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Kakapo (eBook)

Ein Geburtstagsfest. Erzählung
eBook Download: EPUB
2024 | 3. Auflage
192 Seiten
Edition Nautilus (Verlag)
978-3-96054-358-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kakapo -  Franz-Maria Sonner
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Hagen ist fünfzig geworden. Der zum Verleger arrivierte Alt-Achtundsechziger mit den ausladenden Körperformen und dem dröhnenden Gusto für sexuelle und essbare Leckereien, hat seine Freunde eingeladen. Ort der Handlung ist das Lokal seines Lieblingskochs, und um die Tafel sitzt eine ausgesuchte Schar von Stellvertretern einer Generation: Winfried, öffentlich-rechtlicher Karrierist, Heiner, verkniffener Filmer, Erik, genialischer Quartalssäufer, Wieland, Griechenlandfreak, Ouzofreund, Immobilienhändler, Jack, freier Autor, unfreier Mensch. Eine literarische Feierstunde zu einem heiklen Doppeljubiläum. Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen in edlen Getränken, und ewig Junggebliebene sehen ganz schön alt aus.

Franz-Maria Sonner, geboren 1953 in Tutzing, lebt in Mu?nchen und Hannover. Er schreibt Hörspiele und Romane und ist Träger des Glauser-Preises. Unter seinem Pseudonym Max Bronski schreibt er Kriminalromane. 2023 wurde er mit dem Radio-Bremen-Krimipreis ausgezeichnet.

Franz-Maria Sonner, geboren 1953 in Tutzing, lebt in München und Hannover. Er schreibt Hörspiele und Romane und ist Träger des Glauser-Preises. Unter seinem Pseudonym Max Bronski schreibt er Kriminalromane. 2023 wurde er mit dem Radio-Bremen-Krimipreis ausgezeichnet.

1. Tutto a posto!


Hagen Alferi stapfte durch den Kies. Hinter ihm drein zwei bucklige Männlein, Fritz und Paolo, die Kellner, den schweren Eichentisch schleppend, Hagens Geburtstagstafel.

„Moment!“, gebot er seinen Helfern.

Knirschend bohrten sich die Tischbeine in den Kies. Ging nun allein voraus in den Teil des Gartens, wo drei mächtige Kastanien Schatten warfen. Prüfte das Terrain. Stellte sich dann in die Mitte, wo die Kronen der Bäume eine Lichtung bildeten, hob die Hände und senkte sie langsam, als habe er einen Tisch von oben durch den Lichtschacht empfangen, den es nun abzusetzen gelte. Hier war er, der Locus amoenus! Fritz und Paolo wandten sich zum Haus um. In der Türe stand Itzinger, der Sternekoch, Besitzer des gleichnamigen Landgasthofes. Itzinger trug das weiße Hemd halboffen, Ärmel hochgekrempelt. Fasste nach dem Tuch, das er sich über die Schulter gelegt hatte, und tupfte sich die Stirn ab. Machte mit dem Kopf eine Bewegung zu Hagen Alferi hin, woraufhin Fritz und Paolo wieder anhoben und sich zu der bezeichneten Stelle vorwärtsarbeiteten.

„Itzig!“, Hagen winkte.

Itzinger kam herbei. Nickte bestätigend. Wischte mit seinem Tuch an einer Ecke des Tisches herum. Das Wetter würde halten. Keine Gewitter in Aussicht.

„Machen wir“, sagte Itzinger, Fragezeichen im Stile des Maître zu einem Pluralis Majestatis verfeinernd, „um die Kastanien herum ein bisschen eine Lichterkette. Oder Lampions. Und dekorieren wir die Tafel klassisch. Keine Bänder oder so Killefitt oder Buketts. Und setzen wir bei der Tafel den Akzent auf blau-schwarz: blaues Tischtuch, schwarzes Geschirr. Kommt gut als Kontrapunkt hier draußen.“

Itzingers Anweisungen an Fritz und Paolo fielen knapp aus. War gewohnt, seine Küchenbrigade wie ein Regiment zu dirigieren. Hagen legte seinen Arm um Itzinger und ging mit ihm zum Haus.

„Besondere Wünsche noch?“

Hagen grinste. Nur das Beste! In einem Menü à la surprise dargeboten. - Übrigens: Neulich sei er in Irland gewesen. Habe dort Scampi in einer Sauce aus Guinness und weiß-nich-was-noch gegessen.

„Mit Butter montiert?“, fragte Itzinger.

„Genau“, sagte Hagen. „Und irgendwie mit Zitrönchen.“

„Sagenhaft!“

Itzinger löste sich aus Hagens Umarmung und ging kopfschüttelnd in die Küche zurück.

