Dorian Hunter 152 (eBook)
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-6766-8 (ISBN)
Der medizinische Sachverständige schwang das Fleischerbeil. »Und so führte der Angeklagte den Streich mit voller Wucht, dass ...«
Er brach ab, denn er fühlte kein Gewicht mehr in der Hand. Alle starrten auf die leere rechte Hand des Medizinalrats, die eben noch das Hackebeil gehalten hatte.
»Was ist mit dem Metzgerbeil, Herr Medizinalrat?«, fragte der Richter.
»Es ist einfach verschwunden«, stammelte der fassungslose Mediziner. »Als hätte es sich in Luft aufgelöst.«
Auf der Anklagebank warf Karl Ganzert, die »Bestie von Simmering«, den Kopf zurück und lachte schallend.
1. Kapitel
Karl, sein Arbeitskollege, war ein großer, mürrischer Mann, der sich nur einmal die Woche rasierte. Am Montag. Heute war Donnerstag, und er hatte lange Bartstoppeln.
»Was geht mich das an?«, fragte er. »Das bezahlt alles die Versicherung.« Er las die Adresse, die auf einem Aufkleber, der sich auf der Kiste befand, stand. »Das ist eine Adresse in Wien Stadt. Die Kiste kommt da drüben hin und dann auf Band C.«
Sein Kollege, jünger als Karl, blond, rund, ein wenig dicklich, stippte den Zeigefinger in die rote Flüssigkeit und kostete.
»Du, das ist Blut!«
»Du spinnst ja. Beeil dich, damit wir keinen Anpfiff kriegen.«
»Ach wo, das war unsere letzte Fuhre. Karl, wenn ich es dir sage, da stimmt etwas nicht. Mit der Kiste ist etwas nicht in Ordnung. Ich habe so ein komisches Gefühl!«
»Gefühle kann ich mir bei der Arbeit nicht leisten – höchstens ab und zu mal ... eine ... Flasche ... Bier ...«
Es war, als würde sich ein Nebelschleier über die Augen des Stoppelbärtigen gezogen.
Sein Kollege bemerkte es nicht. Karls Haltung wurde steifer, seine Stimme klang monotoner.
»Wenn ... du ... meinst, dann ... können ... wir ... ja ... einen ... Blick ... in ... die ... Kiste ... werfen ...«
Karl sprach eigentümlich langsam. Sein Kollege Hubert, ganz mit dem Rätsel der Lattenkiste beschäftigt, bemerkte es nicht.
»Das ist ganz bestimmt Blut«, sagte Hubert. »Ich weiß, wie Blut schmeckt. Ich habe mal eine Weile am Schlachthof gearbeitet.«
Die beiden Männer mit den blauen Arbeitsanzügen sortierten die Kisten bis auf die eine. Sie stellten die Kisten auf die Förderbänder, die sie in die Abfertigungshallen leiten sollten. Normalerweise war ein Lagerarbeiter da, der darauf achtete, dass die Kisten richtig zugestellt wurden, und auch selbst mit anpackte. Aber der war heute krank.
Karl und Hubert lenkten den Elektrokarren in die Ecke, denn andere Maschinen wurden entladen. In der großen Halle herrschte ständig Verkehr, surrten Elektrokarren und Gabelstapler und riefen Arbeiter. Karl und Hubert nahmen die Kiste, unter der sich eine rote Lache gebildet hatte. Sie trugen sie hinter ein paar Hochregale, wo Ware, die später abgehen sollte, gestapelt wurde. Neben einem Stapel von Kaffeesäcken stellten sie die Kiste ab. Hubert lief los und holte ein kurzes Stemmeisen. Karl starrte die Kiste an, verfolgte die rote Tropfenspur, die sie hinterlassen hatte. Sein Atem ging flach. Sein Gesicht war ein wenig gerötet.
