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Bekenntnisse eines Italieners - (eBook)

Roman. Übersetzt von Barbara Kleiner, mit einem Nachwort von Klaus Harpprecht

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024
1072 Seiten
Manesse Verlag
978-3-641-32060-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bekenntnisse eines Italieners  - - Ippolito Nievo
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«Was Verdi für die Musik, ist dieser Autor für Italiens Literatur.» Lothar Müller
Erzählt wird in diesem epochalen Historienroman die bewegende Lebensgeschichte eines Italieners - von ihm selbst. Carlo Altoviti, ein Herr von über achtzig Jahren, lädt ein, Rückschau auf sein Leben zu halten, das abenteuerlicher kaum verlaufen hätte können: von der Geburt im Jahre 1775 und der Kindheit auf Schloss von Fratta im Friaul über seine Lehrjahre in die Republik Venedig, den gesellschaftlichen Aufstieg, seine Erziehung zum Gentiluomo in der Schule des Lebens, bis zum couragierten Kämpfer um Recht und Freiheit in den napoleonischen Kriegen ... Der überzeugte Republikaner und Familienvater hat alle Höhen und Tiefen erlebt, die einem Menschen vergönnt sein können. Dass er sich inmitten aller Schicksalsschläge seine Zuversicht und Heiterkeit bewahrt hat, macht diesen großen italienischen Roman zu einem überaus bewegenden Zeugnis tiefer Humanität.

Ippolito Nievos Bekenntnisse eines Italieners, von Barbara Kleiner famos ins Deutsche übersetzt, sind ein Denkmal jener entscheidenden Epoche des Umbruchs und der Klärung, ihrer Grausamkeit wie ihrer Grandezza. Der Autor beschwört ein vereintes, republikanisches Italien herbei - in einer wunderbar klaren, farbigen Sprache, wie sie seiner Vorstellung einer volkstümlichen Literatur entspricht, und im kunstvollen Verschränken verschiedenster Perspektiven. Der Geniestreich eines begnadeten Erzählers und ein historisches Großpanorama ohnegleichen: «das Gegenstück zum Gattopardo» (Lothar Müller).

Ippolito Nievo (1831-1861) ist neben Alessandro Manzoni der bedeutendste italienische Romancier des 19. Jahrhunderts. Seine «Bekenntnisse» sind das Werk eines Frühgereiften. An der Seite Garibaldis eng in den Unabhängigkeitskampf seiner Heimat eingebunden, fand Nievo nach der ruhmreichen Befreiung Siziliens bei einem Schiffbruch den frühen Tod.

Zweites Kapitel

Worin man endlich erfährt, wer ich bin, und in groben Zügen mein Charakter geschildert wird, das Wesen der Komtess Pisana und die Gewohnheiten der Schlossherren von Fratta. Außerdem wird gezeigt, wie die Leidenschaften des reifen Menschen sich schon früh im Kinde abzeichnen, wie ich vom Pfarrer von Teglio das Buchstabieren lernte und Komtess Clara von Signor Lucilio das Lächeln.

Das erste Kapitel wird beim Leser vor allem Neugier geweckt haben, nun endlich zu erfahren, wer denn dieser Carlino ist. Tatsächlich war es ein großes Mirakel oder ein ausgemachter Schwindel, dass ich Euch ein ganzes Kapitel lang in meinem Leben herumführen und Euch beständig von mir erzählen konnte, ohne zuvor zu sagen, wer ich bin. Aber da man es Euch früher oder später ja doch wird sagen müssen, wisset also: Ich kam als Sohn einer Schwester der Gräfin von Fratta zur Welt, bin mithin ein Vetter ersten Grades der Komtessen Clara und Pisana. Meine Mutter hatte, wie ich es nennen würde, eine Ausreißerehe mit dem hochwohlgeborenen Herrn Todero Altoviti geschlossen, einem Edelmann aus Torcello42; das heißt, sie war mit ihm auf einer Galeere, die in die Levante ging, geflohen, und auf Korfu43 hatten sie geheiratet. Doch anscheinend war ihr die Lust am Reisen schon bald vergangen, denn nach vier Monaten war sie ohne Ehemann zurückgekehrt, gebräunt von der Sonne von Smyrna und obendrein schwanger. Kaum hatte sie mich zur Welt gebracht, schickte sie mich kurzerhand in einem Körbchen nach Fratta; und so wurde ich am achten Tag nach meiner Geburt Gast der Muhme. Ein wie willkommener Gast, kann sich jeder denken, bei der Art, wie ich dorthin gelangte. Meine Mutter, die Ärmste, war auf Betreiben der Familie aus Venedig verbannt worden und hatte sich unterdessen mit einem Schweizer Hauptmann in Parma niedergelassen; von dort nach Venedig zurückgekehrt, hatte sie ihre Tante um Erbarmen angefleht und war im Hospital gestorben, mutterseelenallein. Diese Dinge erzählte mir Martino, und wenn er sie erzählte, musste ich weinen, aber ich habe nie erfahren, woher er das wusste. Von meinem Vater hieß es, er sei in Smyrna gestorben, nachdem seine Frau ihm davongelaufen war: Einige behaupteten, an gebrochenem Herzen, weil sie ihn verlassen hatte; andere, aus Verzweiflung über seine Schulden; wieder andere, an einer Entzündung, die er sich durch übermäßiges Trinken von Zypernwein zugezogen hatte. Die wahre Geschichte hat man allerdings nie in Erfahrung bringen können, und bei den Levantinern war auch ein Gerücht im Umlauf, er sei vor seinem Tod noch Türke geworden. Ob er nun Türke war oder nicht, mich hatte man in Fratta getauft, weil man nicht wusste, ob das in Venedig bereits geschehen war, und da die Aufgabe, einen Namen für mich auszusuchen, dem Pfarrer überlassen blieb, gab er mir den Namen des Heiligen des Tages, und das war eben San Carlo. Dieser rechtschaffene Priester hatte keine Vorliebe für einen bestimmten Heiligen des Paradieses und auch keine Lust, sich den Kopf zu zerbrechen und sich einen besonderen Namen auszudenken, und ich bin ihm dankbar dafür, denn die spätere Erfahrung hat mir gezeigt, dass San Carlo auch nicht schlechter ist als jeder andere.

