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Vielleicht kannst du nachkommen (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Aufl. 2024
398 Seiten
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7517-6118-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Vielleicht kannst du nachkommen - Sarah Kurz
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Heidelberg, 1967: An ihrem 21. Geburtstag erfährt Anne, dass ihr leiblicher Vater ein britischer Soldat ist. Denn ihre Mutter Erika verliebte sich nach Kriegsende in Berkum bei Bonn in den jungen George. Völlig überrascht von dieser Enthüllung, die aber für Anne so manches erklärt, beschließt sie, George in London aufzusuchen. Doch in England wird sie mit deutlicher Abwehr seitens George' Ehefrau empfangen. Unterstützung findet sie hingegen bei ihrem Halbbruder und dessen bestem Freund John. Aber die Vergangenheit hat bei allen tiefe Spuren hinterlassen. Auch bei Anne, die sich manchmal fragt, ob sie jemals genug ist und ob sie es wert ist, um ihrer selbst willen geliebt zu werden.

Auf zwei Zeitebenen erzählt Sarah Kurz eine starke Geschichte von Familie, Versöhnung und Akzeptanz



<p><strong>Sarah Kurz</strong> wurde 1985 in Heidelberg geboren. Zum Studieren zog sie zwanzig Jahre später nach Freiburg im Breisgau, wo sie noch heute mit ihrem Mann, ihren Kindern und zwei Kaninchen lebt. Neben dem Schreiben und ihrer Arbeit als Lehrerin verbringt sie gerne Zeit mit ihren vielen Büchern oder in der Natur - mal mit, mal ohne Pferd.<br /></p>

5


George war in Bad Godesberg stationiert und besuchte mich so oft, wie es ging. Bislang hatten wir es geschafft, unsere insgesamt sechs Treffen unbemerkt im Wald oder in der Einsamkeit der Felder hinter den Dörfern abzuhalten, doch jedes Mal wuchs die Angst, entdeckt zu werden, ein Stück mehr. Dennoch schaffte ich es nicht, George zu sagen, dass er nicht mehr herkommen sollte, dazu fühlte ich mich einfach zu wohl mit ihm. Ich wusste nie genau, wann er auftauchte, und freute mich deshalb umso mehr, wenn ich das Motorrad hörte – und allein war.

An diesem Tag hatten wir jedoch kein Glück. Ich saß neben meinem Vater auf dem Kutschbock des hoch beladenen Heuwagens, meine jüngeren Geschwister oben auf dem frisch gemähten Gras. Während sie sangen und juchzten, versteifte ich mich, als ich das unverkennbare Knattern eines Motorrads hinter mir vernahm.

In meinem Bauch kribbelte es wie wild. Wenn es George war, durfte er unter keinen Umständen zu erkennen geben, dass wir uns kannten!

Ich lehnte mich seitlich aus dem Wagen, um an dem Grasberg vorbeizuspähen.

»Papa! Ein Motorrad mit einem Soldaten!«, rief Berta im selben Moment von oben.

Der uniformierte Motorradfahrer schloss zu uns auf. Es war George. Er tippte sich zum Gruß an die Mütze und lächelte, bremste dann aber ab und zockelte hinter dem langsamen Heuwagen her, der die gesamte Breite des Feldwegs beanspruchte.

»Der kann uns jetzt nicht überholen, erst im Dorf«, knurrte mein Vater. Er knallte mit der Peitsche, doch die Ochsen liefen kaum schneller. »Verdammte Besatzer«, zischte er so leise, dass nur ich es verstand.

Ich konnte ihm nicht zustimmen. Sicher, wir Deutsche hatten nichts mehr zu sagen und waren der Willkür der Besatzungsmächte ausgeliefert, doch ich persönlich hatte noch keine schlechten Erfahrungen mit ihnen gemacht. Im Gegenteil. Der Brite hinter unserer Kutsche wurde mehr und mehr zu einem Freund.

Es wurmte mich, dass ich heute keine Gelegenheit mehr bekommen würde, mit ihm zu sprechen. Mit George durch den Wald zu laufen oder am Feldrain spazieren zu gehen war immer wie Ferien von meinem grauen Alltag.

Ich atmete erst auf, als George am Dorfrand beim Überholen die Mütze lüftete und davonfuhr.

»Zum Glück bin ich bei dir. Am Ende hätte dieser Kerl dir noch schöne Augen gemacht«, knurrte mein Vater.

