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Pando (eBook)

Roman | Wie kann das gehen - sich lieben, im Sog der Welt?
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
206 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-78037-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Pando -  Enis Maci,  Pascal Richmann
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Die Welt ist am Arsch, doch Hans und Reja lieben sich. Gemeinsam fahren sie los. Sie treffen auf ausgehöhlte Landschaften, widersprüchliche Gründungsmythen und Geschichten, die sich um den Erdball spannen. Ein Mormone sucht den Schatz des Moctezuma in der Wüste Utahs. Ein mörderischer Apotheker baut eine Rutsche durch sein Haus. Eine Filmemacherin jagt einen flüchtigen Einbrecher. Und währenddessen rauscht der Wind ungestört, wie vor 40 000 Jahren schon, durch Pando, das größte Lebewesen der Welt.

Enis Maci und Pascal Richmann erzählen von Orten, die sich in die Erinnerung einschreiben, lang bevor man sie selbst betritt. Vom Strudel der Ereignisse, der an uns allen zerrt. Immer der Frage nach: Wie kommt die Gegenwart zustande, und was können wir ihr entgegensetzen?



Enis Maci wurde für ihre Theaterstücke und Essays mehrfach ausgezeichnet. Im Suhrkamp Verlag erschienen <em>Eiscafé Europa</em>, <em>WUNDER </em>und <em>Karl May</em> (mit Mazlum Nergiz). 2024 erscheint der gemeinsam mit Pascal Richmann verfasste Roman <em>Pando</em>.

2


Als Hans und Reja zu heiraten beschließen, in einer Eckkneipe, die Destille heißt, jubeln die Spieler an den Automaten ihnen zu. Und plötzlich – drei Kirschenpaare. Manni mit den Tränensäcken ist außer sich. Die Groschen prasseln nur so, und er wirft sich zu Boden und beschreibt einen Halbkreis mit seinem Körper, als wolle er sie schützen, und so ist es ja auch. Das ist der Moment, auf den er täglich wartet, obwohl er nicht an ihn glaubt. Die Umstehenden verziehen sich diskret ins Dunkel. Vom Display leuchtet ein Aztekentempel. Nur der Schädelturm fehlt. Wo werden sie unterkommen, die Geister der Besiegten, bei ihrer jährlichen Rückkehr in unsere Welt? Welches sind die Opfer, die Manni hierhergebracht haben?

Noch am selben Abend bucht Reja zwei Flüge nach Amerika.

Das Jahr 1520. Dass seine letzte Reise bereits eine Weile zurückliegt, spürt Dürer, als er in Würzburg an Bord geht. Venedig hat ihm gut gefallen, der Dogenpalast, das gotische Maßwerk und außerdem die Gondeln. Daran erinnert sich der Tourist Albrecht Dürer, beim Einsteigen, als er vor und zurück wankt, auf dem Main, aufgeregt, dass es jetzt endlich ablegt, das Schiff, stromabwärts, immer weiter, in den Rhein hinein. Er zeigt seine Zollpapiere. Er döst unter Deck. Und plötzlich ist er da, in Köln, von wo aus er zum Schatz des Moctezuma will, mit der Kutsche durch den Wald. Doch schon kurz vor Jülich wird ihm eine Blutwurst serviert. Dass sie verdorben ist, merkt Dürer nicht, weil der Wirt sie mit Apfelmus garniert. Dass etwas fehlt, das satt macht, stört ihn nicht. Der Gourmet Albrecht Dürer hat genug Roggenbrote gegessen. Morgens Brot, mittags Brot, Brot zum Abendbrot. Nie wird er Pommes probieren, Rösti, Reibekuchen, Gratin und Krokette.

