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Ferdinand kommt später (eBook)

7 Jahre, 3 Monate und 11 Tage ohne ein Wort

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
256 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-5474-5 (ISBN)

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Ferdinand kommt später -  Elfi Uragg
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Ein junges Ehepaar aus dem Kronland Steiermark des Habsburgerreiches führt mit seinen Kindern und seinem Gasthaus ein zufriedenes und aufstrebendes Leben. Man schreibt das Jahr 1914. Eine kaum merkliche Ahnung von Gefahr schwelt unter der Unbeschwertheit dieses letzten Frühlings, nach dem nichts mehr so sein wird, wie es war. Ferdinand muss schweren Herzens seine schwangere Frau und seine Kinder zurücklassen und in den Krieg ziehen. Er kommt in russischer Gefangenschaft nach Sibirien, wo er sechs Jahre seines Lebens verbringt. Kälte, Fronarbeit, Hunger und Einsamkeit bestimmen sein Dasein. Die einzige Abwechslung sind die Besuche des Bürgermeisters von T., der ihn für Arbeiten in seinem Haus zu seiner Familie mitnimmt, deren Tochter sich in ihn verliebt. Martha, seine Frau, führt inzwischen das Gasthaus allein, nur Viktor, ein junger Kriegsversehrter, steht ihr dann und wann zur Seite. Als Ferdinand nach Hause zurückkehrt, erfährt er schmerzlich, dass sich alles verändert hat. "Es ist die bewegende Geschichte meines Großvaters." (Elfi Uragg)

Elfi Uragg, geb.1954 in Graz und heute wohnhaft in der Südoststeiermark, studierte Germanistik und Romanistik und unterrichtete viele Jahre lang Deutsch und Französisch am BORG Bad Radkersburg im Südosten Österreichs. Neben ihrer Reiselust und ihrem Interesse für Literatur befasst sie sich mit Fotografie. Sie begann nach ihrer Lehrtätigkeit zu schreiben. Im Jahr 2023 veröffentlichte sie zwei Bücher: "Siri - Der Schwan der nicht fliegen konnte" (Es ist die wahre Geschichte eines jungen Schwans, der sich bei seinen ersten Flugversuchen einige Schwungfedern abgerissen hat und deshalb den Winter über an einem zugefrorenen Teich ausharren muss. Als seine Eltern zurückkehren, muss er verschwinden und wandert zum angrenzenden Golfplatz ab. Doch dort beginnt im Frühling wieder die Golfsaison ... Eine Geschichte von Ausgrenzung und Vertreibung mit vielen Fotos der Autorin.) und den Roman"Wenn die Flut kommt", eine Familiengeschichte mit einem Familiengeheimnis, die zwei Generationen umspannt und im Jahr 1971 in Graz und in der Karibik spielt sowie in der Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg in Frankreich.

1914 – 1916


Weiz, Steiermark


Die Kinder flitzten durch die Gasträume, vorbei an der offenen Küche, aus der Dampfschwaden herauswaberten, einen feinen Geruch von ausgelassenem Schweineschmalz mit sich führend. Dahinter die Stimme der Mutter, die zwischen den klappernden Blechtöpfen und dem brodelnden Wasser der Küchenmagd Anweisungen zurief. Wenn Hanna mit roten Augen in der Küchentür erschien, wussten sie, dass sie nicht geweint, sondern bloß Zwiebel geschnitten hatte. Und der heiße Dampf tat sein Übriges.

„Nicht so wild!“, ermahnte sie der Vater, der im nebeligen Dunst auftauchte, seine roten Hände an der seinen Bauch umspannenden kobaltblauen Schürze aus festem Leinen abstreifend, auf der sich schon mehrfach seine Fingerabdrücke abzeichneten. Ferdinands dunkler Oberlippenbart glänzte, auf seiner Stirn sammelten sich Tröpfchen.

Sein Blick glitt auf die linke Wand der Gaststube, wo sich neben dem Garderobenständer die grün gemusterte Tapete wellte, als wollte sie sich ablösen. Der heiße Dampf aus der Küche, überlegte er.

Seine Augen wanderten über die halbhohe dunkel lasierte Holzvertäfelung hinauf, verweilten auf der gerahmten Fotografie hinter Glas. Der Mann mit einem mächtigen gezwirbelten Schnurrbart, sein dichtes dunkles Haar zurückgekämmt. Die Frau daneben in einem hellen Kleid, wie es schien, obwohl das Porträt nur die obere Hälfte der zwei Menschen preisgab. Beide blickten ernst in die Kameralinse des Fotografen. Seine Großeltern.

