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Der Honigmann (eBook)

Roman | 'Pointiert, klug und relevant - ein Gesellschaftsroman für unsere Zeit'

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
256 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44983-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Honigmann -  Peter Huth
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Ein Vorort wie aus dem Bilderbuch - doch was machen Vorzeigebürger*innen, wenn ihre hübsche Fassade bröckelt? In Peter Huths Roman ist ein Vorort von Berlin die perfekte heile Welt für Mittelschicht-Familien - bis ein unheilvolles Gerücht die Runde macht ... Für Fine und Tim ist das malerische Fischbach vor den Toren der Großstadt das Familienparadies, von dem sie geträumt haben. Unter den anderen Eigenheimbesitzern finden sie schnell Freunde für sich und ihre Tochter. Als ein älterer Herr einen kleinen Laden für Honig, Tee und Deko eröffnet, scheint er das letzte Mosaiksteinchen im Idyll zu sein: Immer hat er ein offenes Ohr für die Mütter und einen Kakao für die Kinder. Jeder in Fischbach liebt den Honigmann - bis ein schockierendes Gerücht über seine Vergangenheit die Runde macht. Plötzlich steht alles, das so sicher schien, zur Disposition: Freundschaften, Beziehungen, Wohlstand. Wie weit wird Fine gehen, um ihre Vorortidylle zu beschützen? So klug wie Dörte Hansen und so aktuell wie Juli Zeh: So sollte Gegenwartsliteratur sein. Der Journalist und Autor Peter Huth liefert Gesellschaftskritik und kluge deutsche Literatur in einem. Der Roman »Der Honigmann« erzählt pointiert von den Ängsten der Mittelschicht und dem Kampf um ihre scheinbar heile Welt.

Peter Huth ist in Kleve aufgewachsen und arbeitete nach dem Mauerfall zunächst in Halle an der Saale als Journalist. Weitere Stationen sind Köln, Hamburg, Warschau und Berlin. 2003 erschien sein erstes Buch, »Infarkt«, ein Jahr später erhielt Huth den Hamburger Förderpreis für Literatur. Heute arbeitet er als Autor mit den Schwerpunkten Politik, Gesellschaft und Kultur. Peter Huth lebt mit seiner Familie in Berlin.

Peter Huth ist in Kleve aufgewachsen und arbeitete nach dem Mauerfall zunächst in Halle an der Saale als Journalist. Weitere Stationen sind Köln, Hamburg, Warschau und Berlin. 2003 erschien sein erstes Buch, »Infarkt«, ein Jahr später erhielt Huth den Hamburger Förderpreis für Literatur. Heute arbeitet er als Autor mit den Schwerpunkten Politik, Gesellschaft und Kultur. Peter Huth lebt mit seiner Familie in Berlin.

Erstes Kapitel


TIM

Ich selbst habe den Honigmann nie kennengelernt. Aus Honig mache ich mir nichts und noch weniger aus diesem Dekokram, den er in seinem Laden verkauft hat. Tassen, Vasen, Kerzen, Gläser, Duftöl, Tee in bunten Verpackungen. Solches Zeug. Staubfänger. Fine sieht das natürlich anders. Wir haben eine Regel: Für jedes neue Stehrumchen, das sie kauft, muss ein anderes weggeworfen werden. Wir ersticken sonst in diesem Krempel. Sie hat versucht, mich auszutricksen, und immer mehr Tee gekauft, »Tee der Hundertjährigen« beispielsweise. Keine Ahnung, was das war, Tee jedenfalls nicht. Lange, getrocknete Stiele von irgendeiner Wunderpflanze aus den Bergen von Rumänien, wo die Leute eben 100 Jahre alt werden. Man kennt ja diese Geschichten. Mal ist es Rumänien, mal Kreta, mal woanders: Mittelmeerdiät, auf Fisch basierende Ernährung bei den Japanern. Fine hat sich sogar eine Netflix-Doku darüber angesehen: »Die blauen Zonen«. Gut, man konnte ihn schon trinken, diesen Sud aus dem rumänischen Gestrüpp, er schmeckte zwar nach nichts, und viel besser habe ich mich nachher auch nicht gefühlt. Dabei habe ich sehr viel »Tee der Hundertjährigen« getrunken in den letzten Monaten.

