Das Licht eines Jahres (eBook)
160 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60694-3 (ISBN)
Kathrin Sohst ist erfolgreiche Sachbuchautorin, Waldbaden- und Waldtherapie-Guide und achtsamer Coach?. Nach dem Berufsstart in der Wirtschaft machte sie sich mit 25 Jahren selbstständig. Ihre Reise nach innen begann. Seither begleitet sie Menschen dabei, sich mit ihrer wahren Natur zu verbinden. »Das Licht eines Jahres« ist ihr erster Roman. Sie lebt mit ihren zwei Töchtern vor den Toren Hamburgs.
Kathrin Sohst ist erfolgreiche Sachbuchautorin, Waldbaden- und Waldtherapie-Guide und achtsamer Coach. Nach dem Berufsstart in der Wirtschaft machte sie sich mit 25 Jahren selbstständig. Ihre Reise nach innen begann. Seither begleitet sie Menschen dabei, sich mit ihrer wahren Natur zu verbinden. »Das Licht eines Jahres« ist ihr erster Roman. Sie lebt mit ihren zwei Töchtern vor den Toren Hamburgs.
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch drückte Mina auf Rikes Nummer, Lilli würde sie danach anrufen.
Ihre Tante nahm sofort ab.
»Hallo, Mina, wie gut, dass du endlich zurückrufst.«
»Hallo, Rike, ich wünsche dir ein frohes neues Jahr! Entschuldige, dass ich nicht rangegangen bin. Ich habe mir gestern Abend etwas Zeit für mich genommen und vergessen, mein Handy wieder auf Laut zu stellen. Seid ihr gut ins neue Jahr gestartet? Ist alles in Ordnung bei euch?«, fragte sie atemlos.
Am anderen Ende der Leitung war es etwas zu lange still.
»Was ist los, Rike? Warum sagst du nichts?«
»Mina …« Rikes Stimme zitterte, dann holte sie tief Luft und atmete seufzend wieder aus.
Mina sank auf einen Stuhl.
»Mina, heute Morgen ist deine Großmutter gestorben. Aruna hat sich nach dem Frühstück noch einmal hingelegt, weil es ihr nicht so gut ging. Als ich dann nach ihr geschaut habe, weil ich plötzlich unruhig wurde, schlug ihr Herz schon nicht mehr.«
Mina bekam am ganzen Körper Gänsehaut. Ihr Herz schmerzte so sehr, dass sie es kaum ertragen konnte.
»Mina? Sag doch was. Bist du noch dran?«
»Ja, ich … bin noch dran«, sagte Mina so leise, dass sie sich selbst kaum hören konnte.
»Ach, Mina-Liebes, Aruna war alt«, hörte sie ihre Tante wie durch einen dunklen Schleier sagen, »es war an der Zeit für sie zu gehen. Sie war noch sehr klar, aber körperlich hat man ihr angemerkt, dass sie es nicht mehr leicht hatte. Und nun ist sie für immer eingeschlafen. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht wirkt friedlich, so, als wäre sie im Guten gegangen.«
Rikes Worte klangen gefasst, aber Mina wusste, dass es auch für ihre Tante nicht einfach war, die Familienälteste gehen zu lassen.
Mina schaute aus dem Fenster in den grauen Schneematsch.
»Ich komme zu euch!«, sagte sie dann entschlossen.
