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M. Das Buch des Krieges (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
672 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12357-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

M. Das Buch des Krieges -  Antonio Scurati
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Ein mahnendes Beispiel für die Politik in Europa Mussolinis Untergang - packend erzählt Als Benito Mussolini im Juni 1940 vom Balkon des Palazzo Venezia aus »die Stunde der unwiderruflichen Entscheidungen« verkündet, ist das der Anfang vom Ende: Der unaufhaltsame Niedergang des Faschismus hat begonnen. Mitreißend und brillant schildert der Roman den Kriegsverlauf an den Fronten: von Afrika bis Griechenland, vom Balkan bis zu den Alpen, wo die italienischen Armeen auch Engländern und Franzosen gegenüberstehen. Doch die verhängnisvollen Entscheidungen und katastrophalen Niederlagen häufen sich - und die Welt lässt sich von Benito Mussolini nicht mehr täuschen. Glänzend rekonstruiert Antonio Scurati Mussolinis erschreckenden Wahn und seinen Niedergang. »Das Buch des Krieges« ist ein großer literarischer Wurf und ein Mahnmal gegen den Faschismus. 

Antonio Scurati, 1969 in Neapel geboren, ist Professor für vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Mailand und schreibt für die Zeitungen Corriere della Sera and El País. Seine Romane sind in viele Sprachen übersetzt und wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Premio Mondello und dem Premio Campiello. Sein großes Romanprojekt zum Aufstieg des Faschismus in Europa machte ihn international berühmt. Alle drei erschienenen Bücher standen auf Platz eins der italienischen Bestsellerliste. Für »M. Der Sohn des Jahrhunderts« erhielt den wichtigsten Literaturpreis Italiens, den Premio Strega; »M. Der Mann der Vorsehung« wurde mit dem Prix du Livre Européen ausgezeichnet.

Antonio Scurati, 1969 in Neapel geboren, ist Professor für vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Mailand und schreibt für die Zeitungen Corriere della Sera and El País. Seine Romane sind in viele Sprachen übersetzt und wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Premio Mondello und dem Premio Campiello. Sein großes Romanprojekt zum Aufstieg des Faschismus in Europa machte ihn international berühmt. Alle drei erschienenen Bücher standen auf Platz eins der italienischen Bestsellerliste. Für »M. Der Sohn des Jahrhunderts« erhielt den wichtigsten Literaturpreis Italiens, den Premio Strega; »M. Der Mann der Vorsehung« wurde mit dem Prix du Livre Européen ausgezeichnet. Verena von Koskull, geboren 1970, studierte Italienisch und Englisch für Übersetzer sowie Kunstgeschichte in Berlin und Bologna. Seit 2002 ist sie als Literaturübersetzerin tätig, außerdem übersetzt sie für die Wochenzeitung DIE ZEIT.

Italo Balbo
Tobruk, 28. Juni 1940


Der Mann am Steuer des Höhenbombers hat die lodernden Flammen fest im Blick. Voraus der Rauch der Brände, die sich im Osten erheben, im Rücken das letzte Licht der sinkenden Sonne am westlichen Horizont. Das ist nun einmal das Schicksal der im Abendland Geborenen.

Seine Augen, blind für die beiden Unermesslichkeiten – die blauschimmernde des Meeres und die goldgelbe der Wüste –, sind über das funkelnde Armaturenbrett hinweg auf das Flugfeld geheftet, das übersät ist von kleinen Bränden infolge der Detonationen.

Was siehst du, Pilot, in den orangegelben Lohen dort unten im Osten? Die Vergangenheit, die Zukunft oder nur die dumme Ewigkeit der Gegenwart? Ist dieser trübe, blakige Qualm aus Naphta und Pech das seit Anbeginn der Zeit von Dichtern besungene größte Schauspiel der Welt, der Krieg?

Während Italo Balbo am Steuer seiner dreimotorigen SM.79 sitzt, kommt um 17:30 Uhr des 28. Juni 1940 Tobruk in Sicht. Balbo ist vierundvierzig Jahre alt, dreifacher Vater und hat keine Illusionen mehr.

Mit zwanzig Jahren Hauptmann der Alpini im Großen Krieg, gleich darauf Einpeitscher des Squadrismus in der Poebene, mit sechsundzwanzig Quadrumviro des Marsches auf Rom, mit siebenundzwanzig Befehlshaber der Miliz, Luftwaffenminister mit dreiunddreißig; abgefeimt, waghalsig, brutal, große, schwarze Augen, Spitzbart und ein nettes, verschlagenes Lächeln. Nach der erfolgreichen Atlantiküberquerung in Formation Anfang der Dreißigerjahre wurde der Sohn einer Grundschullehrerin aus Ravenna in den Vereinigten Staaten jubelnd empfangen: Der italienische Held prangte auf dem Titelblatt der Time, und der Chicagoer Bürgermeister benannte eine Straße im Stadtzentrum nach ihm. Jetzt, zehn Jahre später, ist er noch immer der berühmteste Flieger Italiens, der ruhmreichste Faschist neben Mussolini und der Einzige aus der Führungsriege, der einen militärischen Posten ersten Ranges bekleidet: Der Atlantikflieger ist nicht nur Gouverneur von Kyrenaika, Tripolitanien und Fessan, sondern auch Oberbefehlshaber von ganz Nordafrika.