Er hauchte auf das Glas, zog ein sauberes Taschentuch aus der Hosentasche und wischte beinahe liebevoll darüber. Als die Großeltern den Betrieb seinen Eltern übergeben hatten, widmeten sie ihm und seiner Schwester Bertha als Kleinkinder viel Zeit, die ihre Eltern nun nicht mehr aufbringen konnten.

Ob das Porträt seiner Eltern endlich gerahmt war? Er würde Luis fragen, wenn er abends zum Pokern kam.

An der Wand vor ihm reihten sich drei massive rechteckige Eichentische aneinander, wandseitig eine Bank und rundherum Stühle. Die hinteren zwei Tische waren unbesetzt, aber rund um den ersten drängte sich eine Gruppe Männer. Alle dunkel gekleidet, einige mit Schirmmützen. Über ihnen Rauchschwaden.

Als Ferdinand mit den schweren Steinkrügen die rauchgeschwängerte Luft durchschnitt und das Bier auf dem Holztisch absetzte, nahm er Wortfetzen auf wie „angespannte Lage am Balkan“ und immer wieder Ausdrücke wie „explodieren, Pulverfass“ und Ähnliches.

Es war ihm bewusst, dass Russland und Österreich-Ungarn sich um die Vormachtstellung am Balkan stritten, dennoch hoffte er …

„Vater“, rief Johann, sein zweiter Sohn.

Der älteste, der bereits die zweite Klasse besuchte, war nach ihm benannt, so wie es üblich war, Ferdinand, aber alle nannten ihn Ferdi. Auch Sebastian sollte Ferdinand heißen, aber …

Russland musste seine Handelswege über das Schwarze Meer schützen, überlegte er. Das Erdöl aus Baku sowie das Getreide aus der Ukraine gingen über diese Route in den Westen.

„Schon unterwegs“, antwortete er, aus seinen Gedanken gerissen, lief in den Schankraum, der sich ebenfalls füllte, und brachte abermals vier schwere Steinkrüge an den Tisch, zog den hinter das rechte Ohr geklemmten Stift hervor und zeichnete Striche auf die jeweiligen Bierdeckel. Er hörte Doktor Schönebach, den Dorfarzt, gerade sagen:

„Dieses Mal werden wir die Verwundeten nicht so schnell wieder zusammenflicken können. Ihr könnt‘ euch nicht vorstellen, welche Verletzungen die modernen Waffen anrichten.“

Der Arzt, der die meisten am Tisch bereits behandelt hatte – auch Ferdinands Familie versorgte er als ihr Hausarzt -, seufzte laut und blickte ernst in die Runde. Er konnte das Gefühl nicht abschütteln, unweigerlich auf eine Katastrophe zuzuschlittern, wenn er an die Zeitungsartikel der letzten Tage dachte, verkniff sich aber seine bösen Vorahnungen.

„Ja, die neuen Technologien haben Wunderwaffen hervorgebracht“, rief der junge Thomas Brauninger beinahe triumphierend.

Er strich sich über seinen Schnurrbart, nahm einen Schluck aus seinem Krug und versuchte mit der Zunge, den Bierschaum aus seinem Bart in den Mund zu ziehen. Als das nicht gelang, wischte er sich mit dem Rücken des rechten Zeigefingers über den Mund. Sein Gebaren ließ vermuten, dass seine jugendliche Unverfrorenheit den Krieg herbeisehnte. Seine teakholzbraunen Augen glänzten und sprühten vor Patriotismus.

„Es wird nicht mehr so sein, dass die Soldaten mit Bajonetten und Vorderladern aufeinander losgehen so wie in den Kinderspielen unserer Buben. Nein, Granaten werden Menschen zerfetzen oder in vielen kleinen Splittern in ihre Körper eindringen, und es wird nur schwer möglich sein, alle Teile herauszuoperieren, ohne zusätzlichen Schaden anzurichten. Und Maschinengewehre verursachen ähnliche Verletzungen.“

Dabei fuhr er sich mit dem Zeigefinger seiner linken Hand über die unregelmäßig wachsende Augenbraue links. Jeder konnte die kleine Narbe oberhalb der Braue sehen. Ein Streifschuss von einer Fuchsjagd vor ein paar Jahren.

