang ein keuchender Laut. Sein engelhaftes Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse. Er schüttelte den Kopf. Das wirre Haar, das in blonden Locken bis auf die Schultern fiel, wirbelte durcheinander. Wieder keuchte er auf und stieg ein paar Stufen höher. Die Bilder und Farben schienen ihn magisch anzuziehen.
Ira hatte die starken Speziallampen nicht ausgeschaltet. Wahrscheinlich wollte sie keine lange Pause machen. Das gesamte Fresko breitete sich in der Helligkeit aus, und die Figuren, Ranken und Dämonenwesen erhielten ein neues, eigenständiges Leben in dieser Beleuchtung.
Phillips Finger bewegten sich wie aufgeregte Schlangen. Er schwankte vorwärts und zurück. Er schien sich nicht entscheiden zu können, was er tun sollte. Schließlich zitterte er am ganzen Körper. Er schaute sich um und machte dann förmlich einen Satz die Stufen aufwärts.
Er sprang auf die Plattform los, warf Leitern und Stative um, dann schrie er schrill:
»Böse! Böse!«
Er krallte seine Finger in das farbbespritzte Holz und zog sich in die Höhe. Klappernd fielen Werkzeuge und leere Farbtöpfe herunter. Über der Plattform ragte eine steinerne Dämonenfratze, umgeben von mythologischen Schlangenleibern. Jetzt war der einst verwitterte Stein gereinigt und restauriert worden; grimmig und starrend von spitzen Zähnen, einer schnabelartigen Nase und hypnotisierendem Blick aus Halbedelsteinaugen schien der Dämon aus der Wand geradewegs auf Phillip losspringen zu wollen.
Aber Phillip war es, der die steinerne Fratze angriff. Er war außer sich. Phillip schrie unverständliche Worte, er griff den Stein mit den Händen an und versuchte, ihn zu zerstören. Er attackierte den überlebensgroßen Kopf, als sei er lebendig. Er riss daran, zerrte und schürfte die Haut an Fingern und Handgelenken auf. Seine Fingernägel brachen ab; er schien den Schmerz nicht zu spüren. Dann bückte er sich, suchte zwischen Iras Werkzeugen und fand einen Meißel und einen kleinen Hammer. Wieder kam er hoch und schlug in besinnungsloser Wut oder Angst auf die Fratze ein. Der Meißel hinterließ auf dem Stein lange Kratzer. Dann glitt er ab und schlug schwer auf die Finger des Rasenden. Phillip stieß einen gellenden Schrei aus, hob den Hammer und drosch auf die Augen des Steingebildes ein. Splitter summten durch die Luft, und der Schrei hallte nachzitternd durch Gänge und Treppenhaus. Das kalkweiße Gesicht des Hermaphroditen war schweißbedeckt. Er atmete schwer, sein Puls ging rasend schnell. Blut tropfte aus den Schnitten und den halb aufgerissenen Fingergelenken. Phillip hatte nicht gespürt, dass er sich einige Finger gebrochen hatte. Mit der rechten Hand hielt er den Hammer. Das Blut verschmierte den steinernen Halbkopf, tropfte auf die frischen, leuchtenden Farben. Als Phillip wieder ausholte und den Arm weit nach hinten streckte, verlor er das Gleichgewicht. Er stolperte über herumrollende Farbdosen. Dann kippte er zur Seite, fing sich halb ab und fiel über die Kante des Gerüsts.
Burian Wagner, der inzwischen wieder zum Team gestoßen war, und Ira Marginter waren aus zwei Nebenkorridoren herangelaufen. Sie stießen am Fuß der Plattform fast zusammen. Als Phillip aufkreischend über den Rand kippte, konnte ihn Burian auffangen. Sie fielen beide zu Boden, und langsam befreite sich der stämmige Bayer von dem zuckenden, zitternden Körper.
»Phillip!«, rief Ira. »Was ist los? Was hast du angestellt?«
Sie fassten ihn unter den Schultern und stellten ihn auf die Beine. Sein Atem ging schrill und pfeifend. Auch seine Lippen, übernatürlich rot im kalkweißen Gesicht, zitterten. Speichel tropfte aus dem Mundwinkel.
»Weiß nicht«, wimmerte er. »Böse!«
Ira blickte hinauf zum steinernen Kopf und den Restaurierungsarbeiten. Die Schäden schienen auf den ersten Blick gering zu sein.
