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Zu faul zum Nichtstun (eBook)

Spiegel-Bestseller
Geschichten

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024
224 Seiten
Rowohlt E-Book (Verlag)
978-3-644-02139-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zu faul zum Nichtstun -  Horst Evers
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Wie kann es sein, dass wir in jeder kurzen Pause, die uns der Tag bietet, sofort auf unser Handy schauen und uns ablenken? Sind wir vielleicht einfach zu faul zum Nichtstun geworden? Horst Evers geht dieser Frage nach - in kurzen, sehr lustigen Geschichten aus dem Hier und Jetzt. Dort begegnet er Katzen, die seine Pakete entgegennehmen, und Toastern, die unsere Zukunft planen, sowie Nonnen, die ihm die ku?nstliche Intelligenz erklären. Er erzählt von seiner Zeit als Band-Bassist, seiner Begegnung mit Steven Spielberg und der lautesten Verkehrsberuhigung der Welt. Und nicht nur während er Bauarbeiter bewundernd dabei beobachtet, wie sie höchst professionell und ausdauernd besorgt in ein Loch in der Erde gucken, fragt er sich: «Sollten wir unsere Zeit nicht lieber zum ergebnisoffenen Nichtstun nutzen, statt in jeder freien Sekunde nichts von Belang zu machen?» Mit viel Witz, u?berraschenden Wendungen, Wärme und tatsächlich begru?ndeter Zuversicht nimmt Horst Evers uns mit auf eine Reise durch unsere seltsame Gegenwart. In Geschichten, die keinen einzigen Ratschlag erteilen, aber trotzdem oder gerade deshalb helfen.

Horst Evers, geboren 1967 in der Nähe von Diepholz in Niedersachsen, studierte Germanistik und Publizistik in Berlin und jobbte als Taxifahrer und Eilzusteller bei der Post. Er erhielt unter anderem den Deutschen Kabarettpreis und den Deutschen Kleinkunstpreis. Jeden Sonntag ist er auf radioeins zu hören, im WDR regelmäßig mit seiner Sendung «Horst Evers und Freunde». Seine Geschichtenbände und Romane – wie «Der König von Berlin», «Wäre ich du, würde ich mich lieben» oder «Wer alles weiß, hat keine Ahnung» – sind Bestseller. Horst Evers lebt mit seiner Familie in Berlin.

»Hintergründig, humorvoll, pointiert ... begnadet.« — NDR

«Hallo!!»


Sommer. Mutter, Tochter, Ferientochter und Vater sitzen im Mietauto und düsen Richtung Ostsee. Die Stimmung ist prächtig. Es läuft eine quasi unendliche Beatles-Playlist. Angelegt von den Kindern. Ausgelöst wurde ihre plötzliche Leidenschaft durch das neue Beatles-Lied. Mehr als vierzig Jahre nach John Lennons Tod konnte es mithilfe künstlicher Intelligenz vollendet werden.

Bin gespannt, ob das nur der Anfang war. Werden die Hitparaden demnächst von unveröffentlichten Stücken geflutet, dank einer Prince-KI oder einer Michael-Jackson-KI, einer Amy-Winehouse-KI oder einer Unknown-Dead-Artist-KI? Und was kommt dann? Fangen Leonardo-da-Vinci-KIs das Malen an? Schreibt eine Jack-London-KI genderneutrale Abenteuerromane? Wird es KI-Kreuzungen geben? Kann eine Mischung aus Sartre-KI und Lemmy-Kilmister-KI ein Hardrockmusical über Existenzialismus komponieren? Man wird sehen.

Bei den Beatles hat die KI immerhin dazu geführt, dass sich die Kinder in eine gut fundierte Begeisterung gesteigert haben. Davon profitieren wir gerne. Alle singen mit. Das ist ziemlich lustig.

Nach ungefähr einer Stunde jedoch stellt sich erste Heiserkeit ein. Irgendwann singe nur noch ich. Bis es mir verboten wird. Wie immer. Meine Lautstärke wird zunächst erheblich runtergeregelt. Schließlich werde ich sogar auf «mute» geschaltet. Zum leise säuselnden «Long and Winding Road» setzt ein zufriedenes Dösen ein.

Doch dann geschieht es. Plötzlich werden wir jäh aus unserer Blase der Glückseligkeit gerissen. Von jenem berühmten Satz, den kein Fahrer gerne hört. Der Frau ist es vorbehalten, ihn zu sprechen. Nachdem sie arglos ihren unkundigen Blick über die Armaturen hat schweifen lassen, sagt sie beinah schon wie aus Langeweile:

«Sag mal, was iss’n das eigentlich für eine Anzeige, die da die ganze Zeit so hell leuchtet?»

