Karl Lost: Im Schatten (eBook)
464 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-30551-0 (ISBN)
Der Autor Guido Sawatzki, 1951 in Heide geboren, studierte in Tübingen Philosophie und Politikwissenschaften; dabei entdeckte er seine Lust am Schreiben. Er arbeitete als (schreibender und fotografierender) Journalist für Tageszeitungen und Magazine und gab Seminare für Qualitätsjournalismus. Sein Anspruch: Den Menschen Mensch sein (und werden) lassen.
Der Autor Guido Sawatzki, 1951 in Heide geboren, studierte in Tübingen Philosophie und Politikwissenschaften; dabei entdeckte er seine Lust am Schreiben. Er arbeitete als (schreibender und fotografierender) Journalist für Tageszeitungen und Magazine und gab Seminare für Qualitätsjournalismus. Sein Anspruch: Den Menschen Mensch sein (und werden) lassen.
Prolog
Was der Stimme des Mannes einen verstörenden Nachhall gab und das Schaurige dieser Szene noch verstärkte, daran trug wohl auch der gruftartige Charakter des Unterschlupfes eine gehörige Portion Mitschuld.
Vor ihm lag, ausgestreckt auf dem Boden, ein Mann, noch recht jung, Arme und Beine an fest ins Erdreich gerammte, stabile Holzpflöcke mit Kabelbindern gefesselt, nackt, die Brust an etlichen Stellen zerkratzt, aufgerissen, überall frische Wunden, Blut.
(Ich träume doch, ich träume doch … oder? Lasst mich doch endlich erwachen. Das kann doch nicht wahr sein, meine Wirklichkeit sein! Das hier. Geh weg, geh weg!)
Der sich jetzt über ihn beugte, war ihm unheimlich: Knapp 160 groß, in einem weißen Schutzanzug, wie man sie in Laboratorien trägt - seine Leibesfülle drängte sich etwas in den Falten des Gewands -, die Augen mit einer Schutzbrille mit dunklen Gläsern verdeckt, in den Händen ein Taschenbuch, leinengebunden, fast neu, an einigen wenigen Stellen allerdings ziemlich zerfleddert.
Breitbeinig stellte ER sich in Pose. ER fühlte sich hier an diesem Ort sehr groß, richtig bedeutend; deshalb auch "ER" und nicht bloß "Er". Dennoch - seine Selbstsicherheit wirkte aufgesetzt; und dessen war er sich bewusst … und das ärgerte ihn, stachelte deshalb auch seinen Ehrgeiz zusätzlich an. Doch er - pardon, ER - wollte nicht nur wahrgenommen werden; so nebenbei. Nein. Denn schließlich war ER jetzt hier der Einzige, der bestimmen durfte. Und wehe, jemandem würde einfallen, ihn zu reizen!
Seine Stimme hörte sich heiser an, als ER vorlas; schließlich war es auch für ihn eine ungewohnte Situation.
"Man zündete den Schwefel an, aber das Feuer war so schwach, dass die Haut der Hand kaum verletzt wurde. Dann nahm ein Scharfrichter, die Ärmel bis über die Ellenbogen hinaufgestreift, eine etwa anderthalb Fuß lange, zu diesem Zweck hergestellte Zange aus Stahl, zwickte ihn damit zuerst an der Wade des rechten Beines, dann am Oberschenkel, darauf am rechten Ober- und Unterarm und schließlich an den Brustwarzen. Obwohl dieser Scharfrichter kräftig und robust war, hatte er große Mühe, die Fleischstücke mit seiner Zange loszureißen; er musste jeweils zwei- oder dreimal ansetzen und drehen und winden; die zugefügten Wunden waren so groß wie Laubtaler." 1
Großartig belesen war ER nicht - im Gegenteil -, aber an Stellen wie diesen saugte ER sich fest. Jedes einzelne Wort floss wie zähflüssiger, stinkender Teer von seinen Lippen. In seiner Phantasie sah ER das Blut spritzen, wenn der Scharfrichter aus dem lebendigen, hilflosen Menschen vor sich mit einer glühenden Zange Fleischstücke herausdrehte und die Pferde dem Verurteilten anschließend Arme und Beine einzeln aus dem Körper rissen.