»Komm!«, sagte Burian und führte Phillip zur Seite. »Beruhige dich. Nichts ist vorgefallen.«
Das war der dritte Anfall des Hermaphroditen in den zurückliegenden Tagen. Burian merkte, dass Phillip den Arm hochhielt. Die Hand war blutbeschmiert. Die Fingerglieder bildeten ungewohnte Winkel.
»Mann!«, rief Burian. »Du hast dir die Finger gebrochen!«
»Die Dämonen ...«, lispelte der Hermaphrodit. Ira lief herbei, und dann kam auch Abi Flindt. Ira berichtete voller Aufregung, wie sie Phillip angetroffen hatten.
»Die Finger müssen geschient werden!«, entschied Abi nach einer kurzen Untersuchung. Phillip starrte seine zuckenden Finger an, als gehörten sie ihm nicht mehr.
»Und verbunden«, brummte Burian. »Was machen wir mit ihm? Er bringt sich selbst mehr und mehr in Gefahr.«
»Stellt euch vor«, sagte Ira und hob die Schultern, »er rennt aus dem Castillo hinaus, zu den Bauern, und Urales erwischt ihn«
Ira versorgte zusammen mit Burian die Hände Phillips. Er spürte den Schmerz, den die gebrochenen Finger unweigerlich verursachen mussten, offenbar nicht. Burian schüttelte den Kopf.
»Der arme Kerl«, sagte er brummig. »Er ist völlig durcheinander. Ganz plötzlich muss es über ihn gekommen sein.«
»Warum eigentlich ausgerechnet dieser Dämonenkopf?«, wunderte sich Ira Marginter.
»Keine Ahnung.«
Ira löste einige milde Schlaftabletten auf und gab Phillip die aufschäumende Flüssigkeit zu trinken. Er streckte sich dann auf seinem Bett aus und war eine halbe Stunde später eingeschlafen. Abi schloss leise die Tür und winkte seine Freunde in die Bibliothek.
»Es ist zu riskant, Phillip hierzubehalten«, sagte er. »Hast du einen vernünftigen Vorschlag, Ira?«
»Warum schickst du ihn nicht zu Trevor nach England? Er kümmert sich liebend gern um Phillip!«
Abi nickte, auch Burian stimmte in seiner bedächtigen Art zu.
»Richtig. Nach London«, murmelte der Däne. »In der Jugendstilvilla wird Trevor Sullivan ihn auf andere Gedanken bringen. Ich kann mir nicht denken, warum er plötzlich so unruhig wurde. Keine Prophezeiungen, keine dunklen Reden – nur diese seltsamen, sinnlosen Angriffe.«
Der Hermaphrodit, der schon oft wichtige Hinweise hatte geben können, schien einem unheilvollen Einfluss erlegen zu sein. Er war nicht in der Lage, ihnen sagen zu können, wovor er sich fürchtete, oder warum er plötzlich in Raserei verfiel. Zweifellos war es das Castillo, in dessen Mauern und Gewölben etwas hockte und lauerte und nach Phillips wirrem Verstand griff.
»Einverstanden?«, fragte Abi. »Wir schicken ihn nach London.«
»Dort ist er am besten aufgehoben«, bestätigte Ira. »Könntest du das erledigen, Burian?«
»Selbstverständlich.«
Zwei Tage später flogen Burian und Phillip vom Flughafen Nizza ab. Burian Wagner kam allein zurück, überbrachte herzliche Grüße von Trevor Sullivan und bestätigte, dass sich Phillip völlig ruhig verhalten hatte.
Dennoch blieb Abi unsicher. Alle hier im Castillo meinten, dass Phillip, schon immer eine lebende Merkwürdigkeit und so gut wie in allen Reaktionen undurchschaubar, nun völlig den Verstand verloren hatte. Aber der Däne war mit dieser Erklärung nicht einverstanden. Sie war ihm zu glatt, zu schnell gefasst. Weil er auch keine sinnvolle Erklärung fand, nahm auch in ihm das Gefühl der Bedrückung zu.
Der nächste Tag
Abi Flindt setzte die Sonnenbrille ab und deutete auf die Wolkenwand im Westen.
»Wahrscheinlich haben wir heute Nacht ein schönes Gewitter«, sagte er....
Erscheint lt. Verlag | 26.10.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-7250-2 / 3751772502 |
ISBN-13 | 978-3-7517-7250-1 / 9783751772501 |
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