Erkental 3 (eBook)
579 Seiten
Buchfink Verlag
978-3-948453-23-7 (ISBN)
A.K. Bender ist geboren und aufgewachsen im Südwesten Deutschlands. Ihr Studium der Wirtschafts-, und Politikwissenschaften und ein paar verirrte Abstecher in diverse Großraumbüros verschlugen sie unter anderem nach Rotterdam, Paris, Zürich und Düsseldorf. Seit einigen Jahren lebt sie mit ihrem Mann und ihren beiden Hunden Hubert und Randolph in einem beschaulichen Ort an der Ostküste Irlands, wo sie schreibt, malt und die Meeresluft genießt.
zwei
Zu Wynns Bedauern hatte in der Bäckerei reines Chaos geherrscht und ihm einen Strich durch die ersehnte erste Mahlzeit des Tages gemacht. Eines seiner Schweinchen – Hubert, um genau zu sein – war aus dem Gehege ausgebrochen und hatte sich einmal quer durch die Auslage gefressen, bis es Helgard gelungen war, den Übeltäter mit einem großen Sieb einzufangen. Das Ferkel hatte so viele Croissants vertilgt, dass es sich in komatöser Fressstarre nicht einmal gewehrt hatte und kurz darauf tief eingeschlafen war. Wynn war bei seinem Eintreffen über den Verlust seines Gebäcks alles andere als glücklich gewesen, als treusorgender Ziehvater aber hatte er das Schweinchen trotzdem mit einem Lächeln zurück in sein Gehege gelegt.
Nach dem misslichen Frühstück war zumindest das Wiederbeschaffen des Rekorders einfacher gewesen als gedacht. Lambert Weißwurzel hatte einen riesigen Topf Suppe zum Schulgelände gekarrt, der ihm vor dem Eingang aus dem Wagen zu kippen drohte. Takeru hatte die noch leeren Tabletts fallen gelassen und war Lambert zur Hilfe geeilt. Das wiederum gab Alara genügend Zeit, aus dem Versteck zu treten, das Tablett ein wenig anzuheben und den Rekorder an der Unterseite zu entfernen. Der Klebstoff hatte sich zwar nicht kampflos ergeben, aber kurz darauf hatte sie das Gerät in den Händen gehalten, während Takeru gerade den Topf aus seiner Schieflage befreit hatte.
Wenig später saßen die Freunde zurück im Gasthaus um einen der Sofatische, auf dem ein ausladendes Kuchen- und Minisandwich-Arrangement angerichtet war. Nachdem Wynn ausgiebig die herausragende Qualität und Varianz der Snacks gelobt hatte (jedes Gebäck hatte eine andere Geschmacksrichtung), schalteten sie neugierig den Rekorder ein. Es rauschte und knarzte. Ein paarmal hörten sie Takeru fluchen, der offenbar seine Rolle als Butler nicht gerade schätzte. Es folgte ein lautes Knacken.
„Die Tabletts müssen vor dem Kellereingang abgestellt worden sein“, kommentierte Alara. Wenig später zeichnete der Rekorder Schritte auf. „Das ist Berk. Jetzt fliegen die Tabletts gerade durch den Flur“, erklärte sie weiter. Gespannt beugten sie sich näher über den Lautsprecher. Ein erneutes Knacken ertönte und sie wichen zurück. Die Stimmen wurden lauter, als würde sich eine Tür langsam öffnen. „Gleich werden sie in den Raum …“
Alara wurde von dem Geräusch scheppernden Geschirrs unterbrochen.
Egmar Berks Stimme war nun zu hören: „Ich nehme an, die kleine Schale ist für dich, Gertrud?“
Weiteres Klimpern ertönte und die Stimmen wurden leiser, bis letztendlich wieder nur ein Rauschen auf dem Tonband zu vernehmen war.
