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Spielbeschreibung (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 6. Auflage
163 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7598-2367-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Spielbeschreibung -  Klaus Dieter Remus
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Als 1989 die Mauer fiel, hielt Edgar nichts mehr im Prenzlauer Berg. Nicht seine Freundin Antje, nicht die gemeinsamen Kinder, nicht die Freunde. Er musste raus, raus in die Welt, kostete es, was es wollte. Drei Jahre später kehrt er zurück. Sein alter Kiez versinkt in den Wirren wirtschaftlicher und politischer Begehrlichkeiten. Die Ornamente sozialer Beziehungen zerfallen. Der Mythos des Stadtteils verkommt zum Statussymbol für Zuziehende. Und die alten Freunde wandeln längst auf den Pfaden der Anpassung, des Einstieges oder der Verweigerung. Edgar ficht das nicht an. Unbeirrt stürzt er sich in das alltägliche Chaos und wird schnell wieder der, der er früher war: Edgar, der Macher, der Lebenskünstler. Der jede Situation als Spiel begreifen und sie so bewältigen kann. Aber der Schein trügt. Ihm fehlt die Erfahrung all jener, die hier blieben. Der Untergang der einen und die Auferstehung einer anderen Gesellschaft. Edgar begreift zu spät, dass er mit seinen Mitteln nichts dagegen auszurichten imstande ist. Er verliert einen Freund nach dem anderen und ist dabei, sich selbst abhanden zu kommen.

Der 1956 in Bautzen geborene Autor arbeitete nach einem Filmwissenschaftsstudium an der HFF Babelsberg bis 1990 als Dramaturg und Autor im DEFA-Studio für Spielfilme. Nach der Wende war er Regisseur und Autor des Kinomagazins im ORB, lehrte Filmgeschichte und Filmtheorie, schrieb Drehbücher fürs Fernsehen, Theaterstücke, Kinder- und Jugendbücher, Kurzgeschichten sowie filmwissenschaftliche Arbeiten. 2008 verließ er das Mediengeschäft und war bis zum Renteneintritt Erzieher an einer Berliner Grundschule. Seit 2022 wohnt er in Mecklenburg-Vorpommern und schreibt, wozu er Lust hat.

Der 1956 in Bautzen geborene Autor arbeitete nach einem Filmwissenschaftsstudium an der HFF Babelsberg bis 1990 als Dramaturg und Autor im DEFA-Studio für Spielfilme. Nach der Wende war er Regisseur und Autor des Kinomagazins des ORB, lehrte als Dozent Filmgeschichte und Filmtheorie, schrieb Drehbücher fürs Fernsehen, Theaterstücke, zwei Kinder- und Jugendromane, Kurzgeschichten sowie filmwissenschaftliche Arbeiten. 2008 stieg er aus dem Mediengeschäft aus und war bis 2022 Erzieher an einer Berliner Grundschule. Seit dem wohnt er als Rentner in Mecklenburg-Vorpommern und schreibt, wozu er Lust hat.

Heimkehr


Der Beamte hinter der Scheibe des Einreiseschalters sah so abgewetzt aus wie der Deutsche Demokratische Pass. Als er das Dokument mit müder Routine öffnete, fiel ein Foto heraus und holte ihn aus der blinden Routine der anstehenden Kontrolle. Es folgte ein müder Blick auf den Mann vor seinem Schalter, dann widmete er sich dem kleinen, durch vieles Ansehen etwas labberig gewordenen Karton. Er zeigte eine verwilderte Wiese und darauf den Mann neben einer jungen Frau stehend. Sie sahen aus, als wüssten sie noch nicht, dass Schloss Gripsholm nur ein altes Gemäuer und ein gut geschriebener Roman ist. Während er die Hände in den Taschen seiner Jeans vergraben hatte, hielt sie einen zappelnden Säugling auf dem Arm, und vor ihnen freundete sich ein etwa dreijähriger Junge mit einem viel zu großen Stofftier an. Es war einer jener Schnappschüsse, die auf dem ersten Frühjahrsspaziergang gemacht werden und die einander ähneln wie eine Waschmittelwerbung der nächsten.

Der Beamte schob das Foto durch den Schlitz unter der Scheibe zurück. Der Mann versenkte es in einer Tasche seiner Joppe, nahm nach einem erneuten, nun aber prüfenden Blick seines Gegenüber auch den Pass entgegen. Hörte den Beamten mit gelangweilter Bestimmtheit sagen, dass er sich einen neuen besorgen solle. Und dass Privatfotos nichts in einem Pass zu suchen hätten. Der Mann nickte und verließ wortlos den Schalter.

