Mord im Böhmischen Prater (eBook)
256 Seiten
Emons Verlag
978-3-98707-195-9 (ISBN)
Lese- und Medienproben
Beate Maly wurde 1970 in Wien geboren, wo sie bis heute lebt. Zum Schreiben kam sie vor rund 20 Jahren. Sie widmet sich dem historischen Roman und dem historischen Kriminalroman. 2019 und 2023 war sie für den Leo-Perutz-Preis nominiert, 2021 gewann sie den Silbernen Homer. www.beatemaly.com
Beate Maly wurde 1970 in Wien geboren, wo sie bis heute lebt. Zum Schreiben kam sie vor rund 20 Jahren. Sie widmet sich dem historischen Roman und dem historischen Kriminalroman. 2019 und 2023 war sie für den Leo-Perutz-Preis nominiert, 2021 gewann sie den Silbernen Homer. www.beatemaly.com
EINS
Wien, Herbst 1925
»Gott sei Dank scheint endlich wieder die Sonne!« Die pensionierte Lateinlehrerin Ernestine Kirsch trat in den Garten und atmete tief durch. Die Luft fühlte sich sauber an. Der Regen der letzten Tage hatte den Ruß und Staub von den Fassaden gewaschen und Wien in eine strahlende Stadt verwandelt. Satt gelb und leuchtend rot glänzten die Blätter der Weinreben an der Hausmauer im warmen Licht und versprachen einen goldenen Herbsttag.
»Ich hatte schon befürchtet, das Nieselwetter hält bis Allerheiligen an. Es reicht, wenn der Nebel im November einsetzt. Der Winter dauert danach noch lang genug. Können wir im Freien frühstücken?« Anton streckte den Kopf zur Terrassentür heraus. Er und Ernestine bewohnten seit einem Jahr das kleine, frisch renovierte Kutscherhäuschen im Garten seiner ehemaligen Apotheke in Mariahilf. Seit Antons Pensionierung leitete seine Tochter Heide das Geschäft.
Allerdings würde Anton in naher Zukunft wieder einspringen müssen, denn Heide erwartete nach Weihnachten ihr zweites Kind. Kurz nachdem sie den Kommissar Erich Felsberg geheiratet hatte, war sie schwanger geworden. Ab Jänner würde Anton nicht nur beim Drehen der Hustenpastillen unterstützen, sondern für einige Zeit hinter den Verkaufstresen zurückkehren. Er sah dem mit gemischten Gefühlen entgegen, hatte er sich doch an seinen geruhsamen Alltag mit Ernestine gewöhnt. Auch wenn die unternehmungslustige Pensionistin ihn immer wieder zu Aktivitäten überredete, auf die er sich allein niemals einlassen würde, verlief sein Leben doch in deutlich ruhigeren Bahnen als noch vor ein paar Jahren.
»Ja, es ist warm genug. Ich hole die Pölster für die Gartensessel«, bot Ernestine an und verschwand im Schuppen zwischen Kutscherhäuschen und Apotheke.
Kurz darauf saßen die beiden bei Kaffee und Butter-Honig-Semmeln im Garten und streckten die Gesichter der wärmenden Sonne entgegen. Zufrieden langte Anton nach der Morgenausgabe der Wiener Zeitung, überflog die Überschriften und runzelte dann sorgenvoll die Stirn.
»Es gefällt mir nicht, dass die Sozialisten sich paramilitärisch formieren«, brummte er. »Wer braucht denn einen Schutzbund?«
»Es ist die logische Antwort auf die Heimwehren der Christlichsozialen«, meinte Ernestine. »Wäre es dir lieber, man würde diesen bewaffneten Einheiten nichts entgegensetzen?« Während sich auf dem Land schon kurz nach dem größten aller Kriege die christlichsozialen Ortswehren paramilitärisch aufgerüstet hatten, zogen die Sozialisten in den Städten erst jetzt mit Verspätung nach.
