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Prachtexemplar (eBook)

Geschichten zwischen Bühne, Baumarkt und Familientisch
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
224 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-31730-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Prachtexemplar -  Stephan Zinner
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Als Schauspieler, Kabarettist und Musiker weiß Stephan Zinner: Das härteste Publikum wartet zuhause - die eigene Familie. Trotzdem stellt er sich gerne den Herausforderungen als Koch von trendigem Soulfood, Fahrdienstleiter, Christbaum-Chefeinkäufer, Heimwerker und Schwiegersohn. Dafür bekommt er zwar nicht immer Applaus, die Verletzungsgefahr ist hoch und die Gage niedrig, aber ein Lächeln ist eh viel mehr wert. Da hält man sogar die Welt da draußen aus, voller Scheuklappenträger auf ihrem eiligem Weg zur Selbstoptimierung. Zinners Kurzgeschichten erzählen von kleinen Siegen und fulminanten Alltagspleiten zwischen Bühne, Baumarkt und Familientisch. Getragen vom rustikalen Feingeist eines genialen Unterhaltungskünstlers, versammeln sie sich zu einem von Florian Mitgutsch illustrierten Prachtexemplar von Buch.

Stephan Zinner, geboren 1974, ist Schauspieler, Autor, Musiker und Kabarettist. Er spielte auf den Bühnen des Landestheaters Salzburg und der Kammerspiele in München sowie unvergessliche fünfzehn Jahre lang im Singspiel auf dem Nockherberg als Markus Söder. Seit 2016 gehört er zum Cast der bundesweit erfolgreichen Eberhofer-Krimi-Reihe nach den Romanen von Rita Falk, darüber hinaus ist er im Münchner »Polizeiruf 110« sowie in der Hauptrolle im BR-Sechsteiler »Himmel Herrgott Sakrament« zu sehen. Regelmäßige Auftritte mit musikalischen Lesungen in Deutschland und Österreich bestreitet er mit Kollegen wie Hannes Ringlstetter (»2 Typen, 2 Gitarren, 2 Bücher«) und Stefan Leonhardsberger (»Kaffee & Bier«). Sein aktuelles Soloprogramm heißt »Der Teufel, das Mädchen, der Blues & Ich«. Stephan Zinner lebt mit seiner Familie in München.

DIE LEGENDÄRE BEERDIGUNG VOM METZGERMEISTER FROHMAIER


»Und? Wie wollen Sie’s?«, kam die Frage aus dem Hintergrund.

»Wie bitte?« Ich drehte mich um.

»Na, wollen Sie im Ganzen unter die Erde oder soll man Sie verbrennen?«

Ich wusste keine Antwort. Um ehrlich zu sein, hatte ich mir darüber noch nie Gedanken gemacht. Mein Gegenüber schien dies zu ahnen.

»Verstehe, da habens noch nicht drüber sinniert, gell. Das solltens aber machen, weil tot ist man gleich.«

»Da haben Sie recht«, antwortete ich und machte den Reißverschluss meiner Jacke zu. Langsam ging die Sonne hinter den Häusern unter. Es wurde kühler.

»Wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«

»Ich? Ich bin der Herr Schwan. Ich bin Friedhofsgärtner.« Er winkte ab. »Vor mir brauchens aber keine Angst haben.«

»Nein, nein, Angst hab ich keine, aber Sie sind schon, wenn ich das sagen darf, eine ganz schöne Erscheinung.«

Dazu muss man erwähnen, dass vor mir ein bestimmt zwei Meter großer, ungefähr sechzig Jahre alter Mann stand, der eine Art Overall an hatte, damit aber sehr stilvoll aussah. Er war, so gut man es erahnen konnte, ziemlich sportlich. Wenn er seine Oberarme bewegte, zeichnete sich sein Bizeps deutlich unter der Kleidung ab. Zudem trug er eine Mütze mit einem 1860-München-Logo.

»Ja, ja, ja, bei uns in der Familie sind sie alle nicht klein, aber ich bin noch mal a bissl oben raus geschossen. Mein Vater hat immer gesagt, ich soll das Wachsen aufhören, weil da oben die Luft dünn wird. Der hat sich übrigens derschossen.«

»Oh, das tut mir leid.« Ich war überrascht von der Aussage.

»Das muss Ihnen nicht leidtun. Er war ein Depp.« Damit spuckte er auf den Gehweg.

Ich sagte nichts darauf, weil ich ja weder den Herrn Schwan noch seinen Vater richtig kannte.

»Und wie finden Sie’s?« Herr Schwan deutete auf das Grab vor uns.

»Schön. Haben Sie das gemacht?«

Herr Schwan kam neben mich.

