Stell dir vor, es geht nicht, und einer tut es doch (eBook)
288 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3250-5 (ISBN)
Felix Klieser, geboren 1991, nahm bereits mit fünf 5 Jahren den ersten Hornunterricht, mit 13 Jahren wurde er Jungstudent an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. 2014 erhielt er den ECHO-Klassik als Nachwuchskünstler des Jahres sowie den Musikpreis des Verbands der Deutschen Konzertdirektionen. 2016 wurde ihm der Leonard Bernstein Award des Schleswig-Holstein Musik Festival verliehen. Seit 2018 leitet er an der Musikhochschule Münster seine eigene Hornklasse. Felix Klieser gibt Konzerte mit den größten Pop- und Klassik-Stars auf der ganzen Welt - u. a. mit Sir Simon Rattle und Sting und spielte zahlreiche CDs ein.
Felix Klieser wurde 1991 in Göttingen geboren. Ohne Arme, aber dafür mit der Vision, der größte Hornist der Welt zu werden. Erst nahm ihn niemand ernst, dann wurde er es und bekam nicht nur den ECHO Klassik, sondern auch den Leonard Bernstein Award verliehen. Als Solist spielt er Konzerte auf der ganzen Welt. In der Royal Albert Hall, aber auch an der Seite von Sting oder Sir Simon Rattle.
Vorwort
Es ist doch immer wieder erstaunlich, welch großen Einfluss der Zufall auf unser Leben hat. In einem Augenblick kann er uns in die Höhen des Glücks emporheben, nur um uns im nächsten Moment tief in die Abgründe der Verzweiflung zu stürzen. Bemerkenswert, wie er in einem Wimpernschlag die Welt verändern – und manchmal sogar die gesamte Menschheit voranbringen kann.
Die Entdeckung des Penicillins ist ein Beispiel für diese Macht des Zufalls. Als der schottische Bakteriologe Sir Alexander Fleming im Jahr 1928 darauf stieß, war es ursprünglich gar nicht seine Absicht gewesen, ein Mittel zur Abtötung von Bakterien zu entwickeln. Doch wie es der Zufall so wollte, vergaß Fleming eines Septembertages, eine mit Bakterienkulturen angereicherte Petrischale abzudecken. Als er ins Labor zurückkehrte, musste er verdutzt feststellen, dass einige seiner Staphylokokken-Bakterien diese Nachlässigkeit nicht überlebt hatten. Ein Schimmelpilz der Gattung penicillium notatum hatte sich in seiner Petrischale häuslich eingerichtet und eine Substanz abgesondert, welche Bakterien den Garaus macht. Die Tatsache, dass Fleming aufgrund eines Zufalls diese Beobachtung machen konnte, sollte Millionen von Menschen das Leben retten.
Auch mein Leben ist von Zufällen geprägt. Abgesehen davon, dass ich überhaupt geboren wurde, meine ich damit vor allem die Tatsache, dass ich ohne Arme zur Welt kam. Warum, ist bis heute ein Rätsel. Vermutlich eine Laune der Natur. Andere Menschen interessieren sich sehr für den Grund dafür, warum ich so bin, wie ich bin. Ich nicht. Was würde es an meinem Leben ändern, es zu wissen?
Der zweite große Zufall in meinem Leben, für den ich ebenfalls keine wirkliche Erklärung habe, ist die Tatsache, dass ich mit vier Jahren plötzlich den Wunsch hatte, Horn zu spielen. Aufgewachsen in einer Familie, in der niemand ein Instrument spielte, war dieser Wunsch mehr als ungewöhnlich. Ich erinnere mich nicht einmal daran, bis dahin ein Konzert besucht und dort ein Horn gesehen zu haben. Genausowenig traf ich in der Fußgängerzone auf einen Hornisten und war von dem merkwürdigen Instrumentenkasten auf seinem Rücken fasziniert. So bleibt meine allererste Begegnung mit diesem Instrument bis heute ungeklärt. Es scheint mich gefunden zu haben.
