Wünschen (eBook)
320 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491954-6 (ISBN)
Chukwuebuka Ibeh, geboren 2000 in Port Harcourt, Nigeria, ist der internationale Shootingstar der nigerianischen Literatur. Er hat kreatives Schreiben bei Dave Eggers, Chimamanda Ngozi Adichie und Tash Aw studiert. Er hat unter anderem in »McSweeneys«, »The New England Review of Books« und »Brittle Paper« veröffentlicht. »Wünschen« ist sein erster Roman, dessen Filmrechte bereits vor Erscheinen verkauft wurden. Derzeit ist er Student der Washington University in St. Louis, Missouri.
Chukwuebuka Ibeh, geboren 2000 in Port Harcourt, Nigeria, ist der internationale Shootingstar der nigerianischen Literatur. Er hat kreatives Schreiben bei Dave Eggers, Chimamanda Ngozi Adichie und Tash Aw studiert. Er hat unter anderem in »McSweeneys«, »The New England Review of Books« und »Brittle Paper« veröffentlicht. »Wünschen« ist sein erster Roman, dessen Filmrechte bereits vor Erscheinen verkauft wurden. Derzeit ist er Student der Washington University in St. Louis, Missouri.
[...] dieser handwerklich hervorragend drapierten, atmosphärisch runden, schmerzhaften Geschichte [...].
Dass mit Chukwuebuka Ibeh [...] nicht nur ein wagemutiger, sondern ein zugleich hochbegabter junger Schriftsteller die literarische Bühne betreten hat, ist sicher.
Mich hat das Buch wirklich teilweise zu Tränen gerührt [...] ein bisschen wütend gemacht [...].
Ein gefühlvolles Debüt, das Einblicke in die gesellschaftliche und politische Lage Nigerias der 2010er Jahre gewährt und dabei tief berührt.
Chukwuebuka Ibeh stattet den Protagonisten von "Wünschen" mit einer Sprache aus, die inmitten der Gewalt immer wieder Räume von ergreifender Zartheit öffnet.
Als Schriftsteller gießt er Intimität und Zärtlichkeit inmitten einer harten Welt gekonnt in literarische Formen.
Ein wirklich ergreifendes Porträt unserer Gegenwart [...].
TEIL EINS
1.
PORT HARCOURT, 2006
Im Oktober kam er. Seine Ankunft war unangekündigt und unfeierlich. Ein leises Klopfen an der Tür an diesem milden Abend, als die Sonne gerade ihre letzten Strahlen warf. Und dann stand er da, in Badelatschen und mit einer quadratischen Plastiktasche über der Schulter, neben Obiefunas Vater Anozie, beide waren sie müde von der langen Reise.
Als Anozie davon gesprochen hatte, dass er überlege, jemanden im Laden anzustellen, um ihn zu unterstützen, hatte Obiefuna nicht gewusst, an wen er dabei gedacht hatte, aber irgendwie war es nicht die hochgewachsene Gestalt gewesen, die jetzt vor ihm stand, die Tasche an die Brust gepresst und die Mundwinkel leicht nach unten gezogen, während er den Blick auf die staubigen Füße gesenkt hielt. Er war einen Kopf größer als Obiefunas ohnehin schon großer Vater, aber es war vor allem die gleichmäßig dunkle Hautfarbe des Jungen, die Obiefunas Blick auf sich zog, als er ihnen die Tür öffnete. Der Junge schien unschlüssig, ob er Anozie ins Haus folgen oder auf der Schwelle kehrtmachen sollte. Nach einem Moment des Zögerns trat er schließlich ein, wobei er Obiefuna freundlich abwies, als der ihm mit der Tasche helfen wollte.
»Hallo, Papa«, sagte Obiefuna, ohne den Blick von dem Jungen abzuwenden.
»Wo ist deine Mutter?«, fragte Anozie murrend und ließ sich mit einem lauten Seufzer aufs Sofa fallen. Die Reise aus ihrer Heimatstadt Igbo-Ukwu dauerte im Schnitt gut sechs Stunden und konnte einen vollkommen erschöpfen.
Wie aufs Stichwort kam Obiefunas Mutter Uzoamaka aus der Küche. Sie blieb im Esszimmer stehen und sah den Neuankömmling an, der jetzt mit gesenktem Blick Anozie gegenüber auf einem Hocker saß. Sie sah seine Tasche und begriff die Situation. »Willkommen zurück«, sagte sie zu Anozie, und nickte Aboy nur zu, nachdem er sie schnell begrüßt hatte.
»Bring mir ein Glas Wasser«, sagte Anozie zu Obiefuna. Er mied Uzoamakas Blick. Vor genau einer Woche war er aufgebrochen, um in Igbo-Ukwu an der Versammlung der Gewerkschaft teilzunehmen, deren stellvertretender Vorsitzender er war, und eigentlich hatte sie ihn nicht vor dem nächsten Tag zurückerwartet, und schon gar nicht mit Begleitung. Er wartete, bis Obiefuna mit dem Wasser zurückkam, trank es aus, stellte das Glas auf dem Tisch ab und wandte sich dann erst Uzoamaka zu.
