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Als wir im Schnee Blumen pflückten (eBook)

Roman | DER große Familienroman aus Schweden über ein samisches Paar auf seinem letzten Weg

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
384 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3274-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Als wir im Schnee Blumen pflückten -  Tina Harnesk
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Der Bestseller aus Schweden: das Buch des Jahres 2023 Die alte Samin Mariddja lebt ganz im Norden Schwedens mit ihrem dementen Mann Biera in einem verfallenen Haus. Biera darf nicht erfahren, dass sie bald sterben wird. Wie soll er nur allein zurechtkommen? Mariddja hat noch einen Wunsch: Vor ihrem Tod möchte sie sich von ihrem Neffen verabschieden, der viele Jahren wie ein Sohn bei ihr lebte, aber sie weiß nichts über seinen Verbleib. Nur eine wird in dieser Zeit zu Mariddjas Vertrauter: eine gewisse 'Siré', die Telefonistin in Bieras neumodischem Handy. Mit Sirés Hilfe begibt sich Mariddja auf die Suche nach ihrem verlorenen Kind.

Tina Harnesk, geboren 1984, ist Bibliothekarin und arbeitet nebenbei als Schriftstellerin. Sie ist in Jokkmokk im Norden Schwedens aufgewachsen und wohnt derzeit mit ihrer Familie auf einem kleinen Berg außerhalb von Arvidsjaur. Tina Harnesk ist Sami, und ihr indigenes Erbe spiegelt sich in allen Facetten ihres Lebens wider. Mit ihrem Schreiben setzt sie die mündliche Erzähltradition ihres Volkes fort. Als wir im Schnee Blumen pflückten ist Tina Harnesks Debütroman.

Tina Harnesk, geboren 1984, ist Bibliothekarin und arbeitet nebenbei als Schriftstellerin. Sie ist in Jokkmokk im Norden Schwedens aufgewachsen und wohnt derzeit mit ihrer Familie auf einem kleinen Berg außerhalb von Arvidsjaur. Tina Harnesk ist Sami, und ihr indigenes Erbe spiegelt sich in allen Facetten ihres Lebens wider. Mit ihrem Schreiben setzt sie die mündliche Erzähltradition ihres Volkes fort. Als wir im Schnee Blumen pflückten ist Tina Harnesks Debütroman.

PROLOG


»Eanu, erzähl mir die Geschichte von dem Rentierhirten, der eine Háldin getroffen hat!«

Die Stimme des Jungen klang beharrlich, sie kullerte durch den Raum wie eine Handvoll frostiger Preiselbeeren.

Máriddja lag nebenan in der Kammer und hörte, wie Biera durch ein Zuckerstück zwischen den Zähnen den Kaffee einschlürfte, bevor er die Tasse auf die Tischdecke zurückstellte.

»Na, die hast du ja schon oft gehört, aber ich erzähle sie dir wohl noch einmal«, antwortete Biera dem Jungen mit gespielter Ergebenheit.

Seine Frau wusste, dass er es liebte zu erzählen, denn das Erzählen hatten seine Eltern ihm vererbt, und die hatten es ihrerseits von denen übernommen, die vor ihnen die Pfade des Lebens gewandert waren. So schufen sie Erinnerung, und so hinterließ ein Volk ohne auf Papier festgehaltene Worte seinen Abdruck auf einer Erde, die es nicht zu verändern beabsichtigte.

Vor allen Dingen liebte er es, dem Jungen zu erzählen, der nun mit halb gesenkten Augenlidern auf der Küchenbank saß und die Zuckerdose aus Birkenrinde auf dem Tisch zwischen ihnen kreiseln ließ. Máriddja zupfte etwas an dem Kissen unter ihrer Wange, suchte einen ihrer beiden Zöpfe heraus und legte ihn so zurecht, dass sie bequem in der erholsamen Dunkelheit liegen konnte. Sie schloss die Augen.

Auch sie liebte seine Geschichten, vor allem solche, die so wie jetzt zu ihm kamen: Indem ein Kind sie einforderte. Dort, in der Finsternis der Kammer, sah sie vor sich, wie sein Blick in die Ferne wanderte, während er nach den Worten in sich fahndete, nach dem jungen Rentierhirten suchte – und wenn Biera ihn gefunden hatte, verwandelte sich seine Stimme in die eines anderen und tastete sich durch das Flackern des Holzofens bis nach draußen in die Dunkelheit vor dem Fenster. Schließlich hallte seine Stimme in allen Winkeln des Raumes wider und lockte Wesen aus den Schatten. Plötzlich hörte Máriddja das Klicken der Hufe und die Rentierleiber, die sich auf den offenen Weiten bewegten, dazu den Wind, der durch ihren Pelz fuhr und sie um die Mäuler kitzelte. Und da kam er, der junge Rentierhirte. In wortlosem Zusammenspiel mit seinem Hund lief er den Zuhörern entgegen. Die Wurfleine schwang ein wenig mit, als er über die Steine sprang, und das Messer schlug gegen die Außenseite seines Oberschenkels.

