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Munk (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
384 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-28591-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Munk -  Jan Weiler
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Geistreich, tiefsinnig, humorvoll - Bestsellerautor Jan Weiler schreibt über die Liebe
Erfolgreich und allein - so steht der Architekt Peter Munk mit 51 Jahren da. Beziehungsweise liegt da, mit einem Herzinfarkt auf der Rolltreppe in der dritten Etage eines Kaufhauses. Er überlebt, doch es gibt niemanden, den er vom Krankenhaus aus benachrichtigen möchte. In der Rehaklinik trägt sein Therapeut ihm auf, in seiner Selbsterforschung bei den Menschen zu beginnen, die ihn zu dem Mann gemacht haben, der er ist. Und so blickt Peter Munk erstmals auf die dreizehn Frauen seines Lebens und auf die Lektion, die er von jeder einzelnen gelernt hat. Mit überraschendem Ausgang.

Jan Weiler, 1967 in Düsseldorf geboren, ist Journalist und Schriftsteller. Er war viele Jahre Chefredakteur des SZ Magazins. Sein erstes Buch »Maria, ihm schmeckt's nicht!« gilt als eines der erfolgreichsten Debüts der letzten Jahrzehnte. Es folgten unter anderem »Antonio im Wunderland«, »Mein Leben als Mensch«, »Das Pubertier«, »Die Ältern« und die Kriminalromane um den überforderten Kommissar Martin Kühn. Auch sein Roman »Der Markisenmann« stand monatelang auf der Bestsellerliste. Neben seinen Romanen verfasst Jan Weiler zudem Kolumnen, Drehbücher, Hörspiele und Hörbücher, die er auch selbst spricht. Er lebt in München und Umbrien.

1


Als Peter Munk zwei Tage nach seinem einundfünfzigsten Geburtstag auf der Rolltreppe des Globus zwischen der zweiten und dritten Etage einen Herzinfarkt erlitt, ergriff ihn weder Todesangst noch Verunsicherung, sondern reine Empörung. Das ist entschieden zu früh, dachte er, ganz entschieden zu früh und auch völlig der falsche Ort für so etwas.

Während er auf die Knie sank und nach Luft schnappte, dachte er weniger an die Gefahr dieser Attacke, sondern an jene, die am Ende der Rolltreppe drohte, wenn sein Schal, womöglich auch sein Mantel, unaufhaltsam in die Mechanik gezogen würden. In den wenigen Sekunden – es waren vierzehn –, die er benötigte, um auf der Treppe zu knien und zu begreifen, dass er einen Herzinfarkt erlitt, machte er sich mehr Gedanken über die betriebliche Störung, die er im Züricher Warenhaus Globus verursachte, als über jene in seinem Brustkasten. Und auch wenn Peter Munk sich diesen merkwürdigen Umstand in jenem Moment nicht klarmachte, so war genau dieses Verhalten einer der Gründe für seinen Herzinfarkt. Er besaß einfach keinen intakten Blick auf die wesentlichen Dinge des Lebens.

Später würde er oft darüber nachdenken, warum er im Augenblick dieser lebensgefährlichen Situation nicht um Hilfe rief, nicht einmal leise darum bat, sich nicht aufbäumte, keinen Ausweg aus ihr suchte, sondern lediglich fand, dass es dafür zu früh im Leben sei und ihm die Umstände leidtaten, die er dem Personal des Warenhauses sowie den Rettungssanitätern und allen Kunden bereitete, die vielleicht gerne ebenfalls in die dritte Etage des Globus gefahren wären.

Er selbst hatte dies getan, um ein Paar Handschuhe zu ersetzen, die ihm auf der Fahrt in die Schweiz am Morgen im Zug verloren gegangen waren. Vor der Rückfahrt nach einem geschäftlichen Termin nahm er die Gelegenheit wahr, in das Kaufhaus am Bahnhof zu laufen, rasch rasch, und die Handschuhe zu besorgen. Auch wenn er sicher war, dass er sie anschließend ohnehin wieder im Zug nach Freiburg liegen lassen würde. Es war nicht seine Art, Dinge zu verlieren, aber an diesem Tag war es geschehen und weil er sich seitdem in einer seltsamen Stimmung befand, schien es ihm bereits vor dem Kauf der neuen Handschuhe unausweichlich, dass er am kommenden Montag erneut günstigen Ersatz besorgen und dem Finder seiner guten, quasi ungetragenen Merola-Handschuhe ein schönes Leben wünschen würde.