»Hier liegt ziemlich viel Schnee, Mina. Möchtest du wirklich kommen? Ich weiß nicht, ob die Straßen schon geräumt sind.«
»Ich versuche es, Rike. Ich möchte mich von Oma verabschieden und sie noch einmal sehen. Sie ist doch noch bei dir, oder?«
»Ja, sie wird erst morgen früh abgeholt. Nur die Bestatterin kommt heute, damit wir alles besprechen können.«
»Okay, dann mache ich mich jetzt auf den Weg.«
»Pass gut auf dich auf, Liebes!«
»Ja, mache ich. Bis später, Rike.«
Mina legte auf und starrte ins Leere. Das Jahr hatte doch so gut angefangen – und jetzt? So hatte sie sich ihren Besuch auf dem Lindenhof nicht vorgestellt. Mina erwischte sich dabei, dass sie einen Moment lang fast wütend auf ihre Oma war. Sie konnte doch nicht einfach so gehen! Doch dann wurde ihr bewusst, dass ihre Wut nicht Aruna, sondern sich selbst galt. Warum bloß war sie so lange nicht auf dem Lindenhof gewesen?
Mina zwang sich aufzustehen, zog sich an, schob sich eine Scheibe Brot in den Mund, trank ein Glas Wasser und schrieb Lilli rasch eine Nachricht, ohne ihr vom Tod ihrer Urgroßmutter zu erzählen. Das würde sie später persönlich am Telefon tun. Erst einmal musste sie sich selbst verabschieden und realisieren, was passiert war.
Früher wäre Mina bei einem solchen Wetter zu Hause geblieben oder hätte einen vernünftigeren Weg gefunden, sich von ihrer Oma zu verabschieden. Heute war alles anders: Getrieben von ihrer Trauer, fuhr sie einfach los.
Während der Fahrt raste ein Sturm aus Gedanken und Gefühlen durch ihren Körper, und sie musste mehrmals anhalten, um sich wieder zu konzentrieren. Mina vermisste ihre Oma schon jetzt. Aruna hatte ihr in jungen Jahren immer Halt gegeben und sie inspiriert. Und nun war sie für immer gegangen. Mina würde sie nicht mehr in ihre Arme schließen und sich auch nicht mehr von ihr umarmen lassen können. Sie kämpfte mit Schuldgefühlen, weil sie Aruna so lange nicht besucht hatte, und sie wusste nicht, wie sie diesen Verlust jemals verarbeiten sollte. Nie wieder würde sie mit ihr sprechen und Zeit mit ihr verbringen können. Ihre Erinnerungen waren das Einzige, was ihr von ihrer Oma blieb.
Ungläubig stellte Mina fest, dass sie bis zum heutigen Tage nicht realisiert hatte, dass ihre Oma irgendwann einmal nicht mehr da sein könnte. Diesen Gedanken hatte sie nie zugelassen. Und jetzt war es zu spät.
Wie sie es bei den winterlichen Straßenverhältnissen geschafft hatte, wohlbehalten anzukommen, konnte Mina sich später nicht mehr erklären. Sie musste mehr als einen Schutzengel um sich gehabt haben. Als sie endlich ihr Auto auf dem weiten Platz vor dem Lindenhof parkte, stand Rike bereits in der Eingangstür des schönen alten Bauernhauses. Vor der Kälte mit einer dicken, selbst gestrickten Wolljacke geschützt, kam ihre Tante ihr im Schnee entgegen. Sie wirkte erleichtert.
»Hallo, Liebes!«
»Hallo, Rike.«
Mina spürte, wie ihre Augen tränennass wurden. Wie lange war es her, seit sie das letzte Mal richtig geweint hatte? Sie wusste es nicht.
Dann nahmen sich die beiden Frauen in die Arme, und es schien, als fielen sie aus der Zeit. Mina hatte ihre Augen geschlossen, und ihre Tränen versiegten. In ihr war es dunkel. Und doch war da, inmitten dieser Dunkelheit, ein Licht. War es der Schnee, der hier auf dem Land nicht so schmutzig war wie in der Stadt und das Sonnenlicht durch ihre geschlossenen Augen hindurch verstärkte? Im nächsten Moment intensivierte sich das Licht, und es passierte etwas, das Mina noch nie erlebt hatte: Aruna erschien vor ihrem inneren Auge. Mit einer Kerze in der Hand kam sie sanft lächelnd auf Mina zu und schenkte ihr ein kurzes Gefühl der Wärme und Geborgenheit. Dann verschwand das Bild wieder – genauso plötzlich, wie es sich gezeigt hatte.
