Franz Hohler & friends (eBook)
304 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-32378-3 (ISBN)
Franz Hohler wäre nicht der, der er ist, ohne die Menschen, denen er in seinem Leben begegnet ist. 'Franz Hohler & friends' versammelt persönliche Porträts von Weggefährtinnen und Weggefährten, die einen großen Einfluss auf den Menschen und den Künstler Franz Hohler hatten - von Wolf Biermann über Friedrich Dürrenmatt und Dieter Hildebrandt bis Gardi Hutter, Peter Härtling und Mani Matter. Es sind Porträts in Form von kurzen Erzählungen, Liedern, Gedichten, Hymnen oder Abschieden, sie erfassen die Porträtierten gleichsam mit einem Seitenblick, sind Schnappschüsse voller Sympathie und Gespür für die Gemeinsamkeiten. In ihnen scheinen immer wieder die großen Themen Franz Hohlers auf, die Sprache und die Musik, der Sinn des Unsinns und die Abgründe des Alltags, das politische Engagement in bewegten Zeiten. So entwerfen sie wie ganz nebenbei auch das Porträt des Porträtierenden - von Franz Hohler selbst.
Franz Hohler wurde 1943 in Biel, Schweiz, geboren. Er lebt heute in Zürich und gilt als einer der bedeutendsten Erzähler seines Landes. Hohler ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Alice-Salomon-Preis und dem Johann-Peter-Hebel-Preis. Sein Werk erscheint seit über fünfzig Jahren im Luchterhand Literaturverlag.
Mani Matter
Als man mich einmal in die MRI-Röhre schob und ich eine Musik auswählen durfte, die mir über den Kopfhörer die Zeit verkürzen sollte, entschied ich mich für eine CD des Amerikaners Steve Reich. Nachdem mich der Betreuer des Vorgangs am Ende wieder herausgezogen hatte, sagte er, diese Musik habe noch nie jemand hören wollen. Was denn die Leute sonst gern hätten, fragte ich ihn, worauf er zur Antwort gab: »Mozart oder Mani Matter.«
An einem Sonntag Abend klickte ich am Fernsehen den Schluss des Schweizer »Tatorts« an, »Züri brännt«, und nach ihren offenbar erfolgreichen Ermittlungen sang die Kommissarin für sich, und damit auch für das Publikum, »I hanes Zündhölzli azündt«.
Auf der Kulturseite der »NZZ am Sonntag« wurde jüngst das Zürcher Jazzfestival »Unerhört!« angekündigt, und zwar mit der Überschrift: » ›Kunscht isch gäng es Risiko‹ sang schon Mani Matter.«
Es gibt in der Deutschschweiz praktisch zu allem und jedem ein Mani Matter-Zitat. Seine Lieder sind, fast 50 Jahre nach seinem frühen Tod, von einer selbstverständlichen Präsenz; sie sind den Kindern und den Erwachsenen gleichermaßen vertraut, Mani Matter ist zu einem Klassiker geworden, er ist sozusagen der Mozart des Schweizer Chansons.
Er hat in seinen Liedern das Berndeutsche Anfang der sechziger Jahre aus der Sprache der ländlichen Idylle und der Gotthelf-Hörspiel-Bearbeitungen zurückgeholt in die Natürlichkeit der Umgangssprache.
Dabei war Berndeutsch genau genommen gar nicht seine Muttersprache. Seine Mutter war Holländerin, sein Vater Berner, und um in der Familie ein sprachliches Ungleichgewicht zu vermeiden, beschlossen die beiden Eltern, mit den Kindern Französisch zu sprechen. Berndeutsch hat Mani in der Schule von den andern Kindern gelernt.
»Mani« ist übrigens ein Pseudonym. Sein richtiger Vorname war Hans Peter. Seine Mutter nannte ihn gerne Jan, seine jüngere Schwester machte daraus Nan, danach Nani, das später zu Mani wurde. Das war dann auch sein Pfadfindername, und bei dem blieb er, als er mit Chansons aufzutreten begann. Im frankophilen Hause Matter gab es Platten von Maurice Chevalier aus der Erbschaft eines Onkels, und – von Mani selbst gekauft – von Georges Brassens. Als sich Mani überlegte, was er zu einem Pfadiabend beitragen könnte, machte er ein Mundartlied zu einer Melodie von Georges Brassens, »dr rägewurm«. Er war verblüfft über den Erfolg, alle fragten ihn nach weiteren Liedern, und so fing er an, zu eigenen Melodien eigene Chansons zu schreiben.
