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Professor Zamorra 1314 (eBook)

Melisende

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Aufl. 2024
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-6865-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Professor Zamorra 1314 - Michael Schauer
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Mehr als tausend Jahre hatte sie in tiefer Finsternis verbracht. Anfangs hatte sie versucht, sich mit bloßen Händen nach oben zu graben, während um sie herum die Stimmen flüsterten. Bald jedoch hatten sie ihre Kräfte verlassen, und so lag sie nun in der kalten Erde und wartete. Eines Tages würde er zurückkehren, um sie zu retten, denn er brauchte sie. So hatte er es ihr jedenfalls erklärt, nachdem er sie zu seinem Geschöpf gemacht hatte.
Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu hoffen.
Eines Tages aber verstummten die Stimmen ...

Melisende

von Michael Schauer

Mehr als tausend Jahre hatte sie in tiefer Finsternis verbracht. Anfangs hatte sie versucht, sich mit bloßen Händen nach oben zu graben, während um sie herum die Stimmen flüsterten. Bald jedoch hatten sie ihre Kräfte verlassen, und so lag sie nun in der kalten Erde und wartete. Eines Tages würde er zurückkehren, um sie zu retten, denn er brauchte sie. So hatte er es ihr jedenfalls erklärt, nachdem er sie zu seinem Geschöpf gemacht hatte.

Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu hoffen.

Eines Tages aber verstummten die Stimmen ...

»Habt ihr die Vögel gesehen?«, stieß Louis Mereux so unvermittelt hervor, dass die Männer neben ihm am Tresen zusammenzuckten. Nachdem er den ganzen Tag über seine Beobachtungen nachgegrübelt hatte, hatten sich die Worte mit einem Mal wie von selbst ihren Weg aus seinem Mund gebahnt. »Sie fliegen ungewöhnlich hoch und landen nicht mehr. Jedenfalls nicht in unserem Dorf.«

»Was willst du damit sagen?«, fragte Maurice LeCapaurd, der hagere Wirt des Petit Chalet, entkorkte eine frische Flasche Rotwein und füllte Pascal Chevaliers Glas. Der Inhaber und einzige Mechaniker der kleinen Autowerkstatt von Houlgate saß neben Mereux auf dem Barhocker und hatte wie üblich zu dieser späten Abendstunde mächtig Schlagseite. Mit einer Hand hielt er sich am Tresen fest, während er mit der anderen nach dem bis fast zum Rand vollen Glas griff. Ohne einen Tropfen zu verschütten, führte er es zum Mund. Eine beachtliche Leistung in seinem Zustand.

Wie beinahe jeden Abend war das Petit Chalet gut gefüllt. Am Tresen und an den Tischen saßen überwiegend Männer, die eine der Kleinigkeiten aus Maurice' Küche aßen oder ihren Durst mit Wein und Bier stillten. Lediglich zwei Paare befanden sich unter ihnen. Allen gemeinsam war, dass sie Mereux in einer Mischung aus Argwohn, Neugier und Belustigung musterten.

Darum scherte er sich nicht. Er war einundachtzig Jahre alt und weit über den Punkt hinaus, dass es ihn kümmerte, was andere von ihm dachten.

»Du weißt, was ich damit sagen will«, antwortete er auf Maurice' Frage. »Hast du heute zum Beispiel auch nur einen Spatzen zu Gesicht bekommen? Sonst sitzen sie scharenweise auf den Dächern.«

In dem kleinen, von dunklem Holz dominierten Gastraum, war es so still geworden, dass man einen Weinkorken hätte fallen hören können.

»Keine Ahnung, was mit den Viechern los ist«, entgegnete der Wirt. »Trink einen Pastis, Louis. Geht aufs Haus.«

Während er nach der Flasche griff, konnte Mereux in seinen dunklen Augen die Worte lesen, die er nicht ausgesprochen hatte.

Und ansonsten halt die Klappe und mach die Leute nicht nervös.