„So ein Mist! Berk lässt nicht die Tabletts in den Raum fliegen, sondern die einzelnen Teller!“ Alara schlug sich eine Hand vor die Stirn. „Das hätte ich wissen können!“
„Was bedeutet das?“
„Das bedeutet, dass die Dinger im Flur stehen geblieben sind, während das Essen schön fein säuberlich durch die Tür und auf den Tisch geflogen ist.“ Sie schüttelte den Kopf.
„Was? Alle gleichzeitig? Berk wäre die beste Restaurantbedienung aller Zeiten“, sagte Wynn. „Stellt euch mal vor, man bräuchte nur eine Bedienung, um allen Leuten an einem großen Tisch zeitgleich das Essen …“
„Kannst du kurz deine Restaurant-Träume unterbrechen und wieder zurück in die Realität kommen?“, fragte Endri. „Spul lieber ein bisschen vor. Vielleicht wurde ja doch noch was aufgezeichnet.“
Wynn tat wie ihm geheißen. Lange Zeit war nur ein knisterndes Rauschen und ab und an dumpfes Stimmengewirr aufgezeichnet. Er stoppte erneut und drückte auf „Play“, als eine gut verständliche und ihnen vertraute Stimme auf dem Band auftauchte.
„Was für ein Theater!“, sagte Samara von Griselherz. „Dass die sich überhaupt noch mal nach Erkental trauen! Verantwortungslose Saubande!“
„Die haben doch alle den Verstand verloren“, antwortete eine rauchige Stimme, die eindeutig Raimara von Hohensolrik gehörte.
„Das ist doch wahnsinnig, was die vorschlagen! Ich will mir gar nicht ausmalen, was die Folgen von so einer Wahl wären! Wir könnten all das, wofür wir die letzten Jahrhunderte gearbeitet und gekämpft haben, verlieren! Das können wir nicht akzeptieren.“
„Aber haben wir denn eine andere Möglichkeit? Wenn wir den Vorschlag ablehnen, gelten die Gesetze des Rats und die besagen, dass …“
„Ja, ja, die Gesetze“, unterbrach Samara ungeduldig. „Die ranghöchsten Vertreter ihres Talents haben jederzeit das Recht, ihren entsprechenden Posten im Rat zu beanspruchen. Aber ich habe in den letzten Tagen die Paragrafen erneut gewälzt und bin auf eine Sache gestoßen, die bisher in den Gesprächen übergangen wurde. Oder es erinnert sich vielleicht niemand mehr daran. Deswegen wollte ich dich auch hier draußen kurz unter vier Augen sprechen.“ Sie senkte ihre Stimme. Wynn musste die Lautstärke hochdrehen, damit sie den nächsten Satz verstehen konnten: „Das Gesetz besagt, dass ein aktueller Vertreter des Rats, sofern nicht durch Tod oder schwerwiegende Gründe verhindert, seine Position freiwillig an einen ranghöheren Anwärter abgeben muss. Wenn die Position nicht freiwillig aufgegeben wird, muss es zu einem Duell zwischen Anwärter und aktuellem Vertreter kommen.“
„Ein Duell“, lachte Raimara hohl auf. „Liebes, ich bitte dich! Das sind doch mittelalterliche Regeln! Zumal es auch nur eine Formalität ist. Es ist seit Ewigkeiten nicht mehr zu einem Duell gekommen, und das aus guten Gründen.“
„Wir könnten es doch wenigstens probieren“, sagte Samara und klang dabei beinahe trotzig.
„Du willst gegen Raverkan antreten? Arwin Raverkan? Wir wissen doch beide, dass du ihm meilenweit unterlegen bist. Und ich bin zu alt dafür. Zumal ich bei dem Ausmaß von Gertruds Fähigkeiten inzwischen auch keine Gegnerin mehr für sie wäre. Oder vielleicht nie gewesen bin. Ich sage es dir, wir haben keine Alternative. Da hilft auch kein verzweifeltes Wälzen der Gesetze.“
„Wie kannst du das sagen? War es nicht dein Plan, dass sie hier wieder auftauchen? Warum sonst hast du dafür gesorgt, dass der Rat seit Jahren nach ihnen sucht? Was hast du denn gedacht, was passieren würde? Dass sie die Regeln des Rats einfach wieder akzeptieren, nachdem sie dreißig Jahre lang sonst was getrieben haben?“
„Es war nie der Plan, dass sie hier wieder auftauchen!“, entgegnete Raimara. „Wir wollten ihr Versteck finden, um die Pläne weiterer potenzieller Deserteure zu durchkreuzen.“
„Na, das hat ja wunderbar geklappt!“
Stille legte sich über das Tonband.
