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Die vergessenen Kinder (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
448 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-32329-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die vergessenen Kinder -  Emily Gunnis
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Ein tragischer Cold Case, eine alte Schuld und ein düsteres Geheimnis
Sussex 1985: Holly Moore führt ein trostloses Leben im düsteren Waisenhaus Morgate. Für ein wenig Zuneigung würde die einsame Teenagerin alles tun. Als sie einem jungen Mann begegnet, der sich aufrichtig um sie zu sorgen scheint, keimt Hoffnung in ihr auf.

2015: Jo Hamilton blickt auf eine lange Karriere bei der Polizei zurück. Als die Leiche eines jungen Mädchens entdeckt wird, holt sie ein Cold Case wieder ein, der sie nie losgelassen hat: Handelt es sich bei dem Fund um Holly Moore, die damals spurlos verschwunden ist? Und was ist mit dem anderen Mädchen aus dem Waisenhaus, dessen Tod ebenfalls nicht aufgeklärt wurde? Im Zuge der Ermittlungen wird Jo klar, dass sie sich der furchtbaren Schuld stellen muss, die sie damals auf sich geladen hat.

Emily Gunnis arbeitete lange beim Fernsehen, unter anderem als erfolgreiche Drehbuchautorin. Die Tochter der internationalen Bestsellerautorin Penny Vincenzi lebt mit ihrer Familie im südenglischen Sussex. Ebenfalls bei Heyne erschienen sind ihre Romane »Das Haus der Verlassenen«, »Die verlorene Frau« und »Das Geheimnis des Mädchens«.

Prolog
JO


14. Dezember 1975


An alle Einsatzwagen, ein Fahrzeug zur Nummer 42, Wicker Street in Saltdean. Nachbarin, Mrs. Bubble, meldet häusliche Gewalt.

Police Constable Joanna Hamilton stieß eine adrenalingeschwängerte Atemwolke in den kalten Innenraum ihres Morris 1000, als sie zum Funkgerät links neben ihrem Lenkrad griff.

»Whisky – vier – null – eins. Bin allein auf Streife, aber in vier Minuten vor Ort«, sagte Jo und nahm einen letzten Schluck von dem wärmenden Tee, den Martha vom 24-Stunden-Waschsalon in der Saltdean High Street für sie gekocht hatte – den Tipp, wo sie sich während einer langen Nachtschicht einen dringend benötigten Becher Tee holen konnte, hatte Jo von ihrem Bruder bekommen.

Roger, wenn du dich jetzt auf den Weg machst, schicke ich noch einen weiteren Wagen dorthin.

Die Antwort kam im Moment, als Jo auf dem Armaturenbrett den Schalter für das Blaulicht drückte und Martha winkte, die im warmen Dunst der Trockner an der Theke Wäsche zusammenlegte. Im Losfahren entschied sich Jo, die Sirene nicht einzuschalten; die Nacht war bitterkalt, die Straßen weitestgehend leer, und sie wollte bei ihrer Ankunft in der Sozialsiedlung nicht gleich die gesamte Nachbarschaft aufwecken. Sie trat aufs Gaspedal und warf einen Blick auf das Ziffernblatt ihrer kleinen Lederarmbanduhr, das Mitternacht anzeigte; Sperrstunde der Pubs und – ihrer begrenzten Erfahrung zufolge – die Uhrzeit, wenn gewalttätige Ehemänner nach Hause kamen und auf ihre Frauen losgingen.

