Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Dünne Wände (eBook)

Ein Buch über Nachbarschaft, Armut und den Kampf um die eigene Würde - 'herausragend' - NYT Review of Books

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
256 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3227-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Dünne Wände -  SIDIK FOFANA
Systemvoraussetzungen
18,99 inkl. MwSt
(CHF 18,55)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
In der Wohnsiedlung Banneker Terrace in Harlem kennt man sich. Oder zumindest weiß man übereinander Bescheid. Da ist Swan, wohnhaft in Apartment 6B, der von seinem Weg abzukommen droht, als sein alter Kumpel aus dem Gefängnis entlassen wird. Und Mimi, Apartment 14D, die ihr und Swans Kind großzieht, kellnert, nebenbei Haare flechtet und nicht weiß, wie sie die Mieterhöhung stemmen soll. Oder Ms Dallas, Swans Mutter, die hilfsbedürftige Kinder in der Schule begleitet und auf einen Lehrer trifft, der zwar seinen Steinbeck und Shakespeare drauf, aber keine Ahnung davon hat, wie er mit seinen Schüler:innen umgehen soll. Da sind noch so viele andere, die struggeln und scheitern und wieder aufstehen und vermutlich wieder scheitern werden. In acht miteinander verwobenen Geschichten erzählt Dünne Wände von einer Gemeinschaft, die vom Kapital der anderen, der Gentrifizierung bedroht wird. Ein Buch über den Kampf um Würde, die Kraft und die Bereicherung, die eine Zufallsgemeinschaft stiften kann, und ein so dringlich benötigtes Plädoyer für Zusammenhalt in unserer atomisierten Gegenwart.

Sidik Fofana hat Kreatives Schreiben an der New York University studiert und arbeitet als Lehrer in Brooklyn. Seine Erzählungen sind in der Sewanee Review und bei Granta erschienen. 2018 war er Fellow am Center for Fiction . Dünne Wände ist sein Debüt.

Sidik Fofana hat Kreatives Schreiben an der New York University studiert und arbeitet als Lehrer in Brooklyn. Seine Erzählungen sind in der Sewanee Review und bei Granta erschienen. 2018 war er Fellow am Center for Fiction . Dünne Wände ist sein Debüt.

Handbuch für Mieter


Verbleibende Tage: 10 … du hast: 0 $ … du brauchst: 350 $

Der Wisch wird wie immer im Briefkasten liegen, er wird stinknormal aussehen, mit Werbung für Kinder in Not und Kosmetik. Es wird dein Name draufstehen, Michelle A. Sutton, und »zu zahlender Betrag« und auch bis wann der Betrag zu zahlen ist: zum Ersten des Monats.

Lies dir das Schreiben laut vor.

Schrei Scheiße, dann hau dir den Zeh am Küchentisch an.

Der Opa aus der 14 C wird gegen die Wand hämmern.

Hämmer zurück.

Die Banneker-Siedlung an der 129. Ecke Fred Doug ist nicht schön, aber sie ist dein Zuhause. Bisher hat sich nichts groß verändert, seit du hergezogen bist, als du mit Fortune schwanger warst. Ein lang gezogener grauer Drecksbau, 25 Stockwerke, dreihundertnochwas Apartments. Vier Fahrstühle, die machen, was sie wollen. Eine Waschküche mit Waschmaschinen, die nicht richtig waschen. Der Bingo-Raum, in dem die Senioren sich breitmachen, und der Müllschacht, der nach vergammelter Milch stinkt.

Ansonsten eine bunte Mischung. Paar Jüngere mit Schulabschluss, paar Alte mit Arthritis. Manche leben von Kindergeld. Ihre Onkel sind im Gefängnis, ihre Tanten auf Crack, ihre Cousins in Gangs, ihre Schwestern auf dem Strich. Das sind die Geschichten, auf die alle geil sind. Der Scheiß, der vielleicht einmal im Jahr passiert. Wie das mit dem Jungen, der belästigt und vom Dach geschubst wurde. Da quatschen die niggas heut noch von, als wäre es gestern gewesen. Der Rest interessiert niemanden: Unsere gemeinsamen Essen mit Chicken Wings und Bier – wenn die Aluschalen vom Grill segeln, du den Duft riechst und denkst, so was will ich jetzt auch. Die gepimpten Hondas, die im Sommer mit Lil Wayne auf Anschlag über den Parkplatz heizen und Bremsspuren hinterlassen. Die Biker-Typen mit ihren nackten Oberkörpern, die immer versuchen, Najee oder wen anders von den kleinen Pissern einkaufen zu schicken. Du, wie du das Megageschäft machst, wenn du den Klappstuhl rausstellst, um von morgens bis abends für 25 Dollar pro Kopf Cornrows zu flechten. Das will keine Sau hören. Du bist nicht wegen der Schießereien hergekommen. Du wolltest einfach ein gutes Leben, ein Leben für dich. Du konntest einfach nicht mit 25 noch bei deiner Mutter und deinen Schwestern in der Albernathy-Siedlung rumhängen. Ach so, und außerdem wohnt Swan hier, Fortunes Vater.