Hubert sprengte die Metallbänder, die die Kiste umschlossen, und stemmte die Fichtenholzbretter auf. In der Kiste war rot verfärbte Holzwolle. Ein süßlicher Blutduft stieg auf.
»Sollte ... mich ... gar ... nicht ... wundern, wenn ... wir ... ein ... totes ... Kind ... drinnen ... finden ...«, sagte Karl.
Hubert schaute kurz auf.
»Du bist es, der spinnt. Manchmal redest du ein Zeug, Mann. Weiß der Teufel, was in der Kiste ist. Blutkonserven vielleicht. Ich bin nun mal ein neugieriger Mensch und will es wissen. Vielleicht kommen wir sogar einem Verbrechen auf die Spur.«
»Du ... wirst ... es ... schon ... merken, auf ... was ... für ... eine ... Spur ... du ... stößt ...«
Hubert schaute Karl an, dessen seltsamer Ton ihm jetzt doch auffiel. Aber er schüttelte nur den Kopf und wühlte die Holzwolle in der Kiste auseinander. Zuerst stieß er auf einen Arm. Bleich war er, so dass er wie aus Wachs wirkte. Hubert wühlte eifrig weiter und riss Holzwolle aus der Kiste. Er legte einen Körper frei, den eines kleinen Jungen von etwa vier Jahren mit einem blauen Matrosenanzug und blondem Lockenhaar. Das Kindergesicht war starr, die Augen weit offen. Qual und Verzweiflung standen darin. Und ein Ausdruck, der zu einem so kleinen Kind nicht passen wollte.
»Mich laust der Affe!«, sagte Hubert, während Karl tatenlos dabei stand, die Arme herabhängend. »Was habe ich dir gesagt, ein Verbrechen! Wir müssen sofort die Flughafenpolizei verständigen.«
»Er ... lebt ... noch ...«, sagte Karl.
Jetzt bemerkte auch Hubert, dass die starren blauen Augen des Kindes auf ihn gerichtet waren. Die Lippen bewegten sich, aber es war kein Ton zu hören. Hubert beugte sich über das in der blutigen Holzwolle liegende Kind. Jetzt vernahm er ein Flüstern. »Rebecca ... rettet mich ...«
Hubert richtete sich auf, sah seinen Arbeitskollegen an. »Was stehst du so herum? Ein Krankenwagen muss her! Die Polizei!«
»Ich erledige das!«, sagte da eine befehlsgewohnte Frauenstimme.
Hubert und Karl schauten in die Richtung, aus der sie gesprochen hatte. In dem engen Durchgang zwischen den Regalen und den Kaffeesäcken stand eine Frau, über einssiebzig und sehr schlank. Sie trug einen schwarzen Umhang und einen gleichfalls schwarzen Damenhut mit einem Schleier und breiter Krempe. Ihr Gesicht war lang und blass. Ihre Augen schienen Löcher in den Schleier zu brennen. Ihre schmalen roten Lippen öffneten sich zu einem maliziösen Lächeln.
»Ich erledige alles, was mit Baphomet zusammenhängt«, sagte die unheimliche Frau mit wohlklingender Stimme. »Der arme kleine Baphomet. Durch die veränderten Druckverhältnisse in 10.000 Meter Höhe hat sich seine Nackenwunde wieder geöffnet, er ist fast ausgelaufen. So ein Missgeschick! Wie viel von seinem süßen Blut mir auf diese Weise entgangen ist!«
Die Frau war niemand anderes als die Dämonin Rebecca. Sie hatte Baphomet nach Wien verschickt, lieblos in eine Kiste verpackt. Sie war in der gleichen Maschine geflogen wie der Kinddämon und hatte gespürt, dass etwas nicht in Ordnung war.
Rebecca ließ die Handtasche fallen und näherte sich langsam dem entsetzten und fassungslosen Hubert.
»So ein Unglück«, sagte sie ironisch.
Hubert starrte auf ihre langen, blassen Hände, in das bleiche Gesicht, das jetzt einen hungrigen Ausdruck trug.
