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Somnus (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
198 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7598-7330-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Somnus -  Magnus Kerner
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Arvid Nox ist Grafikdesigner in einem Tech-Unternehmen für Robotersicherheit. Zerfressen von der täglichen Tristesse seiner beruflichen Sackgasse erscheint ihm seine Existenz sinnlos und leer. Zuflucht findet er in einem immergleichen Traum von der Stadt, in der er sich als einziges Lebewesen beinahe frei und ungehemmt bewegen darf. Nach einem zermürbenden Streit mit einem Arbeitskollegen steckt Arvid im Affekt einen persönlichen Gegenstand seines Gegenübers ein und ist überrascht, dessen Besitzer nun im Traum auffinden und nach Belieben quälen zu können, was nicht ohne Folgen bleibt.

Der Mensch hinter dem Pseudonym Magnus Kerner ist ein multidisziplinärer Künstler und arbeitet in der Werbebranche. Das Schreiben dient ihm der Verarbeitung zahlreicher Eindrücke, die er aus seinem bisherigen Leben, seiner Arbeit und der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Heute und Morgen schöpft. In seinen Geschichten vermischt sich das Denkbare mit dem Undenkbaren, dessen Kontrast er unverblümt betont und ab und zu mit seinem ganz eigenen, düsteren Humor garniert. Er wurde 1984 geboren und lebt in der Nähe von Frankfurt am Main.

Der Mensch hinter dem Pseudonym Magnus Kerner ist ein multidisziplinärer Künstler und arbeitet in der Werbebranche. Das Schreiben dient ihm der Verarbeitung zahlreicher Eindrücke, die er aus seinem bisherigen Leben, seiner Arbeit und der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Heute und Morgen schöpft. In seinen Geschichten vermischt sich das Denkbare mit dem Undenkbaren, dessen Kontrast er unverblümt betont und ab und zu mit seinem ganz eigenen, düsteren Humor garniert. Er wurde 1984 geboren und lebt in der Nähe von Frankfurt am Main.

II


 

