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Haus aus Wind (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
336 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491802-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Haus aus Wind -  Laura Naumann
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»Ein Buch von radikaler Schönheit.« Antje Rávik Strubel Getrieben von düsteren Gedanken in ihrem Alltag und einem unentwegten Rasen im Körper strandet Johanna in einem Surfcamp an der Algarve. Anstatt nach zwei Wochen Sommerurlaub nach Berlin zurückzukehren, ihre Karriere als Synchronsprecherin wieder aufzunehmen und die Beziehung zu Rosa zu retten, bleibt sie an der Atlantikküste. Sie beginnt im Surfcamp zu arbeiten, verliebt sich in zwei Frauen auf einmal und scheint sich mit jedem Tag in den Wellen etwas leichter zu fühlen. Doch mit dem Herbsteinbruch holt sie das wieder ein, was sie eigentlich hinter sich lassen möchte. »Haus aus Wind« ist ein Surfroman ohne Surferboys, ein Sommerroman mit einem stürmischen Winter. Das verspätete Coming of Age eines zu früh erwachsen gewordenen Kindes. Und die Geschichte einer queeren ostdeutschen Frau, die nach ihrer eigenen Stimme sucht. 

Laura Nauman, geboren 1989 in Leipzig, lebt in Berlin. Ihre Theaterstücke wurden im deutschsprachigen Raum zahlreich aufgeführt und ausgezeichnet, u.a. schrieb sie Auftragswerke für das Schauspielhaus Bochum, das Schauspiel Frankfurt und das Staatsschauspiel Dresden. Sie ist Mitbegründerin der Performancekollektive machina eX und Henrike Iglesias. Sie studierte bis 2012 Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim und seit 2022 Drehbuch an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. »Haus aus Wind« ist ihr Romandebüt. 

Laura Nauman, geboren 1989 in Leipzig, lebt in Berlin. Ihre Theaterstücke wurden im deutschsprachigen Raum zahlreich aufgeführt und ausgezeichnet, u.a. schrieb sie Auftragswerke für das Schauspielhaus Bochum, das Schauspiel Frankfurt und das Staatsschauspiel Dresden. Sie ist Mitbegründerin der Performancekollektive machina eX und Henrike Iglesias. Sie studierte bis 2012 Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim und seit 2022 Drehbuch an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. »Haus aus Wind« ist ihr Romandebüt. 

[...] schmerzhaft-schöne Geschichte über einen tiefen menschlichen Wunsch: Ohne Scham leben und lieben zu können.

[...] trägt eine eigene Dringlichkeit in sich.

Hier zeigt sich sprachliches und dramaturgisches Talent [...].

[...] mit einer sanften erzählerischen Eindringlichkeit, die eine ungemeine Nähe zu ihrer Hauptfigur erzeugt.

Ihr dramaturgisches Fingerspitzengefühl und ihr Sinn für very awkward Alltagsbeobachtungen machen "Haus aus Wind" zu einem witzigen und zugleich wehmütigen Roman.

Ein intensives, starkes Debüt.

Er schnüffelt an einem Kaffeefleck.

Jeden Tag Housekeeping in Anspruch zu nehmen kommt mir dekadent vor, dabei habe ich mal gehört, dass es für die Angestellten eigentlich schlecht ist, wenn Gäste die Reinigungskette unterbrechen: Nach drei Tagen gibt es mehr zu putzen als nach einem, aber die Zeit, die ihnen pro Zimmerreinigung zur Verfügung steht, ist dieselbe. Allerdings ist es für die Umwelt sicherlich besser, wenn nicht jeden Tag Chemikalien verballert und Handtücher gewaschen werden, und so viel Dreck mach ich ja nicht, auch nicht in drei Tagen, wobei, seit meiner Ankunft gestern habe ich schon zwei Tassen, drei Gläser und einen Styroporbehälter benutzt, die sich nun zu einem Turm stapeln, Kaffeeflecken auf der Bettwäsche hinterlassen und es geschafft, Verpackungsreste und Bananenfäden neben dem Mülleimer landen zu lassen, was bist du eigentlich für ein Schwein, Johanna, ganz ehrlich, wahrscheinlich hast du auch ne Bremsspur im Klo hinterlassen, geh mal lieber nachgucken.

– Schluss damit jetzt.

sagt Gerd.

– Hast doch nun wirklich genug erlebt heute. Das Letzte, was du jetzt brauchst, ist Mecker, Johanni.

Er nennt mich Johanni, als wär ich immer noch vier.

– Ich bin so bescheuert, Gerd.

– Ist ja noch mal gut gegangen.

– Man sollte mich nicht allein lassen.