Als ER die Stelle über Foltermethoden im Mittelalter zum ersten Mal las, hatte es ihn regelrecht geschüttelt, ihm wurde schlecht und ihm fiel beinahe das Buch aus der Hand.
„Überwachen und Strafen“ war der Titel des Werkes, der Philosoph Foucault sein Verfasser. Den schmalen Buchband hatte ER sich in der Stadtbibliothek ausgeliehen - um vor den Anderen nicht doof dazustehen. Einer aus der Runde der Redakteure hatte beim ersten Meeting des Tages das Gespräch auf dieses Thema gelenkt; richtig, es war im Zusammenhang mit einer Radiomeldung über die Zahl zunehmender Folterungen in China gewesen.
Das Buch hatte ihn sozusagen auf die Spur gebracht. Es hatte ihn so angemacht, dass ER beim ersten Lesen regelrecht zitterte. Vor Erregung. Das war eine Eingebung – nichts anderes! Die Vorhersehung hatte ihn zu diesem Buch hingeführt – das konnte kein Zufall sein! Ha! Jetzt würde ihm niemand mehr im Wege stehen und seinen Aufstieg verhindern. Jetzt nicht mehr. Denn jetzt war ER an der Reihe, jetzt würde ER sich rächen; so, wie ER sich das vorgenommen hatte. Für all die Demütigungen, die Bevormundungen. Dass dieser Tag kommen würde, das hatte für ihn schon lange festgestanden.
Dass ER jetzt, ausgerechnet jetzt auf dieses philosophische Werk gestoßen war, das ja eigentlich mit Philosophie respektive Moralphilosophie wenig gemein hatte - na ja, ER hatte mit Philosophie ohnehin nicht viel am Hut -, das war Bestimmung. Und dann noch dieser Nigger … dieser Blacky … ausgerechnet jetzt. Das war die klare Aufforderung an ihn, zu handeln. Eindeutig!
Und es war ganz offensichtlich diese legitime, originäre Autorität, das gesunde Volksempfinden, worauf ER sich berufen konnte. Und einer Autorität gegenüber musste man folgsam sein. Da gab es keine Ausflüchte. Natürlich war dieses Quälen, dieses Schmerzen zufügen - möglicherweise sehr große Schmerzen - eine grausame, eine schlimme Sache. Es war nicht richtig, den Leuten so etwas anzutun, es waren schließlich Menschen, lebendige Wesen. Aber was sein muss, muss sein! Die Autorität - und die Bestimmung - wollten es so. ER als Privatperson war da außen vor. Da war eine andere, höhere Macht am Werk. Und somit konnte ER auch nicht verantwortlich gemacht werden.
ER atmete tief durch. Nein, Keiner konnte, kein Einziger durfte sich der Autorität widersetzen.
ER nahm die Sonnenbrille ab. ER hatte jetzt nichts und niemanden mehr zu fürchten. Und ER war im Recht.
Hatten die dunklen, blitzenden Augengläser gerade noch eine gewisse Lebendigkeit vorgetäuscht, so sprachen nun aus den Augen des Mannes lediglich Arroganz und Verachtung für den, der da vor ihm lag. Starr, unheimlich, maskenhaft - so wirkte sein Gesicht.
***
"Ja und? Was haben wir von der Kripo damit zu tun?" Kommissar Erich Pfeiffer verlor die Geduld. Immer diese Telefonate, die sich im Nachhinein meist als sinnlos herausstellten. Und nochmal: Was hatten sie von der Kripo mit einem verschwundenen Flüchtling zu schaffen? Waren sie denn die Heilsarmee? Schließlich konnte der hier, wie viele andere Wirtschaftsflüchtlinge auch, längst in ein anderes Bundesland abgedüst sein, um dort ein zweites Mal zu kassieren!
