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Die Kraft der Mitte (eBook)

Die politische Lebensgeschichte eines Tirolers und Europäers
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
192 Seiten
ecoWing (Verlag)
978-3-7110-5366-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Kraft der Mitte -  Franz Fischler
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Gemeinsam für Europa: Eine Politiker-Biografie im Zeichen des Miteinanders Aus der Vergangenheit lernen und ihre Folgen nicht ignorieren. Politisch Andersdenkende nicht pauschal als Gegner und Feinde abstempeln, sondern in den Dialog treten. Und dabei immer das große Ziel eines geeinten, friedlichen und prosperierenden Europas vor Augen haben. Franz Fischler blickt auf eine abwechslungsreiche politische Karriere zurück. In diesem Buch erzählt der erste österreichische EU-Kommissar von den vielen Stationen seines Lebensweges: Der lange Weg vom Tiroler Bauernbub bis in die EU-Kommission. - Von Tirol in die europäische Politik: die Lebensgeschichte des ehemaligen ÖVP-Politikers - Aus der Biografie lernen: ein Buch über wertschätzende Kommunikation auf allen Ebenen - Gemeinsam Lösungen finden: Ein Plädoyer für politische Diskussionen auf Augenhöh - Die Vergangenheit im Blick behalten, um Fehler zu vermeiden, bevor sie sich wiederholen - Europäische Union: Trotz ideologischer Gegensätze den Kompromiss zum Wohle aller finden Mit Verhandlungsgeschick die Geschichte Europas mitgestalten Zusammenhalt und positive Veränderung aus der politischen Mitte heraus stärken: Franz Fischler zeigt in seinen politischen Memoiren die Anzeichen von Konflikten auf, lange bevor sie offensichtlich werden. Das immer lauter werdende Gegeneinander der politischen Extreme auf Kosten der gemäßigten Positionen ist eine Entwicklung, die uns alle beunruhigen sollte. Welche Maßnahmen notwendig sind, damit sich die europäische Politik auf das Wesentliche konzentrieren kann, darüber spricht Franz Fischler in seinem Buch. Es ist ein Rückblick mit vielen Erkenntnissen, was wir aus der Vergangenheit lernen können - und was wir hätten besser machen können.

Franz Fischler, geb. 1946 in Tirol, amtierte ab 1989 als Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, 1995 wurde er als EU-Kommissar für die Ressorts Landwirtschaft, Entwicklung des ländlichen Raums und Fischerei nach Brüssel entsandt. Der ehemalige Präsident des Europäischen Forums Alpbach ist seit 2015 Präsident des Instituts für Höhere Studien.

Franz Fischler, geb. 1946 in Tirol, amtierte ab 1989 als Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, 1995 wurde er als EU-Kommissar für die Ressorts Landwirtschaft, Entwicklung des ländlichen Raums und Fischerei nach Brüssel entsandt. Der ehemalige Präsident des Europäischen Forums Alpbach ist seit 2015 Präsident des Instituts für Höhere Studien.

KAPITEL 2
HALL, GYMNASIUM
DER FRANZISKANER
KATHREINSTRASSE 6


Hall war seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert Sitz der Saline und einer der wichtigsten Marktplätze Tirols. Das Salz wurde mit Wasser im Berg gelöst und dann als Sole in einer Holzrohrleitung nach Hall geleitet. In der dortigen Saline wurde die Sole in riesigen Sudpfannen eingedampft und so das weiße Gold, wie das Salz damals genannt wurde, gewonnen. Zum Heizen der Sudpfannen wurden große Mengen an Holz gebraucht, das flussaufwärts hauptsächlich in den Seitentälern des Inntals geschlägert und in Hall mit einem Holzrechen, der quer über den Inn gebaut war, aufgefangen wurde. Diese Flusssperre machte Hall gleichzeitig zum Endhafen für die Handelsschifffahrt auf dem Inn und weiter in die Donau. Auch meine ersten Erinnerungen an unsere Nachbarstadt sind, wie im vorigen Kapitel beschrieben, mit Markttagen in Hall verbunden. Nicht weniger erfreulich waren meine dortigen Einsätze als Ministrant. Von der katholischen Prägung meines Elternhauses habe ich erzählt. Zu dieser Erzählung gehört auch, dass meine Tante, die Schwester meines Vaters, in der Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Kreuz in Hall Schwester war und später Oberin der Ordensprovinz der Kreuzschwestern wurde. Ich war noch keine sechs Jahre alt, da habe ich schon ministriert. Zu den Höhepunkten meines Messdienstes gehörten dabei die Festgottesdienste an den hohen kirchlichen Feiertagen. Neben Glanz und Gloria sowie einem guten Essen wurden wir Ministranten jedes Mal mit einer silbernen 25-Schilling-Münze, die im Laufe der Jahre auf einen silbernen 50er verdoppelt wurde, belohnt. Da wir ansonsten sehr bescheiden aufgewachsen sind, ließen diese Silberlinge unsere Bubenherzen natürlich höherschlagen.

