Frauenroman (eBook)
560 Seiten
Hoffmann und Campe (Verlag)
978-3-455-01836-3 (ISBN)
Gerhard Henschel, geboren 1962, lebt als freier Schriftsteller in der Nähe von Hamburg. Sein Briefroman Die Liebenden (2002) begeisterte die Kritik ebenso wie die Abenteuer seines Erzählers Martin Schlosser, die mit dem Kindheitsroman 2004 ihren Anfang nahmen. Henschel ist außerdem Autor zahlreicher Sachbücher. Er wurde unter anderen mit dem Hannelore-Greve-Literaturpreis, dem Nicolas-Born-Preis und dem Georg-K.-Glaser-Preis und dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor ausgezeichnet.
Gerhard Henschel, geboren 1962, lebt als freier Schriftsteller in der Nähe von Hamburg. Sein Briefroman Die Liebenden (2002) begeisterte die Kritik ebenso wie die Abenteuer seines Erzählers Martin Schlosser, die mit dem Kindheitsroman 2004 ihren Anfang nahmen. Henschel ist außerdem Autor zahlreicher Sachbücher. Er wurde unter anderen mit dem Hannelore-Greve-Literaturpreis, dem Nicolas-Born-Preis und dem Georg-K.-Glaser-Preis und dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor ausgezeichnet.
Cover
Titelseite
Frauenroman
Über Gerhard Henschel
Impressum
In der Posse um Hermann Zabel meldete der Germanist Theodor Ickler sich in einem Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung zu Wort:
Es ehrt den Rechtschreibreformer Professor Zabel gewissermaßen, daß er selbst nicht glauben kann, was er in das neue Regelwerk hineingeschrieben hat und in seinen zahlreichen rechtschreibdidaktischen Veröffentlichungen doch eigentlich erläutern müßte. Aber die Worttrennung ei-nander steht wörtlich da, nämlich unter Paragraph 112. Es ist Zabel, der sich hier irrt, und nicht der Berliner Lehrer Klaus Deterding (dessen Namen Zabel beharrlich falsch schreibt, was ebenfalls auf einen gewissen Mangel an philologischer Sorgfalt hindeutet).
Ein Stück aus dem Tollhaus. Der Reformer Zabel wußte selbst nicht mehr, was er beschlossen hatte!
Max Goldt schrieb mir, daß er wieder nach Berlin umziehen werde. Und:
In einer Sexanzeige steht: »Ich stöhne, bis Sie kommen. Zum Normaltarif. In einer Minute fertig.« Ich finde das etwas hastig.
Fand ich auch.
Vor der nächsten Lesung mit Eckhard Henscheid – im Bunker Ulmenwall in Bielefeld – wollte ich meine alte Tante Gertrud und ihren Mann Edgar in Bielefeld-Sennestadt besuchen.
Dummerweise hatte ich meine Bahncard verlegt. Im Göttinger Hauptbahnhof bat ich am Fahrkartenschalter um Rat, und man sagte mir, ich solle alle Tickets zum vollen Preis lösen und mir von den Schaffnern schriftlich auf den Fahrkarten bestätigen lassen, daß ich eigentlich der Besitzer einer Bahncard 50 sei.
Das sei Unsinn, erklärte der erste Schaffner, der meine Fahrkarte kontrollierte. Da gebe es nichts zu bestätigen. Die Kosten könne ich mir einfach erstatten lassen, wenn ich meine Bahncard wiedergefunden hätte.
Bei Gertrud und Edgar gab es Kaffee und Streuselkuchen. Sie waren nicht jünger geworden, die beiden, und das Dachgeschoß ihres Eigenheims war noch immer nicht mehr als ein Torso.