Der Laden vom Honigmann war mir zum ersten Mal aufgefallen, als wir vom Italiener kamen, mit Carla. Das muss im November gewesen sein oder im Dezember, jedenfalls war es ziemlich kalt. Wir standen auf dem Schulparkplatz, ich wollte möglichst schnell zum Auto und meine Tochter auch. Doch Fine blieb vor dem Schaufenster stehen und war gar nicht mehr wegzubekommen. Alles war schon angeordnet und dekoriert, durchaus mit Geschmack, muss ich sagen. Dass der Laden ein Erfolg werden konnte, war mir gleich klar. Fine und die anderen Frauen hier, die mögen so etwas, sie müssen sich ja ständig Kleinigkeiten mitbringen. Zum Geburtstag, zu Ostern, zu Weihnachten, wenn sie sich besuchen oder zum Abendessen eingeladen sind. Und natürlich als Schuljahresendgeschenke für die Lehrerinnen und Lehrer. Das ist hier so ein Brauch. Ich persönlich kann mich nicht erinnern, dass wir unseren Lehrern mal was geschenkt haben, aber das hat sich in den letzten zwanzig Jahren eben total verändert. Es gab einen Riesenbedarf für diese Mitbringsel bei uns in Fischbach, nicht zu teuer, nicht zu günstig, ganz und gar nutzlos, aber eben nett. Da hatte dieser Honigmann schon einen guten Riecher.

»Das ist genau, was uns hier noch gefehlt hat«, sagte Fine, als wir im regnerischen Halbdunkel vor dem Geschäft standen. »Die perfekte Frauenfalle«, sagte ich und weiß noch, dass eine ältere Frau, die ich gar nicht kannte, in diesem Moment an uns vorbeilief und laut lachte.

 

Wir sind vor über zehn Jahren nach Fischbach gezogen, und ich muss sagen, dass es die beste Entscheidung unseres Lebens war. Nicht nur für Carla, sie ist jetzt sieben, sondern auch für Fine und mich. Eigentlich ist es verrückt. Wir beide hatten ein Leben lang davon geträumt, raus aus der Provinz zu kommen und in die Großstadt zu ziehen. Wohnung mit Dachterrasse, Blick über die Stadt. Wir hätten uns nie Yuppies genannt, das war damals schon ein Schimpfwort, aber wir waren die klassischen Dinks: Double Income, no Kids. Fine hatte eine sehr gute Rolle in der Serie bekommen, viele Drehtage. Sicher nicht der Traum, den sie gehabt hatte, als sie auf der Ernst-Busch-Hochschule war, aber eine sichere Sache und fantastisch bezahlt. Ich selbst musste mehr Projekte ablehnen, als ich annehmen konnte. Es gab damals noch nicht so viele Programmierer wie heute. Also richtig gute. Und ich war richtig gut.

Da saßen wir also in unserer Terrassenwohnung in der Stadt und tranken Prosecco, rauchten jeden Abend zwei, drei Joints, hörten Radiohead und tanzten ein bisschen zu den Lichtern der Stadt. Die Staffelmiete war viel zu hoch, aber wir wussten unser Geld nicht besser auszugeben. Das exzessive Reisen hatten wir schon hinter uns, außerdem musste Fine sich nach dem engen Drehplan richten. Wir wollten jetzt erwachsen sein und das auch zeigen. Während alte Freunde von uns noch zu Ikea fuhren, waren wir jeden Samstag im »Stilhaus«. Dort gab es Möbel, die teuer waren und schäbig aussahen, gemacht für Terrassen wie unsere. Dazu Terrassengärtnerzeug für Terrassengärtner, speziellen Terrassengartendünger für Terrassenpflanzen, die uns am Ende doch egal waren. Es war eine gute Zeit. Zu unseren drei, vier Lieblingsrestaurants waren es nur ein paar Schritte, und egal, wie voll es war, wir bekamen immer einen Tisch. Natürlich wegen Fine. Sie war ein bisschen ein Star. Manchmal, wenn wir am Fenster saßen, kamen Fotografen und schossen Bilder von ihr durch die große Frontscheibe. Ihr war das unangenehmer als mir. Ich war nämlich ziemlich stolz auf meine Frau. Zugegeben auch darauf, dass sie meine Frau war.

Welche Jahreszeit war, merkte ich überhaupt nicht mehr. Ich stieg vor der Tür ins Taxi und ließ mich in die Firma fahren, für die ich gerade irgendein System entwarf. Auch da lief es richtig gut, das war noch vor free lunch und Kickertischen auf jeder Etage. Leistung war gefragt und wurde mehr als fair bezahlt. Die Twin Towers und den Irak hatten wir alle schon vergessen, und wir mussten Betroffenheit vorspielen, wenn unsere Freunde von ihren Zukunftsängsten erzählten.

Doch die Stadt veränderte sich. Die Sauftouristen kamen mit easyJet und Ryanair, und sie tobten die ganze Nacht durch die Straßen. Irgendwann hast du keine Lust mehr, jeden Morgen über irische Kotze zu stolpern. Fine hatte das noch mehr genervt als mich. Es ist auch vorgekommen, dass sie dumm angemacht wurde. Ihr erster Kinofilm war ein kleiner Erfolg, und die meisten können ja nicht zwischen Rolle und Darstellerin unterscheiden. Privat ist sie ganz anders als im Job, auf jeden Fall nicht diese Frau aus dem Kinofilm. Als ich das Ding zum ersten Mal sah, hatte ich sie gar nicht erkannt. Eindrucksvoll. Aber auch beängstigend.