Dazu passt auch noch eine Geschichte aus meiner Ministrantenzeit in der Absamer Kirche, die seit einer Marienerscheinung in der Zeit der Napoleonischen Kriege zu einer von weither besuchten Wallfahrts- und sehr beliebten Hochzeitskirche geworden ist. Im Volksmund wurde Absam damals die »Heiratsfabrik von Tirol« genannt, und im Marien- und Heiratsmonat Mai, rund um Pfingsten herum, fanden da an einem Samstag bis zu zehn oder zwölf Hochzeiten statt. Vor allem für notgedrungen Schnellentschlossene, bei denen sich unter dem Hochzeitskleid der Braut bereits der Nachwuchs abzeichnete, war Absam mit seinen aufgrund des großen Andrangs gruppenweise erfolgenden Trauungen eine beliebte Heiratsadresse. Damit das Heiraten rund und harmonisch ablief, brauchte es Ministranten. Da kam dann der Mesner, der gleichzeitig Vizebürgermeister von Absam war, einfach am Samstagvormittag in unsere Schulklasse und rekrutierte uns zum Ministrieren. Wenn ich ausgewählt wurde, rieb ich mir schon die Hände, nicht nur weil dann der Unterricht für mich früher zu Ende war, sondern auch weil die Assistenz bei den Trauungsandachten von den Brautpaaren bzw. ihren Trauzeugen meist mit gutem Trinkgeld belohnt wurde.

Mit der Zeit waren Pfarrer, Mesner und wir Ministranten ein eingespieltes Team. Wenn der Priester, ein hochnervöser Mann, seine immer gleiche Predigt hielt und aus irgendeinem Grund stockte, konnten wir ihm wie Theatersouffleure mit den passenden Stichworten weiterhelfen. Die Brautpaare saßen nebeneinander aufgefädelt in der ersten Kirchenbank. Der wie gesagt nervöse Pfarrer war immer sehr bedacht, dass die Trauringe der Reihe der Brautpaare entsprechend auf einem silbernen Tablett aufgelegt waren, damit es zu keinen Verwechslungen kommen konnte. Nach der Segnung der Eheringe mit Weihwasser und dem Eheversprechen musste ich den Teller mit den Ringen zu den Brautpaaren tragen, damit sie sich diese gegenseitig anstecken konnten. Da passierte es. Ich verhaspelte mich in einer Teppichfalte, stolperte die drei Stufen vom Altar zu den Kirchenbänken hinunter, und die Ringe flogen in hohem Bogen kreuz und quer durch die Kirche. Das daraufhin einsetzende Gewusel von einem Dutzend Brautpaaren und noch einmal so vielen Trauzeugen, die am Kirchenboden und unter den Bankreihen auf der Suche nach ihren Ringen herumrutschten, war schrecklich und komisch zugleich. Der Herr Pfarrer war außer sich, und ich bekam mein Fett ab. Schließlich fanden die Paare aber ihre Ringe wieder zusammen und hatten jedenfalls auch ein Thema für alle kommenden Hochzeitstage, über das sie gemeinsam lachen konnten.

Schulische Sternstunden im Gymnasium der Franziskaner gibt es keine zu berichten. Ich war ein mittelmäßiger Schüler, kam aber bis auf eine Klasse am Ende der Unterstufe, als ich mich mehr um das Fortkommen unserer Landwirtschaft als um meinen Schulerfolg kümmern musste, immer gut durch. Meine Großmutter hatte anfangs nicht viel Freude damit, dass ich eine höhere Schullaufbahn einschlug, wollte sie doch aus mir einen Bauern machen. Da das Gymnasium aber auch den Weg ins Priesteramt eröffnen kann, versöhnte sie mit meiner Entscheidung, die vor allem von meiner Mutter ausging, aber auch meine Tante freute. In der Klassengemeinschaft fühlte ich mich immer wohl, was wohl auch daran lag, dass ich meine Rolle als Ältester von sechs Brüdern und Alpha-Tier auch in der Schule fortsetzte. Zu meiner Zeit gab es noch riesige Klassen, in meiner ersten Klasse waren wir 56 Schüler. Das Klima unter uns Schülern war solidarisch, aber auch klar hierarchisch, was in gewisser Weise auch das Verhältnis zu unseren Lehrern widerspiegelte. Unterrichtet wurden wir ausschließlich von Patres, unter denen es eine Art von militärischer Rangordnung gab. General war der Pater Direktor, der nach seiner Ernennung mit Pater Hofrat angesprochen werden musste. Dass wir Schüler uns über derartige Eitelkeiten lustig machten und mit Spott nicht hinter dem Berg hielten, brachte mir in der achten Klasse eine Karzerstrafe ein, sprich, ich musste drei Stunden einsitzen. Den Anlass dafür lieferte ich, als ich für den gerade unterrichtenden Geschichtsprofessor Pater Florentin leider noch hörbar die Kurzbezeichnung des Franziskanerordens, OFM – für Ordo Fratrum Minorum –, als »Orden der minderwertigen Brüder« übersetzte.

