Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus (eBook)
640 Seiten
Manesse Verlag
978-3-641-24336-4 (ISBN)
Yankee Hank Morgan traut seinen Augen nicht: Ist es wirklich der 19. Juni des Jahres 528? Und befindet er sich tatsächlich am Artushof? Ursache dieser ominösen Zeitreise ist ein Unfall, der ihn aus dem späten 19. Jahrhundert ins frühe Mittelalter katapultiert. Als wäre das nicht genug, wird er von den Artusrittern auch noch zum Tode verurteilt. Hank mag einen Schlag auf den Kopf bekommen haben, auf den Kopf gefallen ist er nicht. Mit List entgeht er dem Tod und steigt als «Sir Boss» zur rechten Hand des Königs auf. Er beglückt sein Reich mit den Errungenschaften des 19. Jahrhunderts wie allgemeiner Schulbildung, Telegraphie, Pressewesen und «erfindet» das Fahrrad. Doch als er gegen den Willen der Kirche die Republik ausruft, muss Sir Boss die Grenzen seines Waltens erkennen. Von Merlin in Tiefschlaf versetzt, wacht er wieder als der auf, der er einmal gewesen war: ein ganz normaler Yankee aus Connecticut.
Aus der Kontrastierung von tiefstem Mittelalter und technischer Moderne, Aberglaube und rationaler Aufklärung, altenglischem Mystizismus und US-Pragmatismus schlägt der Meistererzähler Mark Twain sprachmächtig und geistreich sprühende Funken.
Samuel Langhorne Clemens (1835-1910), besser bekannt unter dem Pseudonym Mark Twain, war ein scharfzüngiger Kritiker der amerikanischen Gesellschaft: humorvoll bis satirisch schrieb er über den alltäglichen Rassismus, Heuchelei, Verlogenheit und Korruption seiner Landsleute. Bereits mit seinen ersten Erzählungen, entstanden in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts, errang er großen litarischen Erfolg, der sich durch die Abenteuergeschichten um die beiden Jungen Tom Sawyer und Huckleberry Finn zu Weltruhm steigerte.
Ein Wort zur Erklärung
Ich begegnete dem wunderlichen Fremden, von dem ich erzählen will, in Warwick Castle. Drei Dinge gefielen mir an ihm besonders: seine aufrichtige Einfachheit, seine enorme Sachkenntnis, was alte Rüstungen betraf, und die Geruhsamkeit unserer gemeinsamen Stunden – er bestritt die Unterhaltung nämlich im Alleingang. Als bescheidene Menschen bildeten wir zwei wie von selbst das Schlusslicht der Herde, die durch das Schloss geführt wurde, und was er sagte, weckte sofort mein Interesse. Während er sprach – leise, gefällig, wortgewandt –, schien er immer wieder unmerklich aus dieser Welt fortzutreiben, in eine ferne Epoche und ein längst vergessenes Land; und bald war ich von seinen Geschichten derart verzaubert, dass ich mir vorkam wie ein Wandler zwischen den Schemen und Schatten, dem Staub und dem Schimmel einer grauen Vorzeit, im Gespräch mit einem Relikt aus ebendieser Ära. So wie ich von meinen engsten Freunden und Feinden oder vertrautesten Nachbarn sprechen würde, erzählte der Mann von Sir Bedivere, Sir Bors de Ganis, Sir Lancelot vom See, Sir Galahad und all den anderen Größen der Tafelrunde – und wie alt, steinalt, unfassbar alt, verblichen, vertrocknet, vermodert und vergreist er mit der Zeit dabei aussah! Irgendwann fragte er mich beiläufig, als ginge es um das Wetter oder irgendein ähnlich belangloses Thema: «Von Seelenwanderung haben Sie bestimmt schon gehört; wussten Sie, dass auch Epochen und Körper den Ort wechseln können?»
Ich verneinte, doch im Grunde schien er auf meine Antwort ohnehin keinen Wert zu legen (es war also genau wie bei Gesprächen übers Wetter). Einen Augenblick herrschte Schweigen, das sogleich vom Leierton des besoldeten Cicerone durchbrochen wurde: «Altertümliches Kettenhemd aus dem sechsten Jahrhundert – Zeit von König Artus und seinen Rittern der Tafelrunde; soll Sir Sagramor dem Gierigen gehört haben. Bitte beachten Sie das runde Loch links auf Brusthöhe; seine Herkunft ist ungeklärt, man nimmt an, dass es von einem Schuss herstammt, der nach Erfindung der Feuerwaffen eventuell mutwillig von einem von Cromwells Soldaten abgegeben wurde.»