Als sie auf die Küstenstraße A259 fuhr, klapperte der kleine himmelblaue Streifenwagen in der eiskalten steifen Brise, die vom Ärmelkanal über die Saltdean Cliffs herüberzog. Ihr Herz fing an zu rasen, denn sie wusste, dass sie sich um Fälle von häuslicher Gewalt nicht allein kümmern sollte, aber sie hoffte, dass der Anblick eines Polizeiwagens genügen würde, um Handgreiflichkeiten bis zum Eintreffen von Verstärkung zu verhindern. Bis zu den erst kürzlich auf der Wache vorgenommenen Veränderungen wäre es undenkbar gewesen, dass sie sich je allein in eine solch ungeschützte Lage begeben hätte. Wie die meisten ihrer Kolleginnen ärgerte sich Jo über das 1975 erlassene Gleichbehandlungsgesetz. Es hatte im Wesentlichen den Schutz von Frauen zum Ziel, was konkret für die Arbeit der Polizei bedeutete, dass Straftaten nicht länger in »blau« für Männer: schwere Verbrechen und Betrug, sowie »rosa« für die Frauen der Dienststelle unterschieden wurden: Bagatelldelikte, Ladendiebstähle, die Betreuung von Gefängnisinsassinnen und ihren Kindern. Tatsächlich waren sie seitdem alle mit vielen Grauzonen konfrontiert, und das Leben war noch schwieriger als vorher. Alle Frauen bei der Polizei erledigten letztlich immer noch die »rosa« Fälle, nur dass sie zusätzlich noch allein für sehr gefährliche Nachtschichten eingeteilt wurden. In ihrer ersten Nacht allein auf Streife hatte Jo schreckliche Angst ausgestanden, aber sie hütete sich, bei ihrem Vorgesetzten, Detective Chief Inspector Bart Bailey, eine Beschwerde vorzubringen, denn dann hätte sie gleich ihre Sachen packen können. Zu ihrer großen Erleichterung schien aber, wenn Tätlichkeiten drohten, häufig schon die Gegenwart einer Frau auszureichen, damit sich die Atmosphäre entspannte. Und bald stellte Jo fest, dass sie ein Händchen dafür hatte, erhitzte Gemüter zu beruhigen. Indem sie beschwichtigend auftrat, leise, aber entschieden sprach und Kinder aus der Gefahrenzone brachte, konnte sie sich in der Regel genügend Zeit verschaffen, bis die Verstärkung eintraf.

Jo schaltete einen Gang zurück und drückte kräftig aufs Gaspedal, als sie den höchsten Punkt der Steilkante erreichte, wo zu ihrer Rechten das Kinderheim Morgate House stand, ein imposantes viktorianisches Gebäude aus rotem Backstein, das in den vergangenen hundert Jahren Pflegekinder im Alter von drei bis siebzehn Jahren beherbergt hatte. Hoch über den Saltdean Cliffs aufragend, war das Heim auf dem Meer aus vielen Meilen Entfernung zu sehen, doch in den letzten zehn Jahren war es gefährlich nah an die zerklüftete weiße Felswand herangekommen, die oben in immer alarmierenderem Tempo auf den darunter gelegenen Strand abbröckelte. Und da nur ein kleiner weißer Lattenzaun das Grundstück, auf dem Morgate House stand, von dem gut sechzig Meter hohen Steilabfall zum Saltdean Beach trennte, war dieser Ort zum Anziehungspunkt für alle möglichen verlorenen Seelen geworden, die sich das Leben nehmen wollten. Ausreißer wie Gemma Smith, eine fünfzehnjährige Bewohnerin von Morgate House. Den Fundort ihrer aufgequollenen und seltsam verdrehten Leiche hatte Jo erst im vorigen Monat am Strand absperren müssen. Nun überlief es sie kalt, als sie an dem gewaltigen neogotischen Herrenhaus vorbeifuhr und sich an Gemmas leblose Gliedmaßen erinnerte – wie die Tentakel einer Qualle hatten sie ausgestreckt auf den unteren Felsen gelegen; Teile von Fischernetzen hatten sich in Gemmas langen Haaren verheddert, und in der stürmischen See waren ihr die Kleider vom Leib gerissen worden. Es war ein bitterkalter Tag gewesen, als Jo versucht hatte, Pfähle in den Grund einzuschlagen, um die sie das Polizeiabsperrband wickeln konnte. Sie hatte Wache gestanden, um die schaulustige Menge davon abzuhalten, zu nah heranzudrängen, und es hatte quälend lange gedauert, bis ihre männlichen Kollegen endlich gekommen waren. In dem eisigen Meereswind hatte sie neugierige Blicke abwehren müssen, während der Kriminaltechniker Fotos von Gemmas übel zugerichteter Leiche machte. Danach hatten zwei Bestatter sie schließlich auf eine Bahre gehoben, um sie zur Untersuchung durch den Pathologen in die Leichenhalle zu bringen.

Jo hatte versucht, nicht zu Gemmas totem Körper zu blicken, aber das Mädchen schien sie aus seinen grünen Augen mit den dichten dunklen Wimpern bei der Arbeit zu beobachten. Diese Augen hatte Jo an dem Tag nicht zum ersten Mal gesehen, nur dass bei ihrer vorherigen Begegnung noch Leben in ihnen gewesen war – als Gemma beim Stehlen von Keksen in Jenkins’ Minimarket in der Rottingdean High Street erwischt wurde und Jo während ihrer Schicht per Funk dorthin beordert worden war. Gemma, ein zierliches Mädchen in einem grauen Wollpullover, mit wallenden dunklen Haaren rund um das hübsche Gesicht, hatte im Hinterzimmer des kleinen Lebensmittelladens gesessen und auf ihre Hände hinuntergestarrt, während der Inhaber und seine Frau sie mit finsteren Blicken bedacht hatten.

