Hereimspaziert (eBook)
272 Seiten
Verlag Antje Kunstmann
978-3-95614-618-3 (ISBN)
Thomas Gsella war viele Jahre Redakteur und Chefredakteur der Frankfurter Satirezeitschrift Titanic. Er schreibt komische und satirische Lyrik und ist Reimkolumnist beim Stern, dem Magazin des Schweizer Tages-Anzeigers, konkret u.a. Gsella lebt mit seiner Familie versehentlich in Aschaffenburg.
Thomas Gsella war viele Jahre Redakteur und Chefredakteur der Frankfurter Satirezeitschrift Titanic. Er schreibt komische und satirische Lyrik und ist Reimkolumnist beim Stern, dem Magazin des Schweizer Tages-Anzeigers, konkret u.a. Gsella lebt mit seiner Familie versehentlich in Aschaffenburg.
UNTER UNS
ENTSCHEIDERIN
Du wolltest Kinder (zwei), ich wollte keine.
Du kriegtest eines (Männer kriegen keins).
Die Arme war’n noch kürzer als die Beine.
Ich war verliebt. Verliebt in Nummer eins.
Du wolltest noch eins und ich wollte keins mehr:
Noch einmal so verliebt? Niemals! Owei!
Ich wollte nicht und du bekamst noch eins mehr.
Ich war verliebt. Verliebt in Nummer zwei.
Zwar kam mir diese Zahl entfernt bekannt vor,
Als ich im Strudel meiner Liebe sank.
Doch dort, ganz unten, lagen sie: Ich stand vor
Den Scherben meines Unglücks. Vielen Dank.
LAMENTO, GEBRUMMT
Spät erwachsen, spät erwacht,
Spät ins Leben aufgebrochen,
Spät die erste Liebesnacht,
Spät den Traumata entkrochen,
Spät mehr aufrecht als gebeugt,
Spät mehr Kohle und im Warmen:
Spät zu zweit und spät gezeugt,
Spät zwei Kinder in den Armen,
Und wie schön ist dieses Lieben,
Und wie schön, es macht nicht dumm:
Und der Jahre sind noch sieben,
Und nach sieben sind sie um
Und die Kinder in den Städten,
Sieben Jahre, und man weiß:
Dürre folgen auf die fetten.
Spät erwachsen, früh ein Greis.
SCHULD UND SÜHNE
Ich habe eine gute Frau,
Zwei gute Kinder (weiblich)
Und einen guten Hund (Wauwau).
Mein Glück wär unbeschreiblich,
Doch eine Sache juckt mich schier
Wie Gott die Blasphemie:
Warum studieren drei (!) der vier
Zurzeit Psychologie?
Kunst, Bio, Sport, Architektur:
Bunt blüht die Alma Mater!
Doch alle drei … Das kann doch nur
An mir, dem Mann und Vater …
Mag schwer auch manche Reise sein
Zum Hort des Seelenglücks:
Wie groß muss meine Meise sein!
Mein Superhau de luxe!
So spricht die Schüssel zu dem Sprung:
Pardon, exgüsi, ’tschuldigung.
HELL UND DUNKEL
Strikt getrennt ist Dunkelheit von Licht:
Dunkelheit kennt keine lichten Stellen.
Helles existiert im Dunkeln nicht,
Und kein Dunkel existiert im Hellen.
Ohne Licht herrscht also Dunkelheit.
Wird es aber licht, dann kann man sehen:
Ohne Dunkel herrscht die Helligkeit.
Kommt das Helle, muss das Dunkle gehen.
Und der Liebe tut das Lichte gut:
Nur das Helle macht Geliebte sichtbar.
Doch allein im Dunkeln schläft man gut,
Und ein guter Schlaf ist unverzichtbar.
Also rufe, wer da schläft und liebt:
Hell und Dunkel, schön, dass es euch gibt!
AN MEINE SCHRIFTSTELLERFREUNDE
Schicken Brückenbauer Brücken
An befreundete Kollegen?