Nun, George hatte mir schon oft schöne Augen gemacht, und ich konnte nicht behaupten, dass mich das störte.

»Nicht alle Männer sind auf der Suche nach einer Frau«, sagte ich unverbindlich und hoffte, dass mein Vater das Thema auf sich beruhen lassen würde. Das Letzte, was ich wollte, war, mich durch eine unbedachte Äußerung zu verraten und keinen Schritt mehr alleine tun zu dürfen.

»Sieh dich vor«, warnte er mich noch, versank den Rest des Weges aber in Schweigen.

Ein paar Tage später hatten George und ich wieder Pech, denn als er vorbeikam, war die ganze Familie zum Heuwenden und Mähen auf den Wiesen, die zu unserem Hof gehörten. Doch dieses Mal hatte er vorgesorgt. Unauffällig und ohne dabei anzuhalten, ließ er einen Briefumschlag am Wegesrand fallen.

So langsam, wie es mir möglich war, schlenderte ich die wenigen Meter dorthin, um den Brief aufzuheben und in meiner Schürzentasche zu verstecken.

Keinen Moment zu früh, denn schon kam Großmutter Anna herangestapft.

»Was treibst du denn da?«, fragte sie verwundert. »Hier haben wir doch schon alles gewendet.«

Ich bemühte mich, nicht allzu schuldbewusst zu wirken.

»Da war ein großes Tier, vielleicht eine Ratte. Ich wollte mal nachsehen.«

Innerlich stieß ich einen Seufzer der Erleichterung aus, als sie nickte. Betont gelassen folgte ich ihr zurück zu den anderen. Ihr schwarzes Kleid flatterte bei ihren energischen Schritten.

Seit ich sie kannte, trug sie nie etwas anderes als Trauerkleidung. Meine Mutter hatte mir erzählt, dass Großmutter zwei ihrer vier Kinder sowie ihre Eltern durch die Spanische Grippe verloren hatte, und nur ein Jahr zuvor war ihr Mann an der Westfront gefallen. Danach saß sie mit ihren Großeltern, meinem Vater und Tante Luise allein auf dem Bauernhof da. Seit ich davon wusste, sah ich ihr vieles nach.

Die Stunden zogen sich trotz der vielen Arbeit dahin, während der Brief in meiner Schürze immer schwerer zu werden schien.

Wieder zu Hause angekommen, flitzte ich als Erstes nach oben in meine Kammer und stopfte den Brief unter meine Matratze. Bis ich ihn am Abend endlich lesen könnte, würde ich mich noch gedulden müssen. Noch nie hatte ich so begierig darauf gewartet, dass die Melkzeit und das Abendessen vorübergingen.

Ich wartete sogar ab, bis Großmutter Annas Atemzüge ruhig und gleichmäßig wurden, ehe ich den Brief unter der Matratze hervorklaubte und die Kerze in dem Messingständer neben meinem Bett anzündete. Elektrizität gab es nur im Untergeschoss und auch da nur in der Küche und in der guten Stube.

So leise wie möglich öffnete ich das Kuvert und zog das gefaltete Papier heraus. Georges Handschrift war ordentlich, sofern er den Brief nicht jemand anderem diktiert hatte. Ich lächelte über mich selbst, weil ich mir eine solche Möglichkeit ausmalte.

Dann begann ich zu lesen.

Meine liebe Erika,

wann sehen wir uns wieder? Jeden Tag hoffe ich, dich zu treffen, sobald mein Dienst beendet ist und ich mir ein paar Stunden mit dir stehlen kann.

Die Zeit mit dir ist die schönste, seit ich nach Deutschland gekommen bin. Bei dir vergesse ich mein Heimweh für eine Weile. Ich weiß, dass unsere Freundschaft verboten ist, doch es wäre schrecklich, dich nicht mehr zu sehen. Du bist mir lieb und teuer geworden, meine Erika. So lieb, dass ich bereit bin, gegen alle Regeln zu verstoßen, die uns hier auferlegt sind.

Wenn du also erlaubst, werde ich weiter versuchen, dich zu treffen.

Wenn du das allerdings nicht möchtest, hinterlege deine Nachricht morgen am Wegkreuz hinter dem Dorf. Ich werde sie finden.