Mein neuer Bekannter lächelte – kein Lächeln von heute, sondern eines, das bestimmt schon vor Jahrhunderten aus der Mode gekommen war – und murmelte wie zu sich selbst: «Wisset, ich sah’s geschehn», bevor er nach einer Pause hinzufügte: «Ich habe nämlich geschossen.»
Als ich mich von der Überraschung erholt hatte, die mich bei dieser Bemerkung wie ein Stromschlag traf, war er weg.
Abends saß ich stundenlang im «Warwick Arms» am Kamin und hing einem Traum von alten Zeiten nach, während der Regen an mein Fenster trommelte und der Wind um die Traufen und Ecken heulte. Zwischendurch warf ich immer wieder einen Blick in das hinreißende Buch des alten Sir Thomas Malory3, labte mich an seinem Göttermahl aus Wundern und Abenteuern, sog den Duft der altertümlichen Namen ein und träumte weiter. Als es endlich Mitternacht war, las ich als Schlummertrunk noch eine Geschichte, und zwar folgende:
Wie Sir Lancelot zwei Riesen erschlug und eine Burg befreite4
Mit einem Mal stürzten da zwei große Riesen auf ihn los, in allen Stücken außer dem Kopf wohl gewappnet, und führten zwei fürchterliche Keulen in den Händen. Sir Lancelot hob seinen Schild vor sich und wandte den Schlag des einen Riesen ab und spaltete ihm mit seinem Schwert den Kopf entzwei. Als sein Genosse das sah, rannte er wie besessen davon, aus Furcht vor den schrecklichen Streichen, und Lancelot mit all seiner Gewalt hinter ihm her und traf ihn an der Schulter und spaltete ihn bis zum Nabel. Dann ging Sir Lancelot in die Halle, und da traten vor ihn sechzig Damen und Fräulein, und alle knieten vor ihm nieder und dankten Gott und ihm für ihre Befreiung; denn, Herr, sagten sie, die meisten von uns sind hier sieben Jahre ihre Gefangenen gewesen, und wir haben allerhand Seidenarbeiten verfertigt, um unsern Unterhalt zu finden, und wir sind alle von Geburt sehr edle Frauen, und gesegnet sei der Tag, Ritter, an dem du geboren bist; denn du hast die tapferste Tat getan, die je ein Ritter in dieser Welt tat, des wollen wir gedenken und wir bitten dich alle, uns deinen Namen zu sagen, dass wir unsern Freunden erzählen können, wer uns aus dem Kerker befreit hat. Schöne Fräulein, sagte er, mein Name ist Sir Lancelot vom See; und schied so von ihnen und empfahl sie Gott. Und dann stieg er auf sein Pferd und ritt in viele seltsame und wilde Länder und durch viele Flüsse und Täler und war übel behaust. Und schließlich glückte es ihm, als wieder einmal die Nacht hereinbrechen wollte, zu einem schönen Anwesen zu kommen, und dort fand er eine alte Edelfrau, die ihn freundlich ins Quartier nahm, und da fand er gute Aufnahme für sich und sein Pferd. Und als die Zeit da war, brachte ihn seine Wirtin in eine schöne Stube über dem Tor und wies ihm sein Bett an. Da legte Sir Lancelot die Waffen ab und tat seinen Harnisch von sich und ging zu Bett und fiel sofort in Schlaf. Bald danach kam einer zu Pferd und pochte stürmisch ans Tor, und als Sir Lancelot das hörte, stand er auf und sah aus dem Fenster und erblickte im Mondschein drei Ritter, die zu Pferd hinter dem einen Mann her waren, und alle drei hieben zugleich mit Schwertern auf ihn ein, und dieser eine Ritter wandte sich ritterlich gegen sie und wehrte sich. Wahrlich, sagte Sir Lancelot, dem einen Ritter dort will ich helfen, denn es wäre eine Schande für mich, drei Rittern gegen einen zuzusehen. Und wenn er erschlagen wird, will ich mit ihm sterben, und damit zog er seinen Harnisch an und ließ sich an einem Laken durch das Fenster zu den vier Rittern hinab, und da rief Sir Lancelot mit lauter Stimme: Ihr Ritter, wendet euch gegen mich und lasst ab, gegen den Ritter dort zu kämpfen. Und da ließen sie alle von Sir Kay ab und wandten sich gegen Sir Lancelot, und da hub ein großer Kampf an, denn sie stiegen alle drei ab und hieben viele scharfe Streiche gegen Sir Lancelot und griffen ihn von allen Seiten an. Da wandte sich Sir Kay, um Sir Lancelot zu helfen. Nein, Herr, sagte er, ich will Eure Hilfe nicht; wenn Ihr also meine Hilfe haben wollt, überlasst sie mir allein. Sir Kay überließ den Ritter, ihm zu Gefallen, seinem