»Selbstverständlich, die Kombination von Rosen, Gerbera Aurantiaca und blasser Callas ist meine Spezialität. Sie harmoniert wundervoll mit der Schlichtheit des Kranzes und verleiht dem Grab des Hinterbliebenen eine gewisse Größe und Würde, ohne dabei Kraft zu verlieren.« In seiner Stimme schwang ein gehöriger Stolz.

Ich stimmte ihm wortlos zu.

Er sprach weiter: »Das Gesteck erinnert mich an die Beerdigung vom Metzgermeister Frohmaier in Trudering. Das war vor … Moment, lassens mich nicht lügen … das war vor, gut sechs Jahren. Da hatten wir in das Gesteck noch kleine Salamibrezeln eingearbeitet, ohne dabei ins Proletarische abzurutschen. Das war a tolle Arbeit. Ich erinnere mich noch gut, weil auf der Beerdigung vom Frohmaier der Chor der Metzgerinnung so schön gesungen hat.« Er fing an zu lachen.

Ich sah ihn fragend an.

»Na, weil beim Frohmaier der Chor so schön gesungen hat, deshalb lache ich. Es wäre ja Mist gewesen, wenn der Chor traurig gesungen hätte, bei dem Nachnamen, verstehens, Frohmaier?« Bei seinen Ausführungen kam er immer mehr ins Lachen, sodass es ihm am Ende das Wasser in die Augen trieb.

»Sie mögen Ihren Beruf, oder?«

»Beruf kommt von Berufung.« Er trocknete sich mit einem Stofftaschentuch die Tränen.

»Ich glaube, ich möchte, also wenn’s so weit ist, verbrannt werden«, sagte ich zu meinem Nebenmann.

»Aha«, kam es kurz und etwas abschätzig.

»Was heißt, aha?«

»Mei, verbrennen … das passt schon, aber mir sind halt Beerdigungen mit einem richtigen Sarg lieber.« Er zuckte mit den Schultern.

»Weil Sie dann mehr verdienen?«, wollte ich wissen.

»Nein, nicht unbedingt. Das kommt immer drauf an. Wenns Lust haben, gehens darüber.« Er deutete Richtung Südeingang. »Da ist eine saubere Urnenbeisetzung. Schaut sehr gut aus.«

»Verstehe«, sagte ich, um irgendetwas zu sagen.

»Mir geht’s um die Show«, fuhr er fort, »nicht, dass Sie mich falsch verstehen, Show meine ich nicht despektierlich. Nein, nein, nein, der Ablauf bei einer Sargbestattung gefällt mir halt besser. Morgen, wenns Zeit haben, kommens vorbei, da lassen wir einen Gestopften runter. Das wird Ihnen gefallen.«

»Ich kann doch nicht einfach so auf eine Beerdigung gehen, bei der ich den Toten gar nicht kenne.«

»Ah, freilich, das machen viele.« Damit schloss er den Reißverschluss von seinem Overall. Auch ihm wurde kalt. Der aufkommende Wind ging einem ganz schön in die Knochen. Die Sonne war jetzt ganz weg.

Wir, also der Herr Schwan und ich, standen auf dem Ostfriedhof in Obergiesing. Ich hatte meine Tochter zu einer Gesangslehrerin in die St.-Martin-Straße gefahren. Wir, und ich sage bewusst wir, hatten schon ziemlich viel ausprobiert, was den musikalischen Sektor betrifft: Gitarre, Klavier, so komisches Trommeln, diesmal war es Gesang. Um mir etwas die Zeit zu vertrödeln und die Wartezeit zu überbrücken, war ich auf den Ostfriedhof geschlendert. Die Probestunde, so hatte mir die ukrainische Opernsängerin gesagt, würde gut eine Stunde, also eine normale, keine Schulstunde, dauern. Das hatte sie dreimal wiederholt. Anscheinend war ihr das sehr wichtig. Gern wäre ich dabeigeblieben, um zu hören, wie meine Tochter sang, doch das macht man nicht. Auch wenn die warme Wohnung bestimmt ein besserer Platz zum Warten gewesen wäre als der zugige Friedhof. Aber ab und zu trifft man auf interessante Menschen, genau wie ich gerade, und da muss man halt mal ein bissl was aushalten.

»Es gehen also wirklich Leute auf eine fremde Beerdigung?« Das war eine ernst gemeinte Frage.

»Ja, selbstverständlich, was glauben Sie? Morgen, zum Beispiel, wenn da der Geldige eingegraben wird. Da würde ich schätzen, dass den gut ein Viertel nicht gekannt hat.«

»Krass.« Ich schaute mich auf dem Friedhof um und überlegte, ob es so eine Art Friedhoftourismus gab.

»Sind das dann alte Menschen, denen langweilig ist, oder die vielleicht einsam sind?«, wollte ich wissen.

