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Proxi. Eine Endzeit-Utopie (eBook)

Queer und visionär - Science Fiction Cyberpunk

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
336 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491892-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Proxi. Eine Endzeit-Utopie -  Aiki Mira
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Postapokalyptischer Hopepunk von einem Shooting-Star der deutschsprachigen Science Fiction. Proxi ist eine virtuelle Realität, die ein zweites Leben mit neuen Identitäten ermöglicht. Als ein Virusangriff diese Realität zerstört, ist das für viele ein Weltuntergang: Teile ihres Lebens, ihres Selbst sind für immer ausgelöscht. Die trans Frau Monae, die E-Sportlerin Kawi und Dion, eine KI im Biosynth-Körper wollen ihre verlorene Welt zurück. Zusammen begeben sie sich auf die Suche nach der versteckten Sicherheitskopie von Proxi. Ein Roadtrip durch eine von Klimakrise und Biohacking veränderte Landschaft beginnt. Schnell wird klar: Die drei sind aufeinander angewiesen. Um zu überleben und ihr Ziel zu erreichen, müssen sie einander vertrauen - doch nicht alle verfolgen das gleiche Ziel ...   'Das, was mich faszinierte, war die Schreibe selbst - diese präzise Art zu beobachten, die Sicherheit bei der Wortwahl, die Musikalität der Sätze. Derlei finde ich selten. Ich fühlte mich an William Gibson erinnert, nur, sagen wir mal, frischer, moderner.' Andreas Eschbach über Neongrau Für Leser*innen von Ursula K. Le Guin, Neal Stephenson, William Gibson

Aiki Mira studierte in London und Bremen Medienkommunikation und forschte zu Gaming. Heute lebt Aiki in Hamburg und in der Science Fiction. Kurzgeschichten von Aiki wurden mehrfach ausgezeichnet. TITANS KINDER stand monatelang auf der Phantastik-Bestenliste, die Romane NEONGRAU und NEUROBIEST gewannen 2023 und 2024 den Kurd Laßwitz Preis. Von der European Science Fiction Society erhielt Aiki den Chrysalis Award. PROXI, ihr neuer Roman, erschien 2024 bei FISCHER Tor.

Aiki Mira studierte in London und Bremen Medienkommunikation und forschte zu Gaming. Heute lebt Aiki in Hamburg und in der Science Fiction. Kurzgeschichten von Aiki wurden mehrfach ausgezeichnet. TITANS KINDER stand monatelang auf der Phantastik-Bestenliste, die Romane NEONGRAU und NEUROBIEST gewannen 2023 und 2024 den Kurd Laßwitz Preis. Von der European Science Fiction Society erhielt Aiki den Chrysalis Award. PROXI, ihr neuer Roman, erschien 2024 bei FISCHER Tor.

Ins Ungewisse


War es ein Fehler, Dions Notsignal zu folgen? Der Gedanke bricht über Kawi herein. Draußen steht Tell und trägt Dion auf seinen Armen. Dahinter eine Landschaft nach der Katastrophe.

Das Öffnen der Seitentür, Ächzen und Schieben. Das Entriegeln des Wohnraums. Ein verstaubtes Gesicht. So viel Draußen hängt in den Wimpern, im Haar, auf der Haut. Kawi schaudert.

»Sind alle Türen zu?« Sie kann nicht anders, jedes Mal muss sie sich vergewissern. Eine Art Zwang.

Tell nickt. »Chilla, softa, alles verschlossen.« Dann sagt er: »Sus, wir haben ein Problem.«

»Weil das nicht der Steroidkörper eines fünfzigjährigen, hundert Kilo schweren Sicherheitsmanns ist, sondern eine Biosynth?«

Tell verzieht das Gesicht. »Weil, wenn das Dion ist, sie Hilfe braucht. Bewusstlos. Vielleicht sollten wir sie in eine Klinik bringen? Oder in eine Biofabrik?«

Kawi hat ihre gesamte Kindheit in Kliniken verbracht, bis eine Ärztin ihr Gamingtalent erkannte und sie da rausgeholt hat. Da war Kawi vierzehn. Wie alt ist Dion? Sie schätzt, alt genug, um das Leben selbst in die Hand zu nehmen.

»Bă, uns bleiben nur zwei Optionen.«

»Welche, Sus?«

Kawi kann sehen, dass Tell niemals in Betracht ziehen würde, Dion hier draußen in der Einöde zurückzulassen.

»Mitnehmen oder hierlassen. Denn umkehren, Sus, das können wir nicht mehr.«

Tell verengt die Augen. »Wir können Dion nicht mitnehmen. Sie ist bewusstlos. Offline.«

»Was, wenn es bloß ein vorübergehender Schock ist?« Kawi spielt auf Zeit. Sie will ihre virtuelle Welt zurück. Das ist alles, was zählt. »Warum warten wir nicht ab? Bis …«

Tell lacht auf. »Bis was? Bis wir auf die nächste Stadt treffen? In Proto gibt es keine Stadt.«

»Aight, Sus. Lass uns erst mal das Bett machen.«

Sie klappt die Liege auf und hilft dabei, Dions Körper daraufzulegen.