Diese beiden Zufälle miteinander zu vereinen wurde schließlich zu meiner Lebensaufgabe. Eine Aufgabe mit unzähligen Erkenntnissen und Einsichten. Erkenntnisse, die ich vermutlich nie gesammelt hätte, wäre nur einer dieser beiden Zufälle eingetreten. Ich halte sie für so grundlegend, dass jeder sie anwenden und für sich nutzen kann.
So richtig bewusst wurde mir das erst im Laufe der letzten Jahre. Um ehrlich zu sein, sind in gewisser Weise Taxifahrer schuld daran – oder besser gesagt: meine Gespräche mit ihnen. Meistens finden diese Unterhaltungen auf dem Weg von meinem Zuhause zum Flughafen statt. Ich gebe zu, dass ein armloser Mann, bestückt mit Koffer und Instrument, allein auf dem Weg zum Flughafen, prinzipiell erst einmal Fragen aufwirft – und das Bedürfnis auslöst, diese in nachvollziehbarer Weise zu klären.
Das Spielchen ist eigentlich immer dasselbe. Nach einer höflichen Begrüßung und dem ersten Austausch über die aktuelle Großwetterlage, dem Jammern über die neusten Baustellen und die dazugehörigen Umleitungen wird das Gespräch nach und nach persönlicher.
»Wo geht es denn hin?« ist zumeist die Auftaktfrage, mithilfe derer der Taxifahrer irgendwie versucht, Licht ins Dunkel zu bringen.
Ich nenne dann für gewöhnlich meinen Zielort: Italien, Spanien, Korea, Mexiko. Die Destination ist eigentlich nebensächlich. Denn kaum ist der Ort verraten, kommt sofort die nächste Frage auf.
»Urlaub?«, erkundigt der Fahrer sich und sieht dabei nicht selten in den Rückspiegel, um Blickkontakt herzustellen.
»Nein, beruflich«, gebe ich zu verstehen.
»Was machen Sie denn beruflich?«
»Ich bin Musiker.«
Spätestens ab diesem Moment ist die Verwirrung perfekt. Fragezeichen über Fragezeichen schwirren plötzlich durch den Fond des Wagens. Meistens wissen die Taxifahrer in dem Moment gar nicht, welches von ihnen sie zuerst lösen sollen. Ich muss zugeben, es macht mir inzwischen ein wenig Spaß, dieses Spielchen zu spielen, weil ich es in- und auswendig kenne und über die Jahre verfeinert habe. Natürlich könnte ich einfach tief Luft holen und erzählen, wer ich bin und was ich mache. Tue ich aber nicht. Stattdessen verwende ich die Salami-Taktik.
»Ach, in der Tasche dahinten ist ein Instrument?«, versuchen die meisten erst einmal dem offensichtlichsten der vielen Rätsel auf die Spur zu kommen.
»Ja genau, ein Horn.«
Wieder Verwirrung. Geige, Saxophon oder Gitarre wäre ja noch etwas, worunter man sich etwas vorstellen kann. Aber Horn? Was ist das denn jetzt schon wieder? So etwas wie eine Trompete? Egal, nicht noch eine Baustelle voller Fragezeichen eröffnen. Erst mal muss der Rest geklärt werden. Denn in der gesamten Konstellation gibt es einen natürlichen Feind: den immer näher kommenden Flughafen. Er markiert die Deadline, bis zu welcher der Fahrer möglichst viele Fragezeichen vernichtet haben muss. Würde er es bis dahin nicht schaffen, all seine Puzzleteile zusammenzubekommen, wäre die Chance vermutlich unwiderruflich dahin. Und ihm ist klar, dass ihn dieser Cliffhanger den Rest seines Lebens verfolgen wird.
