Die Göttin (eBook)
170 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7565-8263-1 (ISBN)
Horst Tran hat mehrere englische und französische Romane aus dem 17. und 18. Jahrhundert ins Deutsche übersetzt. Er betreibt eine geschichts- und religionswissenschaftiche Seite bei Academia.edu und ist Producer und Drehbuchautor eines Horrorkurzfilms, der über ein Dutzend internationale Preise auf Filmfestivals gewonnen hat, darunter der Preis für das Beste Drehbuch.
5
Diesmal ist das Erwachen richtig unangenehm. Ich fühle Schwindel und eine bleierne Müdigkeit. Mit Mühe überrede ich meine Augenlider dazu, sich zu öffnen.
Eine Lichtquelle seitlich von mir wirft die Silhouette eines Mannes an die Zimmerdecke.
„Wo..?“ Ich huste. „Wo bin ich, verdammt?“
Ich drehe den Kopf und sehe Whitman neben meinem Krankenbett sitzen. Es überrascht mich, ihn lächeln zu sehen, hinter den dicken Gläsern blinzeln seine Augen fast schelmisch.
„Was ist?“, frage ich gereizt. „Hat dir deine Frau ausnahmsweise einen geblasen?“
Er verzieht den Mund, ist aber bemüht, die Wärme seiner Miene aufrechtzuerhalten.
Beim Versuch, meine Arme und Beine zu bewegen, merke ich, dass sie mit Riemen ans Bett gefesselt sind. Sehen kann ich die nicht, da ich bis zum Hals mit einem weißen Tuch bedeckt ist.
„Nur eine unbedeutende Sicherheitsmaßnahme, Miss Doom.“
Die Tür öffnet sich, und ein mir unbekannter Blondschopf um die Mitte Dreißig tritt ein, nickt mir zu und nimmt auf einem Stuhl Platz.
„Es gibt eine weitere Maßnahme“, fährt Whitman fort, „die viel bedeutender ist. Es ist meine Pflicht, Sie darüber aufzuklären.“
„Was... was ist mit Itchy? Ich meine, mit Miller?“, frage ich, weil mir das gerade durch den Kopf geht.
„Er ist tot.“
Ich schweige. Nach den Monaten seit der Schwarzen Messe, in denen ich davon phantasiert hatte, einen Menschen zu töten, fühle ich jetzt nur Leere und einen Hauch von Schuld.
„Es klingt pietätlos“, sagt Whitman, „aber für unsere Sache ist Millers Tod, was Ihre Talente angeht, eine gute Nachricht.“
Ich räuspere mich.
„Hast du keine Angst, dass es dir genauso ergeht?“ Whitman zuckt mit den Schultern.
„Danke für die Überleitung, das bringt mich zu der weiteren Maßnahme“, sagt er und drückt auf ein Armband an seinem Handgelenk.
Alle Teufel, das haut rein...
Wie flüssiger Stahl strömt der Schmerz durch meine Glieder...
Für zwei Sekunden ist die Welt ein rotes Brennen... untermalt von einem seltsamen Kreischen... meinem Schrei...
Danach bin ich blind, es gibt nur leere Schwärze.
Mein Körper fühlt sich an wie von tausend Elefanten überrannt.
Ich versuche, irgend etwas an mir zu bewegen, aber nada und niente, nichts geht. Ich bin gerade mal zu Atemzügen in der Lage. Ein Oben und Unten kann ich nicht ausmachen.
„Sie sind jetzt paralysiert, Miss Doom“, höre ich Whitmans Stimme.
„Wir haben Ihnen während Ihrer zweitägigen Bewusstlosigkeit einen Chip ins Gehirn implantiert, der auf ein Signal hin diesen Effekt auslöst. Ich war so frei, dieses Signal zu geben. Nur Ihre wichtigsten biologischen Funktionen, wie das Atmen, sind noch aktiv.“
Na toll. Die Scheißer haben mich in der Zange. Aber sowas von.
„Ihnen ist vielleicht der Begriff Wachkoma bekannt“, fährt er fort.
