Messer, Gabel, Mord (eBook)
196 Seiten
Residenz Verlag
978-3-7017-4729-0 (ISBN)
Rotraut Schöberl, ist in Reichenau/Rax geboren, hat im Höllental schwimmen und in Wien schreiben und lesen gelernt. 1994 eröffneten Rotraut Schöberl und Erwin Riedesser das 'Leporello', um ihren Traum von einer Buchhandlung zu verwirklichen. Im Residenz Verlag hat sie die gesammelten Katzenkrimis 'Mord auf leisen Pfoten' (2020), die Gartenkrimis 'Radieschen von unten' (2022), die Anthologien 'Meer Morde' (2023) und 'Messer, Gabel, Mord' herausgegeben. Unter dem Namen Flores ist sie Teil des Autorenduos Flores & Santana, das die erfolgreiche Kanaren-Krimi-Reihe im Ullstein Verlag veröffentlicht.
Rotraut Schöberl, ist in Reichenau/Rax geboren, hat im Höllental schwimmen und in Wien schreiben und lesen gelernt. 1994 eröffneten Rotraut Schöberl und Erwin Riedesser das "Leporello", um ihren Traum von einer Buchhandlung zu verwirklichen. Im Residenz Verlag hat sie die gesammelten Katzenkrimis "Mord auf leisen Pfoten" (2020), die Gartenkrimis "Radieschen von unten" (2022), die Anthologien "Meer Morde" (2023) und "Messer, Gabel, Mord" herausgegeben. Unter dem Namen Flores ist sie Teil des Autorenduos Flores & Santana, das die erfolgreiche Kanaren-Krimi-Reihe im Ullstein Verlag veröffentlicht.
Ellen Dunne
Amore
Etwas ist anders in der Wohnung der Murphys heute. Diese Stille. Sie lauert in den Räumen wie eine Katze. Seit das mit dem Home-Office nicht mehr notwendig ist, sind die Murphys oft nicht daheim, wenn sie am Montagvormittag zum Putzen kommt.
Als sie noch einmal lauscht, hört sie doch was. Vorne, aus der Küche. Ein leises Rauschen. Geklingel. Sie verlässt das Vorzimmer und geht in den Wohnküchenbereich, sieht sich um und findet ihren Verdacht bestätigt. Das Fenster über der Spüle ist gekippt. Es schaut direkt hinaus auf den Wurstelprater. Hinter dem matten Laub der Baumkronen taucht das Gerüst der Achterbahn auf und ab wie eine Seeschlange. Der Sky Shot katapultiert Adrenalinjunkies in den Himmel. Von Ferne rauschen die Waggons, trötet eine Signalhupe, locken Schausteller. Es ist alles, nur nicht still.
Vielleicht hat sie sich was eingebildet beim Hereinkommen.
Wunder wäre es keines. Seit zwei Wochen steckt ihr eine Verkühlung in den Nebenhöhlen. In den Ohren gluckert es manchmal noch beim Schlucken. Sogar den Geruch in der Küche registriert sie erst jetzt so richtig. Etwas Fleischiges. Lange gegart, so wie es Simon am liebsten mag. Auf dem Herd steht ein großer Topf, noch handwarm. Am Deckel hängen innen dicke Kondenswassertropfen. Karotten ragen aus der dunklen Soße, gut angebratene Fleischstücke. Ein Hauch von Thymian, Lorbeer, Wacholderbeeren steigt ihr in die Nase. Außerdem Biergeruch. Guinness. Oder schwarzes Gold, wie Simon es nennt. Vier zerknüllte Dosen liegen neben dem Kochfeld verstreut wie Schwerverletzte. Eine fünfte steht halb geleert daneben. Wahrscheinlich haben die Murphys mal wieder Heimweh. Das wird angeblich stärker mit den Jahren, hat ihr Liz vor kurzem anvertraut, und gleich wieder Tränen in den Augen gehabt. Liz ist nah am Wasser gebaut. Das wiederum hat ihr Simon anvertraut, in einem schwachen Moment. Simon hat viele schwache Momente.
Sie setzt den Deckel zurück auf den Topf, schluckt den Speichel, der sich in ihrem Mund gesammelt hat. Später.
Oder doch lieber jetzt. Sie holt eine Gabel aus der Schublade, spießt einen Fleischbrocken auf und schiebt ihn sich in den Mund, dann eine Karotte, dann noch einmal ein Stück Fleisch, tunkt es großzügig in den üppigen Saft. Sie hört sich selbst beim Kauen und Seufzen zu. Butterweich. Ein eigentümlicher, intensiver, guter Geschmack. Wild. Oder eher Lamm? Das essen doch die Irländer traditionell, oder?
