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Ihr letzter Eintrag -  Günther Tabery

Ihr letzter Eintrag (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
172 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-2539-4 (ISBN)
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Erika Hummele ist eine liebenswerte ältere Dame, die immer weiß, was in ihrem Haus geschieht. Das Kommen und Gehen ihrer drei Untermieter Esther, Marco und Nils wird stets aufmerksam zur Kenntnis genommen. Neugierig zu sein? Nein, diese Eigenschaft weist sie vehement von sich. Doch ist es gerade ihre Neugier, die sie einen gefährlichen Weg beschreiten lässt.

Günther Tabery schreibt seit 2015 Kriminalromane. In Berlin studierte er Musik und arbeitet heute in Karlsruhe als Lehrer. Neben seiner beruflichen Tätigkeit engagiert er sich im Bereich Theater und Musik in Bruchsal, wo er lebt.

1


„Griechische Insel mit sieben Buchstaben“, las Erika. Ihre Stirn kräuselte sich. Sie dachte sofort an Mykonos und setzte den Stift an. Doch dann stockte sie, denn der dritte Buchstabe musste ein A sein. Nachdenklich blickte sie auf. Kopfschüttelnd goss sie sich eine Tasse Schwarztee ein, griff anschließend zu einem kleinen Fläschchen und fügte einen Schuss Weinbrand hinzu. Schon ihre Großmutter hatte stets gesagt: „Ein Schlückchen Weinbrand fördert die Durchblutung und hält Körper und Geist gesund.“ So gesagt, nahm sie einen großen Schluck und atmete tief ein und wieder aus. Schließlich lief sie zu einem großen Bücherregal hinüber, holte ihr Kreuzworträtsellexikon heraus und schlug wissbegierig nach. Nach wenigen Augenblicken hatte sie die Lösung parat: Es musste sich um die Insel Thassos handeln. Sie trug das Wort in das Kreuzworträtsel ein und legte das Heftchen beiseite. Stumm saß sie eine Weile in ihrem Ohrensessel.

Es war der Lieblingsplatz ihres Mannes Hermann gewesen, der vor einem Dreivierteljahr an einem Herzstillstand gestorben war. Zweiundvierzig Jahre waren sie verheiratet gewesen. Nun hatte sie seinen Platz eingenommen und saß hier, wie fast jeden Abend.

Er hatte ihr dieses große Haus hinterlassen, das sie nun alleine bewirtschaftete. Für ihre Kinder und Enkel hatten sie ursprünglich zwei kleine Einliegerwohnungen und ein kleines Zimmer mit separatem Eingang eingebaut. Doch kam es ganz anders als geplant. Ihre Tochter zog aus Bruchsal fort und hatte nun ihren Lebensmittelpunkt mit ihrer eigenen Familie in Ulm. Auch ihr Sohn wollte nicht in das Elternhaus einziehen. So hatten sie noch zu Lebzeiten ihres Mannes drei junge Leute ins Haus genommen und mit den Mieteinnahmen ihre Rente aufgebessert.

Sie saß da und träumte von der guten alten Zeit, in der ihre Kinder hier im Wohnzimmer umhertobten und ihr keine ruhige Minute gönnten. Ihr Blick schweifte über die zahlreichen Familienfotos, die an der gegenüberliegenden Wand hingen. Erinnerungen wurden wach. Sie lächelte liebevoll. Dann sah sie ihr Tagebuch, das sie nachdenklich in die Hand nahm. In den letzten drei Wochen hatte sie darin viel festgehalten. Mit einem Stift schrieb sie „Für Benjamin“ darauf und legte es wieder behutsam auf den Tisch zurück.

Kurz zuckte sie zusammen. War es schon so weit? Sie nahm ihren kleinen Wecker in die Hand, den sie auf ein Beistelltischchen gestellt hatte und schaute auf die Anzeige. Erleichtert stellte sie ihn zurück. Die Wäsche würde erst in einer halben Stunde fertig sein.