„Ihr Zustand ist ähnlich. Anders als Wachkomapatienten sind Sie blind, können aber, wie diese, alles hören. Das jedenfalls berichteten Versuchspersonen, an denen wir den Chip testeten. Ich gehe also davon aus, dass Sie mich verstehen.“
Ich würde ihn am liebsten anspucken, muss aber aus technischen Gründen darauf verzichten. Diese lähmende Finsternis ist das ultimative Schachmatt.
„Aus Ihrem Körper entfernt werden kann der Chip nur durch uns. Denn nur wir haben das dafür nötige Passwort. Versucht das jemand, ohne dem Chip das Passwort zu übersenden, wird sich dieser selbst zerstören und dabei Ihr Zentralnervensystem irreparabel schädigen.“
Ich kann nichts tun, als ihm zuzuhören. Nicht mal im Ansatz ist es mir möglich, mit mentalen Tricks aufzuwarten.
„Versuchen Sie bitte nicht, mich zu überrumpeln, wenn ich Sie gleich wieder aktiviere. Mein Kollege hier und einige andere Leute in dieser Einrichtung sind sofort in der Lage, Sie erneut zu paralysieren. Und jetzt aufgepasst... ich aktiviere Sie wieder.“
Von einem Moment auf den anderen kann ich wieder sehen, als wäre das Licht angeknipst worden. Es geht mir aber gar nicht gut. Mein Körper zuckt unkontrolliert und reßt an den Fesseln. Hitzewellen rasen durch meine Glieder. Panisch japse ich nach Luft. Nach zehn Sekunden beginnt sich mein Körper zu beruhigen.
„Das sind“, sagt Whitman, „die normalen Reaktionen nach dem Abschalten des Chips. Das hat psychosomatische Gründe, bedeutet also keine Gefahr für Ihre Gesundheit.“
Ich spüre wieder die Bänder an Armen und Beinen. Das ist entwürdigend.
„Nehmt mir die Dinger ab und gebt mir was zu trinken. Ich verspreche auch, brav zu sein.“
Whitman nickt dem Kollegen zu. Der zieht die Decke bis an meine Füße herab, und ich sehe das blaue Nachthemd, in das sie mich gesteckt haben. Nachdem die Fesseln gelöst sind, setze ich mich im Bett aufrecht. Whitman bringt mir ein Glas mit Mineralwasser, das ich auf einen
Zug leere. Dann betaste ich meinen Kopf.
„Wo habt ihr das Scheißding eingesetzt?“
„Links oben unter der Schädeldecke,“ sagt Whitman. „Die Trepanation, die stereotaktische Operation und der Wundverschluss der zwei Millimeter großen Öffnung hatte ein Roboter durchgeführt. Dabei wurde Ihnen kein einziges Härchen gekrümmt. Die Narbe wird in einer Woche nicht mehr zu sehen sein.“
Er räuspert sich und fährt fort:
„Sie sind aufgrund erfüllter Voraussetzungen ausgewählt worden, für uns als PSI-Agentin zu arbeiten. Für unsere Organisation sind Sie sogar ein Glücksgriff. Sie sind eine Perle.“ Jetzt gerät er sogar ins Schwärmen.
„Allerdings eine Perle mit einem üblem Beigeschmack.“ Uups... das ist frech.
„Wie willst du das wissen, wenn du mich noch gar nicht geleckt hast?
Oder vielleicht doch? Ich war ja zwei Tage lang...“
Ich breche ab, denn Whitman läuft besorgniserregend rot an, während sich seine Finger sich dem Tollschock-Armband nähern. Der Blonde springt auf und berührt Whitmans Schulter.
„Lassen Sie sich nicht provozieren.“ Er spricht sehr beruhigend. „Das Signal ist nur für Notfälle bestimmt. Die Kleine ist nun mal so.“
„Ja.“ Whitman nickt. „Sie ist wahrlich des Teufels.“
„Präzise.“ Ich forme mit zwei Fingern Hörnchen an meinem Kopf.
