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Demokratie (eBook)

Roman | Die Wiederentdeckung zur US-Wahl

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
288 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3241-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Demokratie -  Joan Didion
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Joan Didion kann mit einem einzigen Satz eine Gesellschaft zum Einstürzen bringen Die Christians gehören zu den reichsten und mächtigsten Familien auf Hawaii. Inez Victor, verheiratet mit einem US-Senator, führt hier ein glanzvolles Leben: öffentlich an der Seite ihres Mannes, der als Präsidentschaftskandidat für die demokratische Partei antritt, und heimlich an der Seite ihres Geliebten, der sein Geld als Waffenhändler verdient. Hinter den Fassaden von Erfolg und Glamour nimmt eine Familientragödie ihren Lauf, bestimmt von Affären, Extravaganzen und Lebenslügen.  »Über das goldene Land, in dem die Zukunft immer gut aussieht, weil sich niemand an die Vergangenheit erinnert.« Antje Rávik Strubel  

Joan Didion, geboren 1934 in Sacramento, Kalifornien, arbeitete als Journalistin für verschiedene amerikanische Zeitungen und war Mitherausgeberin der Vogue. Sie gilt als eine der wichtigsten Stimmen der amerikanischen Literatur, die mit ihren fünf Romanen und zahlreichen Essaybänden das intellektuelle Leben der USA im 20. Jahrhundert entscheidend prägte. Joan Didion starb im Dezember 2021 in New York.

Joan Didion, geboren 1934 in Sacramento, Kalifornien, arbeitete als Journalistin für verschiedene amerikanische Zeitungen und war Mitherausgeberin der Vogue. Sie gilt als eine der wichtigsten Stimmen der amerikanischen Literatur, die mit ihren fünf Romanen und zahlreichen Essaybänden das intellektuelle Leben der USA im 20. Jahrhundert entscheidend prägte. Joan Didion starb im Dezember 2021 in New York.

3


»Stellen Sie sich meine Mutter beim Tanzen vor«, begann dieser Roman in der ersten Person. Die erste Person war Inez und wurde später zugunsten der dritten verworfen:

»Inez stellte sich ihre Mutter beim Tanzen vor.«

»Inez erinnerte sich an ihre Mutter beim Tanzen.«

»Weiß-braune Spectator-Schuhe, sehr elegant. Hochhackige Sandalen aus weißer Seidenkordel, sehr schick. Weiße Gardenien im Haar am Strand von Lanikai. Eine weiße Seidenbluse mit silbernen Pailletten, wie Sterne geformt. Wie Neumonde. Wie Schneeflocken. The sentimental things of life as time went by. Tanz unter dem Tarnnetz auf dem Rasen in Kaneohe. Blue moon auf der Nuannu Ranch. Sah sie alleine dort stehen. Sie lächelte beim Tanzen.«

»Inez erinnerte sich an nichts dergleichen.«

»Inez erinnerte sich an die Schuhe und die Pailletten, die aussahen wie Schneeflocken, aber sie stellte sich ihre Mutter beim Tanzen nur vor, um sich klarzumachen, dass die Geschichte eine Geschichte mit romantischem Touch war. Sie werden feststellen, dass sich in romantischen Geschichten die Töchter an ihre Mütter immer beim Tanzen erinnern oder wie sie gerade zum Tanzen aufbrechen: Diese tanzwütigen Mütter tauchen in der verdunkelten Nursery auf (nie ein Kinderzimmer in diesen Geschichten, immer eine ›Nursery‹ nach englischem Vorbild), in einer Wolke aus Parfüm, im Lichtergefunkel eines diamantenen Haarclips. Sie werfen einen Blick in den Spiegel. Sie lächeln. Sie halten sich nicht lange auf, denn das ist einer der Momente, in denen die Interessen der Mütter als etwas betrachtet werden, das stark von den Wünschen der Töchter abweicht. Diese Mütter machen einfach weiter. Diese Mütter beugen sich zu einem Kuss hinunter und gehen tanzen. Die Mutter von Inez und Janet ging, aber nicht tanzen. Die Mutter von Inez und Janet ging nach San Francisco, auf der Lurline, generalüberholt. Ich betone ›generalüberholt‹, weil Carol Christians Abreise Inez und Janet genau so beschrieben wurde, als plötzliche, aber verlockende Gelegenheit, die erste Überfahrt nach dem Krieg auf der generalüberholten Lurline zu machen. ›Einfach unwiderstehlich‹, war das, was Carol Christian wortwörtlich sagte.«

