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Meine bessere Hälfte (eBook)

Musiker*innen erzählen über ihre Instrumente | Von Klassik bis Rock: prominente Interpreten und Bandmitglieder und ihre Klangkörper
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
256 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3277-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Meine bessere Hälfte -  Florian Werner
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Bekannte Musikerinnen und Musiker über ihre Instrumente  Ein Musikinstrument ist ein prägender Teil des Lebens. Das gilt für alle, die gern musizieren, vor allem aber für professionelle Musikerinnen und Musiker. Sie verbringen abertausende Stunden damit, kennen jeden Winkel seines Klangkörpers, haben gemeinsame Routinen - und natürlich Erinnerungen: an frühkindliche Unterrichtsstunden, an geteilte Erfolge, an traumatisches Scheitern. Viele lieben ihr Instrument, manche verzweifeln an ihm, für alle aber stellt es viel mehr dar als ein Werkzeug zur Tonerzeugung.  Der Schriftsteller Florian Werner versammelt Beiträge zu den unterschiedlichsten Instrumenten: von der Geige über die Gitarre, die Trompete, den Bass und die Drehleier bis hin zum elektronischen Sampler. Bekannte Größen aus Pop, Rock, Klassik und Jazz stellen in Texten und Bildern ihre musikalischen Lebensgefährten vor. Sie erzählen vom Suchen und Finden des richtigen Instruments, von gemeinsamen Erlebnissen auf und abseits der Bühne, von den Freuden des Spielens und den Qualen des Übens - und davon, wie ein eigentlich unbelebter Gegenstand zu einem Wegbegleiter wird, den man nicht mehr missen will.

Florian Werner wollte ursprünglich selbst Musiker werden und schreibt jetzt erzählende Sachbücher und Prosa, war auch schon als Herausgeber zugange. Zuletzt erschienen: 'Die Raststätte. Eine Liebeserklärung' (Hanser Berlin 2021) sowie 'Der Stuttgart Komplex. Streifzüge durch die deutsche Gegenwart' (Klett-Cotta 2022). Er lebt mit Svenja Flaßpöhler und zwei gemeinsamen Kindern in Berlin.

Florian Werner wollte ursprünglich selbst Musiker werden und schreibt jetzt erzählende Sachbücher und Prosa, war auch schon als Herausgeber zugange. Zuletzt erschienen: "Die Raststätte. Eine Liebeserklärung" (Hanser Berlin 2021) sowie "Der Stuttgart Komplex. Streifzüge durch die deutsche Gegenwart" (Klett-Cotta 2022). Er lebt mit Svenja Flaßpöhler und zwei gemeinsamen Kindern in Berlin.

Die Erste


© Frank Spilker

Von Frank Spilker

Meine Erste war eine Framus aus den Sechzigerjahren, die ein Freund meines Bruders auf dem Dachboden liegen hatte und die erst noch restauriert werden musste, bevor man sie benutzen konnte. Genauer: Sie hätte restauriert werden müssen, damit man sie hätte benutzen können. Ich benutzte sie trotzdem und lernte meine ersten Akkorde auf ihr.

Obwohl es auch sehr gute Gitarren von dieser Firma gab, sind die meisten der heute nur noch gebraucht erhältlichen Exemplare billige Kaufhausmodelle, die notorisch schlecht verarbeitet sind. So schlecht, dass sie sich, wie meine, gar nicht wirklich stimmen lassen. Ich drehte an den Wirbeln herum und wusste nicht, woran es lag, dass bei mir kein einziger Akkord gerade herauskam. War ich etwa untalentiert? Es gab leider niemanden, der mir helfen konnte, und mir kam nicht einmal der Gedanke daran, dass es vielleicht gar nicht an mir, sondern an der Gitarre liegen könnte.

Trotzdem war die Framus meine erste große Liebe. Ich schleppte sie mit auf die Jugendfreizeit in der Lüneburger Heide, klebte ihr eine rote Rose auf den Korpus und gab erste Konzerte oben auf einem der Doppelstockbetten, während meine Mitmusiker auf den anderen Doppelstockbetten saßen und sangen. Zusammen »performten« wir die Lieder der Mundorgel. Das war in den Achtzigerjahren offensichtlich immer noch der kleinste gemeinsame Nenner, wenn es um das Klampfen am Lagerfeuer ging. Da ich wegen des einsetzenden Stimmbruchs zum Singen schlicht nicht in der Lage war, fand ich meine Rolle in der musikalischen Begleitung. Dabei konnte ich nicht einmal das besonders gut. Bei manchen Tonleitern fehlte mir schlicht noch das Akkordwissen. Aber es hat funktioniert: Martina hat für mich geklatscht. Und das hat mich glücklich gemacht.