»Louis spielt auf das Märchen von der Blutnacht an. Ist es nicht so?«

Mereux fuhr herum und warf dem rothaarigen Burschen um die Zwanzig einen scharfen Blick zu. Seine zwei Jahre ältere Schwester, die neben ihm auf der Eckbank saß, war Daniel Parcere wie aus dem Gesicht geschnitten. Jedoch hatte sie im Gegensatz zu ihm immerhin so viel Grips im Kopf, dass sie eine Anstellung als Verkäuferin in der örtlichen Bäckerei gefunden hatte. Daniel dagegen verdingte sich als Tagelöhner. Für mehr reichte es bei ihm nicht.

Die Geschwister lebten in dem kleinen Haus ihrer verstorbenen Eltern und schliefen in einem Bett, wie sie es seit Kindertagen getan hatten. Was sie dort sonst so treiben mochten, darüber wagten sich selbst die größten Klatschmäuler von Houlgate nur flüsternd zu unterhalten.

Die Blutnacht.

Lina Chantaine hatte ihm von der Legende erzählt, wie so vielen anderen im Ort. Allerdings war sie zu diesem Zeitpunkt älter gewesen als er heute, und ihr Geist war zu jener Zeit mit jedem Tag ein wenig tiefer in Umnachtung versunken. Nur mit Mühe schaffte sie, ihren Aufgaben als Haushälterin des Pfarrers nachzukommen. Der brachte es nicht übers Herz, jemand anderen einzustellen, und heuerte Mereux als Laufburschen an, um ihr unter die Arme zu greifen.

Lina hatte an ihm einen Narren gefressen und genoss seine Gesellschaft. Sie liebte es, ihm von ihrer Kindheit und ihrem Leben zu erzählen. Ihren eigenen Worten nach stammte sie aus einer sehr alten Familie, deren Wurzeln bis in die Zeit der römischen Besatzung zurückreichte.

Die anderen Leute im Ort lachten über sie, wenn sie von der Geschichte mit der Blutnacht anfing. Mereux hatte nie gelacht. Als hätte er sie erst gestern zum letzten Mal gehört, hatte er ihre Worte darüber im Ohr, gesprochen mit dieser rauchigen, dunklen Stimme, die ihr zu einer Art Markenzeichen geworden war. Dabei hatte sie ihn aus grauen Augen mahnend angesehen.

»Dieses Dorf wurde auf unheiliger Erde errichtet«, hatte sie gesagt. »Hüte dich, mein Junge. Wenn die Vögel nicht mehr auf den Dächern landen wollen, der Mond am Himmel rot scheint und der Wind weht, versucht er zurückzukehren, er und seine Engel des Todes. Alle tausend Jahre bietet sich ihm dazu die Gelegenheit. In nicht allzu ferner Zukunft wird es wieder so weit sein. Gebe Gott, dass es ihm auch diesmal nicht gelingen wird und wir von den Monstern verschont bleiben.«

Er hatte nie den Mut aufgebracht, sie zu fragen, um wen oder was genau es sich dabei handelte. Nichtsdestotrotz hatte er irgendwie gespürt, dass die Blutnacht keine Ausgeburt von Linas zunehmend wirrem Geist war. Sondern die Wahrheit. Die Überzeugung hatte er nicht für sich behalten, was dazu führte, dass man über ihn ebenfalls lachte, und zwar bis heute. Denn vor allem, wenn er ein wenig zu viel getrunken hatte, konnte er es nicht lassen, die alte Geschichte wieder und wieder zu erzählen. Ihm war bewusst, dass ihn seine Mitbürger schätzten und mochten, ihn hinter seinem Rücken aber für ein klein wenig sonderbar hielten.

Lina lag inzwischen längst auf dem Friedhof vor den Toren des Dorfs. Viele Jahre waren seitdem ins Land gegangen.

Und jetzt landeten die Vögel nicht mehr.

Da er auf Pascals Bemerkung nichts erwidert hatte, hatten die anderen Gäste das Interesse verloren und sich wieder ihren Getränken und Gesprächen zugewandt. Auch Pascal selbst hatte es aufgegeben, ihn provozieren zu wollen.