Rike regte sich, um sich aus der Umarmung zu lösen, doch Mina ließ noch nicht los.
»Mina, wollen wir ins Haus gehen?«, fragte Rike behutsam, dicht an ihrem Ohr.
Mina versuchte, etwas zu sagen, aber es gelang ihr nicht. Sie öffnete vorsichtig die Augen, wurde vom schneehellen Winterlicht geblendet, löste die Umarmung und schaute ihre Tante an. Diese nickte ihr sanft und gütig zu. Und als ahnte sie, dass Mina sich Vorwürfe machte, weil sie so lange nicht hier gewesen war, und es ihr das Herz zerriss, ihre Oma nicht mehr lebendig gesehen zu haben, sagte sie:
»Es ist schön, dass du jetzt da bist. Lass uns reingehen. Wir setzen uns noch ein wenig zu Aruna.«
Fasziniert, dass ihre Tante so viel klarer und tiefsinniger war als andere Menschen und intuitiv so oft die richtigen Worte für sie fand, folgte Mina Rike in die große, gemütliche Küche und ließ sich auf die Ofenbank sinken.
Im nächsten Moment hatte sie die warmen Kacheln im Rücken und einen Becher Tee in der Hand. Als sie den vertrauten Duft einatmete, derselbe von gestern Abend, stiegen ihr erneut die Tränen in die Augen.
Rike reichte ihr ein Taschentuch, setzte sich zu ihr und legte einen Arm um sie. Sie schwiegen und tranken Tee.
Nach einer Weile sagte Mina: »Rike, ich bin jetzt bereit.«
Die beiden Frauen stiegen die Stufen der kunstvoll gestalteten und bunt bemalten Treppe hinauf. Das alte Holz knarrte. Mit jedem Schritt wurde es Mina mulmiger im Bauch. Aber sie musste ihre Oma noch einmal sehen.
Rike öffnete die Tür zu Arunas Zimmer. Mina nahm allen Mut zusammen, hielt kurz inne und trat über die Schwelle. Ihr Blick wanderte zum Bett, wo sie zum ersten Mal in ihrem Leben einen Körper sah, in dem das Herz aufgehört hatte zu schlagen. Es war ein stiller, sonderbarer Moment. Rike hatte die Arme ihrer Mutter auf die Decke und die Hände ineinandergelegt. Es wirkte, als hätte sie ihr die Haare zurechtgemacht und das Bettzeug glatt gestrichen. Auf dem Nachttisch lagen Wacholderzweige, die ein Windlicht umrahmten. Darin flackerte eine Kerze, deren Farbe Mina an einen Sonnenaufgang erinnerte.
Sie ging zum Bett, berührte ganz sanft die kühle Wange ihrer Oma und strich ihr durchs Haar. Wieder liefen ihr Tränen aus den Augen. Sie blieb eine kurze Ewigkeit stehen, drehte sich dann um und ging aus dem Zimmer.
Rike folgte ihr, als das Klingeln der Türglocke die Stille im Haus unterbrach.
Es war die Bestatterin. Minas Tante bat sie in die Küche an den großen Esstisch, und sie...
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2024 |
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Illustrationen | Hanna Zeckau |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Achtsamkeit • Achtsamkeit in der Natur • Belletristik Neuerscheinung 2024 • Bestseller • bücher selbstfindung • Das Meer und ich • Frauenliteratur • Frau mit Vierzig • Geschenbuch für Freundinnen • Geschenkbuch • Inspirational • Liebe • Michaela Wiebusch • Neuanfang • Neuanfang wagen • Selbstheilung • Tessa Randau • Zweite Chance |
ISBN-10 | 3-492-60694-6 / 3492606946 |
ISBN-13 | 978-3-492-60694-3 / 9783492606943 |
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