Möglicherweise war es so - vielleicht aber auch nicht. Man musste sich hierzulande inzwischen hüten, seine Meinung laut kundzutun, vor allem, wenn sie nicht der des Mainstreams entsprach - vor allem als Beamter, der er war.
"Beamter" - das hieß doch, dem Staate treu ergeben zu sein; und weiter: Im Notfall auch den Affen für seinen obersten Dienstherrn, den Herrn Innenminister, zu machen; hieß weiter: dessen persönliche, also private Meinung, die - selbstverständlich - auf ordentlichen Erkenntnissen der exekutiven Organe des Staates beruhte, kritiklos zu übernehmen.
Hm … . Wenn es aber nun vollkommen anders wäre, dachte Pfeiffer ketzerisch; wenn es also dem Herrn Innenminister bei all seinen Aktivitäten im Grunde nur darauf ankam, seine Allmacht zu legitimieren und der Frau Gemahlin das neue Nerzcape für den Opernbesuch zu sichern und die Reitstunden für die Tochter und das Praktikum seines Sohnes bei einem befreundeten Botschafter in den Arabischen Emiraten et cetera? Aber nein, rief sich Kommissar Pfeiffer zur Ordnung. Der Herr Innenminister arbeitet genauso hart für sein Geld wie du … . Hm … .
Pfeiffer spürte, wie etwas in ihm krampfte - Stichwort "Gerechtigkeit".
Trotzdem … den rechten Rattenfängern brauchte man deswegen nicht unbedingt nachzulaufen. Selbstkritisch wie er war, ließ er sich von keiner Gruppierung, egal aus welcher Richtung – auch nicht von Vater Staat – vereinnahmen. Es gab auch andere Wege, mit dieser Politik klarzukommen.
***
Erich Pfeiffer stand auf. Er dehnte und streckte sich. Ach ja, sein wunder Punkt: Diese verflixten Lendenwirbel; der nächste Hexenschuss war vorprogrammiert. Hatte heute seinen Hintern mal wieder zu lange auf dem Bürostuhl plattgedrückt. Während er zum Kaffeeautomaten schlappte, drehten sich seine Gedanken weiter.
Wer geduldet wird und sich "eingerichtet" hat, der verspürt zunächst mal nicht das Verlangen in sich, aufzubegehren. Erst wenn er eines Tages nach "oben" schaut und den Versuch unternimmt, ebenfalls dorthin zu gelangen, also vom Parmaschinken statt vom Bauernspeck zu naschen und dieser Versuch missglückt - dann entsteht Ohnmacht. Und Ohnmacht gebiert Zorn.
Ohnmacht - das verspürten sicher auch die Flüchtlinge … die Asylbewerber, die notgedrungen monate-, ja, unter Umständen jahrelang herumsaßen, dachte Pfeiffer, während er die Telefonnummer der Flüchtlingsunterkunft eintippte; auch das erzeugte eine ungute Stimmung.
Der habe aber einen so guten Eindruck gemacht, meinte sein Gegenüber in der Leitung. Ha, gab es immer noch solche Volldeppen, die alles nur durch die rosa Brille sahen? Sozialarbeiter eben. Okay, okay. Vielleicht tat er ihm auch unrecht. Er wollte sich lieber nicht in die Lage dieser Flüchtlinge versetzen.
Aber etwas warten müsse er schon, beschied er den Betreuer aus der Flüchtlingsunterkunft. Als ob er an dem Verschwinden dieses …, na, wie hieß er doch gleich nochmal, egal, schuld wäre. Schließlich habe er noch andere...
Erscheint lt. Verlag | 29.7.2024 |
---|---|
Reihe/Serie | Karl Lost |
Mitarbeit |
Cover Design: Desdemona Winkler Sonstige Mitarbeit: Desdemona Winkler |
Verlagsort | Ahrensburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
Schlagworte | aufwühlende • Berührend • Bizarr • dramatisch • erregend • Fesselnd • gespenstisch • makaber • spannend • Unheimlich |
ISBN-10 | 3-384-30551-5 / 3384305515 |
ISBN-13 | 978-3-384-30551-0 / 9783384305510 |
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