„Heißt das, du gibst jetzt einfach so auf? Und wir sollen schlicht darauf hoffen, dass die Leute die richtige Wahl treffen werden?“
„Wir müssen ihnen klarmachen, was auf dem Spiel steht“, sagte Raimara und klang dabei mehr müde als entschlossen. „Die Leute vergessen so schnell, was sie haben. Wofür sie dankbar sein müssten. Wofür sich der Rat seit Jahrzehnten einsetzt und kämpft. Wir müssen sie nur erinnern.“
„Aber Raimara, du und der ehemalige Rat habt über Jahre alle angelogen! Raverkan und die anderen sind nicht einfach verschwunden – sie sind vor euch geflohen! Wie willst du das den Leuten beibringen, ohne dass sie sich direkt auf die Seite der anderen schlagen? Ich verstehe einfach nicht, warum du die Wahrheit so lange verschwiegen hast.“ Samara klang fast ein wenig beleidigt.
„Warum ich es verschwiegen habe?“ Raimara seufzte. „Schau dir doch an, was passiert ist! Korbinian war der Einzige, der die Wahrheit kannte, und der ist auch abgehauen! Als er verschwand, war mir sofort klar, dass er den gleichen Ausweg gewählt hat wie Raverkan. Ich gebe zu, bei dem Jungen haben wir viel falsch gemacht. Wir waren regelrecht geblendet, sein Talent hatte so viel Potenzial. Und eine gute Prise Verzweiflung war auch dabei. Aber als wir damals erfahren haben, dass unsere größten, vielversprechendsten Talente sich von uns abgewendet haben … Glaubst du, wir waren wütend? Empört? Nein! Mit der blanken Angst haben wir es zu tun bekommen! Sie haben uns verlassen – unsere besten Talente haben ihre Verantwortung mit Füßen getreten, weil sie nur ihre eigenen Interessen im Sinn hatten. Weil sie sich selbst wichtiger waren als das Wohl der Gemeinschaft. Und mir wird nachgesagt, ich sei skrupellos. Das muss man sich mal vorstellen! Wir im Rat haben vereinbart, dass wir den wahren Grund, warum sie verschwunden sind, niemals mit der Bevölkerung teilen. Und auch nicht mit zukünftigen Ratsmitgliedern. Wir haben damals viele Fehler gemacht, und die sollten einfach in Vergessenheit geraten. All die Jahre hat es auch funktioniert. Und dann fing dieses ganze Entführungsgeschwafel an. Bis heute weiß ich nicht, woher dieses Gerücht überhaupt kam. Und dann war es zu spät. Diese Gerüchteküche hat schneller ein Eigenleben angenommen, als ich gucken konnte! Aber am Ende war es mir recht. Ripar und Millanir hätten der Operation sicherlich nicht zugestimmt, wenn sie gewusst hätten, worum es eigentlich geht. Doch diesem ganzen Unsinn musste einfach ein Ende gesetzt werden. Aus dem Grund würde ich jede Entscheidung noch mal genauso treffen, wenn ich müsste.“
„Und das mit den Jugendlichen …“
„Nun, das mit der Insel, ich gebe zu … das war nicht mein feinster Schachzug. Ich weiß nicht, was mich da überkommen hat. Aber wir brauchten unbedingt die Bestätigung für ihren Aufenthaltsort. Und ich schätze, nach all den Jahren war ich die Scharade einfach leid und habe den...
Erscheint lt. Verlag | 1.5.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
ISBN-10 | 3-948453-23-3 / 3948453233 |
ISBN-13 | 978-3-948453-23-7 / 9783948453237 |
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