Unsere geschützten Räume, die Läden, wo man uns kannte und die Kellner über Fine wachten, gingen verloren. Damals waren es nicht hohe Mieten oder explodierende Energiepreise, sondern Wirte, die den Unterschied zwischen brutto und netto nicht verstanden. Erst machte der Rabe zu, dann das Venti Tre, und irgendwann orderten wir unser Essen nur noch; es gab da diesen Lieferservice, der à la carte aus ausgewählten Restaurants brachte. Aber nicht lange, es rechnete sich nicht. Außerdem war es ziemlich mies von uns, dort zu bestellen, weil wir im sechsten Stock ohne Aufzug wohnten. Der einzige Nachteil der Wohnung. Uns war das egal, weil wir ja nichts schleppen mussten – die Lebensmitteleinkäufe erledigten wir online. Irgendwie konnte das alles nicht so weitergehen, das wurde uns mehr und mehr klar.

 

Mit dem Honigmann war es auf jeden Fall so, dass er schnell zu einem festen Bestandteil von Fischbach wurde, so wie der Bach, die »Mühle«, die Friedrichschule, der Kaiser’s-Kaffee-Supermarkt, der Marienkäfer und der Tennisverein.

Ich glaube nicht, dass irgendjemand von denen, die da jeden Tag gesessen haben, überhaupt wussten, wie der Inhaber hieß. Alle nannten ihn nur »den Honigmann«. Im Nachhinein ist das natürlich eine total kranke Ironie.

Wenn Fine von ihm erzählte, habe ich nie richtig zugehört. Sosehr ich Fischbach mochte, so wenig interessierte mich diese neue Gesellschaft mit all ihren komplizierten Regeln und Ritualen, die da gewachsen war. Für mich war schon die Eigentümerversammlung in der Siedlung oder ein Elternabend Horror. Mit den alten Fischbachern hatten wir nicht wirklich was zu tun, die saßen bei Kaiser’s an der Kasse oder waren Elektriker oder Klempner. Da sah man sich mal. Aber für sie war Fischbach einfach der Ort, an dem sie lebten, weil ihre Eltern schon hier gewohnt hatten. Der reichste Mann, bevor wir Familien kamen, soll übrigens der Bestatter gewesen sein. Schon verrückt. Die alten Fischbacher starben, die jungen zogen in die Stadt, wo wir herkamen. Für uns war es eine Oase.

Der Honigmann, sagte ich mal zu Robert, meinem Nachbarn und besten Freund, war schon ein guter Geschäftsmann. Die Kinder strömten gleich nach der Schule in seinen Laden, bekamen einen Kakao, und die Mütter holten sie dann bei ihm ab. Tranken noch einen Latte, plauderten mit dem Mann und untereinander und kauften dann das hundertste Honigglas oder den nächsten Tee der 100-jährigen Rumänen. Die Einzige, die das mit dem Honigmann auch kritisch sah, war Louisa, aber die hatte ja auch einen echten Hasso-Lohenstein-Knall, der mit seiner »Mühle« für sie das personifizierte Fischbach war. Und der Honigmann eine Bedrohung. »Nicht dass die Leute jetzt nicht mehr zu Hasso gehen, wenn der immer seinen Latte verschenkt«, hatte sie gesagt. »Fair enough«, meinte ich zu Robert, wenn das sein Geschäftsmodell ist. Aber mein Freund kam, seit er seinen Job beim Magazin verloren hatte, nicht mehr gut damit klar, wenn andere Erfolg hatten.

Mir war vor allem wichtig, dass Fine sich wohlfühlte. Sie war wegen ihres Berufes immer scheuer geworden. Zu viele Leute, die sie blöd anquatschen, man macht sich da keine Vorstellung. Die, die nur ein Selfie wollen, sind die harmlosesten. Aber es gibt auch die, die offenbar denken, dass jemand, der mal in einer Serie mitgespielt hat, so eine Art Allgemeingut ist. Die kommen an und nerven. Und lassen nicht locker. Das war der Grund, warum Fine vergangenes Jahr aus der Serie ausgestiegen ist. In der Rolle setzte sie – schwanger vom falschen Kerl, verzweifelt – ihren Porsche gegen eine Ampel und war so nach einer letzten Nahaufnahme Geschichte. Eine Woche später gab es eine neue Zickenblondine, Bettina Anden hieß die.

Fine spielte dann wieder...

Erscheint lt. Verlag 1.8.2024
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
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ISBN-10 3-426-44983-8 / 3426449838
ISBN-13 978-3-426-44983-7 / 9783426449837
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