Für mich sind diese Begegnungen immer etwas amüsant. Nicht unbedingt deshalb, weil Taxifahrer zu ärgern zu meinen Hobbys gehören würde. Ganz im Gegenteil. Taxifahrer gehören zu den nettesten und interessantesten Personen, auf die ich in meinem Beruf treffe. Jeder von ihnen hat seine ganz persönliche Lebensgeschichte zu erzählen, die mich regelmäßig zum Nachdenken bringt. Ich erfahre viel darüber, was Menschen motiviert, was sie fasziniert und welche Wünsche sie haben. Und ich lerne viel darüber, wie unterschiedlich Lebenswege aussehen können und dass bestimmte Sichtweisen, die ich besitze, durchaus auch einen anderen Blickwinkel vertragen, ohne dass man darüber urteilen müsste, welcher nun richtig und welcher falsch sein könnte. Allein die Tatsache, dass unterschiedliche Sichtweisen durchaus nebeneinander existieren können, ist etwas, worüber ich mir ohne meine unzähligen Taxifahrten vermutlich nie so intensiv Gedanken gemacht hätte. Und das ist eine Erkenntnis, die für meinen Weg und für dieses Buch durchaus zentral ist.
Was mich an den Flughafen-Fahrten amüsiert, ist etwas anderes: die putzige Verwirrtheit, mit der ich dabei konfrontiert werde. Es ist ein wenig so, also würde man eine Person, die vor 300 Jahren in einen tiefen Dauerschlaf versetzt worden ist, plötzlich im Hier und Jetzt aufwecken. In den 300 Jahren hat sich natürlich das ein oder andere geändert. Es gibt mittlerweile Flugzeuge, Fernsehen und das Internet. Für eine Person, die zur Fortbewegung noch auf das Pferd zurückgegriffen und bei Dunkelheit ein paar Kerzen angezündet hat, muss das ein Schock sein. Sie wird vermutlich denken, sie träumt. Obwohl es genau das ist, was sie ja nun nicht mehr tut. Sie kann sich nicht erklären, wie es möglich ist, dass große Metallröhren durch die Luft fliegen und Nachrichten innerhalb von Millisekunden mithilfe eines handlichen Geräts um die halbe Welt und wieder zurück geschickt werden können; eine Welt übrigens, die nachweislich rund ist.
Uns würde es sicher amüsieren, diese Person beim Entdecken der neuen Welt zu beobachten. Fragen zu hören wie: »Und für das Verschicken der Nachricht braucht man jetzt keine Kutschen mehr?« würde uns vermutlich in prustendes Gelächter ausbrechen lassen, weil es für uns so selbstverständlich ist.
So empfinde auch ich mein Leben als vollkommen selbstverständlich – einfach deshalb, weil es mein Leben ist. Doch darum soll es in diesem Buch nicht in erster Linie gehen. Sondern vielmehr darum, welche grundlegenden Denkweisen und welchen Umgang mit Problemen und Hindernissen ich daraus gelernt habe. Dafür ist es unerheblich, wie viele Gliedmaßen du besitzt oder welchem Beruf du gerade nachgehst. Es ist das Zusammenspiel zwischen deinem Verstand und deinen Erfahrungen, das prägt, wie du mit der Welt interagierst. Der Rest? Ist flexibel.
Die meisten Menschen folgen dem, was sie sehen. Eine Behinderung ist schließlich nichts anderes als eine sichtbare Schwäche. Doch ich lehne mich so weit aus dem Fenster, zu behaupten, dass jeder Mensch Schwächen besitzt. Mit dem einzigen Unterschied, dass man manche Schwächen sofort erkennen kann, andere wiederum nicht. Doch nur weil bestimmte Dinge für uns sofort sichtbar sind, heißt es nicht, dass sie auch gravierender sind als andere. Genauso verhält es sich mit unseren Stärken. Viele von ihnen erkennen wir erst im Laufe des Lebens. Andere entdecken wir nie, oder sie begegnen uns nur durch Zufall. Doch ich stelle noch eine weitere Behauptung auf: Es ist zweitrangig, mit welchen Stärken und Schwächen wir geboren werden, wenn wir lernen, wie wir clever damit umgehen.
Genau das ist es, was die Taxifahrer immer wieder verwirrt: dass eine Person mit einer offen...
Erscheint lt. Verlag | 29.8.2024 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Motivation • Resilienz • Selbstbefähigung • Selbstwirksamkeitserwartung • Umsetzung • Ziele |
ISBN-10 | 3-8437-3250-7 / 3843732507 |
ISBN-13 | 978-3-8437-3250-5 / 9783843732505 |
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