Doch während er, die sinkende Sonne im Rücken, von Westen auf die Festung Tobruk zugleitet, die zum ersten Mal seit Kriegsbeginn von einem englischen Luftangriff getroffen wurde, ist Italo Balbo an diesem Spätnachmittag des 28. Juni 1940 auch und vor allem ein enttäuschter Mann.

Nachdem er sich bereits Ende der Zwanzigerjahre aus der Politik zurückgezogen hatte (»Politik interessiert mich nicht mehr. Sollen sie doch machen, was sie wollen. Ich widme mich der Luftwaffe.«), schickte ihn sein Duce, der ihn fürchtet und beneidet (»Balbo ist der Einzige, der in der Lage wäre, mich umzubringen.«), Mitte der Dreißigerjahre in den exotischen Müßiggang eines vergoldeten afrikanischen Exils (»Er hat mich hierher versetzt, damit ich vor Langeweile krepiere.«). Seitdem hat er seine Tage im Kreise eines kleinen Hofstaats alter Provinzfreunde aus der Romagna mit arabischen Oasen-Fantasien, Dünen-Ausritten an der Seite von Beduinen in wehenden Burnussen und fruchtlosem Aufbegehren gegen Benito Mussolinis unumschränkte Macht vergeudet. Trotz seines harten Vorgehens gegen die libyschen Juden gehörte Balbo zu den wenigen führenden Köpfen des Regimes, die sich der Verfolgung der italienischen Juden widersetzten – viele seiner Freunde aus Kindertagen sind Juden, und er hat sie nicht im Stich gelassen –, gegen das Bündnis mit Nazideutschland ankämpften – über die Deutschen diskutiert er nicht, er hasst sie – und den Wahnsinn eines Krieges verurteilten, von dem er ahnt, dass Italien und der Faschismus vernichtet daraus hervorgehen werden. Doch erstarben seine lauten Töne stets im dumpfen Röcheln der vom Kolostrum des Korpsgeistes genährten Polemik und des persönlichen Grolls, dem letzten Trost des Mythomanen, der sein eigenes Drama über das der Welt stellt.

Monatelang flüsterte die Legende des Faschismus – aus Angst, gehört zu werden – ein paar alten Freunden zu: »Es wird hart, verdammt hart, wir sind nicht in der Lage, ernsthaft Krieg zu führen«, und schob mit noch leiserer, vor ersticktem Protest bebender Stimme hinterher: »Aber wir sind rund zehn Jahre jünger als Er, lasst uns durchhalten, die Zeit ist auf unserer Seite.« Mit dem neuen Weltkrieg am Horizont, schrieb der Oberbefehlshaber von Nordafrika monatelang alarmierte, ebenso mutlose wie glühende Briefe an den Duce und an Badoglio. Wie kann man, mein Duce, Krieg führen gegen das britische Empire mit großen Infanterieeinheiten, die nur über begrenzte, heillos veraltete Artillerie und keinerlei Panzerabwehr oder Flak verfügen? Ihr müsst begreifen, mein Duce, dass es zwecklos wäre, abermals Tausende Männer loszuschicken, wenn wir sie nicht mit den zum Vorrücken und Kämpfen unerlässlichen Mitteln versorgen können. Vor einer Batterie Maschinengewehre würde heutzutage selbst Cäsars prächtigste Legion in die Knie gehen, lieber Duce. Monatelang flehte der Gouverneur von Libyen den Generalstabschef Badoglio an, ihm modernes Kampfgerät, mobile Divisionen und Panzerwagen zu schicken, um seine als schnellen, überwältigenden und ultrabrutalen Angriff geplante Offensive in die Tat umzusetzen, die ihn binnen weniger Wochen bis Alexandria und dann nach Suez bringen sollte. Über Monate haben Mussolini und Badoglio ihn enttäuscht, ihm Scharen unbewaffneter Soldaten geschickt, ihm geboten, in der Defensive zu bleiben, und seine Befürchtungen in kaum halbstündigen Kriegsräten, in denen Lastwagen, Panzer und Kanonen mit keinem Wort erwähnt wurden, achtlos beiseite gewischt. Du bist Soldat, sagten sie und appellierten an seinen Stolz, gehorche und kämpfe. Du bist Befehlshaber, gemahnten sie ihn und appellierten an sein Pflichtgefühl, nimm deine restlos marode Truppe und tu, was du kannst: Klammere dich an den Boden. Dann kam der Krieg, und er tat, wie ihm geheißen: Er klammerte sich an den Boden.