»Wer ... wer sind Sie?«, stammelte er. »Was wollen Sie hier?«
»Dein Blut will ich«, flüsterte Rebecca. »Komm her, mein Geliebter! Du sollst eine meiner Vampirfledermäuse werden!«
Die zwingende Kraft von Rebeccas dämonischen Augen zehrte an Huberts Widerstandskraft. Seine Knie wurden schwach. Er wollte weglaufen, um Hilfe schreien, aber er konnte es nicht. Er spürte, wie seine Hände selbstständig handelten und den Hemdkragen aufrissen.
»Karl, so hilf mir doch!«, stammelte er.
Aber sein Arbeitskollege stand nur tatenlos dabei. Rebecca hatte die Tür magisch gesichert. Karl war ihr Sklave geworden. Wäre die Vampirin nicht persönlich eingeschritten, Karl hätte seinen Arbeitskollegen Hubert umgebracht, um Baphomets Entdeckung zu verhindern.
Hubert brach in die Knie. Rebecca beugte sich über ihn. Sie hob den schwarzen Schleier. Ihre Augen glühten dämonisch. Lange Eckzähne waren entblößt. Rebeccas schwarzer Umhang hüllte den knienden Hubert ein.
Er spürte einen glühenden Schmerz an seinem Hals, dann ein Brennen, das durch seine Adern lief, und schließlich nur noch ein Gefühl angenehmer Schwäche. Sein Geist, seine Persönlichkeit, alles in ihm veränderte sich. Er hatte noch eine Weile Zeit, sich einen verborgenen dunklen Schlupfwinkel zu suchen. Bald würde er zu einer Vampirfledermaus werden. Normalerweise hielt Rebecca sich genau fünfzig Fledermäuse, die sie aus früheren Liebhabern rekrutierte. Ausschließlich aus Männern, die ihr Schicksal verdient hatten. Aber jetzt verfolgte Rebecca große Pläne, da konnte sie nicht mehr so wählerisch sein. Sie trank Huberts Blut. Als sie genug davon hatte, richtete sie sich auf und wandte sich Karl zu. Hubert stand mit weichen Knien auf und wankte davon – in den Keller, wo er in einer dunklen Ecke und in einer Kiste verkrochen auf die Nacht warten wollte. In der Nacht würde er Rebecca auf magische Weise finden und fortan eine ihrer Kreaturen sein.
Rebecca tupfte mit einem schwarzen Seidentüchlein das Blut von ihren Mundwinkeln. Ihr Blick bohrte sich in die stumpfen und teilnahmslosen Augen von Karl.
»Du verschließt die Kiste wieder und bringst sie persönlich zu der Anschrift, die auf dem Aufkleber angegeben ist«, sagte Rebecca mit zwingender Stimme. »Jetzt sofort.«
Karl nickte. Er war von dem Willen erfüllt, Rebecca zu gehorchen. Er kannte nichts anderes mehr. Er würde sich unter einem Vorwand von der Arbeit abmelden, die Kiste in den Kofferraum seines alten Ford laden und vom Flughafengelände fahren. Die Kontrollen wurden nicht sehr streng gehandhabt. Karl sah da keine Schwierigkeiten. Der stoppelbärtige Mann verneigte sich und küsste Rebeccas kalte und bleiche Hand.
»Ja, Herrin«, sagte er leise.
Rebecca sah zu, wie er die Holzwolle wieder in der Kiste verstaute und sie zunagelte. Wenn er seinen Auftrag erfüllt hatte, würde Karl nach Hause fahren und alles vergessen. Rebecca brauchte ihn nicht, und ihr Blutdurst...
Erscheint lt. Verlag | 22.6.2024 |
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Reihe/Serie | Dorian Hunter - Horror-Serie |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-6766-5 / 3751767665 |
ISBN-13 | 978-3-7517-6766-8 / 9783751767668 |
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