George

Mein Herz pochte wie wild, als ich den Brief an mich drückte und die Augen schloss. Das Lächeln auf meinem Gesicht zeigte sicher all die Glücksgefühle, die in meinem Innern tobten. Trotz allem wollte George immer noch bei mir sein. Sogar trotz des Fraternisierungsverbots, das ihn seinen Posten in der Armee kosten und ihm eine Gefängnisstrafe einbringen könnte. Mir standen bei meiner Beziehung zu George meine Familie und die Dorfgemeinschaft im Weg, doch George als Brite verstieß regelmäßig gegen ein Gesetz, wenn er sich mit mir traf. Britische Soldaten durften nicht privat mit Deutschen sprechen, durften von ihnen keine Geschenke annehmen oder ihnen welche geben, und natürlich durften sie auch keine Beziehungen oder gar Ehen mit Deutschen eingehen.

Dennoch wollte ich George weiterhin treffen. Noch nie hatte mir jemand so liebevolle Zeilen geschrieben, mir so offen seine Gefühle gestanden. Ja, wir spielten mit dem Feuer, aber ich wusste, dass ich es mir nie verzeihen würde, wenn ich diesen wunderbaren Mann fortschickte.

Trotzdem würde ich ihm einen Brief schreiben. Er sollte auch einen solchen Schatz aus Papier haben wie ich, auch wenn das natürlich gefährlich war.

Für meinen eigenen Brief musste ich noch ein sicheres Versteck finden. Ein Blick zu meiner Großmutter bestätigte mir, dass sie tief und fest schlief. Niemand bemerkte mich, als ich in die Stube huschte und das zusammengerollte Papier hinter die hölzerne Madonnenfigur an der Wand klemmte. Ich vertraute das Wertvollste, das ich nun besaß, der Heiligen Mutter Gottes an. Kurz schaute ich in ihr fein geschnitztes und bemaltes Gesicht, dann bekreuzigte ich mich. Maria würde mich verstehen.

In der Küche trennte ich sorgsam ein Blatt aus Mutters Haushaltsbuch heraus und setzte mich mit Kerze, Bleistift und Papier an den Tisch. Hoffentlich konnte George mein Sütterlin überhaupt lesen. Die lateinische Schrift, die Berta in der Schule lernte, hatte ich mir noch nicht angeeignet.

Mein lieber George,

dass du mir schreibst, bedeutet mir sehr viel. Daher schreibe ich dir auch, also erschrecke nicht.

Ich möchte dich weiterhin treffen. Wenn ich dich sehe, wenn du bei mir bist, denke ich nicht daran, dass ich für immer an diesen Bauernhof und an dieses Dorf gefesselt bin. Dank dir glaube ich, dass es mehr für mich gibt. Seit du gekommen bist, wage ich es wieder zu träumen. Du bist ein Freund und Vertrauter geworden, jemand, dem ich alles erzählen kann. Um nichts in der Welt will ich darauf verzichten. Also danke ich dir, dass du so viel auf dich nimmst, um mit mir zusammen zu sein.

Ich hoffe, dich bald wiederzusehen, und denke an dich!

Deine Erika

Mit roten Wangen faltete ich den Brief zweimal. Vergebens suchte ich nach einem Kuvert, bis mir einfiel, dass ich das von George benutzen konnte. So musste ich es nicht im Misthaufen vergraben.

So aufgeregt, wie ich war, würde ich ohnehin nicht einschlafen können, deshalb beschloss ich, mich noch heute Nacht mit meiner verbotenen Post zum Wegkreuz zu schleichen. Es erschien mir auch sicherer, als bei Tage ohne Grund dorthin zu laufen. Auf diese Weise ging ich lästigen Fragen aus dem Weg – obwohl ich natürlich auch ein paar Blumen dort niederlegen und beten könnte, wenn ich das Kreuz als Briefkasten nutzte.

Noch im Nachthemd fiel mir das eigentliche Hindernis ein, das mich dazu zwang, erst am nächsten Morgen mit frisch gepflückten Blumen das Wegkreuz...

Erscheint lt. Verlag 30.8.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Als Großmutter im Regen tanzte • Besatzer • Besatzerkind • Identität • Liebe • Nachkriegszeit • Stay away from Gretchen • Uneheliches Kind • Versöhnung • verstoßen
ISBN-10 3-7517-6118-7 / 3751761187
ISBN-13 978-3-7517-6118-5 / 9783751761185
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