Für Italo Balbo, Luftmarschall des Imperiums, waren die ersten Kriegstage bittere Tage. Mit angehaltenem Atem wartete die Welt auf einen italienischen Angriff Maltas, der die britische Flotte aus dem zentralen Mittelmeer vertreiben sollte, und Balbo wartete auf die Mittel und den Angriffsbefehl gen Osten, um die »Blutsauger der Völker« aus Nordafrika zu verjagen. Stattdessen gab es nur das brudermörderische, opportunistische, fruchtlose, unrühmliche und feige Geplänkel in den Alpen.

So waren es die Engländer, die ihn in Libyen angriffen. Überschaubare, aber entblößende, demütigende Angriffe. Gezielte Bombardierungen aus der Luft, Schwärme formidabler, unbesiegbarer Spitfires, die am strahlend blauen Himmel auftauchen, Vorposten zerstören und wieder verschwinden; punktgenaue, blitzschnelle Offensiven, unaufhaltsame Spähpanzer, welche die 10. Armee von hinten attackieren, Panzerkolonnen zerstören, Kommandeure des Pionierkorps samt Lageplänen der Minenfelder in ihre Gewalt bringen und spurlos wieder in den Weiten der Wüste verschwinden.

Schließlich ist Balbo durchgedreht. Frustriert angesichts der heillosen Unterlegenheit seiner Mittel, seiner läppischen Panzer, die beim ersten Treffer wie Streichholzschachteln in Flammen aufgehen, gedemütigt von der Panik seiner Soldaten, die ihm von der Fahne gehen, sobald Engländer auftauchen, und zu Fuß Richtung Basis fliehen, zum Gespött gemacht von diesem entwürdigenden Feind, der zielsicher Krieg führt, weil er weiß, dass der Italiener über keinerlei Panzerabwehr verfügt, hat Balbo den Verstand verloren. Wohl wissend, dass ein Einsatz der Luftwaffe gegen Bodenfahrzeuge grundfalsch ist, hat er seine Flieger auf eine verzweifelte Suche geschickt. Tagelang haben sich Bomber-, Sturm- und Aufklärungsstaffeln, die ohne die notwendige Wartung ihrer Flugzeuge und ohne Rücksicht auf deren technische Besonderheiten wegen der widrigen klimatischen Bedingungen fast durchgehend im Tiefflug unterwegs waren, in dem vergeblichen Versuch aufgerieben, die verdammten Spähpanzer aufzustöbern. Als oberster Befehlshaber hat Balbo sich als Erster in die gefahrvolle Jagd gestürzt. Rasend vor unstillbarer Wut, setzte er auf seine Wunderkräfte, zeigte seine totemische Gestalt an sämtlichen Fronten, um der Truppe Mut zu machen, und flog über die ohnmächtigen, wehrlosen Massen seiner Soldaten hinweg, die sich in der Entsetzlichkeit der endlosen, brennenden Wüste verloren; vergeblich jagte er dem Gespenst eines zum Schlag bereiten und sogleich wieder verschwundenen Feindes nach, in einer Schlacht, deren Tragik immer mehr der von Fleisch gegen Eisen glich: das eigene Fleisch gegen fremdes Eisen. Nicht die leibliche, feste Hand am Stahl, um ihn gegen den Feind zu zücken, sondern das feindliche Eisen, tödlich ins eigene, blanke, wehrlose Fleisch gerammt.

Dennoch hat der verbohrte, verblendete Luftmarschall seinen Piloten befohlen, die englischen Panzerfahrer zu jagen, und seine Flugzeuge dazu verdonnert, gegen die ockerfarbene Wüste Krieg zu führen. Allein das zählte: So gefährlich die Jagd auch sein mochte, es durfte kein Zweifel daran bestehen, dass die Faschisten nicht Beute, sondern Jäger waren.

Dann, dank des überwältigenden Sieges der verhassten Deutschen in Frankreich, schlug die Mutlosigkeit plötzlich in hochfliegende Träume um. Frankreichs Kapitulation ließ Italien aufleben, das keinerlei Hemmungen hatte, die bis tags zuvor verabscheuten Verbündeten um Unterstützung zu bitten. Bestens gelaunt und voller Zuversicht, schrieb der Zocker Balbo überspannte Briefe an die Generäle: »Das Spiel ist gewonnen, wir müssen nur noch abwarten, dass es mit ein paar unerheblichen Begleitschäden unsererseits zu Ende geht. Habe ich recht, mein Lieber?«, und ließ sich vor seinen Freunden zu Prahlereien hinreißen: »Was die Bewaffnung betrifft, sind die Engländer...

Erscheint lt. Verlag 19.10.2024
Übersetzer Verena von Koskull
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 40er Jahre • Erster Weltkrieg • Faschismus • Fasci • Frankfurter Buchmesse Italien 2024 • Geschichte 2024 • Italien • Italienische Literatur • Machtergreifung • Mailand • Mussolini • Nazis • neue Bücher 2024 • Rechter Terror • Serienverflmung • Serie Sky • Sky-Serie • Untergang Italien • Untergang Mussolini • Weihnachtsgeschenk Geschichte
ISBN-10 3-608-12357-1 / 3608123571
ISBN-13 978-3-608-12357-9 / 9783608123579
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