Perry Rhodan Neo 334: Die zwei Monde (eBook)
160 Seiten
PERRY RHODAN digital (Verlag)
978-3-8453-5534-4 (ISBN)
2.
Sandra McKenzie
Der Stumme Sänger
Sie kam aus dem Nichts, ohne Warnung: Panik.
Übergangslos war ihr Mund trocken wie altes, sprödes Pergament. Sie hatte das Gefühl, ihr Herz sei in den Hals emporgewandert. Sie spürte es schlagen. Dort und in den Kuppen ihrer Finger – der Rest ihrer Hände fühlte sich taub an.
Die Menschenmenge ringsum war in chaotischer Bewegung. Die Atmosphäre war dick von Schweißgeruch und Angst. Sandra McKenzie versuchte, sich zu beherrschen. Sie stand am Rand der Versammlung. Sie wollte sich gar nicht erst vorstellen, was näher an der Bühne ablief.
Sie rang nach Luft. Die Atemnot machte sie schwindlig, aber irgendwie schaffte sie es, nicht von der Welle mitgerissen zu werden.
Weit vor ihr stand der Stumme Sänger auf dem kleinen Podest und tat ... nichts. Er war einfach nur da, starrte blicklos vor sich hin.
McKenzie waren die Symptome einer Panikattacke wohlvertraut, bei sich und anderen: eine furchtbare Mischung aus Enge, Beklemmung, Herzrasen und die Gewissheit einer nahenden Katastrophe. Leute rempelten sie an; beinahe wäre sie gestürzt.
Sie versuchte zu schreien und schaffte es nicht. Ihr fehlte der Atem. Alles, was sie zustande brachte, war ein gequältes Husten. Noch weniger Luft. Dazu das Gefühl, ersticken zu müssen.
Dann erschienen in ihrem Kopf die ersten Bilder. Mühsam hob sie den Blick. Der Stumme Sänger hatte sich etwas aufgerichtet und die Arme erhoben. War er es, der all dies verursachte? Das war kaum vorstellbar. Seine Auftritte waren bereits legendär, obwohl sie selten waren – vielleicht gerade deshalb. Genaue Berichte, etwa von Arkon oder den Kolonien, gab es nicht, geschweige denn Aufzeichnungen.
Aber von solchen Katastrophen war nie die Rede, dachte McKenzie. Warum sollte man sich das freiwillig antun?
Es war eine rhetorische Frage. Menschen taten sich selbst und anderen die merkwürdigsten und furchtbarsten Dinge an. Auch in Terrania.
Ein Gefühl machte sich in ihr breit, das sie gut kannte, eine Art exzessiver Prüfungsangst. Damit hatte sie Erfahrung. Nur hatte es diesmal etwas Existenzielles. Ihr war, als solle sie persönlich das reibungslose Funktionieren einer Guillotine überprüfen.
... und Angst haben, daran zu scheitern? Das ist vollkommen blödsinnig!
Die Bilder wurden etwas deutlicher. Sie glaubte, unterschiedliche Landschaften zu sehen. Nicht einfach Landschaften, das sieht nach unterschiedlichen Welten aus.
Lebewesen fehlten. Die Welten waren leer, und dieser Eindruck traf auf ihr Bewusstsein wie ein Tsunami, spülte jeden klaren Gedanken weg. Was blieb, war ... Einsamkeit. Eine Stille, die das Gemüt einhüllte wie ein Leichentuch.
Dabei waren die Bilder an sich wunderschön, zumindest der Großteil davon. Sie hatten nichts, was bedrohlich gewesen wäre. Dennoch lösten sie Furcht aus. Wie die harmlose Prachtfassade eines Hauses, in dem es spukte.
Ein Geisterhaus ... Geisterwelten.
Und es war wie Musik. Unhörbar, aber wohl jeder im Publikum spürte es. Der Stumme Sänger nannte sich aus gutem Grund so. Die Intensität steigerte sich mehr und mehr und drohte, Sandra McKenzie mit sich zu reißen.