»Guten Morgen, Arvid.« Das verdunkelte Glas der Fensterfront wurde transparent und gab die Sicht auf den benachbarten Wohnkomplex frei. Die Sonne war noch im Begriff, sich über den Horizont zu schieben und blinzelte vereinzelt als Reflexion in Arvids Wohnung. Er war zurück in seinem Gefängnis, starrte bereits erwartungsarm an die Decke und stieß mit der Nase einen langen, pfeifenden Schwall verbrauchter Luft aus. Das Raumlicht schaltete sich mit ansteigender Intensität ein. »Guten Morgen, Arvid.«, wiederholte sein Personal Assistant freundlich. Arvid schälte sich aus seinem Bett, nahm Kissen und Decke und verstaute sie im Bettwäschecontainer des multifunktionalen Wandschranks, der eine komplette Wandbreite seiner fünfzig Quadratmeter großen Wohnung einnahm. Er fuhr mit dem Finger über ein kleines Sensorfeld oberhalb des Containers und das Bett verschwand sanft und lautlos kopfüber in der Versenkung und war als solches nicht mehr vom Rest der mit grauen Betonplatten verzierten Schrankwand zu unterscheiden. Arvid trat in Unterwäsche an die Glasfront. Seine Augen streiften Stockwerk für Stockwerk des gegenüberliegenden Wohnkomplexes, der sich wie der, in dem er wohnte, in einer Art Helix aus dem Boden schraubte. Die Helix hätte etwas Menschliches, sagte ein Bauingenieur einmal zu ihm in einem ansonsten belanglosen Aufzuggespräch. Der Blick des morgendlichen Voyeurs bohrte sich in die Zimmer, die man einsehen konnte. Schemen liefen umher, ein Paar stand noch in Schlafbekleidung an einem Fenster und beobachtete umschlungen das sich zunehmend beschleunigende Geschehen auf den Straßen. Arvid rümpfte verächtlich die Nase und schlurfte in sein kleines Bad. Beim Betreten erhellte sich der Raum und der große Spiegel über dem flachen Waschbecken zeigte auf der rechten Seite das aktuelle Wetter, einen Newsticker des städtischen Nachrichtenportals und die letzten Entwicklungen bei Tomorrow Township an, einem Onlinespiel, das Arvid in jeder freien Minute spielte. Daneben stand das Spiegelbild eines zweiundvierzigjährigen Grafikdesigners, das ihn ausdruckslos nachahmte. Sein Gesichtsausdruck widerspiegelte ungeschönt den Konflikt, den er mit seiner Außenwelt austrug. Seine Haare in Straßenköterfarbe fielen strähnig in alle Richtungen. Hinter dem leicht schief hängenden Mund mit dünnen, kaum sichtbaren Lippen, verbargen sich kleine, spitze Zähne, die sich schnell zeigten, wenn ihm etwas zuwider war. Arvid hätte mit seinen Maßen einen grandiosen Profiboxer abgegeben, hätte er jemals in Betracht gezogen, Sport zu machen. Stattdessen hing sein Körper mitleidig an seinem Skelett, was ihn selbst aber nicht im Geringsten störte. Wem außer sich sollte er auch gefallen? An einer Beziehung hatte er so wenig Interesse wie an seinem Job, der bereits auf ihn wartete. Er warf sich etwas Wasser ins Gesicht und blickte auf den Screen: heute etwas frisch, wieder jemand in der Hochbahn niedergestochen, eine Nachricht von Holly, seiner Angetrauten in Tomorrow Township. Er überlegte noch kurz, sie zu lesen, entschied sich dann dagegen. Er hatte bereits genug getrödelt. Arvid ging zurück zu seinem Schrank im Wohnbereich. Über einen weiteren Fingersensor öffnete sich eine Klappe nach oben und ein gut sortiertes Kleiderkonvolut fuhr geräuschlos heraus. Seine Wohnung war nicht die Größte, aber er hatte eine Schwäche für exquisite Designobjekte und einen feinen Geschmack für Herrenbekleidung. Flink griff er nach einem weißen Hemd mit Rundkragen, einer schwarzen Bundfaltenhose und einem schwarzen Jackett, allesamt Kreationen eines dänischen Designers, den Arvid präferierte. Dann nahm er sich seine schwarzen, italienischen Lederhalbschuhe aus der unteren Ablage und befestigte die ebenfalls schwarze Automatikuhr von 1963 an seinem Handgelenk. Er betrachtete sich noch kurz im Spiegel. Kleider machen Leute, keine Frage. Er gefiel sich in seiner täglichen Verkleidung, die den Menschen um sich herum klar zu verstehen gab, dass sie sich von ihm fernhalten sollten. Er strich sich noch einmal kurz durchs Haar. Dabei musterte er seine Tattoos auf den Handrücken: links die Silhouette eines fliegenden Vogels, rechts ein leerer Vogelkäfig – eine Jugendsünde. Zufrieden mit sich ließ er seine Ankleide wieder verschwinden und nahm sich sein Smartphone und die In-Ear-Kopfhörer von dem Beistelltisch mit integrierter Ladestation, der sich neben dem luxuriösen Liegesessel im Zentrum der Einraumwohnung befand. Das Smartphone ließ er in die Innentasche des Jacketts gleiten, die Pods kamen in die Hosentasche. Damit verließ er seine Komfortzone und schritt hinaus in den Flur. »Auf Wiedersehen, Ar...