Sie holt die Tupperdose aus ihrer Tasche und nimmt sich zwei Schöpflöffel voll für zu Hause. Aufgewärmt schmeckt es sicher noch besser. Bei so einem großen Topf fällt das nicht auf. Schon gar nicht Liz, so viel weiß sie inzwischen. Ein bisschen umgefülltes Duschgel hier, eine Klopapierrolle da. Nicht einmal nach den kleinen goldenen Ohrringen hat sie gefragt, die so lange unbeachtet in einer großen Muschelschale unter einem Wust anderer Ohrringe ihr Dasein gefristet haben. Liz ernährt sich außerdem eh nur von Hasenfutter.
Sie umwickelt die Tupperdose mit einem Plastiksackerl, damit es nicht riecht, verstaut sie tief in ihrer Umhängetasche, legt ihre Strickweste darüber, nur falls Liz früher nach Hause kommt und sie überrascht. So was ist ihr mal bei anderen Kunden passiert, und wenn die einmal anfangen, dich zu verdächtigen, dann schnüffeln sie dir ständig nach oder schmeißen dich gleich raus. Das ist meistens kein Problem, Putzfrauen sind immer und überall gefragt. Die Murphys würde sie aber ungern verlieren. Solche wie die sind ihr am liebsten. Zu viel Geld, zu wenig Zeit. Keine Ausländer, aber aus dem Ausland. Simon und Liz kommen aus irgendeiner Stadt irgendwo mitten in Irland, den Namen hat sie sich nicht gemerkt. Trotz der bald drei Jahre in Österreich können sie kaum Deutsch, und wie vielen Leuten, die nicht immer Geld hatten, ist es ihnen irgendwie peinlich, eine Putzkraft zu beschäftigen. Deshalb tut Liz Murphy ständig so überfreundlich und Simon hat nicht mit der Wimper gezuckt, als sie mit ihrem üblichen Stundenpreis um das Doppelte raufgeschnalzt ist. Fast hat sie bereut, dass sie nicht noch mehr verlangt hat. Aber sie geben ihr meistens noch ein paar Euro Trinkgeld obendrauf, dann noch etwas extra zu Weihnachten. Liz und Simon sind großzügige Menschen. Und sie haben es ja.
Simon arbeitet bei der UNO, irgendwas bei der Drogenbehörde. Liz war früher mal Managerin in einem Pharmakonzern in Dublin. Seit sie Simons Karriere nach Wien gefolgt ist, schreibt sie Romane, die keiner lesen will. Das hat Liz ihr auch einmal erzählt. Außerdem versuchen sie ein Kind zu kriegen. Liz’ Kinderwunsch sei erst sehr spät erwacht, hat Simon ihr anvertraut. Zu spät. Es liege an ihrem Alter, nicht an seinem. Schuld sei in Liz’ Augen natürlich trotzdem er. Sie sei sehr ungerecht mit ihm in letzter Zeit.
Natürlich, hat sie genickt und so getan, als wüsste sie all das nicht schon längst. Aber sie hat selbst Augen im Kopf. Hat gesehen, wie sich Berge an Medikamenten im Kühlschrank aufgetürmt haben und wieder abgetragen wurden. Die leeren, verweinten Augen von Liz, wenn es wieder einmal nicht geklappt hat. Wie sie beide mit schmalen Augen und Lippen am Küchentisch an ihren Laptops gesessen haben. Simons Lächeln über den Rand seines Bildschirmes hinweg, das um Trost und Zuwendung bat.
Gemächlich beginnt sie mit der Arbeit. Drei Stunden jede Woche für eine Wohnung von gerade 80 Quadratmetern ist ein Luxus, und sie kostet ihn aus. Als sie mit dem Klo fertig ist, entdeckt sie erst den Zettel. Darauf steht in sorgfältigen Druckbuchstaben:
Heute Müllsammeltag, bitte stellen Sie sicher, dass Sie bei Ihrer Ankunft alle Müllsäcke in die Tiefgarage bringen.
Bitte Schlafzimmer und Bad gründlich.
Danke
Das hat Liz von ihrer Übersetzungsapp abgeschrieben. Oder Simon. Sie erkennt die Handschrift nicht. Solche Zettel hinterlassen sie sonst nicht. Sie geben eigentlich nie Anweisungen. Das bei Ihrer Ankunft ist unterstrichen.