Die Gräfin hatte ihr glänzendes Leben in Venedig seit wenigen Monaten erst aufgegeben, als das Körbchen bei ihr eintraf; also könnt Ihr Euch ausmalen, wie sehr sie beim Anblick von dessen Inhalt in Zorn geriet! Zu all den lästigen Pflichten und Obliegenheiten, die sie ohnehin schon hatte, auch noch ein Kind, das man zur Amme geben musste – und obendrein das Kind einer Schwester, die sich und die ganze Familie entehrt hatte; und dann diese liederliche Ehe mit einem halben Zuchthäusler aus Torcello, aus dem man nie recht hatte schlau werden können! Vom ersten Blick an also empfand die Frau Gräfin für mich die aufrichtigste Abneigung; und ich bekam die Folgen davon alsbald zu spüren. Erstens hielt man es für überflüssig, für ein Balg, das von wer weiß woher gekommen war, eine Amme ins Haus zu nehmen oder zu besolden. Also blieb ich der Obhut der Vorsehung überlassen und wurde von einem Haus ins andere weitergereicht, wo es Brüste zum Saugen gab, wie das Ferkelchen des heiligen Antonius oder wie die vaterlosen Gemeindekinder. Ich bin Ziehbruder sämtlicher Menschenkinder, Kälber und Zicklein, die in diesem Zeitraum im Gerichtskreis von Schloss Fratta zur Welt kamen; und zur Amme hatte ich außer sämtlichen Müttern, Ziegen und jungen Kühen auch alle alten Weiber und Männer im ganzen Umkreis. Tatsächlich erzählte mir Martino, dass er mir manchmal, wenn er mich vor Hunger zappeln sah, aus Wasser, Butter, Zucker und Mehl einen gewissen Brei anrührte, womit er mich fütterte, bis die Nahrung, wenn sie in die Kehle gelangte, meinem Weinen ein Ende machte. Und ebenso erging es mir in vielen Häusern, wo die Brüste, die mich an diesem Tag nähren sollten, längst von einem dicken, hungrigen Kind von achtzehn Monaten leer gesaugt worden waren.