Der Biosynth-Körper ist ungewöhnlich schwer und atmet flach. Eine graue Schicht hoch konzentriertes Mikroplastik verleiht der Haut einen silbrigen Schimmer. Die Gesichtszüge wie erstarrt. Der Mund leicht geöffnet. Atem pfeift hindurch. Kawi spürt die Luftmoleküle nicht, hört aber das Surren jedes Atemzugs, fühlt die flatternde Brust. Sie mustert das Gesicht. Falten und sichtbare Adern besitzen eine seltsame Symmetrie. Schultern und Hüfte eckig. Sportlich durchtrainiert in einem knisternden Folienanzug mit Reißverschluss. Kawi sucht nach einem Logo. Irgendetwas, das ihnen einen Hinweis auf Dions Herkunft gibt. Sie berührt die Synth-Hand. Ungewöhnlich kalt.

»Der Körper steht unter Schock«, sagt sie so bestimmt, als kenne sie sich damit aus. Wie bei den meisten Menschen stammt ihr Wissen aus Videos, die selbst lernende KIs im Stream verbreiten. Tell nickt erleichtert. Ohne es zu wollen, muss er an seine Nichte denken. In einer kurzen Botschaft hat er sich verabschiedet. Jetzt vermisst er sie. War es falsch, alles aufzugeben, nur um zu versuchen, eine virtuelle Welt zu retten? Nein, es geht um Monae. Am Ende tut er alles nur für sie.

Er erinnert das Auseinanderreißen von Monaes Pixel. Ein lang gezogener Ton, spitz und tödlich. Ein schneidendes Echo. Das ist alles, was ihm von Monae geblieben ist. Ein einziger Ton. Er weiß nicht, was Kawi in der Apokalypse verloren hat. Er weiß nur, dass sie wegen ihrer Agoraphobie unfähig ist, dieses Fahrzeug zu verlassen.

Und dass sie entschlossen ist, vielleicht sogar mehr als er, Proxi wiederauferstehen zu lassen. Deshalb ist er ihrem Ruf gefolgt. Sie besitzt den Willen. Zusammen können sie es schaffen. Davon ist er überzeugt. Deshalb tut er alles, was sie sagt.

 

Dion öffnet die Augen. Sie fühlt sich immer noch zu erschöpft, um aufzustehen. Mit einem Finger fährt sie über das eigene Gesicht. Das hat ihr Willa beigebracht. Wann immer sie aus virtuellen Welten wie dem Schlaf oder Proxi auftaucht und einen Anker braucht. »Suche dein Gesicht und erkenne dich selbst.« Sie hört Willas Stimme im Kopf. In der Erinnerung klingt sie etwas weicher. Dion starrt auf ihre bunt verfärbten Fingerkuppen.

»Plasse«, sagt eine Stimme, »hoch konzentrierter Plastikstaub vermischt mit Sand.«

»Ist das nicht seltsam?«, fügt eine andere Stimme hinzu. »Namen befinden sich oft direkt auf den Dingen, und sobald wir sie laut sprechen, werden Dinge genau so, wie sie heißen.«

Dion schaut hoch. Am Bett stehen zwei Personen. Eine mit nackt gelasertem Kopf, Muskelshirt und BizepsBlaster. Die andere mit schulterlangen Locken, Bartstoppeln und Schutzanzug. Die beiden stellen sich als Kawi und Tell vor. Dion nickt. Der Panther und die Sängerin. Offenbar hat es geklappt! Die Nachricht an sie zu senden war leicht. Dass die beiden tatsächlich kommen würden – damit hat Dion nicht gerechnet.

Was werden sie jetzt mit ihr tun?

»Sus, wie geht es dir?« Tell scheint ernsthaft besorgt zu sein. Das überwältigt Dion. Sie schließt kurz die Augen, geht alle Statusmeldungen ihres Körpers durch. Dann zwingt sie sich zu einem Lächeln. »Sensorische Überlastung und Ohnmacht.«

Tell atmet aus. »Mucho Mashara! Das kenne ich von der Migräne. Können wir was tun?«

Dion schüttelt den Kopf. Dann sagt sie: »Sus, ich will bloß fort.«

Kawi schnalzt mit der Zunge. »Wesh, bre, wesh, genauso hatte ich deine Nachricht verstanden. Wir wollen das auch. Weg aus Europolis. Bai-bai Europolis! Die Welt retten.«

Dion horcht auf. »Welche Welt wollt ihr retten?«

Kawi lacht. »Bă, unsere Welt natürlich! Proxi! Du warst dort. Apokalypse. In den Streams sprechen KIs von einem Virus. Aber auch davon, dass es eine Sicherheitskopie gibt, ein Duplikat in einem geheimen Rechenzentrum.«

Dion spürt das Pumpen von synthetischem Blut in ihren Gummi-Adern. »Dann existiert Proxi noch irgendwo?«

Da ist ein leichtes Zittern in ihrer Stimme. Tell und Kawi nicken, interpretieren das Zittern als Freude. »Si! Hoffnung«, ruft Tell, und Kawi fügt hinzu: »Im Stream reden sie über nichts anderes. Wir werden nicht die Einzigen sein, die sich auf den Weg machen.«

Tell lacht. »Bă, Capitána Conspiranoia!«

Kawi kräuselt die Lippen: »Bă! Wir müssen uns beeilen.«

»Warum?«, will Dion wissen, die ihre normale Stimme wiedergefunden hat.