Irgendwo im Haus wurde eine Tür zugeschlagen. Anschließend hörte sie Schritte. Sie blickte auf die Uhr: 20:28 Uhr war es. Es musste einer ihrer Untermieter gewesen sein, der am Abend das Haus verlassen wollte. Schnell eilte sie zur Tür und lugte durch den Spion. Marco und Esther hatten je eine kleine Wohnung in der zweiten und dritten Etage. Sie selbst wohnte im ersten Stockwerk. Unglücklicherweise konnte sie durch den Spion nicht sehen, um wen es sich handelte. Sie öffnete vorsichtig ihre Tür einen Spalt breit. Doch auch so konnte sie nicht sehen, wer die Treppen hinunterlief. Schnell eilte sie zum Esszimmerfenster. Sie schob die Gardine zur Seite und erblickte Esther, die aus der Tür trat und vor dem Haus stehen blieb. Diese wohnte ganz oben. „Du meine Güte“, flüsterte Erika. Im fahlen Licht der Lampe, die an der Hauswand angebracht war, sah sie, dass Esther einen auffallenden, roten Hut trug, einen grünen Schal um den Hals geschwungen und wieder einmal zu viel Make-up aufgelegt hatte. „Sie schaut aus, als ob sie zu einem Maskenball gehen will, findest du nicht auch, Hermann?“, sagte Erika belustigt. Esther trug immer viel zu viel Make-up. Es wirkte wie eine Maske, als ob sie dahinter etwas verstecken wollte. Dabei war sie so eine nette junge Frau. Sie hatte letztes Jahr ihre erste Stelle als Sportlehrerin an einer Realschule in Bretten angetreten. „Auf was wartet sie denn?“, fragte sich Erika. Esther blieb vor der Haustür stehen und steckte sich eine Zigarette an. Gleich darauf gesellte sich Marco zu ihr. Er war der Untermieter aus dem zweiten Stock. Ein junger Mann, der in einer Autowerkstatt als Mechatroniker arbeitete. Sie unterhielten sich. Worüber, konnte Erika leider nicht hören. Nachdem Esther aufgeraucht hatte, umarmten sie sich. Er stieg auf sein Fahrrad, sie in ihr Auto und beide fuhren davon.

Erika setzte sich wieder in ihren Ohrensessel. Sie wollte stets wissen, was sich in ihrem Haus zutrug. Als neugierig empfand sie sich natürlich nicht. Sie kümmerte sich liebevoll um alles und jeden und hatte schließlich ein Recht zu erfahren, was in ihrem Umfeld geschah.

Wieder schaute sie auf ihren Wecker. Nun war es so weit. Gleich würde die Wäsche fertig sein und sie könnte in den Keller gehen, um sie aufzuhängen. Sie tat dies in den kalten Wintermonaten im warmen Heizungskeller. Nachdem sie einen großen Schluck Tee mit Schuss getrunken hatte, nahm sie die Schlüssel und ging zur Wohnungstür. Erika war sehr sparsam, penibel und geizig und sparte, wo sie nur konnte. Sie hasste es, wenn die jungen Leute kopflos Energie verschwendeten. So schaltete sie kein Licht ein, sondern stieg im Dunkeln die Treppe hinunter bis zur Eingangstür. Dort öffnete sie ein kleines Kästchen, in dem der Schlüssel zur Kellertür hing. Sie ergriff ihn, schloss das Kästchen und tastete nach der Klinke und dem Schlüsselloch. Im Handumdrehen war die Tür offen. Vor ihr lag die lange, steile Kellertreppe. Gerade als sie ansetzte, diese hinunterzusteigen, stieß sie einen spitzen Schrei aus.

Die Trauergemeinde betrat nach und nach das Restaurant. Eine Kellnerin mit mitfühlendem Gesichtsausdruck führte sie in einen Nebenraum. Dort waren auf den Tischen Gedecke, Platten mit belegten Brötchen und trockenem Kuchen angerichtet.

