Buddhistische Märchen aus dem alten Indien (eBook)
400 Seiten
Anaconda Verlag
978-3-641-32422-3 (ISBN)
- Neuausgabe des Klassikers der Indologie
- Von der großen Indologin Else Lüders zum ersten mal aus dem Sanskrit übersetze Texte des buddhistischen Werkes Dschatakam
- Erzählungen aus einer buddhistischen heiligen Schrift: Voller Lebensklugheit helfen sie den richtigen Pfad zu finden
- Mit einem Nachwort von Heinrich Lüders
3. Sutanu (398)
Einstmals, als Brahmadatta zu Benares regierte, wurde der Bōdhisatta in der Familie eines armen Haushalters wiedergeboren, und man gab ihm den Namen Sutanu. Als er herangewachsen war, diente er um Lohn und erhielt seine Eltern, und als der Vater gestorben war, erhielt er die Mutter.
Zu der Zeit war aber der König von Benares der Jagd ergeben. Eines Tages zog er mit großem Gefolge in den ein bis zwei Meilen großen Wald und ließ allen ankündigen: »Der, an dessen Platz eine Gazelle durchbricht, hat ihren Wert zu zahlen.« Die Hofleute errichteten an der Stelle, wo das Wild vorbeizukommen pflegte, eine versteckte Hütte und wiesen sie dem König an. Als nun die Gazellen von den Leuten, die ihre Lagerplätze umringt hatten, mit lautem Geschrei aufgescheucht waren, da rannte eine schwarze Gazelle auf den Standort des Königs los. Der hoffte sie treffen zu können und schoss einen Pfeil ab. Als die Gazelle, die in Listen erfahren war, merkte, dass der Pfeil auf ihre Flanke zukam, warf sie sich herum und ließ sich zu Boden fallen, als wenn sie vom Pfeil getroffen wäre. Der König dachte, er habe die Gazelle getroffen und lief hin, um sie zu holen. Die Gazelle aber sprang auf und entfloh schnell wie der Wind. Die Höflinge und die übrigen Leute lachten den König aus. Da jagte er hinter der Gazelle her, und als sie ermattet war, hieb er sie mit dem Schwert in zwei Teile, hängte sie an einen Stock, und wie er nun so, gleichsam eine Tragstange tragend, dahinwanderte, gelangte er zu einem Feigenbaum, der am Weg stand und dachte: ›Ich will ein wenig ausruhen‹ und legte sich nieder und schlief ein. In diesem Feigenbaum aber war ein Jakkha namens Makhādēwa wiedergeboren; der hatte von Wessawana die Erlaubnis erhalten, alle, die dahin kämen, zu fressen. Als der König aufstand und gehen wollte, packte der Jakkha ihn an der Hand und rief: »Halt, ich will dich fressen!« – »Wie heißt du?« – »Ich bin ein hier wiedergeborener Jakkha, und ich darf diejenigen, die diesen Ort betreten, fressen.« Der König nahm seinen Mut zusammen und fragte: »Willst du nur heute oder willst du für immer etwas zu fressen haben?« – »Wenn ich kann, will ich für immer zu fressen haben.« – »Dann friss heute diese Gazelle und lass mich los! Von morgen ab werde ich dir einen Menschen mit einer Schüssel voll gekochten Reis schicken.« – »Dann sei nur sorgsam damit! An dem Tag, wo du nichts schickst, werde ich dich fressen.« – »Ich bin der König von Benares, bei mir gibt es nichts Unmögliches!« Der Jakkha ließ es sich versprechen und ließ ihn los.