Nach der Matur belegte er zunächst ein Semester Germanistik an der Uni Bern, ließ sich aber »durch Vorlesungen über Goethe etwas abschrecken«, und entschloss sich für das Studium der Jurisprudenz. Sein Vater war Rechtsanwalt, spezialisiert auf Marken- und Patentrecht. Manis Interesse galt jedoch dem Staatsrecht. 1963 wurde er Assistent des Staatsrechtsprofessors Richard Bäumlin. 1965 schloss er sein Studium mit der Dissertation »Die Legitimation der Gemeinde zur staatsrechtlichen Beschwerde« ab. Sie zeigte auf, welche Möglichkeiten einer Gemeinde beim Bundesgericht offenstehen, um gegen kantonale Beschlüsse zu rekurrieren, und kritisierte die damalige Haltung des Bundesgerichts als zu wenig liberal. Es ging letztlich um das Recht des Kleineren gegen den Größeren – der Gedanke an sein Chanson »dr hansjakobli und ds babettli« liegt auf der Hand. Seine Dissertation erschien im Verlag Stämpfli in Bern und dürfte mit ihren 79 Seiten eine der kürzesten Dissertationen überhaupt sein.
1967 begab sich Mani Matter für ein Jahr nach Cambridge, um an seiner Habilitationsschrift zu arbeiten. Sie trug den Titel »Die pluralistische Staatstheorie« und stellte den Staat als ein Gebilde dar, das nicht in erster Linie durch Übereinstimmung geprägt ist, sondern nur durch Widerspruch verschiedener Meinungen lebendig bleibt. Zur Fertigstellung fehlten ihm, als er zurückkam, bloß noch die Fußnoten, die er nie geschrieben hat. Trotzdem bekam er 1970, jetzt als Oberassistent, einen Lehrauftrag für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Bern. Wege zu einer Professur wären ihm durchaus offen gestanden.
Im Januar 1969 hatte er einen befristeten Auftrag bei der Stadt Bern angenommen, wo man jemanden suchte, der in den städtischen Reglementenwirrwarr Ordnung brachte. Nachdem er diese Arbeit abgeschlossen hatte, wurde er zum festangestellten Rechtskonsulenten der Stadt ernannt.
Die Aussicht, ein ganz normales Leben als städtischer Beamter zu führen, erleichterte ihn, wie er in einem Brief an seinen Liedermacherfreund Fritz Widmer aus Cambridge schrieb. 1963 hatte er Joy Doebeli geheiratet, es waren drei Kinder zur Welt gekommen, und obwohl seine Frau ihre berufliche Tätigkeit als Englischlehrerin nie aufgegeben hatte, stellte sich ein Gefühl der Verantwortung für die Familie ein.
In einem Interview, das ich 1971 mit ihm führte, antwortete er auf meine Frage, ob er nicht Lust habe, hauptberuflich zu singen:
»Nein. Ich möchte nicht gerne das Gefühl haben, ich müsste mich morgens um acht Uhr in mein Studierzimmer begeben, um meine Familie zu ernähren und zu diesem Zweck wieder Lieder zu schreiben. Ich bilde mir ein, dass die Lieder, die ich schreibe und die zu schreiben ich mir die Zeit irgendwie nehmen muss, dass das dann wirklich nur die sind, die, von mir aus gesehen, einem Bedürfnis entsprechen.«
Wir können heute froh sein, dass dieses Bedürfnis stärker war als dasjenige, die Fußnoten zu seiner Habilitation zu schreiben.
Es überrascht nicht, dass Mani auch politisch aktiv war. Kaum hatte er das stimmfähige Alter erreicht, trat er dem »Jungen Bern« bei, einer Gruppe, die versprach, politische Probleme allein nach sachlichen Gesichtspunkten anzugehen und Entscheide von Fall zu Fall zu treffen, während bei den großen Parteien meist zum Vornherein klar war, wie sie sich auf Grund ihrer Ideologie zu einer Sache stellten. 1959 gelang dem »Jungen Bern« mit der glanzvollen Wahl des Pfarrers und Schriftstellers Klaus Schädelin der Einzug in die 7-köpfige Exekutive. Der Propagandachef für Schädelins Wahl war Mani Matter. Er selbst wurde bei den Wahlen ins Kantonsparlament 1960 zweiter Ersatzmann und hatte somit reelle Chancen, ein nächstes Mal gewählt zu werden, und von da an ließ er sich nicht mehr aufstellen. Er war aber von 1964 bis 1967 Präsident des »Jungen Bern«.