„Den Kaffee bringe ich sofort“, murmelte die Kellnerin mit gedämpfter Stimme und verließ die Gruppe.

„Vielen Dank“, nickte Barbara. „Bitte, setzt euch!“, deutete sie auf die knapp vierzig eingedeckten Plätze. Die Gruppe setzte sich. Die noch auf dem Friedhof bedrückte Stimmung war nun gewichen. Ausgelassen wurde gegessen und getrunken und die Gespräche kreisten nicht mehr um Trauer und Tod. Eine gewisse Erleichterung machte sich breit.

Benjamin betrat als letzter den Nebenraum. Er setzte sich zu seinen Eltern.

„Wo warst du so lange?“, wollte Barbara wissen.

„Ich brauchte noch ein bisschen Zeit, um meine Gedanken zu sortieren.“ Er griff nach dem Kaffee und goss sich ein.

Barbara blickte ihn nachdenklich an. Benjamin hatte ein enges Verhältnis zu seiner Großmutter gehabt. Nicht, weil sie so viel Zeit miteinander verbracht hätten. Aber wenn sie sich sahen, verstanden sie sich gut. Erika hatte immer gesagt, Benjamin und sie seien Seelenverwandte gewesen. Nun hatte Benjamin keine Großeltern mehr. Und die Erfahrung, jemand Geliebtes zu verlieren, war für ihn sehr schmerzhaft. Barbara strich ihm über den Arm: „Natürlich, ich verstehe dich sehr gut.“

Ungläubig blickte er zuerst sie an und dann in die Runde: „Wie könnt ihr alle so normal miteinander reden? Als ob nichts gewesen wäre? Ich verstehe das nicht! Schließlich war sie deine Mutter!“

„Schau, es ist traurig, dass sie nicht mehr da ist. Aber sie hatte doch ein schönes und erfülltes Leben. Daran musst du jetzt denken.“

„Aber ist es nicht schrecklich, so plötzlich aus dem Leben gerissen zu werden? Ich meine, sie war noch nicht dran. Sie hätte nicht sterben müssen. Die Treppe hinunterzustürzen, das ist doch grausam!“

Barbara konnte darauf nichts sagen. Dass Erika die Treppe hinuntergestürzt war, war ein schrecklicher Unfall gewesen. Sie musste das Gleichgewicht verloren haben. Unweigerlich dachte sie an Erikas Angewohnheit, regelmäßig Alkohol zu trinken. Vielleicht hatte sie an diesem verhängnisvollen Abend zu viel getrunken und deswegen das Gleichgewicht verloren?

„Ich muss hier raus!“, stieß Benjamin aus und verließ den Raum. Barbara ließ ihn gehen und seufzte. Daraufhin setzte sich Paola, Barbaras Cousine zu ihr. Beide hatten sich monatelang nicht mehr gesprochen. Auf die Frage, was mit Benjamin sei, winkte Barbara ab. Er hing sehr an seiner Großmutter, erklärte sie.

„Ja, ich weiß. Sie mochten sich sehr. Wir alle mochten Erika. Obwohl sie nach Hermanns Tod etwas verwirrt schien. Sprach sie nicht andauernd mit ihm? Als ob er noch am Leben wäre?“

„Ja, das stimmt.“ Barbara nickte. „Aber nach so einer langen Ehe ist es schwierig, wenn man plötzlich alleine und niemand Vertrautes mehr da ist. Ich würde wahrscheinlich auch mit mir selbst reden.“ Beide lachten.

„Na ja, er wird sicher darüber hinwegkommen“, urteilte Paola. Abrupt wechselte sie das Thema: „Was macht Benjamin jetzt, nachdem er mit seinem Abitur fertig ist?“

„Er macht gerade ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Kindergarten.“

„Möchte er denn Erzieher...

Erscheint lt. Verlag 2.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-7597-2539-2 / 3759725392
ISBN-13 978-3-7597-2539-4 / 9783759725394
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