Une chèvre hors du chemin (eBook)
250 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7562-6700-2 (ISBN)
Florence Glitsch wurde 1901 als jüngstes von fünf Kindern in Genf geboren. Sie diente dem englischen Hochadel, später in wohlhabenden Familien auf dem Kontinent, bis sie schließlich die Assistentin eines Chirurgen wurde.
Meine Mutter
Meine Mutter8 nannte mich «ihr kleiner Sonnenschein», doch war mein Charakter weiss Gott nicht von aussergewöhnlicher Sanftmut und Gehorsam! Aber diese arme Mutter, deren Name Julia war, hatte in ihrer Kindheit selbst unter einem Mangel an mütterlicher Zärtlichkeit gelitten. Und dies ist ihre Geschichte.
Ihre Familie war hugenottischer Herkunft in Frankreich. Eine Vorfahrin9 verliess dieses Land zur Zeit der Aufhebung des Edikts von Nantes, im Jahre 1685. Sie lebte inmitten dieser Protestanten, von denen so viele von den Katholiken massakriert wurden. Sie schloss sich anderen Hugenotten an und floh in die Schweiz, indem sie den Genfersee mit einem Boot, das sie aufnahm, überquerte und nach Prangins an die Schweizer Küste brachte. Henriette kam nach Nyon, wo sie einen Apotheker10 kennenlernte, den sie später heiratete. Sie hatten zehn Kinder. Mehr ist über ihr Leben nicht bekannt, aber eine ihrer Töchter11, Caroline, heiratete 1833 einen Deutschen, Clément Naegele12. Sie hatten drei Kinder, von denen eine der Töchter, Anne Louise13, meine Grossmutter war. Diese Grossmutter hatte selbst zehn Kinder, eines davon, Julia, war meine Mutter. Mein Grossvater14 war Apotheker in Bulle im Kanton Freiburg, wo die Pharmacie du Serpent heute noch existiert. Als er starb, hinterliess er eine Witwe mit zehn Kindern. In diesem katholischen Kanton geschah etwas Empörendes: Der Pfarrer verbot, diesen Mann auf dem Friedhof zu beerdigen. Er wurde am Weg dorthin begraben. Erst durch ein Schreiben aus Bern sah sich der Pfarrer gezwungen, das Grab dieses Protestanten innerhalb der Mauern seines Friedhofs aufzunehmen.
Die Witwe verliess Bulle und zog in eine grosse Wohnung in Lausanne, wo sie Untermieter aufnahm, um das Studium ihrer Söhne zu finanzieren. Sie hatte finanzielle Schwierigkeiten, alle ihre Kinder zu ernähren, und so stimmte sie zu, ihre Tochter Julia einer Niederländerin anzuvertrauen. Es war eine ihrer Freundinnen aus dem Internat, die ihrerseits eine Gefährtin für ihre gleichaltrige Tochter Mathilde suchte. So wurde die Entscheidung getroffen und Julia reiste im Alter von 7 Jahren nach Holland, das damals weit weg schien.
Julia blieb 10 Jahre lang bei der Familie Brants van Löben Sels auf Schloss Wildenborch. Der Park war von Kanälen durchzogen, in denen viele Frösche lebten. Die Bäume, die den ganzen Park bevölkerten, so weit das Auge reichte, machten die Landschaft traurig und sogar unheimlich. Die Familie war gut, aber erbarmungslos streng. Sie stellte die Religion über alles andere. Die zahlreiche Dienerschaft musste sich jeden Sonntagabend im grossen Saal versammeln, ebenso die Kinder, um der Lesung eines Kapitels aus der Bibel zuzuhören. Im Winter wurden die beiden Wohnzimmer und das Esszimmer durch grosse Kachelöfen mit blauen geometrischen Mustern beheizt, die eine sanfte Wärme verbreiteten. Aber die zahlreichen Korridore und Wendeltreppen mit den gewachsten Holzstufen führten im Winter in eisige Schlafzimmer, was recht mühsam war. Es war nicht ungewöhnlich, dass man an sehr kalten Tagen gezwungen war, eine dünne Eisschicht in den Krügen zu brechen. Die Gouvernante der Kinder war eine deutsche Frau, die streng und ungerecht gegenüber meiner zukünftigen Mutter war, da sie sie für einen Eindringling hielt.
Morgens wurde das Pferd vor die Kutsche gespannt. Die Gouvernante brachte die beiden Mädchen zu einer Privatschule in Utrecht. Julia hatte das Glück, dass sie dadurch eine äusserst gründliche Ausbildung erhielt. Sie lernte vier Sprachen, spielte wunderbar Klavier, zeichnete und malte hervorragend. Doch in einer so strengen Familie, die nicht die ihre war, erlebte sie weder Zärtlichkeit noch Mutterliebe.
Mit 17 Jahre verliess sie diese Familie und musste sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Sie arbeitete zunächst als Lehrerin in Deutschland und später in England. Doch als ihre Mutter 1884 starb, kehrte sie nach Hause zurück, um sich um ihre jüngeren Geschwister zu kümmern. So kam Julia nach Genf, wo ihre ältere Schwester Sophie15 lebte, die einen Genfer Bankier16 geheiratet hatte, und dort traf Julia den Mann, der mein Vater wurde.
Im Haus eines gemeinsamen Freundes, sang dieser junge Mann russischer Herkunft mit einer schönen Stimme für die Gäste, begleitet von einer jungen Lehrerin am Klavier. Sie heirateten, hatten aber die Pflicht, die jüngste Schwester, Hélène17, bei sich aufzunehmen.