Und als wäre das nicht schon Ungemach genug, macht sie es sogar noch schlimmer, mit der zweiten stichelnden Frage, die einem endgültig die Sorglosigkeit vermiest:

«Ist das normal?»

Wie, normal? Woher soll ich das denn wissen? Ich fahre dieses Auto auch zum ersten Mal. Doch um keine unnötige Panik auszulösen, versuche ich es mit einem beruhigenden:

«Weiß ich auch nicht.»

Meine Strategie schlägt leider fehl. Denn es folgt der unvermeidliche Gegenschlag:

«Wieso weißt du das denn nicht?»

«Keine Ahnung. Als wir losgefahren sind, hat die, glaube ich, noch nicht geleuchtet. Aber das wird wahrscheinlich nichts Schlimmes sein.»

«Woher willst du das denn wissen?»

Das ist allerdings eine gute Frage. Tatsächlich habe ich nicht die geringste Ahnung, womit ich meine auf keinerlei Fachkenntnis fußende Zuversicht begründen könnte. Doch dann fällt es mir wie aus heiterem Himmel ein:

«Weil es nur gelb leuchtet. Wenn es wirklich was Ernstes oder Dringendes wäre, würde es doch rot leuchten. Und auch blinken! Oder? Dringendes blinkt meistens. So eine unaufgeregt leuchtende gelbe Lampe ist vermutlich nur ein Hinweis.»

«Was denn für ein Hinweis? Wieso sollte uns das Auto denn einen Hinweis geben? So sind Autos doch nicht. In einem Escape-Room bekommt man eventuell einen Hinweis. Autos dagegen sprechen Warnungen aus. Oder senden Hilferufe.»

«Also auf mich wirkt diese gelbe Lampe nicht, als würde der Wagen um Hilfe rufen.»

«Jeder Hilferuf ist anders. Vielleicht will es nur Panik vermeiden.»

«Seit wann wollen Autos durch gelbe Warnlichter Panik vermeiden?»

«Ah, jetzt hast du es selbst Warnlicht genannt!»

«Das ist die AdBlue-Leuchte», ruft nun die Ferientochter von hinten.

«Die was?», fragt die Frau.

«Die AdBlue-Leuchte», antworte ich möglichst ruhig, als ob ich wüsste, wovon ich rede.

«Das ist so ein Zusatzstoff, den man jetzt bei modernen Dieselmotoren von Zeit zu Zeit nachfüllen muss», erläutert die Tochter. «Haben wir gerade schnell mal gegoogelt.»

«Ist das hier etwa ein Dieselauto?», staunt meine Frau.

Sie wirkt alarmiert. Grundsätzlich interessiert sie sich zwar überhaupt gar nicht für Autos. Ist normalerweise da sogar ein bisschen stolz drauf. Doch wenn plötzlich Warnlampen leuchten und Klimaziele verfehlt werden, ist sie natürlich gefordert.

«Wieso hast du denn ein Dieselauto gemietet?»

«Weil das der einzige noch verfügbare Wagen mit ausreichend großem Kofferraum war.»

«Ich finde, das hättest du vorher mit uns besprechen müssen.»

«Ihr wollt nie über sowas sprechen.»

«Vielleicht», räumt die Frau ein, «aber deshalb kann man ja trotzdem im Nachhinein auch mal gerne gefragt worden sein.»

«Ich hätte fragen sollen, ob wir lieber einen Dieselwagen mieten oder ihr euer Gepäck halbieren wollt?»

«Nein. Du hättest fragen sollen, ob wir nicht wollen, dass du eine Lösung ohne Dieselauto bei vollem Kofferraumausgleich findest.»

«Welche Lösung hätte das denn sein sollen?»

«Was weiß denn ich? Lenk jetzt nicht vom Thema ab.»

«Welches Thema?»

«Das weißt du ganz genau», triumphiert sie und beendet mit dieser schlichten Lüge unseren kurzen Disput.

«Mein Vater sagt, moderne Dieselautos haben eine bessere Ökobilanz als Elektroautos», wirft die Ferientochter ein.

«Das kommt ja immer ganz darauf an, wie man es rechnet», antwortet die Frau. Womit sie natürlich recht hat. Wie immer.

Es kommt praktisch bei allem darauf an, wie man es rechnet. Das ist schließlich ein Grundgesetz der Mathematik. Sollte jeder aus Rechnungen mit zwei Unbekannten kennen. Entscheidend ist, was man vorher als Konstante bestimmt. Wenn man beispielsweise das Ergebnis als vorgegeben festlegt, passt sich die Rechnung automatisch dem gewünschten Ergebnis an. Jedes gewünschte Ergebnis sucht sich immer eine Rechnung, die zu ihm passt. Das ist angewandte Mathematik.