Nehmen Priester mit Entzücken
Ihrer Priesterfreunde Segen?
Hängen Fischer ihre Fische
Andern Fischern um den Hals?
Drängen Tischler ihre Tische
Andern Tischlern auf? Niemals!
Kippen Bauern ihren Käse
Vor des andern Bauern Haus? –
Warum glaubt ihr dann, ich läse
Euren ganzen Käse aus?
Bitte, Freunde, lasst es bleiben!
Schickt mir keine Bücher mehr,
Denn ich möchte welche schreiben.
Lieben Gruß! Und: danke sehr.
ZU EINER KRITIK DES ORGASMUS
Ob Städtebau, Philosophie,
Ob Kochen, Sport, Astronomie:
Der Mensch, wenn er Orgasmus hat,
Ist unbrauchbar zu jeder Tat.
Das kommt: Er ist in dem Moment
Nicht das, was Goethe »geistig« nennt.
Als wäre Hirn ein süßer Brei,
Entrinnt dem Mund zwar allerlei,
Doch kriegt er (und er guckt auch so)
Nur Aahh hin, ein gedehntes Ooh,
Mpfh, Hööö, Wäwäähh und ähnliches
Substanzlich kaum Erwähnliches –
Der Weg zu ihm ist lang und schwer,
Er selbst ist kurz. Gleichfalls nicht fair:
Danach gab’s was zu rauchen, doch
Nicht einmal das geht heute noch.
So stuf ich ihn von einer Eins,
Denn manches ist halt nicht so meins,
Und die Gedanken sind ja frei,
Herab auf eine glatte Zwei.
VOM LOS DES INDIVIDUALVERKEHRS
Dass Leute einzeln und in tonnenschweren
Gefährten eine kranke Welt befahrn:
Dies mag, Mobilität in allen Ehren,
Die kluge Zukunft dieser Welt ersparn.
Wir werden viele sein auf unsern Reisen
Vom Tag zur Nacht, vom Dort zum fernsten Hier,
Wir werden, in noch unsichtbaren Weisen,
Durch Zeiten gleiten, Wurmlöcher und schier
Lichtschnelle Dinge, die uns leise lenken.
Und erst am Ziel, Geliebte, mag dann wer
Uns hören und das Wort noch einmal denken:
»Sie haben Individualverkehr.«
ZUM GEBURTSTAG EINES FREUNDES
Er trinkt nicht, hat noch nie geraucht,
Doch mag nicht missionieren.
Er kommt zu mir, wenn er mich braucht,
Dann gehen wir spazieren.
Sein Kopf: das Gegenteil von hohl.
Sie wissen, was ich meine.
Er hetzt nicht, stürmt kein Kapitol
Und nutzt gern seine Beine
Statt hundert Tonnen SUV,
Von A nach B zu kommen.
Auch lügen hört ich ihn noch nie.
Er zählt nicht zu den Frommen,
Doch zählt er zu den Hellen.
Sein Herz ist wahr, sein Geist gesund,
Nichts Falsches kommt aus seinem Mund,
Nur ab und zu ein Bellen.
DIESES ABRUPTE VERSTUMMEN
Unter den irdischen Hunden
Ist er nur einmal zu sehn.
Tagtäglich drehe ich Runden,
Ei, mit dem Pudel so schön:
Schneeweich sein Fell, seine Seele
Licht und sein Herz wie aus Gold.
Lange bevor ich befehle,
Folgt er, klug, anmutig, hold.
Tagtäglich schwelgen Genießer,
Tagtäglich antworte ich:
»Ooch, ist der schön! So ein Süßer!!«
»Meinen Sie ihn oder mich?«
WAS WIR WÄREN
Wir haben frei, hey ho! Ein Sonnenmorgen
Gießt blütengelbe Wärme übers Bett,
Paar Engel zaubern Trauben aufs Tablett,
Und die sich küssen, fühlen sich geborgen.