„Es wird nicht mehr bloß um eine Kugel gehen, die herausoperiert werden muss …“

Der feinsinnige Arzt, der gerne die Operette besuchte, schüttelte bedächtig den Kopf, während er sprach, und sah auf die Gruppe Männer. Er lächelte verkniffen, um sich den angestauten Ärger nicht anmerken zu lassen. Sein dichtes graues Haar trug er gescheitelt, es fiel ihm ungebändigt – so ganz anders, als es üblich war – seitlich an den Ohren über die goldenen Bügel seiner Brille. Wie konnte man nur so begeistert von einer militärischen Auseinandersetzung reden, in deren Verlauf es jede Menge Verwundete und Tote geben würde.

„Wann gibt es Mittagessen?“, forderten die Buben im Duett, beide in tannengrünen Kniebundhosen, die jener des Vaters ähnelten.

„Das wird noch etwas dauern, zuerst müssen unsere Gäste versorgt werden. Mutter muss erst die Knödel einkochen. Aber dann seid ihr dran“, rief er den dreien nach, wobei sein Blick auf dem kleinen Mädchen hängenblieb; Adelheid bemühte sich stetig, mit ihren Brüdern mitzuhalten, deren Holzpantinen im Stakkato über den Bretterboden klopften. Die mit einem schmalen saphirblauen Stoffband zusammengehaltenen karamellfarbenen Zöpfe hüpften auf ihrem Rücken, der linke Träger des geblümten Schürzenkleides war über ihre Schulter gerutscht und zog den Saum des Kittels vorne weit über die Knie. Der Vater lächelte zufrieden, wobei sich in seine von der Hitze geröteten Backen Grübchen einkerbten. Sein blondes Haar war mit Pomade zurückgekämmt.

Das Gasthaus in Weiz hatte er von seinen Eltern übernommen, nachdem seine vier Schwestern großzügig abgefunden worden waren, die entweder den Sohn eines Großbauern der Nachbarschaft oder einen befreundeten Wirtssohn geheiratet hatten; nur Mathilde, die Jüngste, wollte partout nicht heiraten, sondern lieber einen Beruf erlernen.

Die zunehmend wachsende Bevölkerung in dem Dorf in der Oststeiermark, geschuldet dem medizinischen Fortschritt und dem allmählich besseren Wissen um Hygiene, so dass weniger Menschen an Krankheiten starben, ermöglichte es ihnen, den Betrieb gewinnbringend weiterzuführen.

Jetzt erst kam er in die Küche, wo seine Kinder bereits hungrig auf ihr Mittagessen warteten.

Kaum fertig, liefen sie wieder los, doch ein Blick des Vaters mit zusammengezogenen Augenbrauen auf Ferdis Schulranzen, der achtlos in der Ecke lag, veranlasste den Buben, seine Schiefertafel herauszuziehen und sich mit ihr und dem Griffel an einem leeren Tisch in der Gaststube niederzulassen.

Die Männer am Nebentisch blickten kurz auf, widmeten sich aber sogleich wieder ihrer lebhaften Diskussion um einen möglichen Krieg. Sie saßen nun bereits in doppelter Reihe dichtgedrängt um den einen Tisch, und Ferdis Vater erschien abermals mit schweren Bierkrügen.

Sein Schulfreund Franz P., mit dem Ferdinand als Kind den Mixnitzbach und den Weizbach bei seinem Dorf staute oder umleitete, verwirklichte schon im Spiel als kleiner Junge in den komplizierten Konstruktionen seine genialen Ideen. So war es nicht verwunderlich, dass er, kaum erwachsen, hier am Ort ein Elektromaschinenunternehmen aufbaute.

In Weiz fehlten zwar größere Gewässer für den Antrieb von Wassermühlen, so dass der Fabrikstandort hier seine Berechtigung hätte, aber der technisch talentierte Franz P., nicht nur versierter Unternehmer, sondern auch erfolgreicher Erfinder, konstruierte die ersten Wechselstromkraftwerke der Österreichisch-Ungarischen Monarchie.

Und so hatte man es auch den Pichler-Werken zu verdanken, dass der kleine Ort einen eigenen Bahnhof bekam – für den Transport von Rüstungsmaterialien der k. u. k. Armee, zumal diese das Unternehmen während des Krieges vorrangig...

Erscheint lt. Verlag 15.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Biografischer Roman • Erster Weltkrieg • junger Gastwirt mit Frau und kleinen Kindern • Liebe • schmerzliche Heimkehr aus dem Krieg
ISBN-10 3-7597-5474-0 / 3759754740
ISBN-13 978-3-7597-5474-5 / 9783759754745
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