Da sein Leben von solcherart Zweckpessimismus begleitet wurde, freute er sich immer sehr darüber, dass Feuerzeuge, Schlüssel, Telefone oder eben Handschuhe lange bei ihm blieben, was der Regelfall war, weil er ängstlich darauf bedacht war, dem Schicksal von Verlusten auszuweichen.

Das funktionierte hervorragend bei Dingen, nicht aber bei Menschen. Munk war mit einundfünfzig Jahren ledig und auch niemandem verbunden. Eigentlich war er allein, denn seine Eltern waren tot und seine Schwester Annegret lange ausgewandert. Australien. Weiter von ihm weg ging gar nicht. Die Geschwister gratulierten einander zum Geburtstag und wünschten ein frohes neues Jahr. Mehr Kontakt gab es nicht. Wenn sie nach Europa kam, erfuhr er das nur durch ihre Postings in sozialen Netzwerken. Sie meldete sich nicht bei ihm. Und er beschwerte sich nicht darüber. Seine einzige symbolhafte Reaktion auf ein Foto, das sie mit ihrem australischen Mann beim Zibelemärit in Bern zeigte, bestand darin, nicht darauf zu reagieren.

Peter Munk war bis vor Kurzem gerne und oft nach Zürich gekommen. Er fand, dort zu leben sei, wie in einem warmen Apfelkuchen zu wohnen. Allerdings empfand er den Ort als zu teuer und die Menschen zu abweisend, um sich dauerhaft niederzulassen. Der Grund für seine häufigen Besuche war vor drei Monaten hinfällig geworden, weil Nadja ihn verlassen und sich einem Perkussionisten zugewandt hatte, was bei Munk beträchtlichen Ekel hervorrief. Perkussionisten fand er das Letzte. Nadja und er waren ein Dreivierteljahr zusammen gewesen und in der Rückschau nahm sie damit einen guten Platz im oberen Mittelfeld ein, denn nur wenige hatte er länger an seiner Seite.

Als er vor Tagen den Termin in Zürich bestätigte, machte er sich Sorgen, ihr zu begegnen, vielleicht sogar in Begleitung von Conga-Klaus. Darauf hatte er keine Lust, beruhigte sich aber dann mit der selbsthypnotischen These, dass Zürich zwar nicht besonders groß war, aber nicht klein genug, um zwangsläufig aufeinanderzutreffen. Außerdem konnte er dies schon dadurch vermeiden, dass er die Stadt gar nicht richtig betrat, sondern mit dem Taxi vom Bahnhof zu seinem Termin bei einem Bauherrn in Zollikon fuhr und auf dieselbe Weise zurück. Wenn Bongo-Bernd nicht zufällig Taxifahrer war, ließ sich eine Begegnung mit beinahe hundertprozentiger Sicherheit ausschließen. Als er entschied, vor der Abfahrt des Zuges noch ins Globus zu gehen, war er nach dem geschäftlich erfolgreichen Tag, an welchem er sich zudem auf eine geradezu triumphal geschickte Weise vor seiner Ex-Freundin verborgen hatte, sicher, Nadja im Kaufhaus nicht über den Weg zu laufen.

Und dann stand sie einfach so an einem Verkaufstresen in der Parfümerie und fächelte sich Duft von einem Pappstreifen ins Gesicht. Jedenfalls glaubte er das. Es hätte sich um jede andere schlanke Züricher Dame mit blonden Haaren handeln können. Dafür sprach, dass die Frau einen Shearling-Mantel von Loro Piana trug, wie Munk ihn ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Dagegen sprach, dass er sie lediglich von hinten sah. Er hätte, um sich zu vergewissern, in einem angemessenen Bogen um sie herumlaufen müssen, um dann beiläufig von der Seite zu schauen, ob neben dem Mantel auch die Nase zu Nadja passte, eine Nase, die ebenso schmal wie lang war und durch ihre leicht nach oben zeigende Spitze auf eine ganz hinreißende Weise unverwechselbar.

Innerhalb von Sekunden wog Munk das Risiko, dabei von ihr entdeckt zu werden und ihr in die Augen sehen zu müssen, gegen die Möglichkeit ab, dass es sich um ganz jemand anderen handelte. Auch das fühlte sich für ihn nicht gut an, denn wenn er nun nachschaute, hieß das, dass sie ihm immer noch etwas bedeutete. Dass er Laufwege ändern würde, nur um sich zu vergewissern. Dass es ihm wichtig war, sie noch einmal zu sehen. Dass er womöglich enttäuscht wäre, wenn sie nicht Nadja war. Also entschied er, die Frau mit dem Mantel gar nicht richtig wahrgenommen zu haben, und lief zur Rolltreppe. Zwanzig Minuten hatte er noch, bevor sein Zug abfuhr, und wenn er bei den Handschuhen entschlussfreudig wäre, könnte er noch einen Espresso nehmen.