Er war etwa dreißig Jahre alt, trug das nackenlange, stufenlos geschnittene und leicht gelockte Haar glatt nach hinten gekämmt. Sein Gesicht hatte jene Kantigkeit, die Modefotografen glücklich macht. Leicht vorstellbar, dass er nach einer gründlichen Rasur und einem Besuch beim Herrenausstatter auch im Gewühl der Vorhalle einige Blicke auf sich gezogen hätte. Aber die grobe Leinenjoppe, deren ausgeleierte Taschen schlaff nach unten hingen, die an den Hosenbeinen vom vielen Waschen ausgefransten Jeans und die schiefen Absätze seiner klobigen Halbschuhe machten ihn höchstens für zwei herumlungernde Sicherheitsleute interessant. Nicht so sehr allerdings, dass sie ihren frisch gebrühten Kaffee dafür hätten kalt werden lassen.

Der Mann passierte die Uniformen unbehelligt und lief quer durch die Halle zu den automatischen Türen. Wie vor jedem anderen öffneten sie sich lautlos und er ging hinaus in einen für die schwere, schwüle Luft viel zu dünnen Spätsommerregen. Blieb mit einem vorwurfsvollen Blick in den Himmel stehen, trat dann zurück unter das Vordach und betrachtete von dort aufmerksam den betonierten Vorplatz der Schalterhalle. Dass er nebenbei den Pass langsam in kleine Stücke riss, fiel lediglich einer dicken Frau auf, die mit Besen und Schaufel bewaffnet, zunehmend empört zusah, wie ihm die Schnipsel aus der Hand glitten und zu Boden torkelten. Als die Frau sich entschloss, ihre zweieinhalb Zentner Lebendgewicht über den Beton zu schleppen und dem jungen Mann die Leviten zu lesen, hatte der sich ebenfalls entschlossen. Er schnippte das letzte Stück des Passes von sich und ging auf das erste Taxi zu. Die Frau lief schwungvoll ins Leere.  

Der Taxifahrer hob mühsam die Lider als die Beifahrertür geöffnet wurde. "Steht der Prenzlauer Berg noch?"

 "Ist gestern abgerissen worden."

 "Dann zeigen Sie mir die Trümmer."

Der Fahrer hatte keine Lust oder keine Kraft, seinen Fahrgast in den Fond zu verweisen. Er startete den Motor, wartete, bis der Störenfried angeschnallt war und fuhr resigniert mit ein wenig zu viel Gas an.

 

Als der junge Mann aus dem Dunkel des Durchganges zur Straße in den Hinterhof trat, tauchte eine lustlos mit den Wolken ringende Sonne die Mietskaserne in schmutziges Licht. Die Fassaden waren immer noch grau und fast vollständig vom Putz befreit, die Mülltonnen immer noch rostig. In einer Ecke stand wie eh und je das Simson Duo. Es stand, von Wind und Wetter der letzten drei Jahre eingemottet, auf kläglich platten Reifen.

Er lief um das Fahrzeug, trat wohl auch liebevoll gegen eine der Felgen, betrachtete dann ohne erkennbare Aufregung die Fassaden des Hinterhauses und der Seitenflügel. Er wähnte sich wieder zu Hause, legte die Hände an den Mund und tat dies kund.

"Edgar ist wieder da!"

Im zweiten Stock wurde ein Fenster heftig geöffnet und ein igelgesichtiger Mann mit runder Nickelbrille brüllte kühl zurück. "Na und? Wir sind schon lange wieder da!"

Dann schloss er das Fenster, wie er es aufgerissen hatte. Raschelnd rieselten einige Körnchen des verbliebenen Putzes nach unten. Ansonsten regte sich nichts. Auch Edgar regte sich nicht. Er war auf alles gefasst, nur nicht auf einen solch desinteressierten Gegenüber. Da er aber nicht bereit war, die Situation anzunehmen, unternahm er noch einen Versuch, sich, und sei es nur vor sich selbst, zu behaupten. Er brüllte nach oben. "Was heißt denn hier na und?!"

Vergebens. Das Igelgesicht reagierte nicht. Niemand reagierte. Der Hinterhof brütete still wie ein leeres Fußballstadion vor sich hin. Edgar glotzte in das Stück Himmel über sich, wartete noch einige Sekunden unschlüssig. Dann ging er ins Haus.

 

Drei Treppen höher vor seiner Wohnungstür, den Geruch des offenen Beines der alten Frau Fassbinder aus der vierten Etage in der Nase, überkam ihn so etwas wie Rührung. Vorsichtig zog er den Streifen Pflaster, der über das Plasteschild mit seinem Namen geklebt war, ab, und klebte ihn darunter. Wenn schon der Empfang wenig Offizielles hatte - diese Klarstellung der Besitzverhältnisse war für ihn der erste bemerkenswerte Akt seiner Heimkehr. Der zweite bestand im Einführen des drei Jahre nicht benutzten Schlüssels und im Geräusch, welches dieser verursachte, als er ihn vorsichtig drehte und die Tür öffnete.