Als der König in die Stadt zurückgekehrt war, erzählte er einem mit den Geschäften betrauten Minister die Sache und fragte: »Was ist jetzt zu machen?« – »Habt Ihr die Zahl der Tage begrenzt, Herr?« – »Das ist nicht geschehen.« – »Das war nicht recht von Euch getan, dass Ihr es so gemacht habt. Aber habt keine Sorge, es sind viele Leute im Gefängnis.« – »So besorge du diese Angelegenheit, rette mir das Leben!« Der Minister erklärte sich dazu bereit. Täglich nahm er aus dem Gefängnis einen Menschen und schickte ihn, ohne ihn etwas wissen zu lassen, mit einer Schüssel Reis zu dem Jakkha. Wenn dann der Jakkha den Reis verzehrt hatte, fraß er den Mann. Nach einiger Zeit waren die Gefängnisse leer von Menschen. Da erzitterte der König vor Todesfurcht, weil er keinen mehr bekommen konnte, der den Reis hintrug. Der Minister beruhigte ihn und sagte: »Herr, stärker als das Verlangen zu leben ist das Verlangen nach Geld. Wir wollen einen Beutel mit tausend Kahāpanas auf die Schultern eines Elefanten legen und unter Trommelschlag verkünden lassen: ›Wer will für dieses Geld dem Jakkha Reis bringen?‹ « Und so ließ er es machen. Da dachte der Bōdhisatta: ›Ich bringe durch meine Arbeit nur einen Groschen oder einen halben zusammen und kann davon nur mit Mühe meine Mutter ernähren. Ich will dies Geld nehmen, es meiner Mutter geben und zu dem Jakkha gehen. Sollte ich imstande sein, den Jakkha zu bezwingen, so ist es gut; sollte ich nicht dazu imstande sein, so wird meine Mutter ein behagliches Leben haben.‹ « Er erzählte der Mutter die Sache. Zweimal wies sie ihn zurück. »Rede nicht davon, mein Sohn, ich brauche das Geld nicht.« Zum dritten Mal fragte er nicht mehr um ihre Einwilligung, sondern sagte: »Ihr Herren, bringt die Tausend her! Ich will den Reis hinbringen.« So nahm er die Tausend, gab sie der Mutter und sagte: »Sorge dich nicht, Mutter, ich werde den Jakkha bezwingen und dem Volk Heil bringen. Heut noch werde ich wiederkommen und dein tränenfeuchtes Antlitz wieder lachen machen.« Damit verabschiedete er sich ehrerbietig von der Mutter und begab sich mit den Dienern des Königs zum König und blieb nach ehrerbietigem Gruß stehen. Als der König ihn fragte: »Mein Lieber, willst du den Reis hinbringen?«, antwortete er: »Ja, Herr!« – »Was musst du dazu haben?« Er sagte: »Eure goldenen Schuhe, Herr.« – »Zu welchem Zweck?« – »Herr, der Jakkha darf alle, die auf dem Platz am Fuß des Baumes stehen, fressen. Ich werde mich aber nicht auf den Platz, der ihm gehört, stellen, sondern werde in den Schuhen stehen.« – »Musst du noch etwas anderes dazu haben?« – »Euern Sonnenschirm, Herr.« – »Warum denn?« – »Herr, der Jakkha darf alle, die im Schatten seines Baumes stehen, auffressen. Ich werde mich nicht in den Schatten seines Baumes stellen, ich werde im Schatten des Sonnenschirmes stehen.« –»Musst du noch etwas anderes dazu haben?« – »Euer Schwert, Herr.« – »Wozu brauchst du das?« – »Herr, auch die Dämonen fürchten sich vor denen, die Waffen in den Händen haben.« – »Musst du noch etwas anderes dazu haben?« – »Reis, wie Ihr ihn esst, in Eurer goldenen Schüssel.« – »Aus welchem Grund, mein Lieber?« – »Herr, für einen weisen Mann, wie ich es bin, ist es nicht passend, gewöhnliche Speise in irdener Schüssel zu bringen.« – »Gut, mein Lieber«, sagte der König, ließ ihm alles geben und gab ihm Diener mit, seine Befehle auszuführen. Dann verabschiedete sich der Bōdhisatta ehrerbietig von dem König, indem er sagte: »Großer König, fürchte dich nicht! Ich werde noch heute zurückkommen, nachdem ich den Jakkha bezwungen und Euch Heil gebracht habe.« Dann ließ er die Gerätschaften aufpacken, begab sich dorthin, ließ unweit von dem Baum die Leute sich aufstellen, stieg in die goldenen Schuhe, gürtete sich das Schwert um, hielt sich den weißen Sonnenschirm über den Kopf und, den Reis in der goldenen Schüssel tragend, näherte er sich dem Jakkha. Als der Jakkha den Weg entlangsah, erblickte er ihn und dachte: ›Dieser Mann kommt nicht in der gleichen Weise, wie die Männer an den anderen Tagen kamen; was kann wohl der Grund sein?‹ Der Bōdhisatta aber ging nahe an den Baum heran und schob mit der Spitze des Schwertes die Reisschüssel in den Schatten hinein, und am Rand des Schattens stehend, sprach er den ersten Vers:
»Der König schickt dir hier den Reis,
der säuberlich mit Fleisch gemischt.