Mit einem leisen Seufzen rutschte Mereux vom Hocker, nickte dem Wirt zu und verließ das Lokal. Seit seine Frau Marie vor fünf Jahren gestorben war, wartete zu Hause niemand mehr auf ihn. Kinder hatte er keine. Gelegentlich schaute er auf ein spätes Schwätzchen bei seiner Nachbarin Amelie Chaté rein, die nebenan mit ihrer elfjährigen Tochter Isaline lebte.

Nach Maries Tod hatte sie sich rührend um ihn gekümmert. Dabei hatte sie selbst einen schweren Schicksalsschlag zu bewältigen gehabt, denn ihr Mann war kurz zuvor verstorben. Sie war eben eine Seele von Mensch. Er dankte es ihr, indem er ihr half, wo er nur konnte. Wozu auch gehörte, dass er gelegentlich auf Isaline aufpasste. Längst hatte er die Kleine ins Herz geschlossen.

Heute jedoch war es etwas zu spät für einen Besuch. Wie er wusste, pflegte Marie früh zu Bett zu gehen, und Isaline schlief sicher sowieso schon.

Ein Windhauch erfasste Mereux und streichelte über seine faltige Wange. Unwillkürlich legte er den Kopf in den Nacken. Ein Keuchen entfuhr seiner Kehle. Am wolkenlosen Nachthimmel stand der beinahe volle Mond und beschien die Straßen und Häuser unter ihm mit seinem kalten Licht. Das allein wäre kein ungewöhnlicher Anblick gewesen, hätte nicht ein wabernder roter Nebel die silbrige Scheibe eingehüllt.

Im nächsten Moment hatte sich der Nebel aufgelöst. So plötzlich, wie es in einem fensterlosen Raum dunkel wurde, wenn jemand die einzige Kerze darin auspustete.

Ein kalter Schauer lief Mereux über den Rücken. Er war sicher, dass er sich den Nebel nicht eingebildet hatte. Zu dumm, dass er ganz allein auf der Straße war und er niemanden fragen konnte, der es auch gesehen hatte.

War die Blutnacht wirklich nahe?

Morgen würde er Amelie aufsuchen. Vielleicht konnte er sie davon überzeugen, mit ihrer Tochter für ein paar Tage den Ort zu verlassen. Nur zur Vorsicht.

Unwillkürlich bekreuzigte er sich und warf einen letzten Blick zum Himmel, bevor er davonstapfte.

Gallien, zweitausend Jahre zuvor.

Brigantus mühte sich die Dunkelheit zu durchdringen, doch es war zu finster, um mehr als ein paar Schritte weit sehen zu können. Der Himmel war wolkenverhangen und ließ den Mond und die Sterne nur gelegentlich ihr Licht auf die Erde abstrahlen. Bis auf das Rauschen des nahen Meeres herrschte Stille. Der Strand war kaum dreihundert Schritte von seiner Position entfernt.

Sein Blick fiel auf den Baum neben ihm. Schattenhaft ragte der mächtige Stamm einem drohenden Finger gleich aus der grasbewachsenen Ebene empor. Längst hatte er seine Blätter abgeworfen. Der Herbst war dieses Jahr mit Riesenschritten über das Land gekommen.

Der Kopf des Mädchens ruhte auf seiner Brust. Die Augen waren geschlossen. Es hatte den Anschein, als schliefe sie und werde nur von den Stricken aufrecht gehalten, mit denen sie an den Baum gefesselt war. Selbst im Dunkeln konnte Brigantus ihr langes schwarzes Haar erkennen, das ihr fast bis zu den...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2017 • 2018 • Abenteuer • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • Deutsch • eBook • eBooks • Extrem • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • Lovecraft • Männer • Neuerscheinung • Neuerscheinungen • Paranomal • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony Ballard • Top • Walking Dead
ISBN-10 3-7517-6865-3 / 3751768653
ISBN-13 978-3-7517-6865-8 / 9783751768658
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