Willen und stand so beiseite. Und da hatte Sir Lancelot gleich mit sechs Streichen sie zu Boden geschmettert. Und dann riefen sie alle drei: Herr Ritter, wir ergeben uns Euch als einem gewaltigen Mann ohnegleichen. Was das angeht, sagte Sir Lancelot, so will ich für mein Teil eure Ergebung nicht annehmen. Aber wenn ihr euch Sir Kay, dem Seneschall, ergeben wollt, unter dieser Bedingung will ich euer Leben schonen und sonst nicht. Edler Ritter, sagten sie, das zu tun täte uns leid, denn was Sir Kay angeht, so haben wir ihn hierhergejagt und hätten ihn besiegt, wenn Ihr nicht gewesen wäret, uns also ihm zu ergeben hätte keine Vernunft. So weit schön und gut, sagte Sir Lancelot, geht wohl mit euch zurate, denn ihr habt zu wählen, ob ihr sterben oder leben wollt, denn wenn’s ans Ergeben geht, sollt ihr euch Sir Kay ergeben. Edler Ritter, sagten sie da, wenn du unser Leben schonst, wollen wir tun, wie du uns befiehlst. Dann sollt ihr, sagte Sir Lancelot, am nächsten Pfingstfest zum Hof König Artus’ gehen, und da sollt ihr euch der Königin Guinevere ergeben und euch alle drei ihr auf Gnad und Ungnad zu Gebot halten und sollt sagen, dass Sir Kay euch hinschickt, ihre Gefangenen zu sein. Am Morgen stand Sir Lancelot früh auf und ließ Sir Kay schlafen, und Sir Lancelot nahm Sir Kays Rüstung und seinen Schild und wappnete sich, und so ging er in den Stall und nahm sein Pferd und verabschiedete sich von seiner Wirtin und ritt so von dannen. Dann bald nachher erhob sich Sir Kay und vermisste Sir Lancelot. Und da merkte er, dass er seine Rüstung und sein Pferd hatte. Nun, meiner Treu, ich merke wohl, dass er etlichen vom Hof König Artus’ mitspielen will; denn die Ritter werden verwegen gegen ihn sein und wähnen, ich wäre es, und das wird sie täuschen. Und aufgrund seiner Rüstung und seines Schildes bin ich sicher, in Frieden zu reiten. Und dann verabschiedete sich Sir Kay bald nachher und dankte seiner Wirtin.
Als ich das Buch niederlegte, klopfte es an der Tür, und mein Fremder trat ein. Ich bot ihm Pfeife und Sessel an und hieß ihn willkommen. Außerdem reichte ich ihm zur Stärkung erst einen, dann noch einen und schließlich einen dritten heißen Scotch – stets in der Hoffnung auf eine weitere Anekdote, und siehe da, nach dem vierten Überredungstropfen löste sich ganz von selbst seine Zunge.
Die Geschichte des Fremden
Ich bin Amerikaner, geboren und aufgewachsen in Hartford im Staat Connecticut – das heißt, jenseits des Flusses, auf dem Land. Ich bin also ein waschechter Yankee und eher praktisch veranlagt, würde ich sagen; das heißt, ich habe wenig Sinn für Romantik – oder, mit anderen Worten, für Poesie. Mein Vater war Schmied, mein Onkel Viehdoktor, und ich war zu Anfang beides. Dann wechselte ich in die große Colt-Waffenfabrik5 und erlernte dort mein eigentliches Handwerk, und zwar von der Pike auf. Ich lernte, wie man Sachen baut – Gewehre, Revolver, Kanonen, Heizkessel, Motoren, arbeitssparende Maschinen jeder Art. Irgendwann konnte ich alles bauen, was so anfiel, alles Mögliche, ganz egal, was; und wenn es noch kein schnelles, modernes Verfahren gab, um etwas zu bauen, erfand ich eben eines – und zwar mit links. Bald wurde ich Oberaufseher und hatte zweitausend Arbeiter unter mir.
Dass so ein Mann sich gern mal einen Schlagabtausch liefert, muss wohl nicht extra erwähnt...
Erscheint lt. Verlag | 6.11.2024 |
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Reihe/Serie | Manesse Bibliothek |
Nachwort | Philipp Haibach |
Übersetzer | Viola Siegemund |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | A Connecticut Yankee in King Arthur's Court |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 2024 • Amerikanischer Klassiker • eBooks • England / Großbritannien • Humor • humorvolle Bücher • lustig • lustige • Meisterwerke der Science Fiction • Merlin • Mittelalter • Monty Python • Neuerscheinung • Neuübersetzung • Rittertum • Satire • USA • Zeitreiseabenteuer |
ISBN-10 | 3-641-24336-X / 364124336X |
ISBN-13 | 978-3-641-24336-4 / 9783641243364 |
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