Glücklicher jedenfalls als die Instrumente, die eigentlich für mich bestimmt waren: die Blockflöte und das Klavier. Beide Instrumente hatten den didaktischen Zweck, mir das Notenlesen beizubringen, wobei sich Didaktik für mich immer ein bisschen so angehört hat wie Diktatur. Obwohl, ich mochte meine erste Klavierlehrerin, und ich mochte auch das Instrument. Dass die Gitarre immer nur Mittel zum Zweck gewesen sein soll, stimmt allerdings auch nicht. Nachdem ich mich durchgekämpft und nicht aufgegeben hatte, die Framus halbwegs in Stimmung zu bringen, bekam ich endlich, noch vor dem Konfirmationsgeld, den nötigen Betrag für ein funktionierendes Modell zusammen: eine Westerngitarre von Yamaha. Auch ein billiges Ding eigentlich, aber ausreichend gut verarbeitet, um den Lernenden nicht völlig zu frustrieren.

Ich muss hier kurz einschieben, dass mein Fachwissen über die Qualität, Verarbeitung und den Sound von Akustikgitarren sehr lückenhaft ist. Bis auf den heutigen Tag fürchte ich die Begegnung mit »richtigen« Gitarristen, den sogenannten Profis – jedenfalls dann, wenn sie sofort von Marken, Hölzern und Mechaniken zu sprechen anfangen, von denen ich keine Ahnung habe. Es ist manchmal sehr schwierig, aus so einer Situation wieder herauszukommen, weil man immer wieder merkt, dass es den Profis doch recht wichtig ist, über ihr Instrument zu sprechen, und dass es sie anscheinend auch verletzt, wenn man an diesem Gespräch nicht so interessiert ist, wie sie es sich erhoffen.

Zurück zum Thema: Die Yamaha habe ich geliebt. Sie war nicht so zickig wie die Framus und hat mich allein schon durch ihren Klang berauscht. Oft habe ich mein Ohr direkt an den Korpus gelegt, um mich in der warmen, weichen Wolke eines e-Moll-Akkords zu beruhigen. Meistens direkt nach der Schule. Das hat erstaunlich lange funktioniert, bis sich der Effekt durch die Wiederholung abgenutzt hat. Dann musste der Akkord gewechselt werden, und schon bald wurde mit dem zweiten oder dritten Akkord ein Song draus. Dieser Klang und die Songs, die bald entstanden, waren wichtig für mich, und zwar unabhängig davon, ob Martina das mochte.

Ich kann mich nicht erinnern, dass der Sound des Klaviers mich ähnlich bewegt hätte wie der der Gitarre. Außer natürlich, wenn Opa »Ich bete an die Macht der Liebe« darauf spielte. Er hatte eine fürchterliche Kraft im linken Arm, weil er immer den Hof fegte. Das war eine seiner Hauptbeschäftigungen. Der Weg, um auf dem Klavier so weit zu kommen, erschien mir damals aber als zu lang. Und alles am Klavierunterricht war analytisch. Erst mal Noten lesen, erst mal Tonleitern üben, erst mal nur einen Finger pro Hand usw. Ich wollte weder Tonleitern üben noch den Hof fegen. Das sollte Opa ruhig weiter machen.

Die Gitarre habe ich dann autodidaktisch erlernt, aber nicht allein. Der Vater meines besten Freundes hat uns die Brosamen hingeworfen, die wir mühsam aufgepickt und verarbeitet haben. Anstatt uns zu unterrichten, hat er uns etwas vorgespielt und uns motiviert, ganz im Sinne von Antoine de Saint-Exupéry: »Wenn du ein Schiff bauen willst, beginne nicht damit, Holz zusammenzusuchen, Bretter zu schneiden und die Arbeit zu verteilen, sondern erwecke in den Herzen der Menschen die Sehnsucht nach dem großen und schönen Meer.« Die beste Idee.

Nach der Mundorgel kam Peter Burschs Gitarrenbuch. Die Bibel der Autodidakten, die zusammen mit einer Schallfolie geliefert wurde – das war eine äußerst dünne und leichte Version einer Schallplatte, auch »Flexi Disc« genannt; man musste sie auf eine andere, dickere Schallplatte legen, damit man sie abspielen konnte. Nach getaner Gitarrenarbeit im Partykeller erholten wir uns zu den Klängen von Kraftwerk, Pink Floyd oder Meditationsmusik von Tangerine Dream oder Mike Oldfield. Es wurde alles durcheinandergeworfen, und immer wieder wurden die Beatles gespielt. Das Beatles Complete-Songbook (Gitarrenausgabe) war bald wichtiger als die von Peter Bursch empfohlenen Folk-Songs von Dylan, Cohen et al. Und so gerieten die ersten eigenen Kompositionen zu einer Mischung aus Folk, Beat und Meditationsmusik mit Gitarre am Ohr.