Hieraus ergibt sich auch die Krux mit der Mathematik. Wenn das Ergebnis stimmt, weiß man deshalb noch lange nicht, ob auch die Aufgabe korrekt war. Also die richtige Frage gestellt worden ist. Man weiß nur, dass alles aufgeht, was natürlich besser als nichts ist. Aber bis man erstmal weiß, was man eigentlich gern wissen würde, haben die meisten ja schon den Faden verloren …

«Hallo!!», höre ich plötzlich die Frau auf dem Beifahrersitz brüllen. Aus dem Augenwinkel erkenne ich an ihrem verärgerten Gesicht, dass sie vermutlich die letzten Minuten mit mir geredet hat. Worüber nur? Und woran habe ich derweil die ganze Zeit gedacht?

«Hörst du mir überhaupt zu?», setzt sie nun nach, um mich zu provozieren. Denn diese vermeintlich freundliche Frage ist eine Falle. Wenn ich jetzt die Wahrheit sage, wird das keines meiner Probleme lösen. Im Gegenteil. Also sage ich:

«Doch, natürlich höre ich dir zu. Ich denke nur noch darüber nach.»

«Worüber?»

«Na, über diese AdBlue-Sache.»

«Ja, eben. Hat denn der Mensch vom Autoverleih dir nichts dazu gesagt?»

Oh Gott, das hat er tatsächlich. Ich erinnere mich. Er hat erwähnt, dass der Motor eventuell dieses AdBlue benötigen würde. Und er hat mir sogar auch erklärt, warum das so ist.

Ich muss allerdings zugeben, dass ich schon sehr früh während seiner Erklärung, also bereits nach zwei, drei Sätzen, beschlossen hatte: ‹Das wirst du dir nicht merken.› Denn es war direkt absehbar, wie unübersichtlich, kompliziert und langwierig diese Erläuterung wird. Sodass ich eben auch sehr schnell begriffen habe: ‹Oh, das wird mir jetzt zu viel. Das kann ich mir nicht auch noch alles merken.›

Zumal diese Fülle an Informationen zu allen möglichen Themen, mit denen wir unser Gehirn permanent fluten, ja womöglich auch gar nicht so ganz ohne Risiko ist. Da gibt es durchaus besorgte Stimmen. Wer weiß, ob an diesen Warnungen nicht doch was dran ist. Ich habe ja durchaus mittlerweile so ein Alter erreicht, wo man manchmal denkt: Na ja, an sich ist meine Festplatte voll. Wenn ich da jetzt trotzdem immer weiter wahllos Wissen dazulade, muss dafür dann vielleicht irgendwann anderes Wissen gelöscht werden. Das ist ja nicht auszuschließen.

Nun stelle man sich nur mal vor, ich würde mir dieses aufwendige Spezialwissen über Dieselmotoren wirklich merken. Also warum die von Zeit zu Zeit AdBlue benötigen. Und dafür wird dann aber beispielsweise die Fähigkeit, den Kaffeevollautomaten zu Hause zu bedienen, gelöscht. Da hätte man aber eine Situation. Da stünde man denn da. Wenn nun Gäste kämen, die gerne einen Kaffee hätten. Denen man jedoch mitteilen müsste: «Das geht jetzt leider nicht. Aber … ich kann dir stattdessen erklären, warum moderne Dieselmotoren jetzt zusätzlich AdBlue benötigen.»

Ich habe diesbezüglich sogar schon mal in meinem Freundes- und Bekanntenkreis herumgefragt und kann sagen: Praktisch alle hätten lieber den Kaffee.

Natürlich habe ich den Mann vom Autoverleih das Ganze aber trotzdem in Ruhe erklären lassen. Komplett. Denn ich habe auch früh erkannt, wie sehr er sich freut, dass er das mal in aller Ausführlichkeit erklären darf. Das hat er nicht oft. Dass sich ein Kunde für so etwas interessiert und aufmerksam zuhört.

Weshalb ich eben auch sofort beschloss: Die Freude mache ich ihm jetzt. Das Erklärerlebnis soll er haben. Mehr noch, ich habe ihm das richtig schön gestaltet. Damit er sich wohlfühlt und wahrgenommen beim Erklären. Ich kann sowas sehr gut. Indem ich ganz bewusst die ganze Zeit motivierende Zuhörgeräusche mache.

«Ach. – Was? – Nein. – Na, das ist ja...

Erscheint lt. Verlag 17.9.2024
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alltagsgeschichten • Belletristik • Berlin • Deutscher Kabarettpreis • Deutscher Kleinkunstpreis • Dr. Seltsams Frühschoppen • Erzählungen • Humor • Kurzgeschichten • Short Stories
ISBN-10 3-644-02139-2 / 3644021392
ISBN-13 978-3-644-02139-6 / 9783644021396
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