Zur selben Zeit ist es Nacht in Mexiko. Zur selben Zeit kreuzen die Konquistadoren im Golf vor Yucatán. Unter ihnen bewegen sich Aale, Sardellen und Asseln, die fünfzigmal größer sind als eine gemeine Assel im Keller der Kathedrale von Sevilla. Diese Riesenassel kann Jahre ohne Nahrung überstehen. Sinkt aber mal ein toter Wal zu ihr hinab, hört sie nicht zu fressen auf. Wochenlang nagt sie am Tran, obwohl ihre Organe schon drohen ans Exoskelett zu stoßen, schwerer werden mit jedem Bissen, bis die eigene Brut von ihrem sich ausbreitenden Innern erdrückt worden ist. Da liegt sie also, die Riesenassel, hunderte von Metern unter den Konquistadoren, als randvoller Sarg ihrer Kinder. Und in noch tieferen Tiefen? Von Erdöl gespeiste Asphaltvulkane. Wo sie ausbrechen, siedeln sich Muscheln an, an ausgehärteten Hängen, als ruhten ihre Körper im Führerhaus eines Trucks. Chemosynthese, am Rasthof, am Grund der Bucht von Campeche. Ihr Schiff ist zwar mit Bitumen abgedichtet, aber die Konquistadoren haben keine Ahnung von Öl. Sie wissen auch nicht, dass sie gerade einen Krater überqueren, auf ihrem Weg nach Veracruz, wo Gold auf sie wartet. Diesen Krater wird erst PEMEX entdecken, einer Bohrung wegen, nach der Enteignung von Shell.

In ihrem einstigen Palais in der Hauptstadt amtieren jetzt Petroleos Mexicanos. Damit endete ein in der Sozialgeschichte einzigartiger Kampf; auf der einen Seite stand ein Land, auf der anderen Royal Dutch Shell, Standard Oil und California Sinclair – die allmächtige Dreifaltigkeit des Petroleum-Weltmonopols.

Bevor die Verhältnisse also in Bewegung geraten, bevor der sogenannte Westen zum Boykott aufruft gegen das bolschewistische Mexiko, lange bevor sich der erste Ölteppich auf den Golf legt, bewegt es sich in ihm, und unter den Konquistadoren –

The carpet, too, is moving under you

Das Jahr 2019. Blass geht der Mond auf Hans Schläfe unter. Reja öffnet die Tür und schleicht durchs Wohnzimmer. Auf dem Sofa liegen Alice und Jean, ineinander verschlungen, mit abgewandten Gesichtern, wie ein einziger schöner Götze.

Es ist Dezember und angenehm mild in Oakland, California. Von den Wänden der Gebäude lächeln Angela und Malcolm auf Reja herab, oder vielleicht doch eher auf die anderen Passanten, derer es wenige gibt. Auch wenn sie nicht gemeint ist, fühlt sie sich, wie immer, angesprochen.

Im Diner wird sie an den letzten freien Platz am Tresen geführt. Neben ihr sitzt ein magerer Mann in Bergsteigerkleidung. An seiner Hand leuchtet ein Ring, der Schlafqualität und Blutdruck misst. Das Silicon Valley liegt fünfzig Meilen entfernt, so weit wie die Quelle der Emscher, an deren Ufer Reja aufgewachsen ist, von ihrer Mündung. In Wahrheit aber frisst sich das Valley in die Gegend hinein, und seine Wirkung ist noch weit im Hinterland zu spüren. Während Reja die laminierte Speisekarte studiert, schlägt ein Mitarbeiter der Firma Facebook Alarm: Die Mieten in der Region sind so hoch, dass die Büros im Schmutz versinken. Niemand ist bereit, stundenlang zu pendeln, um die Kaugummis von den Schreibtischen jener Autoren zu kratzen, die mitschreiben an der Welt, die sie formen oder verformen, wer weiß das schon so genau.

Als sein Frühstück serviert wird, beginnt der Techie laut das Vaterunser zu beten. Reja hat Todesangst. Sie sieht ihn schon entsichern, laden, zielen. Sie hört ihn schon ein Naschid auf Chick-fil-A intonieren.

Die Kellnerin füllt ihr den restlichen Kaffee in einen Styroporbecher um. Deckel dazu? Der Techie kaut. Die anderen Gäste beachten ihn nicht. Ein Mädchen nimmt eine Sprachnachricht von epischer Länge auf. Es wendet sich, wenn es am Strohhalm saugt, vom Telefon ab, ohne die Aufnahme zu unterbrechen, und spricht, nach dem Schlucken, weiter.