Bald schon würden wir die Erfahrung machen müssen, dass so etwas nun wirklich niemand hören wollte. Das war eine ebenso schmerzhafte wie wichtige Erfahrung, die man nur machen kann, wenn man sich wirklich heraustraut mit dem, was man macht und tut – ob es Instrumentalmusik ist, Coverversionen oder sogar eigene Songs. Letzteres ist die Königsdisziplin, weil man ja so viel von sich preisgeben muss, und man fängt am besten damit an, bevor die Pubertät einsetzt.

Kurzer Exkurs: In unserer Nachbarschaft, im Rosenweg, gab es zwei sehr talentierte junge Musiker, die hießen Simon und Garfunkel. Eigentlich hießen sie Simon Müller und Thorsten Sadowski, aber für uns nur Simon und Garfunkel. Sie schrieben die wunderbarsten Instrumentals für zwei Akustikgitarren oder mehr. Manchmal sangen sie auch, sogar selbst geschriebene Gesänge, die vom Stimmbruch komplett ungetrübt waren. Als wir sie aber fragten, ob sie mal mit uns auftreten würden, protestierten sie vehement. Es stand für sie außer Frage, ihr von Pubertätsdüften parfümiertes Zimmer jemals für ein Konzert, gar für ein öffentliches, zu verlassen. Und so ist dann auch nie etwas aus ihnen geworden. Jedenfalls nichts Vernünftiges wie Folk- oder Schlagersänger.

Die Erfahrung, dass der Erfolg doch nicht immer so durchschlagend ist, wie man ihn sich ausmalt, habe ich ebenfalls zum Glück nicht allein machen müssen. Es ist nämlich gar nicht leicht, aus all dem falschen Applaus und vergifteten Lob um einen herum herauszufiltern, was einem wirklich gesagt werden soll. Einer der schönsten Songs, den ich zusammen mit Kumpel Carsten geschrieben habe, war »Afrika«. Er ist glücklicherweise nicht erhalten, die Realität hätte keine Chance gegen die Erinnerung: zwei klampfende Dreizehnjährige, die ihre Utopie an einen Ort Namens Afrika heften, von dem sie keine Ahnung haben. Nichts als eine exotistische Schwärmerei, getriggert von Tierfilmen wie Die Wüste lebt von Walt Disney. Genug allerdings, um den Inhaber des örtlichen Reformhauses zu begeistern. Der ehemalige Afrikareisende wollte uns ganz groß herausbringen. Leider erinnerte er sich am nächsten Tag nicht mehr daran. Im letzten Moment kaufte er sich mit zehn D-Mark pro Musiker aus dem in Trunkenheit gegebenen Versprechen, er werde uns produzieren, heraus. Aber immerhin, ein erster Schritt war gemacht. Und jetzt hieß es, nicht aufgeben, sondern weiter komponieren und auftreten. Irgendwann würde es dann schon klappen mit dem Erfolg.

Die Gitarre ist in dieser Zeit für mich von einem Sucht- und Schmerzmittel zu einem sozialen Ort geworden. Ich kann gar nicht sagen, ob hinter der Entwicklung eine Entscheidung gesteckt hat. Die Hormone kickten rein. Es war eine Menge los. Wer erinnert sich schon so genau? Die Jugend- und Jungsfreundschaften wurden überlagert von Cliquen und Flirts, und an die Stelle von Folk und Mundorgel trat Punk in mein Leben. Postpunk, um genau zu sein. Erst in Form von Goth und Gruppen wie Joy Division, danach etwas lebensbejahender durch New Wave und NDW. Und was machten die Gitarren bei, sagen wir, Siouxsie and the Banshees? Ungefähr das, was sie bei The Cure auch machten: in erster Linie Sound. Das Instrument, das den Ton unter und hinter dem Chorus-Effekt hervorrief, war eigentlich relativ egal. Hauptsache, es sah gut aus. (Übrigens bewundere ich die Gitarrenarbeit von Robert Smith. Nicht,...

Erscheint lt. Verlag 31.10.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Gitarre • Hiphop • Jazz • Keyboard • Klassik • Klavier • Konzert • Musik • Pop • Rock • Violine
ISBN-10 3-8437-3277-9 / 3843732779
ISBN-13 978-3-8437-3277-2 / 9783843732772
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