Als gäbe es die Liebe (eBook)
176 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-4077-2 (ISBN)
Andreas Vierk, geboren 1963, hat seine Gedichte selbst aus 30 Jahren und sieben Büchern ausgewählt. Er schreibt und atmet in Berlin.
Johannisfeuer Oden an die Einsamkeit
DER SOMMER IST GROß!
Verschenke ihn an Bettler
mit offener Hand.
Das Sein ist größer als du,
die Laus größer als alles.
Das Leben ist groß!
Wirf es weg, wenn du es liebst,
in die Reifenspur.
Liebe und Vergänglichkeit:
Schenk sie der nächstbesten Laus.
Trinke das Weltall
so lange du durstig bist.
Verschütte den Rest
an den Baum zum Hundekot.
Tu beides ohne Reue.
Am Thunersee
Glückselig wollte ich in dir ertrinken
und schmelzen in dein reines tiefes Blau.
Den Weg hinauf in Falkenvogelschau,
ein sanfter Bogenflug, ein halbes Sinken,
und wie ich unter den Coronen saß,
die eine Sonne warf wie gelbe Ringe,
erhob sich das Gebirg‘ in einer Schwinge,
um sich zu stürzen in dein Spiegelglas.
Das Glück, des Daseins Sommerferien:
es trägt den Schierling auf sich wie ein Boot,
und wie ein Becher bleibt es unerfüllt,
und scheu fast wahrt es die Mysterien.
Und so versank ich nur im Abendrot,
und Nebel hielt die Berge eingehüllt.
Blaue Nacht
Es ist so dunkelblau in den Alleen,
als schritte man durch Gänge späten Weines.
Wie Hochzeitszüge Glühkäferchenscheines
sieht man die Rücklichter der Autos wehn.
Doch hört man kaum Geräusche, ist wie taub,
vernimmt nur sanfte Klage: aus den hohen
Welträumen sinken Töne von Oboen
wie Wind ins silbergraue Straßenlaub.
Als wandle sich die Stadt in einen Garten
und tändelten Laternen durch den Mohn,
sieht man die ungehaltnen Lichter ziehn,
als zöge eine Gravitation
sie von gewundnen Autobahnabfahrten
in einen Strom erglühter Galaxien!
Erwachen
Die Nacht ist schwarz, von Fiebersternen schwer,
doch leuchtet lindgrün aus sich selbst die Wiese.
Die Nachtigall besingt das Farbenmeer,
nur leise flüstert eine Sommerbrise
und will den Pinsel in die Tusche tunken.
Da glüht der Morgen auf von Feuerfunken,
hell wie das Innere der Apfelsine:
es ist das Spiel der Mellifera-Biene.
Da streicht die Flamme über meine Haut
wie wilder Honig, dringt in meine Poren,
und Nerven glühn an meinen Fingerspitzen.
Die Sonne wird in meiner Hand geboren,
steigt langsam in die Eiben, singt und blaut
und will das Land mit ihrer Glut erhitzen.
Hohenschönhausen, am Stadtrand
Beton und Glas im Morgensonnengleißen
und Fieberglühen der Asphaltchausseen –
ein Fußmarsch von Minuten: sie zerreißen
wie weiße Schatten, sinken und verweh‘n.
Es muss verfallen in den morschen Pflöcken,
eh wieder Zeit beginnt in dir zu lesen.
Ab Juni funkelt‘s auf den Bienenstöcken
wie Gold in Hunderten von kleinen Wesen.
Wenn man von dort die Schritte weiterlenkt,
kommt man durchs hohe Gras zur Dorfkapelle.
Im zweiten Weltkrieg wurde sie gesprengt.
Die Gräber schlafen in der Sonnenhelle.
Im alten Schuppen ist es drückend heiß,
dort tickt im Messingschlaf die Zugmaschine.
Im Gaukelflug ein Weidenkätzchen, weiß:
Eucera heißt die wilde Wiesenbiene.
Im Gartenland die Kirschgehölze schäumen.
Dort will auch ich einmal verwurzelt sein.
Der ganze weite Himmel scheint zu träumen.
Es fließt die Stille wie im Shinto-Hain.
Carnica
Ich sah in zarten Fenstern die Madonnen
wie Milch und Gold in Wasserlinsen tropfen,
im windgehauchten Glas die Adern klopfen.
Wie gaukelte Musik! Sie ist zerronnen.
Der Klatschmohn ließ sich gern von dir zerwühlen,
doch ohne dich bleibt meine Lunge leer
und sie erstickt an Nimmerwiederkehr
und will sich zwischen Wasserfenstern kühlen.
Eucera longicornis ist gestorben.
Der Storch im Apfelbaum trinkt seine Farbe,
so werden die Gedanken wieder weiß.
Die Äpfel schmecken heute Nacht verdorben.
Die Sonne klettert durch versengte Garbe:
ein Rotkehlchen im gelben Futtermais.
Sonnensaiten
I
Die Sonnenknospe ist zerborsten! Sie
zerfloss zum Horizont, zum weiten Rund.
Sie wurde zur Membran, zum Gong, zum Mund.
Sie sang den Abzählreim, die Melodie,
die auch der Krokus noch verhalten singt.