„Mit Guinness!“

Drinnen an der Bar stand Sarah. Schmal, blond, in einem dunkelblauen Hosenanzug. Das Haar hatte sie mit ihrer Sonnenbrille hochdrapiert. Sarah nippte an einem Espresso. Hagen rief ihren Namen schon von der Türe aus, hochgestimmt, voll Vorfreude. Ruderte mit den Armen und wandte sich zur Bar hin. Orderte einen Cafe Fernet. Sarah schüttelte den Kopf.

„Jetzt schon?“

„Natürlich, mein Schatz!“

Hagen breitete die Arme aus und drückte sie an sich. Er werde sich heute hemmungslos allen Trieben und Gelüsten hingeben. Sich nur das Beste und Teuerste zuführen. Selbst wenn er sich hinterher aufs Zimmer tragen lassen müsse. Sarah lehnte an seiner Brust und schüttelte lachend den Kopf. Der Kellner hatte gerade aus der auf dem Kopf stehenden Flasche den Fernet gezapft.

„Mehr!“

Hagen wies eine größere Spanne.

„Un doppio!“

Er stellte Sarah beiseite, tätschelte ihre Oberarme und rieb sich die Hände. Fasste das Tässchen mit zwei Fingern, „Vorsicht heiß!“, stellte den abgewinkelten Arm aus, reckte den Kopf nach vorne, zog die Augenbrauen hoch und schlürfte den Kaffee, als gelte es, eine weiße Hemdenbrust vor braunen Flecken zu bewahren. Stellte aber den Fernet hinterher ganz locker ab. Behielt bei all seinen Verrichtungen Sarah im Auge. Wartete auf das versprochene Geschenk. Etwas Besonderes, was sie ihm nur einmal schenken werde. Hagen schwieg vergeblich, um Raum für Ankündigungen zu lassen. Sarah machte keine Anstalten. Sagte stattdessen, er solle sich umziehen. Nur eine Stunde noch, bis die Ersten einträfen.

Hagen gestikulierte italienisch. Wollte es zwingen. Fragte:

„Tutto a posto?“

„Tutto!“, erwiderte Sarah lächelnd.

Hagen trollte sich. Kam eine dreiviertel Stunde später die Treppe herunter. Sarah blätterte in einem Magazin. Schaute sie fragend an. Sarah schüttelte den Kopf. Niemand war gekommen, alles noch ruhig.

„Wie seh ich aus?“, fragte Hagen.

Streckte die Arme vom Oberkörper, drehte sich. Sein Haar war schon schütter, grau-blondes, gewelltes Haar, jetzt mit Gel nach hinten gestrichen. Zwischen den feuchtglatten Strähnen schimmerte Kopfhaut durch. Nur am Hinterkopf, schäfchenartig geringelt, noch ein paar Löckchen. Trug ein tiefblaues Hemd und ein grünschimmerndes Sakko, dazu eine braune Hose. Teure Ware, spielte aber keine Rolle, denn Hagen beulte in kürzester Zeit jede Hose, ließ sie unter seinen Bauch rutschen, so dass sie ziehharmonikaartig auf den Schuhen aufstand, fältelte jedes Sakko an den Ärmeln und im Rücken, knitterte frischgebügelte Hemden und ließ eine Seite des offenen Kragens unterm Revers verschwinden. Trug keine Krawatte, wollte leger bleiben, aber ohne Selbstverleugnung, schließlich war er Verleger. Aber eben ein Verleger, der alte Freunde zu seinem Geburtstag erwartete.

Hagen war ohnehin länger als üblich vor seinem Schrank gestanden. Wusste nicht, was er anziehen sollte. Einen intakten Freundeskreis gab es nicht mehr. Man hatte sich aus den Augen verloren. Traf die eine hier, den anderen dort. Diese schönen Zufälle, die schlechtes Gewissen bereiteten. Was also anziehen? Etwas, das an früher erinnert? Lieber nicht! Wer nicht von der Stelle gekommen ist, zeigt sich äußerlich unverändert. So geben sich auch die, die mit ihrer alten Kluft Gesinnung zur Schau tragen wollen. Wie Winfried, der Funkredakteur, den Hagen immer auf der Buchmesse traf. Trug seit Jahren die schwarze, an den Ärmeln schon mürbe Lederjacke und ein lila T-Shirt. Grinste dann, zeigte die Zähne und sagte, sei schön, wenn sich die alten Wölfe wiederträfen. Außerdem passte Hagens Bauch ohnehin nicht mehr in eine Jeans. Der Bauch musste drüber und die Hüften hielten die Hose dann nicht mehr. Aus, vorbei! Und im T-Shirt sah er aus wie Pater Augustinus aus der Bierwerbung. Zeltartig. Also suchte Hagen die legere Mitte im schlampigen Chic, der seiner Statur angemessen war. Andeuten, statt zeigen, Pelz innen tragen!