»Sus, weißt du nicht? Gruppen haben sich zum Virus-Attentat bekannt – die werden sich ebenfalls auf den Weg machen.«

»Niemand weiß, ob es ein Virus war.«

»Genau! Und so lange sie es nicht wissen, traut sich auch niemand, die Sicherheitskopie ans Netz zu schließen.«

»Das ist magniv!«, ruft Dion, »ich meine, es ist magniv, dass ich euch gefunden habe.«

Einen Moment schauen alle nach draußen. Proto, die Post-Zukunft des Planeten, hier draußen bereits realisiert, schaut zurück. Wer weiß, was sich in ihrer Wüste verbirgt. Wie ein wilder Trieb sticht der Anblick in Dions von der Ohnmacht noch steifen Körper, entrollt eine Lüge wie ein zartgrünes Blatt und legt es auf ihre Zunge: »Lasst uns zusammen die Welt retten!«

Tell klettert nach vorne hinters Lenkrad. Dion schaut durch das Rückfenster. Die Türme von Europolis stehen wie Elektroden aus der Vergangenheit fest an die gebleichten Spitzen des Himmels gespannt. In der Ferne stottert das Leben, verwischt zu einem Fleck.

»Wie werden wir das Rechenzentrum finden?«

Kawi zuckt mit den Schultern. »Vielleicht findet es uns.« Sie verschweigt etwas. Da ist sich Dion plötzlich sicher.

Das Fahrzeug schneidet durch das Meer aus Sand, sucht nach einer Küste, hofft, als Strandgut wieder ausgespuckt zu werden.

Dion presst das Gesicht in die Fensterscheibe. »Was war hier früher mal?«

»Das Meer!«, ruft Tell.

»Mehr als eins«, knurrt Kawi.

Dion dreht sich zu Kawi. »Sus, du klingst, als hätte hier jemand ein Verbrechen begangen.«

»Mehrere«, blafft Kawi.

Panik schwappt in Dion hoch. Ein Nachbeben. Erneut durchlebt sie ein Gefühl kurz vor der Bewusstlosigkeit, wie ein Drang sich hinausschleudern – in die Gischt von Proto. Sie stellt sich vor, wie der fließende Plastiksand ihren Körper fängt und mit sich reißt.

Von draußen ertönt ein Gurgeln. Das ist der chemisch riechende Wind. Er schiebt Dünen an. Allein vom Anblick verändert sich Dions Haut. Haut, ihr äußerster Radarschirm. Sie hält still, will die innere und äußere Verwandlung nicht verpassen. Sie nimmt die Leere der Landschaft auf und denkt dabei an die Dichte der Stadt. Laut fragt sie: »Warum leben Menschen so dicht? Da muss ein Fehler passiert sein.«

Tell gibt einen hohen Ton von sich, als stimme er Dion zu. Kawi seufzt. Dann sagt sie: »Als es in dieser Gegend noch Staaten und Meere gab, lebten Menschen nicht so eng wie heute. Das nennt sich das Proto-Syndrom: Vegetation verschwindet. Sand und Plasse dehnen sich aus — der Boden wird unfruchtbar. Wir leben auf einer schrumpfenden Insel. Protos Dünenmeer ist bereits zwanzigmal größer als die gesamte Fläche von Europolis, und – es wächst weiter.«

An den Fenstern schwebt eine funkelnde Flut aus Mikroplastik vorbei. Mit von Navigationskarten flach gerechneten Hirnen können sie deren Ausmaße nicht mehr erfassen.

Proto wird zum All.

Ihr Ziel: der nächste Stern.

 

Wie in einem schwer in Gang kommenden Traum zuckeln sie über die gleichförmige Landschaft. Tell tritt das Pedal durch, und Kawi spürt unter dem Stoff ihres Shirts etwas, das sie fast aufspießt. Glück? Der Motor stolpert. BizepsBlaster surren. Tiefblaue Wolken türmen sich in den Fenstern auf und grüßen mit...

Erscheint lt. Verlag 25.9.2024
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte climate fiction • Cyberpunk • Deutsche Science Fiction • Dystopie • Feministische Science Fiction • Hopepunk • Kurd-Laßwitz-Preis • Mad Max • Neue Science Fiction 2024 • Queere Science Fiction • Science Fiction Roman • Science Fiction von Frauen • SF Neuerscheinung 2024 • Utopie
ISBN-10 3-10-491892-9 / 3104918929
ISBN-13 978-3-10-491892-1 / 9783104918921
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