Nachdem ich so durch ein wahres Wunder die ersten Jahre überlebt hatte, teilte sich der Pförtner des Schlosses, der auch die Aufsicht über die Turmuhr innehatte und Waffenschmied der Gegend war, mit Martino den Ruhm, mir die ersten Schritte beizubringen. Es war dies ein gewisser Meister Germano, ein Häscher vom alten Schlag, der wohl etliche Morde auf dem Gewissen haben mochte, aber sicherlich einen Weg gefunden hatte, sich mit dem Herrgott auszusöhnen, denn er sang und scherzte von früh bis spät, während er an den Wegen Mist auflas und auf seinem Karren sammelte, um damit den kleinen Acker zu düngen, den er vom Grundherrn gepachtet hatte. Und in der Schenke trank er seine Gläschen Ribolla44 mit wahrhaft patriarchalischer Gelassenheit. Wenn man ihn so sah, konnte man meinen, er habe das ruhigste Gewissen im ganzen Kirchspiel. Und die Erinnerung an diesen Mann führte mich später zu dem Schluss, dass jeder von uns sich mit seinem Gewissen arrangiert, ganz wie es ihm beliebt; sodass, was für die einen ein schlimmes Vergehen, für andere eine Bagatelle ist. Meister Germano hatte in seiner Jugend in Diensten des Schlossherrn von Venchieredo etliche Menschen erschlagen; aber seiner Ansicht nach musste wegen dieser Kaltblütigkeit sein Herr mit Gott ins Reine kommen, und was ihn selbst betraf, so fühlte er sich nach der österlichen Beichte unschuldig wie ein Lamm. Es waren keine Ausflüchte, womit er sein Gewissen beruhigte, sondern ein allgemeiner Grundsatz, der seine Seele mit einem dreifachen Panzer gegen jede Anfechtung wappnete. Nun, da er als oberster Scherge im Sold der Schlossherren von Fratta stand, hatte er sich das Rosenkranzbeten angewöhnt, was das hervorstechendste Merkmal seiner neuen Herrschaft war; und so hatte er schließlich sein übles Wesen abgelegt. Und als man ihm zu seiner hellen Freude mit runden Siebzig das Amt des Pförtners und die Oberaufsicht über den Stundenschlag übertrug, war er fest davon überzeugt, dass der Weg, den er eingeschlagen hatte, direkt zur Papstwürde führe. Er und Martino waren wahrhaftig nicht immer einer Meinung. Der eine geboren zum verschwiegenen Leibdiener eines Patriziers vom Rialto, der andere erzogen zu allen nur erdenklichen Schurkereien und Gewalttätigkeiten der Schergen von damals; dieser diplomatischer Bedienter eines Gerichtsherrn mit gepuderter Perücke, jener die Speerspitze des unverschämtesten Schlossherrn im Unterland. Und wenn Streit zwischen ihnen entbrannte, ließen sie es an mir aus, jeder von ihnen wollte mich dann dem Gegner abspenstig machen und beanspruchte größere Rechte über meine Person. Aber meist waren sie sich einig und ertrugen sich stillschweigend, dann freuten sie sich gemeinsam an den Fortschritten, die meine Beinchen machten; der eine auf der einen, der andere auf der anderen Seite der Zugbrücke hockend, ließen sie mich zwischen ihren ausgebreiteten Armen vom einen zum anderen torkeln.

Wenn die Gräfin mit dem Pfarrer von Teglio und irgendeinem Gast aus Portogruaro zu ihrem nachmittäglichen Spaziergang ausging und die beiden bei diesen pädagogischen Übungen überraschte, warf sie jedem von ihnen einen vernichtenden Blick zu; kam ich ihr vor die Füße, wurde ich auch damals schon unweigerlich im Nacken am Schopf gezogen. Schreiend und bebend vor Angst flüchtete ich mich dann in Martinos Arme; die Gräfin setzte ihren Weg fort und brummte etwas von diesen Kindereien der beiden verrückten Alten, unter welchem Namen meine beiden Mentoren beim Küchenvolk bekannt waren. – Wie dem auch sei, dank dieser beiden verrückten Alten lernte ich, fest auf meinen Beinen zu stehen und auch, recht weit, bis unter die Linde am Pfarrplatz, zu flüchten, sobald ich die weiße Haube meiner Frau Tante im Hausgang auftauchen sah. Ich wage es, sie Tante zu nennen, jetzt, da die Ärmste über ein halbes Jahrhundert tot ist; denn auf ihr Geheiß hin lehrte man mich damals, kaum dass ich sprechen konnte, sie Frau Gräfin zu nennen, und so tat ich auch später stets, weshalb unsere Verwandtschaft in stillschweigendem Einvernehmen vergessen wurde. Es war um diese Zeit, da ich heranzuwachsen begann und es der Gräfin nicht behagte, mich ständig auf der Brücke zu sehen, als man darauf verfiel, mich jenem besagten Küster Fulgenzio anzuvertrauen, von dem ich Euch schon erzählt habe. Wenn sie mich mit den Küsterkindern zusammensteckte, meinte die Schlossherrin wohl, mich von ihrer Pisana abzubringen; aber auch Kinder entwickeln Widerspruchsgeist denjenigen gegenüber, die unsinnige Befehle erteilen, und das führte dazu, dass ich mich nur umso enger an meine launische Herrin anschloss. Zwar trommelten wir bald, da wir zwei allein für unsere Spiele nicht...

Erscheint lt. Verlag 2.10.2024
Nachwort Klaus Harpprecht
Übersetzer Barbara Kleiner
Sprache deutsch
Original-Titel Le confessioni di un italiano
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2024 • Abenteuer • eBooks • Emanzipationsgeschichte • Friaul • Guiseppe Garibaldi • Historienroman • Italien • Italienische Geschichte • Klassiker der Weltliteratur • Napoleon • Neuerscheinung • Republikanismus • Risorgimento • Venedig
ISBN-10 3-641-32060-7 / 3641320607
ISBN-13 978-3-641-32060-7 / 9783641320607
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