Lassiter Sonder-Edition 48 (eBook)
80 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-6797-2 (ISBN)
Das Gesicht der Frau war nicht mehr zu erkennen. Auch ihr Körper sah schrecklich zugerichtet aus. Aber sie trug noch das Medaillon und den Ring. Daran erkannte Lassiter sie.
'Dolores!' Er flüsterte es nur. Mehr konnte er nicht sagen. Zorn und Bitterkeit schnürten ihm die Kehle zusammen. Er war kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Aber tief in seinem Herzen formte sich ein finsterer Schwur:
RACHE FÜR DOLORES!
ALS LASSITER
DOLORES RÄCHTE
Der weiße Körper hob sich deutlich vom gelbtrüben Wasser ab. Er wurde von den Wellen hin und her bewegt, blieb aber weiterhin im Geäst des im Wasser liegenden Baumes hängen.
Es war die Leiche einer Frau.
Lassiter erkannte es, obwohl der Abend schon dämmerte und der Körper fast zehn Schritt von ihm entfernt in der Krone des umgestürzten Baumes hing.
Nach kurzem Zögern trieb er sein schwarzes Pferd in den Fluss. Wenn er Glück hatte, war das Wasser an dieser Stelle nicht zu tief, sodass er mit dem Pferd bis an die Frau herankam.
Er schaffte es.
Je näher er der Toten kam, desto schwerer bedrückte ihn eine dumpfe Ahnung. Diese Ahnung war vom ersten Augenblick an da, und sie ließ sich nicht verdrängen.
Und dann sah er die schreckliche Wahrheit.
Das Gesicht der Toten war zwar nicht mehr zu erkennen. Auch der Körper sah übel zugerichtet aus.
Aber sie trug noch das Medaillon an dem goldenen Halskettchen, und an ihrem Finger steckte noch ein Ring, den Lassiter ebenso gut kannte wie das Medaillon.
Es waren die einzigen Dinge, die man ihr gelassen hatte.
Lassiter zog die Tote ganz aus dem Wasser, legte sie vor sich auf das Pferd.
Seine Augen brannten. Bitterkeit und Zorn schnürten seine Kehle zusammen. Er war kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen.
»Dolores«, flüsterte er heiser, »arme Dolores...«
Es waren seine ganzen Worte. Aber gleichzeitig formte er in seinem Herzen einen finsteren Schwur.
Rache für Dolores.
Er trieb sein Pferd wieder auf das Ufer zurück. Fast behutsam ließ er Dolores zur Erde hinab. Minutenlang betrachtete er sie. Der furchtbare Anblick brannte sich in sein Gehirn ein. Dieses Bild würde er niemals vergessen.
Es war das Übelste, was er jemals gesehen hatte. Und das bedeutete für einen Mann wie ihn eine ganze Menge.
Er nahm seinen Packen vom Pferd, rollte ihn auf und holte seinen langen gelben Staubmantel hervor. Darin hüllte er die Frau ein. Anderen Menschen sollte nach Möglichkeit dieser Anblick erspart bleiben.
Sein Gesicht zeigte harte Anspannung.
Er zwang sich wieder zu ruhigem Nachdenken.
Jetzt und in der Zukunft durfte er sich auf keinen Fall von blinden Hassgefühlen und wütenden Rachegedanken leiten lassen.
Nur durch eiskaltes Nachdenken und ebenso eiskalte Handlungsweise konnte es ihm gelingen, den Mörder von Dolores zu finden.
Vor einigen Wochen hatte er einen Brief von ihr erhalten. Sie schrieb ihm, dass Frederick Belt, ihr Mann, ermordet worden war. Und dass sie sich selbst ebenfalls bedroht fühlte.
Sie bat ihn nicht um Hilfe, aber beim Lesen dieses Briefes hatte er doch deutlich gespürt, wie verzweifelt sie war.
Und nun lag sie da, eingehüllt in den gelben Staubmantel. Stumm und mit einem Gesichtsausdruck, der die Höllenqualen festgehalten hatte, die Dolores in den letzten Augenblicken ihres Lebens noch hatte erdulden müssen.