Die Zuschauermenge vor ihr ähnelte in ihrer Wahrnehmung mittlerweile der Oberfläche eines sturmgepeitschten Meeres. Menschenwellen wogten, türmten sich auf ... und brachen.
Klang aus Stille, dachte sie noch.
Dann verlor sie das Bewusstsein.
Zwanzig Minuten zuvor
Noch brannte die Sonne in orangeroter Glut über dem Horizont. Jede glänzende oder spiegelnde Fläche, jedes Fenster war wie mit Gold oder Kupfer überzogen.
Sandra McKenzie kniff die Augen zusammen. Sie wusste, dass es schädlich war, direkt in die Sonne zu sehen. Aber der Anblick zog ihre Aufmerksamkeit unwiderstehlich auf sich. Ebenso wie das Panorama vor ihr: Der weite Park erstreckte sich hinüber bis zum Stadtviertel Government Garden, dahinter ragte der Stardust Tower in den Himmel wie eine goldene Nadel. Etwas weiter westlich lag das Galactic Park Oval, das größte Sportstadion von Terrania, der Hauptstadt der Erde.
Eigentlich war es der ideale Platz für eine öffentliche Veranstaltung. Der Park war gesäumt von Linden und Erlen. Dichtes Buschwerk bildete eine unaufdringliche Trennung zur normalen Stadt. Doch dies war ein sogenanntes wildes Konzert und fand außerhalb des normalen Kulturbetriebs statt. Niemand wollte Regeln, niemand wollte Kontrolle. Die Menschen der nachaphilischen Zeit hatten einen unglaublichen Hunger auf ungedämpfte, raue Gefühlserlebnisse entwickelt. Es war, als verspürten alle eine Leere in sich, die sie nur mit ungezügelten Emotionen bekämpfen konnten.
McKenzie hatte mit vielen gesprochen, und ihr war aufgefallen: Die Menschen, welche die Expedition nach M 87 mitgemacht hatten, waren in aller Regel ausgeglichener. Die Gefahr, die Konflikte, die sie in der fernen Galaxis miterlebt hatten, zuweilen sogar Todesgefahr, hatten das Leeregefühl übertüncht, vielfach gänzlich ausgeglichen. Die Menschen, die auf der Erde geblieben waren, empfanden das Leben jedoch anders. Die Aphilie hatte eine Lücke hinterlassen, so bizarr sich das anhören mochte. Denn eigentlich hatten sie ihre Gefühle doch zurückerhalten. Aber es schien ihnen nicht zu reichen. Sie gierten nach mehr: nach Aufregung, nach Euphorie ... nach Ekstase.
Wilde Konzerte schienen diesem Bedürfnis am ehesten Rechnung zu tragen. Eigenartig intensive Musikrichtungen waren entstanden, Theaterformen, die das Publikum in absurdeste Handlungen mit einbezogen, für die Teilnehmer immer überraschend und häufig herausfordernd.
Ich bin mal wieder die Ausnahme, dachte McKenzie leicht deprimiert.
Wie bei vielen anderen, die am Flug der BASIS teilgenommen hatten, hatte sich ihr Leben nach der Rückkehr deutlich verändert. Das riesige Fernraumschiff stand nun als neues Ausbildungszentrum der Terranischen Flotte im Asteroidengürtel, nahe dem Zwergplaneten Ceres.
Sie hatte ein Sabbatical genommen, eine Art Rüstzeit, um die vielen größeren und kleineren Traumata der Erlebnisse während der Expedition zu verarbeiten, die sie über die unvorstellbare Distanz von 55 Millionen Lichtjahren hinweg geführt hatte. Da sie Spatial-Aphilikerin war, hatte man ihre Auszeit sofort bewilligt.