„Wie gesagt...“ Whitman räuspert sich. „Sie sind für unsere Zwecke ein Glücksgriff, aber auch ein Sicherheitsrisiko. Wir haben bisher erst einem Agenten einen Paralyse-Chip implantiert, und der...“
Ich verziehe den Mund, als ein leuchtendes Farbmuster um seinen Kopf erscheint und seine Gedanken mir hörbar werden. Sie hatten den Agenten wegen Gehorsamsverweigerung in einem schweren Fall gehirnfritiert.
„... ist jetzt tot. Sie sind, Miss Doom, ein glühendes Kohlestück, das wir nur mit einer Zange anfassen. Diese Zange tragen Sie im Kopf. Das ist kein Sadismus unsererseits, sondern eine Selbstschutzmaßnahme.“
Ich schweige. Der Chip ist schlichtweg eine Katastrophe. Bei meinem spontanen Entschluss, Itchy wegen seines unentdeckten Verbrechens zu bestrafen, war ich davon ausgegangen, dass eine Verbindung zu mir nicht hergestellt werden könne. Leider hat eine Winzigkeit, nämlich mein von Whitman gerade noch gesehenes Grinsen, als Itchy zusammenbrach, mich als Verursacherin verraten. Das nachträglich abzustreiten ist jetzt sinnlos, da ich vor einer vollendeten Tatsache stehe
- dem implantierten Chip.
Und dann sehe ich ihn wieder. Den Typen mit dem Giftpfeilblick.
Diesmal ist er in weiblicher Gesellschaft gekommen, und bei den Nippeln der heiligen Madonna... die Braut ist scharf.
Wieder ist das Zimmer in Dämmerung versunken und Whitman und der Blonde zu fahlen Schattenrissen verblasst. Die im Kontrast dazu taghell beleuchteten Besucher stehen, keine drei Meter von mir entfernt, mitten im Raum und scheinen mich nicht zu beachten. Die junge Frau trägt enges schwarzes Leder und funkelnden Metallschmuck an den Armen und um den Hals. Ihre schwarze Mähne ist hüftlang, die pupillenlosen weißen Augen sind schwarz umrandet wie bei einer Gothic.
Nur dass das hier keine Gothic ist, sondern eine 24-Karat-Hochglanz- Dämonin.
Nicht dass ich das zu diesem Zeitpunkt wirklich gewusst hätte, aber bitte schön, eine herbeigebeamte Sexy Lady mit voll weißen Augen – was kann die anderes sein als eine Dämonin? Natürlich ist auch ihr Kumpan ein Dämon, nur hatte ich mir bis jetzt über ihn keine Gedanken machen können.
Dann richtet Lady 24 Karat ihre weißen Glubscher auf mich.
Ihr Blick übergießt meine darbende Seele mit dem himmlischsten Nektar...
„Miss Doom?“, höre ich da Whitmans laute Stimme. Sehr unfreiwillig bin ich vom Dämonenkanal zum Laborkanal zurück gezappt und sehe das Krankenzimmer und die Wissenschaftler wieder in voller Pracht. Der Blonde hat sich zu mir vorgebeugt und studiert meine ins Leere starrenden Augen.
„Hmm...“ Er zuckt die Achseln. „Keine Auffälligkeiten. Was war denn gerade los mit Ihnen?“
Ich habe wohl für ein paar Momente weggetreten gewirkt. Kein Wunder.
„Gar nichts. Ich träumte nur von Freiheit und Abenteuer.“ Die beiden sehen sich wieder an, dann sagt Whitman:
„Na gut. Ihr Ausbilder ist von nun an dieser junge Mann hier, Dr. Brandon. Er wird Sie gezielt für PSI-Einsätze trainieren, wofür unsere Mentalsimulationen erwiesenermaßen eine ausgezeichnete Methode sind.“
Ich sehe in sein Sonnyboy-Face und checke seine Gedanken. Ja, er scheint – wenn auch nur in der Theorie – viel vom PSI-Fighting zu verstehen, was mehrere Bereiche in sich vereint: die Technologie...
Erscheint lt. Verlag | 24.6.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
ISBN-10 | 3-7565-8263-9 / 3756582639 |
ISBN-13 | 978-3-7565-8263-1 / 9783756582631 |
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