Was ich da hatte, war eine Studie der provinziellen Sitten, der heftigen Tyrannei von Klasse und Privilegien, mit der sich Menschen gegen die Tropen behaupten; Honolulu im Zweiten Weltkrieg, Kriegsrecht, U-Boot-Fahrer, Flieger und ein gewisser Finanzier aus Hongkong, mit dem Carol Christian, wie es hieß, Brandy und Cola trank, ein örtlicher Skandal. Ich interessierte mich mehr für Carol Christian als für ihre Töchter, interessierte mich für die sture Einsamkeit, die sie in ihrer Ehe mit Paul Christian perfektioniert hatte, interessierte mich für ihre Außenseiterposition auf den Inseln und für ihre kompensatorische Sehnsucht danach, »begabt« zu sein, nicht begabt für etwas Bestimmtes, sondern einfach begabt, ein Zustand gesellschaftlicher Würde, der ihr von den Christians verweigert wurde. Carol Christian kam 1934 als Braut nach Honolulu. 1946 hatte sie manchmal ein solches Verlangen nach Gesellschaft, dass sie Inez und Janet unter dem Vorwand, ihnen beizubringen, wie man sich die Nägel macht, nicht zur Schule schickte. Am Strand von Lanikai las sie ihnen laut aus Romanen vor, Unterhaltungsromane, die sie aus der Leihbücherei im Drugstore von Kailua auslieh. »›Die ziellosen Jahre hatten ein Ende‹«, las sie mit erhobener Stimme, um einen dramatischen Effekt zu erzielen, und erfand dann eine eigene Ausschmückung: »›Jetzt konnten sie die Ernte einbringen.‹ Seht ihr, Zufallsernte, das erklärt den Titel, sehr poetisch, ein Happy End, n’est-ce pas

Französische Ausdrücke gefielen ihr, sie kannte aber nur die wenigen, die sie während des einen Semesters am Junior College in Stockton, Kalifornien, gelernt hatte, das ihre Bildung ausmachte. Auch Happy Ends gefielen ihr, und sie machte sie für Inez und Janet ausfindig, wo immer sie konnte: im Cola-Shake nach dem aufgeschürften Knie, im Regenbogen nach dem Regen, in Illustriertengeschichten über Kriegstrauungen und zufällig falsch zugestellte Abschiedsbriefe und nicht zuletzt in ihrer eigenen Liebesgeschichte, die sie auf den Tag zurückführte, an dem sie Stockton verließ und einen Job als Model bei I. Magnin in San Francisco bekam. »Achtzehn Jahre alt und todschick im Chanel-Kostüm, das einzig Wahre«, sagte sie zu Inez und Janet. Achtzehn Jahre alt und todschick im Abendpyjama von Mainbocher, das einzig Wahre. Achtzehn Jahre alt und todschick im Cocktailkleid von Patou, weißer Satin mit Schrägschnitt, zum Totumfallen, im Rücken bis hier ausgeschnitten. Dieses schräg geschnittene Cocktailkleid von Patou spielte in Carol Christians Geschichten eine große Rolle, weil es das Kleid war, in dem sie heimlich auf der Angestelltenetage von I. Magnin eine Zigarette geraucht hatte, als Paul Christian irrtümlicherweise aus dem Fahrstuhl trat (noch eine zufällig falsche Zustellung) und die Schatten fortwischte, ihr ihren glücklichsten Tag bescherte, ein einziger Blick auf ihn, und schon hatte sie eine völlig neue Welt gefunden, merkwürdig war nur, dass diese Welt aus einer Insel mitten im Pazifik bestand und Paul Christian selten da war. »Wenn ein Mann sich von einer Frau fernhält, heißt das, er will ihre Liebe lebendig halten«, erklärte Carol Christian Inez und Janet. Sie hatte einen ganzen Kodex dieser Signale, die sich Männer und Frauen angeblich sendeten (wenn eine Frau Rauch auf einen Mann blies, hieß das, sie war auf jeden Fall interessiert, und wenn ein Mann einer Frau sagte, ihr Kleid sei zu freizügig, hieß das, er betete sie an), träumerische Grundsätze, die sie gehört oder gelesen oder sich als romantisch veranlagtes Schulmädchen ausgedacht hatte und an denen sie trotz erheblicher Gegenbeweise festhielt. Dass sie sich mit der Heirat von Paul Christian verkalkuliert hatte, war eine Schlussfolgerung, die sie anscheinend nicht ziehen konnte. Sie machte einen Liebesknoten aus dem, was sie für ihr erstes graues Haar hielt, und schickte es ihm nach Cuernavaca. »Mon cher Paul«, schrieb sie auf die Karte, an der sie den Liebesknoten befestigte. Inez schaute ihr zu, wie sie das Haar knotete, aber die Karte fand sie erst einige Jahre später, lose in einer dieser Schachteln mit unnützen Habseligkeiten, die Paul Christian regelmäßig per Express und Nachnahme an Inez und Janet schickte, von wo auch immer er sich gerade aufhielt. »Wen f----- du, um von dieser Insel wegzukommen? (Nur ein Scherz natürlich) XXXX, C.«