Lassiter hob sie auf und legte sie über den Rist des Pferdes. Dann schwang er sich in den Sattel und ritt an. Er nahm den Weg, den er gekommen war. Einen schmalen, teilweise zugewachsenen Pfad, der die meiste Strecke unmittelbar am Fluss entlanglief und kaum benutzt wurde. Die meisten Reiter nahmen den breiteren und bequemeren Wagenweg, der von der Stadt Ferryton aus nordwestwärts führte.
Drei Stunden Ritt bis Ferryton lagen vor Lassiter. Bis zur Belt-Ranch, die sein ursprüngliches Ziel gewesen war, hätte er nur noch etwa eine Stunde gebraucht, doch Lassiter hielt es für besser, zunächst einmal den Sheriff zu informieren.
Der Mond ging auf und leuchtete durch das Geäst des Waldstreifens, der den Fluss säumte. Immer wieder starrte Lassiter auf seine traurige Last hinab.
Unwillkürlich stiegen Erinnerungen aus schöneren, glücklicheren Tagen in ihm auf.
Er hatte Dolores vor zwei Jahren in Colorado kennengelernt. Sie war damals zweiundzwanzig, ein nettes, natürliches Mädchen. Sie war ohne Eltern aufgewachsen. Bei ihrem Onkel, einem Hotelier. Sie hatte sich sofort in Lassiter verliebt, aber er überzeugte sie davon, dass er nicht der richtige Mann zum Heiraten für sie war.
Sie trennten sich in bester Freundschaft, und er hinterließ ihr die Adresse seines Freundes Benito Sanchez in El Paso. Sie hatte ihn darum gebeten, weil sie ihm bei Gelegenheit einmal schreiben wollte.
Den ersten Brief hatte er schon drei Monate später von ihr bekommen. Sie teilte ihm voller Freude mit, dass sie den Mann fürs Leben gefunden hätte. Frederick Belt, einen wohlhabenden jungen Rancher aus Idaho.
In dem zweiten Brief schrieb sie ihm dann vom plötzlichen Tod ihres Mannes. Über die näheren Umstände erfuhr er nichts.
Ob er auf die gleiche schreckliche Art wie Dolores umgekommen war? Lassiter beschloss, den Sheriff in Ferryton danach zu fragen. Er war gespannt, wie die Antwort lauten würde.
Die Zeit verrann, während diese Gedanken durch seinen Kopf gingen.
Gegen zehn Uhr am Abend näherte er sich der kleinen Stadt am Fluss. Sie bestand aus zwei Teilen, die durch eine Holzbrücke miteinander verbunden waren.
Im Mondlicht tauchten drei Reiter auf, als er nur noch hundert Schritt von den ersten Häusern entfernt war.
Die drei hielten genau auf ihn zu. Sie saßen auf schnellen, aber ungepflegten Pferden, und Lassiter sah bärtige Gesichter unter breitkrempigen Hüten.
Alle drei machten einen gefährlichen und herausfordernden Eindruck.
Als sich Lassiter ihnen näherte, zügelten sie ihre Pferde. Grinsend sahen sie ihm entgegen.
Er kannte sie. Hatte sie am Mittag in der Stadt gesehen, als er dort seine Rast eingelegt hatte.
Wollten sie etwas von ihm? Ihr Grinsen gefiel ihm nicht.
Und warum hatten sie überhaupt angehalten?
Waren sie vielleicht angetrunken und wollten sich einen der üblichen derben Cowboyspäße mit ihm erlauben?
Auf jeden Fall versperrten sie ihm den Weg. Sie hatten ihre Pferde so dirigiert, dass er nur an ihnen vorbeikam, wenn er einen Bogen schlug und durch die dichten, zum Teil dornigen Büsche ritt, die rechts des Weges wucherten.
Nach links konnte er nicht ausweichen. Links vom Weg war das Flussufer, und es war an dieser Stelle sehr steil.
Eine halbe Pferdelänge vor den drei Burschen hielt er nun ebenfalls an.