»Nun, es war so«, begann Biera gedehnt, der Tonfall dumpf und schwer wie das Läuten einer Kirchenglocke. Seine Stimme war von den Erinnerungen der Vorfahren erfüllt, die Worte strotzten vor Klarheit. Unmöglich zu sagen, ob jene Kraft, die er heraufbeschwor, von ihm Besitz ergriff oder ob der Rentierhirte in diesem Moment die Kraft besaß – und sie alle mit ihm. Sogar die alte Uhr an der Wand schien vor Erwartung innezuhalten, als Biera auswendig aus dem Buch der ungeschriebenen Geschichten vorlas.

»Eines Sommers waren ein junger Rentierhirt und sein Hund allein mit der Herde draußen im Fjäll. Es gab viel zu tun, und Hund und Hirte waren beide müde, als sie sich zum Schlafen ins Lavvu legten. In dem Feuer, das fast niedergebrannt war, knisterte immer noch heiße Glut zwischen den Steinen. Beinah hätte den Hirten der Schlaf schon übermannt, wie er mit geschlossenen Augen auf seinem Beutel lag, als plötzlich ein Kratzen am Zelttuch zu hören war. Er sah auf, schaute mit zusammengekniffenen Augen ins Halbdunkel und bemerkte, wie sich etwas gegen die Zeltwand drückte, also setzte er sich auf. Klingendes Lachen war zu hören und leise Worte, auf die neckende Weise der Mädchen. Er horchte und sah drei Silhouetten draußen erscheinen. Sie kabbelten miteinander, und als eine von ihnen gegen die Haut der Kota geschubst wurde, konnte er die Form eines Körpers erkennen.

»Den ganzen Tag schon hast du aus der Entfernung gespäht. Jetzt schau mal richtig hin!«

Da begriff der Rentierhirte, dass er es draußen mit Háldi­mädchen zu tun hatte, denn andere Mädchen gab es hier weit und breit nicht. In der Überlieferung und in den Sagen der Samen waren diese Wesen ganz nah, Seite an Seite mit ihnen, jedoch nur für diejenigen sichtbar, welche die Fähigkeit dazu besaßen. Es gab viele Geschichten, und er hatte alle gehört, die es in seiner Familie gab. Das Vittervolk seinerseits nannte die Samen ihre Vettern, und es gab Methoden, mit ihnen in Kontakt zu treten und sie zu überraschen, sodass sie stehen blieben und man sie anfassen konnte. Manchmal blieben sie sogar da.

Der Hund, der tatsächlich schon geschlafen hatte, war wach geworden, jetzt starrte er auf die Mädchen, sein ganzer Körper angespannt. Ein Knurren ließ seine Kehle beben und verstummte erst, als sein Herr ihm übers gesträubte Fell strich. Mit der anderen Hand griff der junge Mann nach der Messerscheide im Gürtel, und lautlos wie ein Geist zog er den Hornschaft und die scharfe Stahlschneide heraus. Als der Leib der Frau das nächste Mal gegen die Zeltwand fiel, war er bereit – vorsichtig stach er sie mit der Messerspitze in den Po, sodass auf der Haut des Zelttuches eine kleine Blüte aus Blut wuchs.

Draußen wurde es still, als hätte sich dichter Nebel übers Fjäll gelegt. Der Wind hielt die Luft an, die Bäche hörten auf zu singen, und das sanfte Knistern der Glut verstummte abrupt.

Dann wurde das dicke Tuch auseinandergezogen, und die Frauengestalt beugte sich in die Öffnung, um sich sodann mit sanften Bewegungen auf der anderen Seite des Feuers niederzulassen. Sie sah auf. Mit glänzenden Augen, dunkel wie Teiche, schaute die Háldin ihn an, bis fast keine Atemzüge mehr den Weg aus seinem Körper fanden.

Lange betrachtete sie ihn auf diese Weise, als wollte sie sein Innerstes erreichen. Schließlich lächelte sie und sagte mit fester Stimme:

»Du wolltest mich halten. Nun wollen wir sehen, ob du mich auch zu behalten vermagst.«

Ihr Samisch klang altertümlich, und als sie weitersprach, war ihre Stimme stark und ruhig.

