DIE SCHWARZE PERLE VON NEVIANAR - Eine spannend erzählte Heldenreise als Fantasy-Roman mit überraschenden Wendungen (eBook)
636 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-08375-3 (ISBN)
1
Bleigraue Wolken entluden ihre schwere Fracht. Vor drei Tagen hatte es zu regnen begonnen und seither nicht aufgehört. Vor drei Tagen war Agatha Goodhard auf ihre letzte Reise gegangen und es schien, als wolle der Himmel selbst ihren Tod beweinen.
Kein Windhauch rührte sich. Tropfen fielen, als hätten Perlenvorhänge ihre Knoten eingebüßt, prasselten auf schwarze Schirme und einen schlichten Sarg. Hinter nassem Schleier glänzte polierter Granit fremder Gräber. Schlanke Bäume säumten die schmalen Wege, ragten aufrecht und stoisch ins Regengrau wie stumme Wächter eines verborgenen Reiches.
Nur wenige geleiteten Agatha Goodhard zur letzten Ruhe. Ihr Sohn Jonathan hatte seiner Tochter Grace zuliebe die über vierhundertfünfzig Meilen auf sich genommen, um seine Mutter unter die Erde zu bringen. Seine Frau Valerie wäre im Hotel geblieben, hätte sie nicht beschlossen, beide im Auge zu behalten.
Agatha hatte nie verstanden, weshalb ihr Sohn sich nach dem frühen Tod seiner ersten Frau Belle – Graces Mutter – für Valerie entschied. Sie war kalt und dominant und Agatha war es so vorgekommen, als hätte sie ihren Sohn Stück für Stück auseinandergenommen, um ihn nach ihrem Willen neu zu formen. Ausschlaggebend für eine unversöhnliche Abneigung war jedoch, dass sie erleben musste, wie aus ihrem wilden, unbeschwerten Enkelkind ein fügsames, ruhiges Mädchen wurde. Agatha hatte sich anderes gewünscht und all ihre Hoffnung in Grace gesetzt, obwohl sie nie mit ihr darüber hatte sprechen dürfen, welches Geheimnis sie miteinander verband.
Nachdem Belle gestorben war, lebte die damals Fünfjährige ein Jahr bei Agatha. Jonathan hatte nur noch am Rande seiner selbst existiert und sich um seine Tochter nicht mehr kümmern können. Grace war ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten und er ertrug es nicht, wieder und wieder daran erinnert zu werden, was ihm genommen worden war. Agatha nahm sich ihrer an, tröstete, machte Mut und festigte Graces Selbstvertrauen. Nach wenigen Wochen war ihr der schwere Verlust äußerlich kaum mehr anzumerken. Sie lachte wieder, spielte und tobte ausgelassen mit dem Nachbarsjungen durch den großen Garten.
Bis Valerie in ihrer aller Leben trat.
Zum wiederholten Mal stockte der Wagen, auf dem Agathas Sarg zum Grab gefahren wurde. Die Wege waren vom Regen aufgeweicht und in Senken hatten sich tiefe Lachen gebildet, aus denen er mühsam herausgeschoben werden musste. Die Sargträger taten das mit unerschütterlichem Gleichmut, obwohl ihre nachtschwarzen Anzüge längst durchnässt und verdreckt waren.
Valerie hingegen beklagte lautstark den Zustand ihrer Schuhe. »Sieh dir das an, Jonathan. Diese verdammte Beerdigung wird sie mir ruinieren«, zischte sie und wies erbost auf den Schlamm am teuren Leder. »Sogar tot ist deine Mutter eine Plage.«
Grace schämte sich für sie. Jonathan schwieg.
Sie waren bereits verheiratet, als er Valerie mit zu seiner Mutter nahm, damit sie sich das fremde Kind, wie sie Grace lange nannte, ansehen konnte. Die Fäuste in die Hüften gestemmt begutachtete sie seine Tochter, als wolle sie ein Stück Fleisch kaufen und entschied, sie sofort mitzunehmen. Man könne doch nicht zulassen, dass ein Mädchen im Dreck spiele, mit einem Holzschwert herumtobe und sich benehme wie Huckleberry Finn.