Der du im Makhādēwa wohnst,1
1Es scheint, wenn die Lesung richtig ist, dass der Name des Jakkha auf den Baum, in dem er wohnt, übertragen ist.
tritt vor! Iss, was dir aufgetischt!«
Als der Jakkha das hörte, dachte er: ›Ich werde diesen Mann überlisten und ihn, wenn er in den Schatten getreten ist, fressen‹, und so sprach er den zweiten Vers:
»Komm etwas näher, Knabe! Bring
dein würzig Mahl nur hier herein!
Du, Knabe, und dein Reisgericht,
ihr beide sollt mein Fressen sein.«
Darauf sprach der Bōdhisatta zwei Verse:
»Geringem Vorteil jagst du nach,
derweil der große dir entgeht.
Wer wird dir Speise bringen wohl,
wenn ihm der Tod vor Augen steht?
Leckre, saubre, saft’ge Speise –
immer kannst du auf sie zählen.
Doch wenn du mich frisst, o Jakkha,
wird es an dem Bringer fehlen.«
Da erkannte der Jakkha, dass der junge Brahmane das Richtige gesagt habe und sprach freundlich gestimmt zwei Verse:
»Es ist mein Vorteil, Sutanu,
wie, Knabe, du mich lehrst.
So will ich dir’s erlauben, dass
du heim zur Mutter kehrst.
Nimm Schwert und Schirm und Schüssel, Knab!
In Frieden magst du gehn.
Gesund soll dich die Mutter schaun
und du die Mutter sehn.«
Als der Bōdhisatta die Rede des Jakkha vernommen hatte, dachte er erfreuten Herzens: ›Mein Werk ist vollendet, ich habe den Jakkha bezwungen, viel Geld hab ich erlangt, ich habe des Königs Auftrag ausgeführt‹, und indem er sich bei dem Jakkha bedankte, sprach er den Schlussvers:
»So wünsche ich dir, Jakkha, Heil,
dir und der Sippe dein.
Des Königs Auftrag ist erfüllt,
und all das Geld ist mein.«
Nach diesen Worten aber sprach er zu dem Jakkha: »Lieber, du bist als ein wilder, grausamer Jakkha, der sich vom Fleisch und Blut anderer ernährt, wiedergeboren, weil du in einem früheren Dasein eine schlechte Tat begangen hast. Von heut ab gib das Vernichten von Leben und ähnliches böses Tun auf!« Und nachdem er dem Jakkha den Segen der Tugend und den Fluch der Sünde auseinandergesetzt und ihn in den fünf Geboten befestigt hatte, sprach er: »Was willst du in dem Wald wohnen? Komm, ich will dir eine Wohnung am Stadttor verschaffen und veranlassen, dass du den besten Reis erhältst!« Damit brach er zusammen mit dem Jakkha auf und wanderte nach Benares, und der...
Erscheint lt. Verlag | 6.11.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Märchen / Sagen |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2024 • achtsames Leben • Achtsamkeit • Anthologie • Ayurveda • Buddha • buddha literatur • Buddhismus • eBooks • einstieg in buddhismus • Fabeln • geschenk für yogalehrerin • Gleichnisse • Indien • Indienreise • Indische Märchen • Indische Mythen • Kurzgeschichten • Lebensweisheit • Legenden • Märchenbuch • märchenbuch indien • Neuerscheinung • Pfad der Erleuchtung • Sagen • Selbstreflexion • Yoga |
ISBN-10 | 3-641-32422-X / 364132422X |
ISBN-13 | 978-3-641-32422-3 / 9783641324223 |
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