Wir haben frei für hunderttausend Runden,
Und manche führen quer durchs Himmelreich.
Die Münder saftig und die Herzen weich –
Jetzt singen wir. Als könnte es gesunden!
Als könnte es. Dann werden Blicke bang.
Schon naht der Nachmittag mit seiner Leere,
Die lang ist wie ein Montag, viel zu lang,
Lang, groß und grau, und zieht an einem Strang
Mit allem, was uns drückt. Wenn er nicht wäre:
Wir wären Sonne, Trauben und Gesang.
KEINE FRAGE
Ich schreibe eine Zeile hin
Und warte auf den Reim.
Und zieht sich’s eine Weile hin,
Dann lass ich’s wieder bleim.
Dann dusch ich oder koch etwas
Aus Möhren, Haferschleim,
Zucchini, Zimt und noch etwas,
Das fällt mir grad nicht eim.
Mein Hirn ist oft nicht super hell.
Als wär niemand daheim!
Doch schreiben kann ich super, gell.
Vor allem Reime schreim.
INNEN UND AUSSEN
Wie schmerzen mich der andern flache Köpfe!
Ein Kreis hat kein Volumen, in sein Rund
Passt jene Kelle nicht, mit der ich schöpfe
Die Weisheit kesselweise in den Mund.
Wie dauert mich der andern Herzenskälte!
Eis wärmt die roten Wangen nicht und nicht
Die weinenden, verblassten, und so gelte
Ich ihnen all als Armor. Doch es spricht
Ein Drittes noch für jene unsichtbare
Titanenkrone, die mein Wirken weiht:
Den klugen Kopf erhebt ins Tripolare
Zur Herzensgüte: die Bescheidenheit.
So möchte ich vom vierten Vorzug schweigen,
Ragt er auch höher als das höchste Haus.
Schönheiten sieht man nur, wo sie sich zeigen,
Drum hier nur das: Ich seh auch super aus.
ZU GÜTIG
Einmal war sein Denken schlichter,
Doch sein Fühlen rief zur Tat,
Und man sah den großen Dichter,
Wie er kleinlaut Rat erbat.
»Bitte, Weltgeist, schick ein Thema!«
Wie von Dürer seine Hand,
Und er kriegte Reim und Schema,
Rhythmus und den Gegenstand
Dergestalt, dass ihm ein Stein fiel
Auf den Kopf und brach entzwei,
Woraufhin dem Dichter einfiel:
»Stein und Kopf, jetzt seid ihr drei!«
Später kam in hohem Bogen
(Alles ist dem Weltgeist leicht)
Mit ’nem Nilpferd angeflogen
Auch der Schlussvers: »Danke, reicht.«
ZUM BEWEIS
Wo stehe ich? Wo mein Gedicht?
So schwer wie Schiller kann ich nicht
Und nicht so leicht wie Heine.
Was ich zudem verneine:
Dass ich der neue Shakespeare bin.
Ich bin kein neuer Hölderlin,
Kein Tucho, kein Fontane.
Der war ja erste Sahne!
Kaléko, Hesse, Hacks und Hauff,
Die hab ich ebenfalls nicht drauff,
Und schief hängt meine Flöte –
Ich bin der neue Göte!
WO ZWEI SINNE REICHEN
Um den Vorgang zu verstehen,
Braucht es weder Augenlicht
Noch die Hand. Dass wir...
Erscheint lt. Verlag | 15.8.2024 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Lyrik / Gedichte |
Schlagworte | Ampel • Boy-Group • Brückentage • Cybertruck • Inflation • Kapitalismus • Klassenjustiz • komische Lyrik • Kriegsführung • Neue Deutsche Lyrik • Satire • Schuld und Sühne • Sport • Spott • Titanic • Weltklimakrise |
ISBN-10 | 3-95614-618-2 / 3956146182 |
ISBN-13 | 978-3-95614-618-3 / 9783956146183 |
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