Das ist schon fast eine Stunde her. Hoffentlich war die Müllabfuhr nicht schon da! Sie eilt in die Küche, findet tatsächlich ein paar verknotete Abfallsäcke dicht aneinandergedrängt hinter der Kücheninsel. Die reißfesten schwarzen.
Zum Glück sind sie nur mittelschwer. Sie schafft alle nach draußen und in den Lift, fährt nach unten in die Tiefgarage. Dort fuhrwerken die von der Müllabfuhr schon mit den letzten Kübeln herum. Die Partie ist gut drauf, und sie nehmen ihr die Säcke noch mit ab. Im hohen Bogen fliegen sie in den Rachen des Müllwagens, der sie gleich zerkaut. Sein Knirschen und Mahlen begleitet sie auf dem Rückweg bis zum Lift. Sie hat es eilig. Heute ist mehr zu tun als erwartet.
Man sagt immer, die Wohnung ist der Spiegel der Persönlichkeit. In dem Fall wären Liz und Simon Murphy Vampire. Hier spiegelt sich gar nichts. Weiße Wände, kühle Möbel in Grau und Beige, kaum Auslegeware, gerahmte Kunstdrucke an den Wänden, die auch Vierjährige zusammengekleckst haben könnten. Einziges Grün sind die Küchenkräuter. Das Basilikum ersteht jede Woche wieder auf wie der Heiland, nur weil sie es wässert. Eine Umgebung, die man jederzeit spurlos verlassen könnte. Irgendwie psychopathisch.
Und natürlich sieht man jedes Stäubchen. Vor allem bei der stets auf Hochglanz geputzten Einbauküche. Die Oberflächen sind voller Fingertapper, Spritzer und Schlieren. Heute besonders. Jemand hat schlampig geputzt. Sie selbst vielleicht? Sie hat es recht ruhig angehen lassen, das letzte Mal.
Dabei kann sie schon, wenn sie will, sagen sie am Arbeitsamt immer. Eh. Aber wer will schon einen blöden Chef und feste Arbeitszeiten, solange es die Mindestsicherung gibt und Leute wie die Murphys?
Sie stöpselt sich die Kopfhörer ins Ohr und legt los. Zuerst im Bad. Sie muss das Fenster weit öffnen, damit sie den ätzenden Geruch der Chlorbleiche aushält. Simon und Liz lieben Chlorbleiche. Gleich zwei Flaschen haben sie ihr hingestellt. Und es müffelt diesmal wirklich ein bisschen hier drinnen. Wahrscheinlich verrottet was im Abfluss. Sie schüttet gleich eine Viertelflasche nach.
Einmal willst du leben auf Hawaii, sterben wirst du leider in Wien. Aaah, da g’hörst du hin.
Das halbe Amore-Album hört sie durch, dann ist das Bad gescheuert, gewischt, poliert, gesaugt, gemoppt. Es arbeitet sich gut mit Wanda. Sie ist zufrieden, als sie ihr Werk betrachtet. So gründlich war sie lange nicht mehr. Sie hat sich auch schon lange nicht mehr so schuldig gefühlt.
So wie das mit den Ohrringen war auch die Sache mit Simon nicht wirklich geplant. Es hat sich einfach ergeben. Eine Zeitlang war er viel im Home-Office. Was er von ihr wollte, war schon sehr bald ersichtlich. Sie mochte sein scheues Lächeln, seine feingliedrigen Hände und die blassbraunen Sommersprossen, seine verstohlenen Blicke. Sie sprachen Bände. Der Arme ist auch wirklich nicht verwöhnt. Außerdem ist sie zehn Jahre jünger als Liz. Mindestens.
Eines Montags vor einem halben Jahr waren sie allein in der Wohnung, Liz war kurzfristig nach Irland geflogen. Ihre Familie war riesig, ständig wurde geheiratet oder beerdigt oder getauft oder irgendein Geburtstag oder Jubiläum gefeiert, bei dem ihre Anwesenheit gefragt war.
Simon hat die Augen verdreht, als er ihr von Liz’ Abwesenheit erzählt hat, und sie hat darüber gelacht, aber weiter die Betten überzogen. Hochwertige weiße Bezüge, die bei jeder...
Erscheint lt. Verlag | 7.10.2024 |
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Verlagsort | Salzburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Alex Beer • Krimi • Krimianthologie |
ISBN-10 | 3-7017-4729-6 / 3701747296 |
ISBN-13 | 978-3-7017-4729-0 / 9783701747290 |
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