»Diese verdammten Gören vom Morgate House, immer lungern sie hier rum und wollen was klauen. Ich hab die Nase voll. Warum könnt ihr von der Polizei nicht mal zu den Betreibern raufgehen und denen die Leviten lesen. Die Gören sind außer Rand und Band, bis in die Puppen treiben die sich oben beim Getreidespeicher auf dem Tye rum. Stehlen und saufen.«

»Ich fahr heute noch zu Morgate House rauf, Mrs. Jenkins, bitte entschuldigen Sie die Umstände. Möchten Sie Anzeige erstatten?«

»Nein, ich will keine Anzeige erstatten, für so was hab ich gar keine Zeit, und das Kind hat ja nur Hunger, aber es ist nicht unsere Aufgabe, die durchzufüttern. Wir kommen hier ja selbst kaum über die Runden.« Sie hatte ihre schmutzigen Hände an ihrer braunen Schürze abgewischt und sah böse auf Gemma hinunter, die nicht einmal den Kopf gehoben hatte.

Im Wagen hatte das Mädchen sich geweigert, auch nur eine von Jos Fragen über das Leben im Kinderheim zu beantworten und warum sie Lebensmittel klaute. »Ich möchte dir helfen, Gemma«, hatte sie gesagt, »wenn sie euch nicht genug zu essen geben, kannst du mir das sagen.«

Gemma hatte die Autotür geöffnet, um auszusteigen, dann hatte sie ihre grünen Augen fest auf Jo gerichtet. »Sie glauben, wir wären Ihnen wichtig, aber das sind wir nicht! Sie gehen nach Hause zu Ihrer Familie, und in ein oder zwei Tagen haben Sie mich vergessen. Alle wollen nur, dass wir verschwinden. Also, vielleicht mach ich das eines Tages. Mein Kerl und ich, wir hauen von hier ab.«

»Mrs. Price?« Eine grauhaarige Frau in den Fünfzigern hatte die Tür geöffnet, Gemma ins Haus gescheucht und sich Jo gegenüber kurz angebunden gegeben. »Ich habe gedacht, wir könnten vielleicht über die Mahlzeiten der Kinder sprechen. Gemma sagt, sie sei sehr hungrig.«

»Sie bekommen ordentlich viel zu essen«, hatte die Frau in barschem Ton erwidert. »Sie können jederzeit wiederkommen und sich bei einer Mahlzeit selbst davon überzeugen. Wenn Sie eine Beschwerde haben, wenden Sie sich ans Jugendamt.«

Mrs. Price hatte die Tür geschlossen, und Gemma hatte Jo noch einmal über die Schulter hinweg angesehen – mit dem gleichen unverwandt starrenden Blick, den sie auch am Saltdean Beach auf Jo gerichtet hatte.

Diese Augen hatten Jo seitdem tatsächlich in ihren Träumen verfolgt und den Wunsch in ihr geweckt, der gerichtlichen Untersuchung von Gemmas Tod beizuwohnen. Ihr Bruder Charlie hatte Jo begleitet – er war zehn Jahre älter und ebenfalls im Polizeidienst. Zwar hatte Gemma einen furchtbaren Start ins Leben gehabt, dennoch war sie Jo voller Mut und Elan erschienen. Sie hatte Pläne für die Zukunft geschmiedet, und Jo konnte nicht begreifen, wie eine so lebendige und schöne junge Frau so verzweifelt sein konnte, dass sie sich das Leben nahm.

Zusammen mit Charlie hatte sie im Coroner’s Court in Brighton auf den kalten, harten Holzbänken gesessen und die letzten Minuten der Untersuchung mit angehört, in denen ihr Vorgesetzter, Detective Inspector Bart Bailey, Gemmas schwieriges Leben geschildert hatte. Seinem Bericht zufolge war sie unzählige Male wegen Ladendiebstahls und...

Erscheint lt. Verlag 1.9.2024
Übersetzer Ute Brammertz, Carola Fischer
Sprache deutsch
Original-Titel The Girls Left Behind
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2024 • 2. Weltkrieg • altes Geheimnis • Charlotte Link • dunkles Geheimnis • eBooks • Familiendrama • Frauenspannung • Historische Romane • Kate Morton • Katherine Webb • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Lesetipps zum Verschenken • Lucinda Riley • Neuerscheinung • Roman • Romane • weibliche Ermittlerin • Weltkrieg
ISBN-10 3-641-32329-0 / 3641323290
ISBN-13 978-3-641-32329-5 / 9783641323295
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