»Ich werde deine Ehefrau werden, und mit mir bekommst du meine ganze Herde als Brautgabe. Ich werde dir gesunde Söhne und starke Töchter schenken, und wir werden glücklich sein. Doch eines musst du versprechen.«

Das Herz des Rentierhirten pochte. Er konnte nichts anderes tun, als zu nicken, erfüllt von Glück und Erwartung.

»Du darfst niemals jemandem erzählen, wie ich dein wurde oder was ich bin. Du darfst mich niemals so nennen, als gehörte ich nicht zu deiner Welt.«

Der Jüngling räusperte sich und gelobte mit Eifer und Ernst, zu tun wie geheißen. Dann ging er – wie von dem Mädchen erbeten – hinaus zu dem Platz, an dem seine Familie ihre heilige Sieidi, die Opferstätte aus Stein, errichtet hatte, und schaute mit zusammengekniffenen Augen hinaus in die helle Sommernacht. Nicht einmal die Mücken schienen sich in jener Stunde zu rühren.

Er hörte eine große Rentierherde sich nähern. Mit der Wurfleine in der Hand folgte er dem mächtigen weißen, stolzen Sarven mit dem Blick, wie sie es gewünscht hatte. Schließlich warf er. Und als es ihm gelungen war, den starken Rentierhirsch zu sich zu ziehen, da teilte sich die Herde, und die Hälfte folgte hinterdrein. Die Rentiere wurden regelrecht angesogen, strömten mit gereckten Hälsen hinter dem Leithirsch her und auf den jungen Mann zu.

Es kam, wie das Mädchen gesagt hatte. Sie heirateten, doch während der gesamten Zeremonie gingen sie beide entgegen dem Uhrzeigersinn im Kreis, und der Priester seines Dorfes las das Vaterunser rückwärts. Der weise Schamane sah wohl alles, was die Braut war, unterstand sich aber, darüber zu sprechen. Die Kinder kamen eines nach dem anderen, und durch die ansehnliche Herde der Braut war die Familie reich. Ihnen gelang alles, und sie hatten großes Rentierglück.«

Mit einem Mal war es still in der Küche. Langsam drehte Biera die Kaffeetasse und schaute nachdenklich und vielleicht mit Seherblick in den Kaffeesatz.

»Und was war dann?«, fragte der Junge.

»Das weißt du doch. Eines Abends fuhr der Ehemann mit den Fingern durch das schwarze Haar seiner Frau und flüsterte ihr ins Ohr. Geliebte Ehefrau, meine Liebe … meine Háldi … Die Ehefrau erstarrte zu Stein. Und so langsam, wie eine Wolke am Himmel von der Sonne gleitet, wandte sie sich ab und zog die Kinder an sich. Ohne ihn auch nur anzusehen, gingen sie allesamt schweigend durch die Öffnung der Kota hinaus. Und der Mann musste voller Entsetzen zusehen, wie seine Familie ebenso wie in der Entfernung die Rentierherde sich auflöste und eins wurde mit den ersten Sonnenstrahlen, die auf den Boden fielen.«

Máriddja schauderte es unter ihrer Decke, und sie wartete darauf, dass der Zauber gebrochen würde, so wie es immer geschah, wenn Biera verstummte. Eine Snusdose wurde mit einem Klicken geöffnet. Biera schob eine wulstige Prise ein. Der Junge schwieg eine Weile. Dann fragte er:

»Aber warum ist sie denn verschwunden? Wenn sie ihn doch geliebt hat. Dann hätten die Kinder und sie doch auch bleiben können.«

Biera schien gründlich nachzudenken, ehe er Antwort gab. »Obwohl sie Liebe für ihn empfand, fehlte ihr wohl in ihrem tiefsten Innern etwas. Ich glaube, man hört niemals auf,...

Erscheint lt. Verlag 31.10.2024
Übersetzer Susanne Dahmann
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte amy neff • bestseller schweden • Familiengeheimnis • Familiengeschichte • Familienroman • Familiensaga • Frauenschicksal • Geschenk für Freundinnen • Harold Fry • Heimat • Jojo Moyes • Kinderwunsch • Krankheit • Lappland • Roman für Frauen • Samen • Samisch • Schweden • Skandinavien • Trauma
ISBN-10 3-8437-3274-4 / 3843732744
ISBN-13 978-3-8437-3274-1 / 9783843732741
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