Diesmal erzählte Gertrud, wie sie im Frühjahr 1945 als Achtzehnjährige ihre Eltern wiedergefunden hatte: »In Hamburg hatte ich meine Patentante wohnen. Sie und ihr Mann haben mich sehr herzlich aufgenommen, obwohl die in sehr beschränkten Verhältnissen lebten, da sie im August 1943 total ausgebombt worden waren. Die beiden drängten mich weiterzufahren, denn ich sollte versuchen, so bald wie möglich über die Weser zu kommen. Viele Brücken waren schon zerstört, und die Flucht wurde immer schwieriger. Aber die Fahrt von Hamburg nach Bremen ist gottlob ohne Störungen verlaufen! Und vom Bahnhof aus hab ich einen Weg über die Weser gesucht. Eine Fußgängerbrücke war noch heile, und am anderen Ufer hab ich einen Lastwagen gefunden, der nach Leer gefahren ist. Ich war selig, daß ich mitgenommen worden bin! In Oldenburg hab ich den Wagen verlassen müssen, da mein Ziel Varel gewesen ist, aber auf der anderen Straßenseite hat wie bestellt wieder ein Lastwagen gestanden, der nach Wilhelmshaven gefahren ist, und mit dem hab ich mitfahren dürfen. Kurz vor Varel bin ich ausgestiegen und hab dann noch einen kleinen Marsch vor mir gehabt. An diesem Tag, dem sechsten April 1945, stand ich endlich bei meiner Familie vor der Tür, und wir waren glücklich wieder vereint …«
»Ihr müßt wohl einen Schutzengel gehabt haben«, sagte Edgar.
Papa war damals noch an der Ostfront verschollen gewesen.
Den schönsten Satz hatte Eckhard Henscheid sich für den Schluß unserer Lesung aufgespart: »Ich bitte Sie, den didaktischen Grundimpuls dieses Buches ganz ernst zu nehmen!«
Das Publikum nahm diese Bitte wohlwollend auf, wie es schien, und am Ende des Abends gab Eckhard mir einen Sonderdruck seines Aufsatzes über Armin Mohler ins Hotelzimmer mit.
Mohler, hatte Eckhard geschrieben, habe »die letzten fünfzig Jahre über ein intellektuell recht abenteuerliches, wahrscheinlich tapferes, teilweise wohl auch skurriles Leben geführt« und als Literaturkritiker »Intuition und Ahnkraft« bewiesen, als er beispielsweise Arno Schmidt in den frühen sechziger Jahren gegen dessen konservative Feinde verteidigt habe. Und es sei erstaunlich, daß Mohler sich auch im hohen Alter als Leser seine Neugier und »Abenteurergesinnung« habe bewahren können.
Das mochte schon sein. Aber Mohler hatte sich selbst ausdrücklich einen »Faschisten« genannt. Wie paßte das zusammen?
Auf der Bahnfahrt nach Münster, unserem nächsten Lesungsort, sagte Eckhard am Donnerstag einen Zweizeiler auf, der ihm gerade eingegeben worden war: »Aus Roma aeterna / grüßt Euch Euer Werner.«
Der hätte auch dem ungekrönten Zweizeilerkönig F.W. Bernstein Achtung abgenötigt.
Im Wolfgang-Borchert-Theater kümmerte Corinna Stegemann sich liebevoll um uns, und zur höchsten Form lief sie auf, als sie nach der Lesung beim Bier in voller Länge Friedrich Schillers Ballade »Die Bürgschaft« rezitierte. Alle zwanzig Strophen, ohne ein einziges Mal zu stocken.
»Und Erstaunen ergreift das Volk umher«, sagte Eckhard und gab Corinna als Salär einen Schnaps aus.
Am Freitag hatte ich noch einen Solotermin in der Aachener Buchhandlung Backhaus.
Bei der Medienkontrolle fragte ich mich unterwegs, was nur in Bernd Fritz gefahren sein mochte, den einstigen Titanic-Chefredakteur. Im Magazin der FAZ verbreitete er sich darüber, daß die Frauen jetzt doch bitte alle Gelb tragen sollten:
Wir sind es satt. Die Frau in Weiß haben wir gesehen und die Schwarze Witwe, den Blauen Engel und Woman in red. Wir wollen nicht länger das gleiche in Grün. Wir wollen das blaue Wunder: das Girl in Gelb …
Bebildert war dieses Plädoyer mit Aufnahmen einiger gelbgewandeter Models.
Wie konnte man nur?
In Aachen hätte ich eine Ehrenrunde drehen können, über die Beverstraße, wo zwölf Jahre zuvor meine große Liebe Andrea gewohnt hatte, zu meiner alten Luisenstraßen-WG, doch ich suchte lieber gleich mein Hotel auf.