So eilte Peter Munk in die erste Etage des Globus, wechselte die Treppe und fuhr weiter in die zweite und dachte an nichts anderes als an die Frau in dem Mantel, und als er in der zweiten ankam, war er sich vollkommen sicher, dass es Nadja gewesen war. Er blieb am Ende der Rolltreppe stehen, wodurch eine ältere Dame gegen ihn stieß. Er trat einen Schritt vor, entschuldigte sich, blieb unschlüssig über die Frage, ob er umkehren und noch einmal nach unten fahren sollte, um sich zu vergewissern. Und dann? Konnte man womöglich noch einmal reden.

Sie hatten vor Wochen das letzte Mal gesprochen, nicht an Weihnachten und auch nicht an Neujahr geschrieben. Womöglich war der Perkussionist längst Vergangenheit und Nadja dachte selbst, dass es sich um einen ihren Munk verletzenden und dadurch schwer zu korrigierenden Irrtum gehandelt hatte. Und nun traute sie sich nicht, bei Munk anzurufen, und betäubte sich stattdessen mit einem Duft von Guerlain.

Munk fuhr zurück in die erste Etage, blieb abermals am Ende der Treppe stehen, anstatt zu gehen, dachte nach und verwarf die nun blödsinnige Idee, eine fremde Frau anzuglotzen, bloß weil sie ihn von fern an Nadja erinnerte, die er verloren hatte und die sicher Wichtigeres zu tun hatte, als an einem kalten Mittwoch Ende Februar nachmittags um 15:23 Uhr Parfüm auszuprobieren.

Und selbst wenn sie es war: Es würde nichts ändern. Ansprechen konnte er sie nicht, wie auch? »Was machst du denn hier?« Oder: »Sieh mal einer an, die Frau Bürklein kauft sich einen neuen Duft.« Vollkommen egal, was auch immer er sagen würde, es waren immer die Worte eines Verlassenen und eben niemals jene des interessanten Mannes, den sie kennengelernt hatte. Der konnte er für sie nicht mehr sein. Er hätte versuchen können, ihn vorzuspielen, nach Art eines Heiratsschwindlers aus Portofino. Doch vermutlich hätte sie ihn dabei durchschaut, ihn mit einem Blick entwaffnet und sich, eine Ausrede verwendend, schnell verabschiedet. Sie anzusprechen erschien ihm als eine Zumutung. Was für eine Dummheit.

Sie hatte die Beziehung zu Munk beendet, in einem zähen Gespräch, unter Tränen und doch vollkommen sicher. Er saß ihr in ihrem Lieblingscafé gegenüber, sprachlos, überrascht, ohne Argumente oder auch nur irgendeine Idee, wie er Nadja hätte halten können.

Diesem letzten Treffen war eine wochenlange Hängepartie vorausgegangen. Da kam er wochenends nach Zürich, wissend, dass sie es gar nicht wünschte. Oder sie besuchte ihn in Freiburg und sie gingen nur stumpf und stumm zum Kybfelsen und zurück, anstatt wie zuvor beim Wandern angeregt zu plaudern. Sie zog sich nicht mehr vor ihm aus und er schloss die Tür hinter sich, wenn er ins Bad ging. Es war, als zöge langsam und klamm ein Nebel zwischen ihnen auf, jedenfalls sahen sie einander nicht mehr, und wenn, dann mit Argwohn, denn natürlich spürte er, dass es nicht mehr stimmte, und er fragte sich, ob es jemals gestimmt hatte. Je dichter der Nebel wurde, desto unsicherer tasteten beide darin umher.

Aber Munk traute sich nicht, das Schweigen zwischen ihnen zu durchbrechen, aus Sorge davor, dass sie es dann aussprechen und es beenden würde. Er sprach es nicht an, hielt das für tapfer,...

Erscheint lt. Verlag 18.9.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2024 • Bestseller • eBooks • Lebenskrise • Liebe • Neuerscheinung • Roman • Romane • Zürich
ISBN-10 3-641-28591-7 / 3641285917
ISBN-13 978-3-641-28591-3 / 9783641285913
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