»Mei, ganz unterschiedlich … beim Frohmaier damals, da waren schon sehr viele da, die ihn wirklich gekannt haben. Der war ja eine lokale Größe. Ein Metzger vom alten Schlag. Gut hundertzwanzig Kilo schwer, Hände, groß wie Bratpfannen, aber ein ganz ein sanftes Herz. Das hat ihn auch dann umgehauen.«

»Das sanfte Herz?«, fragte ich nach.

»Ja, das war halt so … gehen wir ein Stück, sonst frieren uns die Zehen ein.« Wir setzten uns in Bewegung. Und dann erzählte mir der Herr Schwan die Geschichte vom Metzgermeister Frohmaier in allen Einzelheiten. Ich kürze sie ein bissl ab, aber ich versuche, die wichtigsten Details zu erwähnen. Karl Frohmaier übernahm das Geschäft von seinem Vater Willy Frohmaier im Jahre 1999. Es lief gut und bald lernte er Gerlinde Blum kennen, die alle nur »Gerli« nannten. Sie arbeitete bei ihrem Vater, dem Umzugsexperten von München, Willy Blum, »Blum Transporte – wir transportieren alles«, und schmiss dort das Büro. Schnell heirateten sie, die Gerli bekam zwei Kinder, Justus und Korbinian, und alles schien wunderbar zu laufen, bis die Gerli eine Affäre mit dem Bäckermeister Holler anfing. Man weiß nicht, ob die Tatsache, dass ihr Liebhaber ausgerechnet ein Bäcker war, das Ganze noch schlimmer gemacht hat, auf alle Fälle brach die Fremdgeherei dem Frohmaier das Herz. Und beim Leberkäs machen, an einem Dienstag in der Früh, sind ihm dann die Lichter ausgegangen.

»Sind Sie verheiratet?« Herr Schwan schaute mich von der Seite an.

»Ja, seit fünfundzwanzig Jahren«, sagte ich stolz.

»Sehr gut, und?«

»Was und?«

»Haben Sie vor Ihrer Frau Geheimnisse?« Jetzt ging er schon ganz schön ins Detail, aber ich konnte ehrlich antworten: »Nein, habe ich nicht.«

Herr Schwan sagte nichts, sondern schaute nur.

»Was?« Ich war ein bissl genervt.

Immer noch kam kein Wort von ihm.

»Na gut, kleine Geheimnisse hab ich schon, aber nicht solche.«

»Wie klein?«

Ich schaute ihn streng an.

Er winkte mit beiden Händen ab. »Nein, nein, nicht, dass Sie mich falsch verstehen, Sie müssen mir nichts erzählen. Ich frag ja nur.«

Wir gingen ein paar Meter, ohne zu sprechen.

»Mei, ich hab zum Beispiel letzte Woche eine original Tasse von der Trauung von Prinz Charles und der Diana runtergeschmissen. Nicht, dass sie daran gehangen hätte, aber trotzdem. Das war ganz schön tollpatschig von mir. Und dann hab ich sie mit Sekundenkleber wieder zusammengepappt. Aber ich bin mir sicher, sie hat das eh schon gemerkt, sagt aber nix.«

»Ach, so klein meinen Sie.« Er nickte verständnisvoll.

Es gibt Menschen, mit denen redet man über Sachen, über die man mit anderen niemals reden würde. Herr Schwan war so einer. Nachdem er mir erzählt hatte, dass seine Frau vor drei Jahren an einem fiesen Krebs gestorben war und er seitdem mit dem Haushalt kämpft, erzählte ich ihm davon, dass ich vor Kurzem ein brutales Desaster in unserer Küche erlebt hatte, als ich die Spülmaschinen-Tabs nicht von ihrer Plastikhülle befreien konnte. Ja, sicher hätte man die Anleitung auf der Packung lesen können, dann hätte man gewusst, dass sich das Plastik auflöst, wenn man die Tabletten in die Spülmaschine gibt. Aber wer liest schon, was auf der blöden Packung steht? Niemand. Also ich zumindest nicht.

Und nachdem ich mit den bloßen Fingern keinen Erfolg erzielt hatte, nahm ich eine Schere und versuchte es damit. Bei dem Wort Schere schüttelte der Herr Schwan den Kopf. Ich bestätigte ihm, dass ich nur mit sehr viel...

Erscheint lt. Verlag 11.9.2024
Illustrationen Florian Mitgutsch
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte 2024 • 2 typen, 2 gitarren, 2 bücher • Alltagskomik • Bayrischer Humor • der teufel, das mädchen, der blues & ich • eberhofer-krimis • eBooks • Familienleben • Kabarett & Comedy • kaffee & bier • Neuerscheinung • Polizeiruf 110 • Situationskomik • Väter und Kinder
ISBN-10 3-641-31730-4 / 3641317304
ISBN-13 978-3-641-31730-0 / 9783641317300
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