Sie hinterließ dunkelrote Lippenstiftspuren auf ihren Zigaretten, die sie kaum rauchte und dann in Kaffeebechern und Colaflaschen und im Sand ausdrückte. Stundenlang saß sie an ihrem Toilettentisch, der übersät war von kleinen Papiersonnenschirmen, die in Drinks serviert wurden, gelb, türkis, schockrosa Schirmchen wie ein Schwarm fragiler Schmetterlinge. Sie saß an diesem Toilettentisch und rasierte sich die Beine. Sie saß an diesem Toilettentisch und rieb sich Vaseline in die Augenbrauen. Sie saß an diesem Toilettentisch und unterwies ihre Töchter in dem, was sie für die Sprache der Liebe hielt, ein Kurs, in dem sie krachend durchgefallen war. Nachdem Carol Christian Honolulu verlassen hatte, saß Janet noch ein oder zwei Jahre am Strand von Lanikai und siebte den Sand auf der Suche nach Zigaretten, die Spuren vom Lippenstift ihrer Mutter trugen. Die wenigen, die sie fand, bewahrte sie in einem Schuhkarton auf, zusammen mit den Papiersonnenschirmen von Carol Christians Toilettentisch und den Postkarten aus San Francisco, Carmel und Lake Tahoe.

Von den Töchtern interessierte mich Janet, die jüngere, zuerst mehr als Inez. Ich interessierte mich dafür, wie die Mutter Janet geprägt hatte, für Janets schützende Fassade provinzieller Vornehmheit, ihre erstaunliche und gierige Beschäftigung mit den sexuellen Verhältnissen anderer, ihre kaufmännische Herangehensweise an den Austausch von Gefühlen und ihre Herablassung gegenüber jedem, dessen Marktwert sie weniger hoch einschätzte als ihren eigenen. Als Jugendliche war sie immer herablassend gewesen, beispielsweise Inez gegenüber, und reagierte fassungslos und ziemlich eingeschnappt, als sich ihrer Ansicht nach alles so gut für Inez entwickelte und so enttäuschend für sie selbst. Mich interessierte, wie Janets Ehemann Dick Ziegler mit Wohnungsbau in Hongkong ein bescheidenes Vermögen verdiente und es bei der Erschließung der Windseite von Oahu verlor. Ich interessierte mich für Inez’ und Janets Großmutter, die verstorbene Sybil »Cissy« Christian, eine Frau, an die man sich in Honolulu wegen ihrer heftigen Launen und Gereiztheiten erinnerte, die in diesem Teil der Welt als Meinungen durchgingen, und weil sie sich ihrer Schwiegertochter so schnell entledigt hatte. Aloha oe. »Ich glaube, eure Mutter möchte in Nachtklubs gehen«, sagte Cissy Christian zu Inez und Janet als Erklärung von Carol Christians Abreise. »Aber sie kommt doch wieder«, sagte Janet. »Ab und zu«, sagte Cissy Christian. Diese Unterhaltung fand beim Mittagessen im Pacific Club statt, eine...

Erscheint lt. Verlag 29.8.2024
Übersetzer Antje Rávik Strubel
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Céline • Deutscher Buchpreis • Feministisch • Frauenleben • Gewalt • Ikone • Kalifornien • Klassiker • Kultbuch • Literatur • Netflix • Neuübersetzung • politisch • Rückblick • The Center Will Not Hold • USA
ISBN-10 3-8437-3241-8 / 3843732418
ISBN-13 978-3-8437-3241-3 / 9783843732413
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