«, erklang es von drinnen, bevor sich die Tür hinter ihm schloss und verriegelte. Arvid hoffte, wenigstens heute einmal allein einen Fahrstuhl nehmen zu dürfen und machte sich auf den Weg zu eben diesem. An den Türdisplays konnte man erkennen, dass die meisten Nachbarn noch nicht aufgestanden waren, denn neben den jeweiligen Namen leuchteten kleine Symbole, die drei Zetts zeigten. Faulpelze. Als er die Aufzüge erreichte, standen bereits zwei Großfamilien parat, deren Oberhäupter man an den Augenringen erkennen konnte. Arvid rollte mit den Augen und trat zögerlich näher. Hätte er vielleicht doch besser die Treppe nehmen sollen? Dann wären ihm aber sicher diese nervigen, verschwitzten, gutgelaunten Gesundheitsfanatiker entgegengejoggt, die auf der eigens für sie angelegten Markierung auf den Treppen ächzten und stöhnten, jedoch bei Augenkontakt wie Wahnsinnige grinsten und grüßten. Nein, danke. Dann also doch die Kaninchenbande. Arvid konnte erkennen, dass beide Aufzüge bereits auf dem Weg zu ihnen waren. Wäre er gläubig gewesen, hätte er gebetet, sie mögen doch alle den anderen Fahrstuhl nehmen, welcher dann in voller Fahrt abstürzen und explodieren würde, aber er war Realist. Natürlich würden sie alle wie in einem Mastbetrieb aufeinander hocken. Die Kinder schrien und hüpften und sprachen unfertige Sätze. Arvid fing an zu schwitzen. Da öffnete sich eine der Türen. Eine Hipstermom mit Stirnbandana machte eine einladende Geste und Arvid war nun gezwungen, direkt in die Falle zu laufen. »Erdgeschoss«, bestätigte das Bedienpaneel. Eingeengt in der letzten Ecke des fahrenden Sargs wurde er von sieben Kindern und drei sogenannten Erwachsenen emotional bedroht. Ein Junge von vielleicht vier Jahren lugte unter seinem Bauch hervor und glotzte ihn an, als hätte er einen Dämon gesehen. Arvid schwitzte weiter und glotzte zurück. Was will der Bengel? Langsam schob sich aus Nervosität seine Oberlippe nach oben und schmiegte sich eng an seine spitzen Zähne, die nun zum Vorschein traten. Im Blick des Jungen schien Panik aufzusteigen. Mach hier jetzt kein Drama, Kleiner. Und es ging los: der Junge fing an zu weinen, die sektenhaften Erzeuger warfen ihm vorwurfsvolle Blicke zu, der Schweiß schoss ihm aus allen Poren. Die Zeit schien eingefroren zu sein. Endlose Sekunden verstrichen. »Bitte aussteigen. Wir wünschen Ihnen einen schönen Tag.« Das war die Erlösung. Die Meute schob und stieß sich gegenseitig hinaus und Arvid musste in seiner Ecke noch kurz verweilen, um durchzuatmen. Dann trat auch er hinaus in den weitläufigen Eingangsbereich. Das Gebrüll der kleinen Menschenaffen verhallte im morgendlichen Treiben von Menschen, die einer Tätigkeit nachgingen, mehr Menschen, die keiner Tätigkeit nachgingen und bereits überall nutzlos herumlungerten und kleinen Servicerobotern, die zwischen den Humanoiden herumflitzten, um Bestellungen an die Postboxen der Wohnungen zu liefern. Dabei fuhren sie an die Wand mit den hunderten kleinen, metallischen Türchen, entriegelten sie per Codeeingabe und schoben die Lieferungen zügig und koordiniert hinein. Arvid beschleunigte sein Tempo, um dem Gewusel zu entrinnen und hüpfte beinahe erleichtert durch das Eingangsportal hinaus, wo ihn eine angenehm kühle Brise erwartete. Der Aufgang zur Hochbahn lag etwa fünf Minuten zu Fuß entfernt. Arvid nutzte die Zeit, um durchzuatmen. In der Luft flogen bereits Drohnen umher und zu Land folgten Menschen ihren täglichen Routinen. Er reihte sich in den Strom der stillen Arbeitnehmerkohorte ein, von denen sich jeder von elektronischen Accessoires auf seine Weise berieseln ließ, um der Realität zu entschwinden. Die Realität sah so aus: die Arbeitslosenquote lag bei über fünfzig Prozent, was man aber so nicht sagte. Man erfand eine Wattewolke aus Begrifflichkeiten, aus der niemals der tatsächliche Zustand des Landes in Erfahrung gebracht werden konnte. Wer nach Antworten suchte, wurde öffentlich gebrandmarkt. Aber wer sollte auch nach irgendetwas fragen? Das bedingungslose Grundeinkommen war so hoch angesetzt worden, dass man überhaupt nicht mehr zu arbeiten brauchte. Wer, wie Arvid, tatsächlich einer Beschäftigung nachging, tat dies aus Tatendrang, Überzeugung oder schlichtweg aus der verrückten Idee heraus, sich ein besseres Leben erarbeiten zu können. Die meisten Menschen brauchten dieses bessere Leben aber nicht, da sie aufgrund rudimentärster Hirnleistung durch Dauerhypnose der Medien und Nahrungsmittel von fragwürdiger Herkunft sich im besten Deutschland aller Zeiten wähnten. Die Vergangenheit war ausgelöscht worden. Es gab nur das angenehme Jetzt und das noch bessere Morgen. Arvid gehörte allerdings zu keinerlei Gruppierung, die einem Lifestyle folgten, der in den meisten Fällen eher als Glaubensrichtung einzuordnen gewesen wäre. Er stand nur für sich selbst, wollte kein Willenloser werden aber auch kein subversiv Intellektueller. Innerlich hatte er bereits mit alldem abgeschlossen, mit dem binären Für und Wider, dem Gutsein und dem Schlechtsein. Als er den Aufgang zur Hochbahn erreichte, erklang ein leiser Bestätigungston aus seinem Jackett. Er stieg auf die...

Erscheint lt. Verlag 11.9.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Albtraum • Gesellschaft • Okkultismus • Spannung • Tech • Transhumanismus • Zukunft
ISBN-10 3-7598-7330-8 / 3759873308
ISBN-13 978-3-7598-7330-9 / 9783759873309
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