– Ich hab ja gesagt, nimm mich mit zum Strand.

Ich drücke Gerd an meine Wange. Sofort kommen mir die Tränen. Warum musst du immer heulen, du Baby?

– Genug, hab ich gesagt!

Gerd kann meine Gedanken lesen. Er mag’s nicht, wenn ich auf diese Art mit mir rede. Ich soll das Reden ihm überlassen. Und mich selbst so angucken, wie er mich anguckt. Seine Mundwinkel zeigen immer nach oben.

– Aber dein Mund ist halt genäht, Gerd. Ankerförmig zu einem ewigen Lächeln genäht! Du hast keine Wahl!

sag ich zu ihm, und:

– Ist das nicht auch ätzend? Wenn man immer alles weglächeln muss?

– Null.

findet Gerd. Sein Fell ist ganz platt an einigen Stellen. Wie viele Liter Tränen, Schweiß und Speichel sein kleiner Körper schon aufgesaugt haben muss, seitdem er bei mir lebt. Als wir uns kennenlernten, war er flauschig und sein Bauch war weiß. Ich habe Gerd gerettet.

Ich bin drei oder vier oder fünf,

und eine Lieferung mit neuem Spielzeug kommt im Kindergarten Pittiplatsch an. Am Tag zuvor haben wir aussortiert: die gruseligen Handpuppen, die Cowboy- und Indianer-Spielfiguren, sinnlose Kreisel, mit denen eh nie jemand spielt, Autos aus weichem Plaste und leider auch mein Lieblingsbrettspiel Hut auf Hut. Unter den neuen Spielsachen, über die sich alle freuen, außer unsere Erzieherin Frau Brünner, sind Barbies, Trolle mit bunten Haaren, ein Krokodil, dem man mit einer Zange die Zähne rausziehen kann, und die flauschigsten Plüschtiere, die ich je berührt habe. Unter ihnen Gerd. Ein kleiner, hellbrauner Hamster mit einem weißen, weichen Bauch und einem pinken Näschen. Gerd will sofort zu mir. Er hat Angst, dass Frau Brünner ihn zurück in den Westen schickt, wie sie es angedroht hat, mit den Barbiepuppen zu tun, wenn wir weiter so laut mit ihnen spielen. Mein Vater nennt Frau Brünner den Zimmerspringbrunnen, weil sie nicht gern mit uns in den Garten geht, sondern immer will, dass wir drinnen spielen, und zwar leise. Die Wände unseres Gruppenzimmers sind voll mit Bildern, die wir Frau Brünner gemalt haben, damit ihre Kopfschmerzen weggehen. Heute helfen die Bilder nicht. Frau Brünner ist fuchsteufelswild. Mit einem riesigen Abfallsack rennt sie durchs Zimmer und sammelt alle neuen Spielsachen wieder ein.

– Das habt ihr jetzt davon! Ich habe euch gewarnt! Das kommt jetzt alles weg!

keift sie, aber irgendwie weint sie auch. So schnell ich kann, stecke ich Gerd in meine Brotschi, meine Brottasche. Als meine Mutter ihn am Abend findet, erkläre ich, dass er vor Frau Brünner fliehen musste, die ihn in den Wilden Westen schicken wollte.

– Die alte Kröte.

sagt meine Mutter, nimmt Gerd das letzte Stück Kohlrabi aus der Pfote und steckt es sich in den Mund.

– Eigentlich hab ich dich geklaut, Gerd.

– Ach, water under the bridge, Johanni.

sagt Gerd.

– The past is gone. And the future is not here yet.

Er sagt es mit einem starken deutschen Akzent, für den er nichts kann.

– Leg dich hin. Ich streichel dein Köpfchen.

 

 

 

Ich träume:

Ich bin am Flughafen und will in ein Flugzeug steigen, als plötzlich meine Zähne zu wackeln beginnen. Ich fasse mir in den Mund und spüre Stücke meiner Zähne zwischen meinen Fingern. Meine Zähne zerbröckeln mir im Mund. Ich spucke Zahnbrocken aus und frage mich, ob ich mir das leisten kann, Urlaub und neue Zähne.

 

 

 

Als ich aufwache, ist es 08:45 Uhr, und ohne Zähne zu putzen, geh ich los. Laufe wieder durch den Ort, vorbei an zwei Stränden, an denen das Meer flach liegt und noch niemand ein Handtuch ausgebreitet hat, rüber auf die andere Seite der Küste zu dem wilden, ungeschützten Strand mit den Wellen, in denen sich einige geschickte Surfer*innen schon verausgaben, und stelle mich auf den Parkplatz hinter dem Holzhäuschen, wo um Punkt 09:30 Uhr Luz in einem alten, klapprigen Ford-Transit-Kleinbus vorfährt und mir durch das runtergekurbelte Fenster zubrüllt:

– YOU! SMILE!