Die meisten Patres waren im Unterricht zwar streng, und es herrschte ein autoritärer Ton, aber in ihrer Beurteilung waren sie gerecht. Anders, nämlich um einiges schwieriger, war das Leben für die Internatsschüler im zur Schule gehörenden Schülerheim Leopoldinum. Ich habe heute noch Freunde, die mit allem, was katholisch ist, gebrochen haben, weil sie die Schläge, die sie im Internat erhielten, nie mehr wegstecken konnten. Wenn jemand mit 14 Jahren nur gehorchen muss und selten Verständnis und Nachsicht findet, verursacht das Brüche für das gesamte Leben. Wahrscheinlich hätte ich nicht bis zur Matura durchgehalten, wenn ich damals im Heim hätte schlafen müssen. Gott sei Dank war mein Elternhaus in Absam nur zwanzig Minuten Fußweg von der Schule entfernt.

Insgesamt haben wir bei den Haller Franziskanern eine solide Ausbildung genossen. Rückblickend gesehen, vor allem wenn man meinen späteren Berufsweg auf europäischer Ebene einbezieht, hatte die humanistische Ausrichtung der Schule den Vorteil, dass wir systematisch denken lernten, aber auch den großen Nachteil, dass wir kaum lebende Fremdsprachen erlernten. Ab der ersten Klasse hatten wir Latein, ab der dritten Altgriechisch. Französischunterricht gab es an der Schule nicht. Englisch lernten wir bei einem Professor, der stolz darauf war, in seinem ganzen Leben in keinem englischsprachigen Land gewesen zu sein. Dementsprechend lief auch sein Unterricht auf Deutsch ab. Man kann sich leicht vorstellen, was wir da gelernt haben: absolut nichts. Insofern war mein größtes Bedenken, als es um die Frage meiner Berufung zum EU-Kommissar ging, wie ich die sprachlichen Hürden meistern würde. Als feststand, dass ich nach Brüssel gehe, habe ich dann einen mehrwöchigen Crashkurs in Englisch auf Malta besucht. Und in meinen ersten zwei Jahren in Brüssel hatte ich einmal pro Woche einen Sprachlehrer zur Verfügung, um mein Englisch zu verbessern. Ständig von englischsprachigen Menschen umgeben, konnte ich mein Manko aus der Schulzeit aber bald ausbügeln und hatte nach einiger Zeit kein Problem mehr, auf Englisch Vorträge zu halten oder Interviews zu geben. Die wichtigste Sprechregel im EU-Sprachenbabylon ist sowieso, langsam zu sprechen, damit die Dolmetscherinnen und Dolmetscher nicht außer Tritt geraten, und das fiel mir nie schwer.

Leicht ist mir von Jugend an auch immer gefallen, ausreichend viel Geld zu verdienen, um mir damit eine gewisse Unabhängigkeit zu sichern. Mir mein Taschengeld selber zu verdienen hat, wie bereits geschildert, mit dem Ministrieren angefangen. Andere Hilfsdienste folgten: Ich verdiente mir mit selbst gebundenen Adventkränzen etwas dazu oder malte Küchen aus und half beim Hausbau. Von meinem 15. Geburtstag an arbeitete ich in den Sommerferien. Bei meinem ersten Ferialjob hatte ich Grenzsteine im Akkord einzugraben; den Sommer darauf half ich bei einem Ofensetzer; dann arbeitete ich einen Sommer lang bei den Glasöfen im Swarovski-Werk in Wattens und im Sommer danach als Gehilfe in der Maschinenbaufirma Felder. So gelang es mir, mit 16 Jahren der erste Schüler in der Geschichte des Franziskanergymnasiums zu sein, der sich ein Moped leisten konnte. Der Pater Direktor rümpfte darüber nur die Nase. Wohl vor allem auch, weil mein ganzer Stolz zweisitzig war, was sich in weiterer Folge angesichts meines zunehmenden Interesses am anderen Geschlecht als sehr hilfreich beim Knüpfen erster zarter Bande herausstellen sollte.

Nachdem das Franziskanergymnasium eine reine Bubenschule war, mussten wir andere...

Erscheint lt. Verlag 26.9.2024
Verlagsort Wals
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Biografie • biografie bücher • Brüssel • Buch Politik • christlich-sozial • ehemalige övp-politiker • EU Agrarpolitik • EU-Kommisar • eu kommissar • EU Kommission • Europa • Europäische Politik • Europäische Union • EU-Wahlen • Geschichte Europa • Integration • Landwirtschaftsminister • nationalratswahlen • Österreich • österreich beitritt eu • ÖVP • Persönliches • politiker biografie • politische Meilensteine • Tirol • Verhandlungsgeschick • Wien • Zustand der Partei
ISBN-10 3-7110-5366-1 / 3711053661
ISBN-13 978-3-7110-5366-4 / 9783711053664
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