»Ich würde ein Österreich vorziehen, in dem weder das rechte noch das linke Lager Waffen besitzt«, sagte Anton. »Wer Gewehre hat, wird sie früher oder später auch einsetzen. Und was haben wir dann? Österreicher, die auf Österreicher schießen. Bei der Vorstellung gefriert mir das Blut in den Adern.«
Ernestine schüttelte den Kopf. »Ach, Anton, du siehst die Lage zu düster. Warum sollte das passieren? Der große Hunger liegt hinter uns. Wir sehen einer rosigen Zukunft entgegen. Sonnige Zeiten, in denen die Menschen friedlich zusammenleben. Wir haben alle unsere Lehren aus dem schrecklichen Krieg gezogen und werden verhindern, dass es erneut zur Katastrophe kommt. Niemand will seine Brüder, Ehemänner und Söhne am Schlachtfeld verlieren.«
Anton schien nicht überzeugt. »Unsere Demokratie ist ein sehr zartes Pflänzchen. Schnell kann es von Militärstiefeln wieder zertrampelt werden. Schau nach Italien. Dort hat Mussolini das Parlament ausgehebelt. Die Faschisten regieren. Stell dir vor, das wäre in Österreich der Fall. Mit einem Schlag wäre es mit den Errungenschaften des roten Wiens vorbei. Kein sozialer Wohnbau, keine Bildungsreform und kein Gesundheitswesen mehr.«
Ernestine langte über den Tisch und nahm Anton entschlossen die Zeitung aus der Hand. »Wenn die Artikel dermaßen finstere Gedanken in dir erzeugen, solltest du die Zeitung nicht mehr lesen«, befand sie streng. Ihre Stimme hatte den belehrenden Unterton der Lateinlehrerin angenommen, die sie jahrzehntelang gewesen war. »Ich besorge dir unterhaltsame Literatur aus der Bibliothek. Ab jetzt kriegst du nur noch Texte von Kabarettisten. Letztens habe ich Liedtexte von Fritz Grünbaum und Karl Farkas gelesen. Die sind genau richtig für dich.«
»Seit wann verschließt du die Augen vor dem, was rund um dich geschieht?«, fragte Anton.
»Ich sehe sehr wohl hin«, verteidigte sich Ernestine. »Deshalb finde ich es ja so wichtig, dass auch die Sozialisten sich bewaffnen. Solange es ein Gleichgewicht der Kräfte gibt, ist der Frieden gesichert. Sobald eine Gruppe stärker wird, droht Gefahr.«
»Ich sehe das anders«, widersprach Anton.
»Ich weiß!« Ernestine faltete die Zeitung zusammen und legte sie auf die andere Seite des Tisches. Anton hätte aufstehen müssen, um sie zu holen, was er aber tunlichst vermied. Denn er saß gerade ausgesprochen bequem.
»Lass uns über etwas Erfreulicheres reden«, schlug Ernestine vor. »Zum Beispiel über das bevorstehende Wochenende. Das Wetter soll stabil bleiben. Es stehen uns wunderschöne Herbsttage bevor, die wir unbedingt nutzen sollten, bevor es wieder nass und kalt wird und dann für Monate so bleibt.«
Anton ahnte, dass Ernestines Vorstellung davon, wie man warme Herbsttage verbringen sollte, nicht ganz seinen Wünschen entsprach.
»Wir könnten gemütlich im Garten lesen und hin und wieder eine kleine Runde mit Minna spazieren gehen«, schlug er vor. Als die Cockerspaniel-Dame ihren Namen hörte, hob sie die Schlappohren und sah erwartungsvoll zu Anton. »Und nach dem Spaziergang belohnen wir uns mit einer ordentlichen Mehlspeise«, fügte er hinzu. »Minna kriegt ein Würstel.« Die Hündin stupste ihm dankbar mit der Pfote gegen das Schienbein.
»Aber Anton, wir werden doch nicht faul im Garten sitzen, wenn wir stattdessen zu böhmischer Blasmusik tanzen können!« Genau wie Anton befürchtet hatte, deckten sich seine Pläne nicht mit denen von Ernestine.
»Wenn wir was?«, fragte er irritiert. Hoffentlich hatte er sich eben verhört. Tanzen gehörte nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen, und Blasmusik war die Form Musik, die er mit Abstand am schlimmsten fand. Die Kombination aus beidem betrachtete er als mittlere Katastrophe.