Ein schmaler Lichtstreifen aus dem Wohnzimmer flegelte im Korridor. Edgar stieg darüber hinweg, ließ den Rucksack auf den Boden gleiten, ging zur angelehnten Tür und drückte sie behutsam weiter auf. Dahinter schien wenig verändert. Lediglich ein aufrecht stehendes Skelett aus den Beständen eines unrechtsstaatlichen Biologiekabinetts, jede Menge Papier und einige abenteuerlich aussehende, elektronische Geräte waren zu dem gekommen, was er vor einer Ewigkeit verlassen hatte. Im zerschlissenen Ledersessel neben dem Ofen saß ein Dreißigjähriger und rezitierte ein Gedicht. Das Licht der alten Stehlampe hinterließ einen Reflex auf seinem schulterlangen Haar. Auch die Gläser der Brille schimmerten in allen Regenbogenfarben. Brechung an dünnen Schichten hieß das in der Physik und der Mann in der Tür verzog die Lippen zu einem schwachen Grinsen. Die Brechung an dünnen Schichten. Alles Mögliche hatte er sich als seine erste Reaktion auf das Wiedersehen mit dem Dichter Jan vorstellen können, nicht aber den Gedanken an einen physikalischen Vorgang. Immerhin verband sie eine langjährige Freundschaft, wenngleich erst in den nächsten Tagen und Wochen, vielleicht auch nur Minuten herauszufinden war, was sie noch taugte.

Der dem Dichter zuhörte, lag mit geschlossenen Augen auf dem einzigen relativ neuen Möbel, einer Klappcouch, hatte eine rabenschwarze, müde aussehende Katze auf dem Bauch und streichelte sie unentwegt. Über seinem angeknitterten weißen Hemd glänzte ein gelockerter Schlips, dessen Ende unter der Katze verschwand. Aus einer Tasche der dunkelblauen Anzughose waren einige Münzen zu Boden gefallen und die hochgelegten Füße ließen kaum abgetretene Etiketten auf den Sohlen der feinledernen Halbschuhe erkennen. Die zur Hose gehörende Jacke diente, sauber zusammengerollt, als Kopfkissen. Der Zuhörer war etwas jünger als der Dichter und Edgar kramte in seinem Kopf nach einem Namen für das Gesicht. Es wies weiche, regelmäßige Züge auf, eine Spur zu weich vielleicht, wurde von halblangem, sachkundig geschnittenem Haar umrahmt und strahlte eine zurückhaltende, beinahe kindliche Seriosität aus, für die jeder Staubsaugervertreter sein Adressbuch gegeben hätte. Vor der Couch stand ein Monster von Funktelefon und blinkte nervös vor sich hin. Weder der auf der Couch noch Jan noch die Katze bemerkten Eindringling. Der stand immer noch in der Tür und hörte das nächste Gedicht. Ob es ausgerechnet dieses war, ist nicht verbürgt, es sei aber hier als Beispiel für Jans Dichtkunst öffentlich gemacht.

 Wohin, wenn nicht in fest Gefügtes?

 Der Stuhl, auf dem ich sitze, ist noch frei.

 Den Himmel unter meiner Zimmerdecke

 Frage ich meine Schreibmaschine.

 Wer bin ich?

Jan lauschte seinen Worten nach, der andere streichelte weiterhin die Katze. Edgar nutzte die noch im Zimmer schwebende Frage, um sich bemerkbar zu machen, indem er eine Antwort versuchte.

 "Der letzte der großen Dichter."

Katze, Zuhörer und Dichter starrten ihn in dieser Reihenfolge an. Er trat zwei Schritte in Zimmer und Licht und wartete, dass er erkannt würde.

 "Edgar?"

 "Ja?"

 "Mensch, Edgar."

Die Katze floh, der Zuhörer erhob sich und ging auf Edgar zu. Nun passte auch ein Name zu dem Gesicht.

 "Frank? Das gibt`s doch nicht."

 "Das gibt´s, wie Du siehst."

Sie umarmten sich, hielten sich an den Oberarmen und schüttelten einander.

Frank trat zurück, einen Schritt, noch einen, dann setzte er sich wieder auf die Couch. Jan war sitzen geblieben. Hatte sich die Begrüßung der zwei ohne eine Regung angesehen. Nun also war er an der Reihe. Edgar trat heran, reichte die Hand zum Gruß. Jan hielt sie fest. Sie sahen sich in die Augen und schwiegen. Vier Sekunden, sechs, dann löste Jan seine Hand aus der Edgars.

 "Ich koche einen Kaffee."

Er ging in die Küche. Frank hatte schon den Hörer des Telefons am Ohr.

 "Ich ruf' die anderen."

Er wählte eine zehnstellige Nummer. Edgar steckte...

Erscheint lt. Verlag 4.6.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Schlagworte Berlin • Clique • Heimkehr • Nachwendezeit • Ossis • Prenzlauer Berg • verlust und trennung
ISBN-10 3-7598-2367-X / 375982367X
ISBN-13 978-3-7598-2367-0 / 9783759823670
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