Zu meiner Lesung erschienen exakt zehn zahlende Zuhörer. Es war schwer, diese kleine Schar in Stimmung zu bringen, und noch schwerer war es, das Parfüm einer redseligen Dame zu erdulden, die sich danach als ehemalige Mitschülerin von Brigitte Kronauer zu erkennen gab. Sie trug einen outrierten, mit Blumen und Vogelfedern besteckten Hut, der auf dem Boulevard de la Croisette in Cannes sicherlich weniger auffällig gewirkt hätte als in der Buchhandlung Backhaus in Aachen, and I wished I was homeward bound.
Home, where my love lies waiting
Silently for me …
Nur wartete zuhause leider keine Geliebte auf mich.
Vier ruppige, von zwei Hunden begleitete Herren fielen im Großraumwagen auf, indem sie rülpsten, grunzten, Dosenbier gulschten und einander Sachen erzählten, die sich schriftlich nur unzureichend wiedergeben ließen: »Letzte Woche, chrrrlp, gah, da warema omme Schützeplatz soffe, wa, ey, arre, oche, unna hamma hinnehä die Kühe ficke wolle, ey, abba da warre datt Bullen, hach hach hach, ey, da samma abba geloffe …«
So hatte auch Hölderlin die Deutschen schon gekannt: Barbaren von alters her.
Ich zog mich, so gut es ging, in meine Lektüre zurück, P.G. Wodehouse’ Roman »Weiter so, Jeeves« (»Carry On, Jeeves«), in dem der etwas vertrottelte, dem minderen Adel angehörende Dandy Bertram Wooster seine Drangsale beschrieb. Besonders schlecht war er auf einen gewissen Lord Worplesdon zu sprechen, der ihm schon in seinen Kindertagen die Furcht des Herrn ins Gebein gejagt habe:
Auch die Zeit, die angeblich alle Wunden heilt, wird nie mehr aus meinem Gedächtnis verbannen können, wie er mich, damals ein Bürschlein von fünfzehn Jahren, im Stall ertappte, als ich mir eine seiner Spezialzigarren angezündet hatte. Mit der Jagdpeitsche in der Hand stürzte er sich auf mich – just als mir klargeworden war, daß ich in diesem Moment nichts nötiger brauchte als Einsamkeit und größtmögliche Ruhe – und jagte mich eine Meile weit über schwierigstes Gelände.
Manche Sätze hatten Ewigkeitswert:
Ich meine, ich habe überhaupt nichts gegen vernünftige Vergnügungen und so, aber in meinen Augen macht sich ein Mensch verdächtig, wenn er weichgekochte Eier in den Ventilator wirft.
Und beständig lebte Bertram Wooster in Angst und Schrecken vor allen Frauen, die sich mit ihm verloben wollten. Eine davon war die breitschultrige Trulla Honoria Glossop:
Honoria, verstehen Sie, war eines dieser robusten, dynamischen Mädchen mit den Muskeln eines Weltergewichts und einem Lachen, das an eine Schwadron Kavallerie gemahnt, die über eine blechbeschlagene Brücke stürmt.
Das Lachen der Herren im Großraumwagen war vom gleichen Kaliber, und so schloß sich der Kreis.
In meiner Wohnung hatten sich Wespen breitgemacht. Aber auf welchem Wege? Waren sie durch den Briefschlitz eingedrungen?
Gut zwei Stunden brauchte ich dafür, die Biester einzeln einzufangen und an die Luft zu setzen.
Ob sie es mir wohl dankten?
Eugen Egner berichtete, daß er und seine Frau in Wuppertal ein Konzert des Brodsky Quartet besucht hätten:
Zum Glück wurden an der Kasse keine Chipstüten verkauft (»Das müssen wir tun, sonst kommt niemand«), aber Programmhefte sind ein trefflicher Chipstütenersatz. Hinter mir saß eine Frau,...
Erscheint lt. Verlag | 7.11.2024 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Henschel Gerhard • Karriere und Liebe • Martin Schlosser • Martin-Schlosser-Chronik • Parodie • Rechtschreibreform • Titanic |
ISBN-10 | 3-455-01836-X / 345501836X |
ISBN-13 | 978-3-455-01836-3 / 9783455018363 |
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