»mir hei e verein i ghöre derzue« hat Mani Matter gesungen und in diesem Lied von den Schwierigkeiten erzählt dazuzugehören. Als sich nach dem Austritt einiger prominenter Autoren und Autorinnen aus dem Schweizerischen Schriftstellerverein 1970 die »Gruppe Olten« zu bilden begann, war Mani bei einigen der ersten Treffen dabei. Bald debattierte man darüber, ob man einfach eine Gruppe bleiben wolle, wie etwa in Deutschland die Gruppe 47, oder ob man eine Form suchen sollte, in der man auch juristisch handlungsfähig würde, und man fragte den Juristen Mani, ob er so etwas wie Vereinsstatuten entwerfen könne. Das tat er dann, seine klaren und einfachen Statuten überzeugten auch die Hitzköpfe, und so wurde aus der Gruppe ein Verein, der bis zu seiner Wiedervereinigung mit dem Schriftstellerverein 2002 existierte. Später wussten die wenigsten, dass die juristische Fußspur dazu von Mani Matter gelegt worden war.
Ich glaube, vielen Menschen hat Manis Lied vom Verein geholfen, »würklech derzue« zu gehören, auch wenn sie gefragt werden »du lue ghörsch du da derzue?« Letztlich ist die Beschreibung des Vereins nichts anderes als die pluralistische Staatstheorie im Kleinen.
Und neben all diesen Tätigkeiten widmete er sich immer wieder der Nebenbeschäftigung, derentwegen er heute ein Begriff ist, dem Schreiben von Chansons.
Klaus Schädelin hatte einige davon auf Tonband aufgenommen, und wer immer bei ihm vorbeikam, musste sie hören. Einer davon war Guido Schmezer, damals Chef der Abteilung Unterhaltung bei Radio Bern, der Mani daraufhin zu Aufnahmen ins Studio Bern einlud. Am 28. Februar 1960 war Mani Matters Stimme zum ersten Mal am Radio zu hören.
Chansons aus jener Zeit sind etwa »dr ferdinand isch gstorbe«, »i han en uhr erfunde«, »d psyche vo der frou«, »dr herr zehnder«, »dr kolumbus«, »ds rote hemmli«, »ds eisi«, »dr heini«, »ds lotti schilet«. Damit hatte er »es zündhölzli azündt«, dessen Flamme sich rasch weiterverbreitete.
Seine Lieder wurden zunächst in Programmen des Lehrercabarets »Schifertafele« gesungen, und erst 1967 trat Mani Matter regelmäßig selbst auf, zusammen mit Ruedi Krebs, Jacob Stickelberger, Bernhard Stirnemann, Markus Traber und Fritz Widmer, für die Heinrich von Grünigen in einer enthusiastischen Besprechung im »Bund« den Sammelbegriff »Berner Troubadours« geprägt hatte.
Auch bei den Schriftstellern brachte der Gebrauch der gesprochenen Sprache frischen Gegenwartswind. Kurt Marti, der über Mani Matter einen Artikel in der »Weltwoche« schrieb, hatte den Dialekt bereits als Ausdrucksmittel entdeckt, andere wie Ernst Eggimann oder später Ernst Burren kamen dazu, Walter Vogt kreierte dafür das Stichwort »modern mundart«.
1966 veröffentlichte der eben gegründete Zytglogge Verlag Manis erste Schallplatte, die zugleich die erste des Verlags war, Berner Chansons von und mit Mani Matter (später umgeändert in »I han en Uhr erfunde«). 1967 folgte seine zweite Platte, »Alls wo mir i d Finger chunnt«. 1969 publizierte Egon Ammann in seinem »Kandelaber Verlag« das erste Chansonbändchen »Us emene lääre Gygechaschte«, für das Mani im selben Jahr den...
Erscheint lt. Verlag | 11.9.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 2024 • Dürrenmatt • eBooks • Elias Canetti • Freundschaft • Hanns Dieter Hüsch • Hommage • Kabarett • Klaus Wagenbach • Max Frisch • Neuerscheinung • Roman • Romane • Schweiz • Schweizer Bestsellerautor • Wolf Biermann |
ISBN-10 | 3-641-32378-9 / 3641323789 |
ISBN-13 | 978-3-641-32378-3 / 9783641323783 |
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