Die Begegnung mit Valerie und deren Ankündigung, sie solle mit ihr kommen, waren für Grace derart beängstigend, dass sie sich von ihr losriss und in der hintersten Ecke des Kellers versteckte. Agatha war entsetzt, es kam zum Streit. Valerie gewann die Schlacht, Agatha verlor ihre Enkeltochter, Grace ihre Unbeschwertheit. Und Jonathan? Er hatte schon lange alles verloren.
Grace zog ein frisches Taschentuch aus der Packung, wischte die Tränen von den Wangen und putzte sich die Nase, während die feierlichen Worte des Reverends im Regen untergingen. Obwohl Großmutter ihr zuweilen seltsam vorgekommen war, hatte sie sie aufrichtig geliebt. Seit sie vor über zwölf Jahren bei ihr abgeholt worden war, hatten sie sich selten gesehen. Anfangs telefonierten sie oft, doch die missbilligenden Blicke ihres Vaters und Valeries abfällige Kommentare verunsicherten sie. Die Telefonate wurden seltener.
Der Gottesmann gab ein Zeichen, der Sarg wurde herabgelassen. Grace warf einen Blumenstrauß ins Grab; neben dem schlichten Kranz ihres Vaters und einem Gesteck der Kirchengemeinde die einzigen Blumen für Agathas Heimgang.
Jonathan und Valerie traten stehenden Fußes den Rückweg an. Grace folgte unwillig. Trotz des strömenden Regens wäre sie gern einen Moment geblieben, um sich zu verabschieden und ein letztes Gebet zu einem Gott zu sprechen, an den sie nicht so recht glauben mochte.
Mit Großmutter war nun der zweite wichtige Mensch in ihrem Leben gestorben. Tränen rollten ihr über die Wangen, als sie wie von einem unsichtbaren Band gehalten zögernd einen Schritt vor den anderen setzte. An der ersten Wegbiegung blickte sie zurück. Zwei Männer, in bodenlange Umhänge gehüllt, standen am Grab. Friedhofspersonal, glaubte sie und schluckte. Dass Großmutters Sarg mit nasser Erde bedeckt werden würde, versetzte ihr einen Stich. Unfähig sich abzuwenden, beobachtete sie, wie die Männer sich verneigten. Einer von ihnen sank auf seine Knie, als wäre er von tiefem Schmerz ergriffen. Keine Totengräber, dachte sie und fragte sich, weswegen sie zu spät zur Beisetzung kamen, wenn sie Großmutter so sehr geschätzt hatten. Der Stehende sah sie an. Er war groß, kräftig, etwa Ende dreißig, Anfang vierzig, hatte scharf geschnittene Gesichtszüge und dunkle Augen. Sein Ausdruck war ernst, sein Blick musternd, durchdringend und wissend. Wie ein wortloses Versprechen.
Grace ließ ihren Schirm sinken. Einem inneren Drang folgend stapfte sie zurück, um von den Männern zu erfahren, woher sie Großmutter gekannt hatten. Der Hüne sprach den Knienden an, der kam behände auf die Beine. Sie wandten sich um, gingen ein paar Schritte, verharrten kurz und waren plötzlich verschwunden, als hätte der Regen sie aufgelöst, wie heißer Tee ein Stück Zucker. An ihrer Wahrnehmung zweifelnd starrte Grace auf die Stelle, wo sie eben noch gestanden hatten. Bis Valeries Stimme das Prasseln übertönte.