Nicht ihr Scheißernst.

– NICE DAY! SKY IS BLUE! WAVES ARE GOOD! SMILE!

Sie schlägt die Tür der Karre hinter sich zu. Ihre Jogginghose hängt ihr fast in den Kniekehlen. Sie kommt mir noch kleiner und zierlicher vor als gestern, und sie geht wie ein Fußballer.

– YOU SHOULDN’T TELL WOMEN TO SMILE!

rufe ich ihr entgegen, als sie auf mich zukommt. Ihre Flipflops wirbeln Staub auf.

– WHY NOT?

– BECAUSE IT’S SEXIST.

– Can I tell boys to smile?

Sie kneift die Augen zusammen gegen die Sonne und bleibt vor mir stehen.

– And how do I know you’re a girl?

Ihr Englisch klingt schön, weich und melodisch. Meine eigene Aussprache kommt mir plötzlich viel zu hart vor, meine ganze Existenz irgendwie plump, ich werde verlegen.

– As I said. I’m a woman.

– And I’m a papaya.

– Sure.

– Wanna know why?

– Why?

– I taste good.

Ich muss schmunzeln. Sie klatscht in die Hände und stößt einen kleinen Freudenschrei aus. Ich kann ihre Zunge sehen. Mit einer Kerbe in der Mitte. Dann führt sie ihren Zeigefinger ganz nah an mein Gesicht.

– I knew it. You are like me.

Wir legen die Surfboards im Sand ab und treffen uns in einem Kreis zum Warm-up. Jerry aus Großbritannien, Angelo aus Irland, Celine und Sophie aus der Schweiz, Camille aus Frankreich, Sanne und Roos aus den Niederlanden, Andi aus Bayern. Und ich. Ich bin schon von den hundert Metern mit dem Board über den Sand total erledigt, ich habe solchen Muskelkater in den Armen von gestern, ich kann mein Board kaum halten. Als blutige Anfänger*innen, die wir alle sind, üben wir mit Brettern, die so groß sind, dass Luz sie liebevoll Titanic nennt. Sanne hat ihre Titanic über den Sand gezogen, weil ihre Arme zu kurz sind, um das Schiff zwischen Hand und Achselhöhle oder Hand und Hüfte zu tragen, und dafür von Luz Ärger und den Spitznamen Grandma bekommen. Mich nennt sie Puto, was so viel bedeutet wie Bengel oder Kerlchen, wenn ich sie richtig verstanden habe, weil sie findet, ich habe die Frisur und die Körperhaltung eines Achtjährigen. Zu Andi sagt sie immer nur Bavaria. Und sie ist tatsächlich berühmt. Das hat Bavaria dazu bewegt, genau diesen Surfkurs zu buchen und keinen anderen bei einer der zahlreichen Surfschulen, die es in der Region gibt, hat er in der Vorstellungsrunde erzählt, in der man eigentlich nur seinen Namen nennen sollte und aus welchem Land man kommt. Lúcia Oliveira hätte die erste Portugiesin mit einem Weltmeisterinnentitel im Wellenreiten werden sollen. Warum sie es nicht geworden ist, frage ich ihn später, als wir nebeneinander auf unseren im Sand aufgebockten Boards Take-offs üben. Ich solle es googeln.

 

 

 

Luz macht aus der Surftheorie eine Show. Unter abwechselnd wildem und feinem Gestikulieren erklärt sie uns alles, was wir ihrer Meinung nach wissen müssen, um uns sicher in den Wellen zu bewegen. Ab und an bringt sie sogar ein paar akrobatische Tricks unter, einen Handstand auf einer Hand beispielsweise, oder sie bewirft uns mit Sand, wenn sie das frisch vermittelte Wissen erneut abfragt und wir die falsche Antwort geben.

– Listen to me, children!

erhebt sie bei jeder Gelegenheit ihre Stimme und räuspert sich in ein unsichtbares Mikrophon. Line-up werde der Ort...

Erscheint lt. Verlag 24.7.2024
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Algarve • Anspruchsvolle Literatur • Coming of Age • Debütroman • Ein Buch von S. Fischer • LGBTIQ+ • Mental Health • Portugal • Queer • Queerness • Sommer • Sommerroman • Surfcamp • Surfen • Surfergirls
ISBN-10 3-10-491802-3 / 3104918023
ISBN-13 978-3-10-491802-0 / 9783104918020
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