»Ist was?«, fragte er rau. »Oder wollt ihr was Besonderes von mir? Gebt den Weg frei, Leute! Ich habe keine Zeit für irgendwelche Späße.«
Die drei duckten sich unwillkürlich. Das Grinsen erstarrte auf ihren Gesichtern. Jetzt sahen sie lauernd und bösartig aus. Sie hatten eine Ähnlichkeit mit hungrigen Wölfen.
Der mittlere Reiter sagte knurrend: »Ich nehme an, du weißt nicht, mit wem du es hier zu tun hast. Sonst würdest du nicht so eine große Lippe riskieren. Wir sind keine dahergelaufenen Satteltramps, sondern wir gehören zur Deadwood-Ranch. Ich...«
»Das interessiert mich nicht«, unterbrach ihn Lassiter rau. »Ich habe es eilig. Wenn du mir unbedingt deine Lebensgeschichte erzählen willst, Mann, so kannst du das später erledigen. Nun?«
Während er sprach, nahm er die rechte Hand vom Zügel. Sie hing jetzt in der Nähe seines Revolvers.
»Sei vorsichtig, Mister!«, warnte ihn der Sprecher der drei. »Ich bin nicht von gestern, was das Schießen angeht. Schon mal was von Tex Mohawk gehört?«
Lassiter nickte.
Von diesem berüchtigten Revolvermann war ihm schon eine ganze Menge zu Ohren gekommen. Der gehörte zu den allerschnellsten Schützen, die es im Westen gab.
Gegen ihn würde Lassiter einen sehr schweren Stand haben. Und da er es nicht nur mit Mohawk zu tun hatte, würde ein Kampf mit Sicherheit sein Ende bedeuten.
Trotzdem ließ er sich nicht einschüchtern.
»Ich weiß, dass du so gut wie unschlagbar bist, Mohawk«, sagte er gelassen. »Trotzdem bin ich bereit, es darauf ankommen zu lassen. Ich habe noch nie gekniffen. So etwas liegt mir nicht.«
Tex Mohawk grinste breit.
»Sieh mal einer an«, knurrte er. »Du möchtest also tatsächlich in dieser Stadt begraben werden.«
Lassiter blieb nach außen hin völlig unbeeindruckt.
Er zuckte die Schultern.
»Möglich, dass ich hier ein Grab bekommen werde«, sagte er. »Aber ich werde dann nicht der einzige sein, für den der Totengräber ein Loch ausbuddeln muss. Wollen wir wetten?«
Der Revolvermann bekam schmale Augen.
Etwas warnte ihn. Sein Instinkt sagte ihm, dass er sich vor diesem großen Fremden in acht nehmen musste. Dass der auch jedes Wort so meinte, wie er es sagte. Deutlich spürte er die Härte, die von Lassiter ausging.
»Wer bist du?«, fragte er. »Lass mich deinen Namen wissen.«
»Lassiter.« Die drei bekamen große Augen.
Tex Mohawk machte einen unschlüssigen Eindruck. Er schien plötzlich nicht mehr so unbedingt auf einen Kampf aus zu sein.
»Ja«, sagte er nach einer kurzen Pause, »von dir habe ich schon gehört, Lassiter. Du bist der Mann, der allein den Kampf gegen Wells Fargo aufgenommen hat, nachdem die Company ihm sein Geschäft ruiniert...
Erscheint lt. Verlag | 8.6.2024 |
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Reihe/Serie | Lassiter Sonder-Edition |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Abenteuer-Roman • alfred-bekker • Bestseller • Cassidy • Country • Cowboy • Deutsch • eBook • eBooks • erotisch • Erwachsene • erwachsene Romantik • Exklusiv • für • g f barner • Indianer • Karl May • Kindle • Klassiker • Laredo • Männer • Nackt • Reihe • Ringo • Roman-Heft • Serie • Sexy • Western-Erotik • Western-roman • Wilder Westen • Wyatt-Earp |
ISBN-10 | 3-7517-6797-5 / 3751767975 |
ISBN-13 | 978-3-7517-6797-2 / 9783751767972 |
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