Willst du ganz allein hinziehen?, fragte deine Mutter.

Ja, Ma, wie oft noch.

Du rennst nur diesem Typen hinterher. Der will doch gar nichts wissen von dem Kind. Und wie willst du die Miete bezahlen?

Ich besorg mir n Job, wie jeder andere normale Mensch auch.

Na, das will ich sehen.

Denk an diese letzten Worte, wenn du den Brief noch mal liest. Kämpf nicht gegen die Tränen an, es hat eh keinen Zweck. Geh ins Bad. Wisch dir den Rotz aus dem Gesicht. In dem Moment, wo du die Tür schließt, wird Fortune reinplatzen.

Wie gehƒ dir, Mami?

Alles gut, Schatz.

ƒiehƒt aber nicht ƒo auƒ.

Ach, bist du jetzt Arzt, oder was?

Ich weiƒ, wie du wieder gute Laune kriegƒ.

Aha, und wie?

Er wird seine Flügel ausbreiten und Njäoo Njaoo machen wie Amelia Earhart überm Atlantik. Gott schütze das arme Kind. Du hast dir nichts dabei gedacht, als er mit drei nach dem Baden die nasse Wand ableckte. Ein Jahr später fing das mit dem Sprachfehler an, und es hieß, es wäre eine Bleivergiftung. Haben Sie ihn Blei ausgesetzt?, fragte der Arzt, und es klang so, als wärst du die letzte Scheißmutter. Du bist ausgerastet und hattest einen Blackout. Als du wieder zu dir kamst, drückten dich drei Securities runter, ihre Hände an deinen Titten.

Wenn Fortune wieder heimlich dein Portemonnaie durchwühlt, hau ihm auf die Finger. Es wird ein Zehndollarschein rausfallen, von dem du nicht mal wusstest, dass er existiert. Schon mal ein Anfang. Aus Fortunes offenem Rucksack kuckt irgendne Schachtel raus, auch kurz vorm Rausfallen.

Was ist das denn bitte?

ƒüƒigkeiten von der ƒchule. ƒum Verkaufen.

Was wollen die denn schon wieder Geld? Ich hab denen letzte Woche noch was für die Uniform gegeben.

Weiƒ nicht.

Was ist los mit denen. Wollen immer Geld, und immer von der Förderklasse.

Wann ƒoll ich das verkaufen, Mami?

Du sollst das nicht verkaufen, Schatz. Ich soll das verkaufen.

Letzten Monat wolltest du eigentlich was sparen, hast dir aber stattdessen bei Brookstone zwei Buchständer in Form von goldenen Adlern gekauft. War das wirklich so dringend nötig? Hast du überhaupt Bücher? Oder gings nicht eher darum, was zu haben, was sonst niemand hat, vor allem Sheema nicht? Der Spaß hat dich vierhundert Dollar gekostet, danach dachtest du, So, das wars, nächsten Monat leg ich was zur Seite.

Hast du aber nicht. Du hast dir Louis-Vuitton-Taschen gekauft, Jordan-Sneaker, hautenge Lederhosen, Riemchensandalen, die du nicht ein Mal anhattest, und die Xbox, mit der du nicht ein Mal gespielt hast. Irgendwann kam wer vom Amt bei dir in der 14D vorbei, sah den 50-Zoll-Fernseher neben Fortunes Fingerabdrücken und meinte so, Oh, das ist aber ein ganz schön teures Gerät. Und du meintest, Ich arbeite wie bescheuert, ich kann mir ja wohl kaufen, was ich will. Sonst noch was?

   

Verbleibende Tage: 8 … du hast: 10 $ … du brauchst: 340 $

Ruf Sheema an. Ihr wart schon in der Neunten beste Freundinnen und habt immer die achte Stunde geschwänzt. Wenn ihr mal im Unterricht wart, dann nur zum Schminken und Nägellackieren. Der Englischlehrer nannte euch die Glamour Girls. Der Konrektor hat euch immer auf die Ärsche gestarrt, und der geile Hausmeister ist euch mal bis fast nach Hause nachgerannt mit seinem Ständer. Sheema hat ne fette Narbe auf der Stirn, wo einer von ihren Alkoholiker-Onkeln mal die Kippe ausgedrückt hat. Aber trotzdem sieht sie gut aus. Fast besser als du eigentlich.