»Am Wochenende findet im Böhmischen Prater ein Herbstfest statt«, fuhr Ernestine unbeirrt fort. »Ich habe Rosa davon erzählt. Sie würde sehr gerne hingehen.«
Rosa war Antons Enkeltochter. Er liebte das Mädchen über alles und konnte ihr kaum einen Wunsch abschlagen. Das war auch der Grund, warum eine wuschelige Hundedame zu seinen Füßen lag und darauf wartete, dass ein Stück Buttersemmel für sie abfiel. Anton reichte Minna einen Bissen und wurde mit einem Schwanzwedeln belohnt.
»Rosa freut sich schon riesig auf den Besuch«, erklärte Ernestine. »Das alte Ringelspiel dort wurde repariert und geht wieder in Betrieb. Jedes Kind darf einmal gratis damit fahren.«
»Rosa ist doch kein Kleinkind mehr!«, entgegnete Anton in der Hoffnung, der Blasmusik doch noch zu entkommen. Seit ein paar Wochen besuchte seine Enkeltochter die dritte Klasse der von Lili Roubiczek geführten Schule in Wien, in der nach den Methoden der italienischen Ärztin Maria Montessori unterrichtet wurde. Und im Sommer hatte Rosa ganze zwei Bände von Karl May vollständig durchgelesen. Sie war definitiv zu alt fürs Ringelspiel.
Aber Ernestine war anderer Meinung. Sie blieb hartnäckig.
»Unsinn, Anton. Du weißt, dass man für eine Fahrt mit dem Ringelspiel niemals zu alt ist. Wenn ich darf, setze ich mich auch auf eins der weiß lackierten Pferde. Mal sehen, ob ich den Karussellbetreiber überreden kann.«
Anton bezweifelte, dass Ernestine auf das frisch renovierte Ringelspiel durfte. Sie war von rundlicher Statur, woran das gemütliche Leben mit ihm und die Kuchen, die er regelmäßig buk, nicht ganz unbeteiligt waren. Er behielt seine Überlegungen aber für sich. Anton mochte Ernestine genau so, wie sie war.
»Außerdem gibt es echte Ponys, auf denen die Kinder reiten können«, fuhr sie fort. »Und die beliebten Hutschenschleuderer, genau wie im Wurstelprater.«
Anton hatte immer noch die Blaskapelle und den Tanzpavillon vor Augen. Beides bereitete ihm Kopfzerbrechen.
»Wenn dich das alles nicht überzeugen kann, dann denk an Langosch, die feinen Powidltascherl und das einmalige böhmische Bier.«
Jeder, der Anton besser kannte, wusste von seiner größten Schwäche, dem guten Essen. Nichts liebte er mehr als Mehlspeisen. Die Aussicht auf böhmische Powidltascherl, Germknödel und Palatschinken ließ die Blasmusik mit einem Mal nicht mehr ganz so unangenehm erscheinen. Vielleicht würde sich ein Besuch im Böhmischen Prater doch lohnen. Es war Jahre her, dass er das letzte Mal in dem Arbeitervergnügungsviertel am Laaer Berg gewesen war.
»Wir können Minna mitnehmen«, schlug Ernestine vor. »Es wird gewiss ein gemütlicher Nachmittag.«
Anton überlegte. Heide sah in letzter Zeit oft sehr müde aus, die fortschreitende Schwangerschaft setzte ihr zu. Ein Sonntag in der Hängematte würde ihr sicher guttun. Heides Mann Erich hatte dieses Wochenende Dienst, er musste sich um Verbrechen kümmern. Und da Ernestine Rosa den Ausflug bereits versprochen hatte, blieb Anton ohnehin nichts anderes übrig, als mitzukommen.
In Gedanken konnte er die gerösteten Butterbrösel der Powidltascherl bereits riechen und schmeckte den Vanillezucker auf seiner Zunge. Obwohl er vom Frühstück noch satt war, lief ihm das Wasser im Mund zusammen.
»Du hast mich überredet«, erklärte er großmütig.
»Um drei fahren wir los. Heide weiß bereits...
Erscheint lt. Verlag | 21.11.2024 |
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Reihe/Serie | Historischer Kriminalroman |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Historische Kriminalromane | |
Schlagworte | 1925 • 20. Jahrhundert • Böhmischer Prater • Cozy • cozycrime • historisch • historischer Krimi • Österreich Krimi • spannend • Wien |
ISBN-10 | 3-98707-195-8 / 3987071958 |
ISBN-13 | 978-3-98707-195-9 / 9783987071959 |
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