Alles da? Letzte Überprüfung: Hagen klopfte sich auf die Hosentasche: Feuerzeug und Zigarrenschneider! Tippte an seine Brusttasche: das Etui! Sagte:

„Lass uns rausgehen!“

Er fasste Sarah unter, sie traten ins Freie und gingen die Hofrunde, als beschritten sie einen Ehrenparcours.

„Nervös?“, fragte sie.

Er brummte. Die Hauptsache war, dass man sich überhaupt mal wieder traf. Mensch, nach so langer Zeit! Wenn nicht an meinem Geburtstag, wann dann? Und dafür konnte es keinen geeigneteren Ort geben als Linding, den schönsten und nahrhaftesten Fleck in ganz Bayern.

Das Itzinger in Linding firmierte als Landgasthof. Eine Untertreibung! Um die Rückkehr zum Bodenständigen zu signalisieren: Portionen statt gaumenkitzelndem Fast-Nichts. Früher war das Gebäudeensemble eine Schlossbrauerei mit Restaurant und Biergarten gewesen. Das Herrenhaus dieses ländlichen Gutes hatte Itzinger zum Hotel ausgebaut, den Restaurationsbetrieb ins angrenzende Nebengebäude verlagert. Zusammen mit den ehemaligen Stallungen und Wirtschaftsgebäuden, die an eine Molkerei und Käserei vermietet waren, umfingen sie den Schlossplatz. Dort drinnen alte Kastanien- und Ahornbäume. Charaktervoll, markant. Hier hatte Itzinger angesetzt, hatte weitergepflanzt., hatte mit Strauch- und Rankwerk ein grünes Innenhofrund geschaffen. Als Emblem zierte es nun Itzingers Landprodukte, sein Ökolabel für Leberkäse im Glas, Hausmachersenf, Pizza, Krustenbrot zum Beispiel. Der Gasthof stärkte das Ansehen, die Landprodukte brachten das Geld.

Hagen Alferi, die gastronomische Trüffelsau, hatte den neueröffneten Landgasthof sehr bald ausgemacht. Schließlich kannte er den Koch schon aus der Zeit, als dieser noch im Aubergine lernte. Er verfolgte die Spur aller Köche, die ihm einmal gutgetan hatten. Das hinderte ihn nicht daran, Itzingers Palette von Landprodukten zu schmähen. Leberkäse im Glas! Tiefkühlpizza! Auch Öko kümmerte ihn nicht. Essen war für Hagen eine Angelegenheit, die über den Mund und den Gaumen, nicht über den Kopf ging. Ob Jute oder Plastik, war ihm egal, sogar bei seinen Unterhosen. Es gehe darum, dass sie keine Hautausschläge verursachten und ihm den Sack nicht abkniffen.

Das liebte Itzinger an Hagen. Er nahm kein Blatt vor den Mund und kritisierte auch ihn energisch, wenn es ihm nicht schmeckte. Hagen hielt nichts von alternativem Chic, so wie die anderen, die in Knitterleinen mit Porsche oder Benz in den Landgasthof gepilgert kamen. Außerdem war Hagen mit seinen Geschäftsfreunden und seinen allseits gesuchten Empfehlungen ein wesentlicher Multiplikator in der Gourmetszene. Schon deshalb hatte Itzinger ihm den Gefallen getan, das Lokal am Ruhetag für die Geburtstagsgesellschaft zu öffnen.

„Ist uns eine Ehre, deinen Fünfzigsten auszurichten“, hatte Itzinger gesagt.

Hagen und Sarah waren nun am gegenüberliegenden Ende des Platzes angekommen. Durch das große Tor hindurch sah man, dass draußen auf den Parkplatz die Augustsonne brannte. Innen herrschte die angenehme, feuchtwürzige Kühle der gut gewässerten Anlage. In der Mitte des Innenhofes stand Fritz breitbeinig oben auf der Leiter und montierte die Lichterkette. Paolo brachte Stühle. Hagen genoss das, freute sich, wenn andere sich durch Arbeit um ihn bemühten.

Draußen fuhr ein Auto vor. Hagen merkte auf. Endlich! Türen klappten. Schritte...

Erscheint lt. Verlag 23.9.2024
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Achtundsechziger • Altachtundsechziger • Kammerspiel • Karikatur • Satire
ISBN-10 3-96054-358-1 / 3960543581
ISBN-13 978-3-96054-358-9 / 9783960543589
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