Ihr seid cool miteinander, obwohl du die Schule geschafft hast und sie nicht. Obwohl du deine Kellnerkarriere hast und Haare machst, während sie alle paar Wochen im Knast hockt. Du warst noch nie im Knast. Du bist zwar bekannt dafür, gern mal Typen zu verprügeln, aber angezeigt hat dich noch nie einer. Alles, was du hast, gehört zu 100 % dir. Du hast keine Probleme. Andere kommen mit ihren Problemen zu dir. Mimi, meine Geldkarte ist leer. Mimi, meine kleine Tochter hat Insektengift geschluckt. Mimi, kommst du zu meiner Rent-Party?

Trotz allem hat Sheema ihr Leben im Griff auf ne Art. Immerhin kann sie ihrer Tochter TiKai ne Strass­jacke von Louis Vuitton kaufen und ihr dann noch für 50 Dollar von dir die Haare flechten lassen jeden Monat.

Was geht im Banneker?, wird sie dich am Telefon ausquetschen. Hab gehört, die drehen da grad völlig durch mit den Mieten.

Hab ich ehrlich gesagt nichts von gemerkt.

In der Pause, die folgt, hört ihr nur euren Atem. Dann wird Sheema sagen, Hab deine Mutter und deine Schwestern getroffen, wollten grad zum Costco. Deine Mutter wollte mich zu sich winken und wär fast überfahren worden. Sie hat mitgekriegt, dass die bei euch die Leute rauskicken wollen, und hat gefragt, wies dir geht. Ich meinte, Gut, glaub ich, aber sie dann so, Nee, jetzt mal ehrlich, wie gehts ihr? Und sag mal, Mimi, du hast mir nie erzählt, dass die da alle zusammenwohnen, deine Mutter und die ganzen Kids.

Erklär ihr, dass deine Mutter nicht verrückt ist. Sie ist nur eine alte Hexe, die will, dass du auch so ein schmarotzender Sozialhilferoboter wirst wie sie. Sie wollte unbedingt, dass du die Schule schmeißt, du musstest sagen, Nö, mach ich nicht. Ihr wäre am liebsten, du wärst wie deine Schwestern, die immer nur Makkaroni fressen und dabei ihre räudigen unpedikürten Füße auf dem Esstisch haben. Wenn die den ganzen Tag fett und mit schlechter Haut vor SpongeBob sitzen und auf Geld vom Staat warten wollen, viel Spaß.

Du machst in der Zeit so viel Asche, dass du nach Westchester ziehen kannst. Hey, wer weiß, vielleicht können sogar deine Nichten mit einziehen, wenn sie sich abgewöhnen, den Boden mit Cheerios einzusauen.

Sheema wird fragen, Wann soll ich mit TiKai vorbeikommen?

Hm?

Du machst doch noch Haare, oder?

Ach so, ja, klar.

Mittwoch?

Lass lieber Dienstag sagen.

Dafür liebst du Sheema: Sie gibt dir die totale kreative Kontrolle über das Haar ihrer Tochter, und sie hat keine Ahnung, dass sie das beim nächsten Mal hundert Dollar kosten wird.

Das Roscoe’s, wo du arbeitest, ist der Soulfood-Laden in Harlem. Alle waren schon da. Überall hängen Bilder vom seligen Roscoe, eins mit Kareem Abdul-Jabbar, eins mit dem Glatzkopf aus der Cop Show. Erst mal sieht man die kippligen Tische und keine Klimaanlage und denkt so, na ja. Aber wenn dann der dampfende Cat Fish auf den Tisch kommt, sieht die Sache gleich ganz anders aus.

Grüß die Kollegen. Na, Mustafa. Hey, Laniece, alles klar? An Diabla geh wortlos vorbei. Sie heißt eigentlich Vivian, aber die Dominikaner nennen sie Diabla.

Mach auf beschäftigt, wisch ein paar Tische und stell Karten hin, mehr gibts nicht zu tun die ersten paar...

Erscheint lt. Verlag 27.6.2024
Übersetzer Jens Friebe
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte afroamerikanisch • Black • Debüt • Diskriminierung • Gentrifizierung • Harlem • housing projects • Immobilien • Mieterhöhung • Mietkampf • Milieu • Nachbarschaft • Neuerscheinung • New York City • Schwarz • Short Stories • Sozialrealismus • Sozialwohnung • USA
ISBN-10 3-8437-3227-2 / 3843732272
ISBN-13 978-3-8437-3227-7 / 9783843732277
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,5 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
CHF 20,50