Julia hatte ein grosses Talent zum Zeichnen und Malen, das sie vielen Schülern beibrachte. Jede Woche fuhr sie mit dem Zug nach Rolle, um einer jungen Schülerin des Internats Le Rosay Malunterricht zu geben. Sie hatte ebenfalls eine Klasse am Bellevue eingerichtet, in der sich Studenten zum Unterricht versammelten. Meine Mutter, zwei ihrer Schwestern und eine Freundin malten abwechselnd in einer ihrer Wohnungen auf Porzellan. Zu dieser Zeit gab es in Genf keinen Ofen, um es zu brennen. Und so fuhren diese Damen, mit Körben auf ihren Armen, die ihre Werke enthielten, mit dem Zug nach Nyon, wo ein Mann namens Gagnebin ihre Werke brannte.
Julia hatte Ende 1887 geheiratet und lebte, bevor sie in der Villa von Pressy wohnte, in Genf, wo sie einen Sohn namens Bernard bekam. Dann wurde ihre erste Tochter geboren, Eleonore18, die Nora genannt wurde. Sie war besonders süss und brav. Als sie fast zwei Jahre alt war, gab es einen kleinen Zwischenfall. Nora, Bernard und ihre Mutter wurden für einige Tage nach Bardonnex zu Bernards Patentante eingeladen, die dort ein grosses Anwesen besass, dessen Felder die Grenze zu Frankreich markierten. Es gab ein Herrenhaus und einen Hof. Die Zufahrt verlief über eine lange, reizvolle Allee aus Hainbuchen und führte zur Terrasse des Hauses mit Blick auf die umliegenden Felder. Die Aussicht, die nur durch den Salève begrenzt war, war eine wahre Pracht. Entlang der Wiesen gelangte man zu einem gefälligen alten Pavillon mit zwei kleinen Bänken. Hier sassen Julia und ihre Freundin und führten ein inspirierendes Gespräch über die Malerei, die sie beide praktizierten und leidenschaftlich liebten. Plötzlich sahen sie die kleine Nora nicht mehr. Nora war keine zwei Jahre alt. Bernard war ins Dorf gegangen, um eine Besorgung zu tätigen, aber Nora hatte ihn nicht begleitet. Sie fingen an, überall nach ihr zu suchen. Sie war nirgends zu finden und Rufe wurden nicht beantwortet. Julia wurde von Sorge erfüllt, denn zwischen den Enden dieser grossen Felder und Frankreich gab es keinen Zaun, und die Grenze konnte leicht überschritten werden. Sie eilten zum Hof, weil sie wussten, dass das Kind gerne die Hühner besuchte, aber Nora war nicht da. Sie kehrten zu den Feldern zurück, das Getreide stand schon hoch und erstreckte sich weit. Schnell hasteten sie an jeder Seite des grossen Grundstücks entlang und fanden schliesslich Nora, die im Weizen sass. Sie war so lange gelaufen, dass sie nicht mehr aufstehen konnte, um den ganzen Hang hinaufzugehen, den sie so leicht hinuntergegangen war. Julia nahm den kostbaren Schatz in die Arme, der ihr so viel Angst bereitet hatte!
Einige Zeit später, wurde ihr Sohn Bernard durch einen Luftröhrenschnitt von der Diphtherie gerettet. Julia fragte ihren Arzt, ob nicht die Gefahr einer Ansteckung bestehe und ob es nicht besser sei, ihr kleines Mädchen wegzugeben. Der Arzt versicherte ihr leichtsinnigerweise, dass sie sicher sei! Doch die kleine Nora erkrankte daran und der Arzt entschied sich nicht schnell genug für eine Operation. Schon bald erstickte sie in den Armen ihrer Mutter und starb. Es war eine schreckliche Tragödie für Julia, die sie trotz der aufeinanderfolgenden Geburten ihrer drei Töchter nie vergessen hatte. Dann kaufte ihr Mann die grosse Villa in Pressy, in der ich geboren wurde und über die wir am Anfang dieser Geschichte gesprochen haben.
Julia war mit der ältesten Tochter von Schloss Wildenborch in Holland, wo sie aufgewachsen war, in Kontakt geblieben. Sie hatte geheiratet, wurde Frau Mathilde van Asch van Wijck und besass in Bursinel, am Ufer des Genfersees, ein stilvolles Landgut. Meine Mutter und ich wurden oft zu ihr nach Hause in dieses herrliche Haus eingeladen, wo ich das prächtige chinesische Porzellan und die geschmackvollen antiken Möbel bewunderte. Im Speisesaal wurde das Mittagessen von drei weiss gekleideten Zimmermädchen serviert, die hinter der Dame des Hauses und ihren Gästen standen. Ich versuchte, meiner Mutter zu gefallen, indem ich aufrecht auf meinem Stuhl sass und nur sprach, wenn ich gefragt wurde. Die angeborene Wildheit meines Charakters erlaubte es mir nicht, diese Art von Leben zu schätzen. Manchmal waren meine Mutter und ich im Hôtel Bonivard in Veytaux, um bei der Besitzerin, Madame Alblas, zu wohnen. Sie war in ihrer Jugend eine grosse Freundin meiner Mutter zur Zeit ihrer Jahre in England gewesen. Sie lud uns ein, in diesem komfortablen und gut gelegenen Hotel zu übernachten, was für mich immer ein Fest war.
Für meine Mutter wurden die Jahre immer schwieriger. Bald kam die Krankheit, die sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1938 leiden liess. Es war ein chronisches Rheuma der Wirbelsäule, kein Medikament hatte die Wirkung, sie zu heilen. Nur die Schmerzmittel gaben...
Erscheint lt. Verlag | 6.3.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Ästhetische Chirurgie • Biografie • Frauenschicksal • Genf • Reiseberichte |
ISBN-10 | 3-7562-6700-8 / 3756267008 |
ISBN-13 | 978-3-7562-6700-2 / 9783756267002 |
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