»Grace, was ist? Wir haben nicht ewig Zeit!«
Sie hatte darauf bestanden, den Notartermin zur Testamentseröffnung auf den Tag der Beerdigung zu legen, um nicht wegen lästiger Formalitäten wieder und wieder herkommen zu müssen. Valerie hatte auch einen Makler herausgesucht, der Agathas Haus verkaufen würde. Sie wollte nichts daraus in ihrem eigenen sehen und hatte daher bestimmt, dass niemand aus der Familie es noch einmal betreten solle.
Seit sie wusste, dass die verhasste Schwiegermutter ihr Leben ausgehaucht hatte, sprach sie von dem Geld, das sie bald haben würde. Grace musste sich ihre Pläne anhören und ihre Vorfreude ertragen. Sie war traurig und wütend, dass Valerie jedes Andenken an Großmutter auszulöschen suchte. Wütend war sie vor allem auf sich selbst, weil sie nicht den Mut fand, ihr zu widersprechen. Nachdem sie an Agathas Grab gestanden hatte, wuchs der innere Widerstand, als hätte Großmutter ihr ein letztes Mal Kraft gegeben, wie sie es früher tat. Dennoch schwieg sie auch auf der Fahrt zum Notar.
Eine Sekretärin mittleren Alters, das aschblonde Haar zu einer Art Vogelnest aufgebauscht, führte sie hinein. Holzvertäfelte Wände, bodenlange Vorhänge, mit Fachliteratur bestückte Regale und die mit gestepptem Leder gepolsterte Tür verliehen dem Raum eine altehrwürdige Atmosphäre. Grace fühlte sich wohl und geborgen, obwohl alles darin aus der Zeit gefallen schien. An den Notar erinnerte sie sich. Sie war ihm mehrfach begegnet, als sie bei Agatha lebte. Samuel Porter war groß, hager und immer stilvoll gekleidet. Das weiße Haar war sorgsam frisiert und er roch nach Old Spice. Inzwischen war er sicher über achtzig Jahre alt.
Er begrüßte die Anwesenden und bekundete sein aufrichtiges Beileid. Danach stellte er behutsam eine flache Metallkassette auf den großen, dunkelbraunen Schreibtisch, entnahm ihr verschiedene Umschläge und Papiere und verteilte sie auf der glänzenden Nussbaumplatte. Unmerklich nickte er Grace zu, nahm dahinter Platz, setzte eine Lesebrille auf und begann.
»Jonathan, Grace, wenn Sie soweit sind.« Über die halbe Brille hinweg sah er sie an und wartete auf deren Zustimmung. »Lassen Sie mich vorab eines sagen, Jonathan. Wie Sie ja wissen, verband mich mit Ihrer Mutter enge Freundschaft, deshalb bat sie mich, die Regelung des Nachlasses in die Hand zu nehmen. Ich bedaure den Tod Ihrer Mutter sehr. Darüber hinaus bedauere ich, dass Sie bis zuletzt keinen Weg mehr zu ihr gefunden haben.«
»Waren Sie tatsächlich mit ihr befreundet«, mischte sich Valerie ein, »dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass sie verrückt...
Erscheint lt. Verlag | 7.12.2023 |
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Reihe/Serie | DIE SCHWARZE PERLE VON NEVIANAR |
Verlagsort | Ahrensburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Abenteuer einer unfreiwilligen Heldin • Antwort • archaische • Augen • Bett • Blick • blutige Schlachten • Danke • dunkle Bedrohung • Ein Weiser • Ende • Fantasy-Roman • Fest • Frau • Fremde Welt • Gesicht • Hand • Heldenreise • Herr • Junge • Kopf • Licht • Mann • Martialische Krieger • Nacht • Pforten als Übergänge • Rat von Lont • Recht • Sagen • Schwertkämpfe • Sehen • Seherin • seines • Seite • Tag • Tage • Tisch • Tod • Tür • überraschende Wendungen • Wasser • Welt • Wissen • Wolfsmenschen • Wortgefechte • Zeit |
ISBN-10 | 3-384-08375-X / 338408375X |
ISBN-13 | 978-3-384-08375-3 / 9783384083753 |
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