Im Garten stehen Rejas Freunde mit verquollenen Augen auf dem Rollrasen und rauchen, während der Hund von Jeans Onkel, ein durch Generationen profitabler Inzucht entstellter Pitbull Terrier, an seinem Gummihuhn nagt. Diesiges Licht. Alice setzt ihre Sonnenbrille auf. Jean ist frisch rasiert. Auf seinem Hemd ein kleiner Ketchupfleck.

Das Jahr 2014. Jean und Hans sind Praktikanten einer Zeitung, die in die Karpaten verschickt wird, in Dörfer, in denen niemand mehr lebt, der sie liest. Die Redaktion sitzt in einem entlegenen Flügel des Bukarester Pressehauses. Gemeinsam irren die beiden durch die Korridore. Jean merkt, wie beunruhigt Hans ist. Hans liebt, wie leise Jean bei der Arbeit spricht und dass er abends, wenn sie auf den Dielen liegen, ganz anders ist. Im Erdgeschoss lassen sie sich die Haare schneiden und tragen fortan dieselbe Frisur. Wie viele der Festangestellten schreiben sie heimlich Gedichte. Ihre Chefin fürchtet den baldigen Einmarsch der Russen. Jean und Hans verstehen gar nichts.

Und als sie zurückkehren nach Bukarest, gemeinsam – Jeans Haare sind inzwischen schulterlang und die beiden Freunde –, da haben sie keine Aufgabe mehr in der Stadt. Jean erzählt vom Mittelrhein, seiner Heimat, von den Reisegruppen, die er vom Balkon aus beobachtet hat. Hans kennt Touristen nur als Tourist. Im Park kaufen sie einen Strauß Maiglöckchen. Sie spazieren an den Büsten berühmter Europäer vorbei und am Hard Rock Café. Sie queren die Ausfallstraße und verlaufen sich wieder im riesigen Gebäude. Endlich finden sie die Redaktion. Sie ist verlassen. Wo einmal Aktenschränke standen, heben sich jetzt helle Rechtecke von den vergilbten Wänden ab. Am Sekretariat klebt derselbe Sticker wie immer: Wir rauchen nicht. Hans knibbelt ihn ab. Jean legt die Blumen auf die Fensterbank. Kurz ist es, als wären sie einander nie begegnet.

Und weil wir die Nordkalifornische Meisterschaft gewonnen haben, schließt Jeans Onkel, haben wir diesen Ring bekommen. Ist jetzt auch schon fünfzig Jahre her. Noch hat die Austern-Happy-Hour nicht begonnen, doch er weiß, was zu tun ist. Er spricht die Kellnerin an, als würden sie sich ewig kennen, mit ihrem auf die Uniform gestickten Namen. Heute ist ein freudiger Tag, sagt er, mein Neffe ist aus Deutschland angereist, und da kommt Cindy ihm selbstverständlich gern entgegen, und sie lachen schallend. Jeans Onkel sieht genauso aus, wie Reja sich einen Highschool-Basketballcoach immer vorgestellt hat. Sie fragt ihn nach der...

Erscheint lt. Verlag 27.10.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte aktuelles Buch • Albrecht Dürer • Amadís • Amerika • Bolivien • Bücher Neuererscheinung • Casino • China • Corona • Disneyland • Don Quijote • Eiscafé Europa • Emscher • Entdeckung Amerikas • Erinnerung • Film • Förderpreis für Literatur des Landes Nordrhein-Westfalen 2021 • Freundschaft • Hochzeit • Hollywood • Internet • Kapitalismus • Klimakrise • Klimawandel • Klon-Kolonie • Kolonialismus • Konquistadoren • Las Vegas • Liebe • Liebesgeschichte • Literaturpreis Ruhr 2020 • London • Max Frisch-Förderpreis 2022 • Mexiko • Mormonen • Mythen • Neuererscheinung • neues Buch • New York City • Öl • Pandemie • Radikalisierung • Rassismus • Rhizom • Ritterroman • Road Novel • Roadtrip • Romandebüt • Ruhrgebiet • Schneewittchen • Trad Wives • Umweltzerstörung • Utah • Venedig • Verschwörung • Yosemite • Zitterpappel
ISBN-10 3-518-78037-9 / 3518780379
ISBN-13 978-3-518-78037-4 / 9783518780374
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