Sie war zwar jung genug, dass sich ihre Zerebralstruktur erst nach dem Verschwinden der Aphilie gefestigt hatte, aber dafür zahlten Betroffene wie sie einen Preis. Das Gehirn tat sich schwer damit, die aphilischen Neuroprägungen mit der Freiheit danach in Einklang zu bringen. Eine gewisse emotionale Labilität sei daher normal für Menschen ihrer Generation, hatten die Ärzte ihr erklärt. Denn der frontale Hirnbereich, die Zentrale des rationalen Verstands, sei erst nach dreißig Jahren stabil ausgeformt.
Das hatte sie irritiert, denn immerhin war sie eine ausgezeichnete Ingenieurin, die während der gefährlichen Reise eine Fülle praktischer Erfahrung hatte sammeln können.
Und dennoch treibt es mich nun in die Masse hinein ..., dachte sie. Eigentlich war sie eher introvertiert, und Menschenansammlungen mied sie, wo sie nur konnte.
Zwar hielt sie sich lediglich an der Peripherie der Versammlung auf, aber für ihren Geschmack war das Gedränge auch da eng genug. Ein kleiner See begrenzte den Park an dieser Stelle. Es war windstill, und die Oberfläche wirkte wie ein Spiegel. McKenzie erspähte eine kleine Frau mit Zügen, die ein bisschen verhärmt anmuteten, obwohl ihr Gesicht eher breit war. Sommersprossen auf gut gebräunter Haut, darüber ein wildes Gewucher kupferroten Haars.
In der Vergangenheit hatte man McKenzie wegen ihrer ähnlich prominenten Haarpracht den Spitznamen »Löwin« verliehen, obwohl ihr Charakter dem nicht entsprach. Sie war keine Raubkatze, vielmehr zurückhaltend. Sie trug ein Sweatshirt in Pariser Blau, das wunderbar zu ihrer Kupfermähne passte, ansonsten jedoch unauffällig war.
Das Publikum wuchs weiter an. McKenzie drehte sich um und setzte sich auf einen Felsblock. Von dort aus hatte sie einen guten Blick.
Eine Bühne im eigentlichen Sinn gab es nicht, lediglich etwas, das wohl eine simple Frachtkiste war. Eine kleine Treppe mit ein paar Stufen führte nach oben. Noch war das improvisierte Podium leer.
Irgendwann im Mittelalter der Erde gab es fahrende Bänkelsänger, die auf Bänke stiegen, um Nachrichten und Geschichten vorzutragen, erinnerte sie sich.
Niemand wusste, wer der Stumme Sänger war oder woher er kam. Er war schon an vielen Orten der Lokalen Blase aufgetreten, aber Bilder gab es seltsamerweise ebenso wenig wie Aufzeichnungen. Auch über die Art seiner Darbietung gab es nur Gerüchte. Sie spürte die zunehmende Erwartung ringsum beinahe wie ein wachsendes Hungergefühl.
Ein leises Grollen zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Ein Schemen schoss in den orangerot brennenden Himmel, ein Frachtschiff, das von der Aetron Freight Bay gestartet war. Das riesige Güterumschlagareal lag wie alle Raumhäfen außerhalb des Stadtgebiets. Startende Sternenschiffe gehörten zur Skyline von Terrania.
McKenzie stand auf. Etwas geschah in der Nähe der Bühne, und es verwunderte sie. Unter normalen Umständen drängten sich Veranstaltungsbesucher dem Künstler entgegen. Diesmal geschah genau das Gegenteil. Die Menge wich zurück.
Was ist da los?
Es dauerte, bis sie den Mann sah. Er war groß, aber nicht athletisch, wirkte eher hager. Er trug Schwarz und Grau, ausgesprochen unauffällige Kleidungsstücke. Nichts davon ähnelte...
Erscheint lt. Verlag | 4.7.2024 |
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Reihe/Serie | Perry Rhodan Neo |
Verlagsort | Rastatt |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | Neo • Perry Rhodan • Perryversum • Science Fiction |
ISBN-10 | 3-8453-5534-4 / 3845355344 |
ISBN-13 | 978-3-8453-5534-4 / 9783845355344 |
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Größe: 514 KB
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