Er hat im Kelch die Sonne neu geboren.
Sie keimt in ihm, vollkommen weltverloren,
so wie ein Du im andren Du ertrinkt.
Sie flattert auf, Zaunkönig erst, dann Taube,
dann Storchenflügel, transparent im Hauch.
Sie liegt auf jeder Zunge, deiner auch.
Sie spiegelt sich in unsrer Augentraube,
hat sich auf Lippen wie ein Kuss gesonnt,
zerschmilzt in uns zu Lied und Horizont.
II
Heut Morgen sang die Sonne zur Gitarre.
Sie hing noch timbregrün im Chlorophyll.
Sie stieg wie eine Taube aus dem Müll,
dem Stahlgerüst, der leeren Mörtelkarre.
Ich habe sie belauscht: sie sang von Händen,
von uns und unsrem ängstlichen Erzittern,
von Fingern zwischen Flügeln und an Gittern,
auf weichgecremter Haut an kalten Wänden.
Von Bienen sang sie auch. Ihr großes Thema
jedoch war der Asphalt, die Last der Toten,
die große Liebe: Menschen! Wir allein,
Genmanipulation, Matrizenschema.
Und doch für sie, die Sonne, sind wir Noten,
und sollten nun beginnen, Lied zu sein.
III
Die Sonne sang mit einer Vogelkehle,
die war im Innern dunkelrot und wund.
So küsste sie mich heiß und Mund an Mund
spie sie Coronen hell in meine Seele,
und in mir flossen ihre Wasserfälle
so ätzend, dass ich mich verbrennen wollte,
damit mein Herz in Samt und Dunkel rollte
wie eine schwere Kugel in der Welle.
Die Fenster, Autostraßen in den Lichtern
– ich weiß, sie wollen nicht mehr wirklich sein –,
ertrinken gierig in den Augentrichtern,
und mischen sich in den Kometenschein.
Und mir ergeht’s wie vielen Liederdichtern:
Ich strudle in ihr Flammenspiel hinein.
La Corrida
Durch Tunnel Lichtes lässt die Angst ihn rennen.
Resignation und Panik sind zwei Achsen.
Schmerz und Verzweiflung lassen Flügel wachsen,
in deren Flammen seine Flanken brennen.
Und selbst die Sonne hat nur Gift zu bieten:
Sie strahlt ins Rund mit ihrem Fieberglanz.
Der Stier verschäumt sich irr in seinem Tanz
inmitten unsrer Pulse, Schreie, Riten.
Wir sehen wie ein großes Auge bricht
und möchten vor dem Tod zusammenkauern.
Wir finden unsre eigne Seele nicht.
Durchlässig sind wir für Kometenschweife,
zerrüttet von zu vielen Nervenschauern
und Fäulnis mitten in der Apfelreife.
Spanisches Lied
Das Meer entriegelt deine Brüste.
Wie man Lerchen verschlingt,
durchziehen dich Böen.
Zwei Hände voll Anemonen:
so gelb ist der Schlaf.
Und eine Herde gepeinigter Hengste
stürzte hinunter ins Tal,
die Stirnen voll Sommer.
Stier aus dem Meer
Ohne Kehlen voller geborstener Saiten
wären die Rosen nicht Rosen,
deine Schläfe kein Ibis im Birnbaum,
meine Stirn keine brüllende Schlucht.
Ohne Keller in denen die Sehnsucht verdirbt
wär mir kein Flügel aus Staub,
wär ich kein Stier aus dem Meer
mit Kastanienhoden und Weichen voll blutigen Laubs,
nur ein Kind, vielleicht ein braunes,
gewiegt in den Messern der Felsen.
Iberisches
In den Achtzigern war es: wir kamen aus Norden,
wie früher schon Rolands verwegene Franken
um Spaniens schneeweiße Tauben zu morden.
Uns rannen Gebirgszüge über die Flanken.
Vergitterte Erker verströmen die Lüfte,
damit man Albertis und Lorcas gedenkt.
Wir streichen dem Mittelmeer über die Hüfte
und werden mit Bougainvillea beschenkt.
Dann weißer und weißer werden die Städte:
Papageien, Klavier in geschlossenen Läden.
Geheim ist die Zeit an den Wassern der Lethe.
Verlassen webt Cordoba Spinnenfäden.
Momentanes natürlich, denn wir waren Touristen.
Die Corrida hatte uns traurig erregt,
maurische Scherben und Spiegel der Christen,
im Guadalquivir schweigend und sachte bewegt.
Libelle
Als wär die Brücke schwierig zu beschreiten,
so saitenschmal vom Nimmermehr zum Bald,
wie zwischen Taubenblau und Schierlingswald,
so sah ich dich in die Coronen gleiten.
Im Stroh, in Blätterrispen, Flügelschatten,
blieb dein Kokon, gefüllt mit Gestern, hier.
Das Gaukelspiel der Zeit kam auch zu mir,
zog...
Erscheint lt. Verlag | 16.1.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Lyrik / Gedichte |
Schlagworte | Gedichte • Liebe • Mystik • Sonette • Spirituell |
ISBN-10 | 3-7583-4077-2 / 3758340772 |
ISBN-13 | 978-3-7583-4077-2 / 9783758340772 |
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