»Das ist Aboy. Erinnerst du dich an ihn? Der dritte Sohn des verstorbenen Okezie. Er hat die Mittelschule abgeschlossen und will jetzt einen Beruf lernen. Sein Onkel lief mir nach der Sitzung hinterher und hat mich gebeten, ihn bei uns aufzunehmen. Alle sagen, dass er sehr schnell lernen wird.«
Uzoamaka musterte Aboy noch einmal. Er saß mit leicht gespreizten Beinen da, die er an den Knöcheln gekreuzt hatte, wie ein Schutzwall vor seiner Tasche. Als Uzoamaka ihn ansah, zog er die Tasche noch näher an sich heran. In der Stille des Wohnzimmers hörte man nur das Knistern der Plastiktasche.
»Obiefuna, zeig Aboy, wohin er seine Sachen räumen kann«, sagte Uzoamaka schließlich auf Englisch.
Aboy wirkte erschrocken durch die Nennung seines Namens, stand aber vom Hocker auf, ging quer durch den Raum und folgte Obiefuna in das kleine Zimmer, das der mit seinem Bruder Ekene teilte. Dort erst ließ er die Tasche los und sah Obiefuna dabei zu, wie er sie im Schrank verstaute. Obiefuna drehte sich zu ihm um, als Aboy etwas sagte.
»Was?«
»Wo ist der Abtritt?«, wiederholte er auf Igbo.
»Der Abtritt?«
Er nickte und ging, als er Obiefunas ratlosen Gesichtsausdruck sah, etwas in die Hocke. Es dauerte einen Moment, bis Obiefuna verstand. »Oh, du meinst die Toilette?«, fragte er.
Aboy zögerte und nickte dann wieder.
»Komm mit«, sagte Obiefuna. Er ging mit Aboy zurück in den Flur und zeigte auf die Toilettentür am anderen Ende. Aboy ging mit unsicheren Schritten zu der Tür und stieß sie vorsichtig auf. Obiefuna fragte sich, wie lange er wohl schon aufs Klo musste. Hatte er die gesamte Reise hierher mit vollem Darm durchgehalten? Aboy sah sich verständnislos im Bad um, worauf Obiefuna ihm folgte, auf die Toilette klopfte und in stockendem Igbo sagte: »Hier setzt du dich hin dafür. Und dann spülst du mit einem Eimer Wasser. Verstehst du?«
Aboy schien kurz zu überlegen und nickte. Dann drehte er sich zu Obiefuna um und schaute ihn mit einem Gesichtsausdruck an, den Obiefuna rückblickend als sein erstes echtes Lächeln verstand.
Am Abend stand Obiefuna vor dem Schlafzimmer seiner Eltern, presste das Ohr gegen die Tür und belauschte ihr Gespräch.
»Anam asi, du hättest mir doch wenigstens Bescheid sagen können. Du kannst doch nicht einfach aus dem Nichts jemanden mit in unser Haus bringen und erwarten, dass ich mich freue«, beschwerte sich Uzoamaka.
»Aber ich wusste doch selbst gar nicht, dass ich ihn mit herbringen würde«, erwiderte Anozie. »Ich habe dir doch gesagt, dass Shedrach mir nach der Sitzung bis nach Hause hinterhergelaufen ist. Er hat mich vor der versammelten Umunna gefragt. Was hätte ich denn tun sollen? Es ihm abschlagen?«
»Tsss«, machte Uzoamaka. »Warum überrascht mich das nicht? Diese hinterlistigen Schlangen wissen genau, wie sie bekommen, was sie wollen.«
Anozie musste kichern. »Die Familie hatte es nicht leicht, seit Okezie gestorben ist, Uzoamaka.«
»Unsere Familie hat es auch nicht viel leichter«, erwiderte sie.
Anozie gähnte laut. »Er wird nicht lange hier sein«, sagte er mit betont schläfriger Stimme. »Du wirst dich wundern, wie schnell die Jahre verfliegen. Bis dahin kann er mir zur Hand gehen und sich nützlich machen.«
Ekene machte sich über ihn lustig.
»Was soll das für ein Name sein, Aboy?«, fragte er Obiefuna. Sie waren nach der Schule auf dem Weg zum Ojukwu-Feld für das Fußballtraining. Es war ein heißer Tag; die Hitze des Teers drang durch Obiefunas dünne Schuhsohlen und glühte an seinen Füßen. Ekene mit seinen festen Fußballschuhen merkte davon nichts und freute sich schon aufs Training.
»Es ist ein ganz normaler Name«, sagte Obiefuna. Er war enttäuscht von Ekene. Er war in letzter Zeit schwer zu durchschauen, und Obiefuna konnte nicht sagen, ob er sich nur über Aboy lustig machte oder auch so etwas wie Wärme für ihn empfand. Er wollte, dass Ekene Aboy mochte. Obwohl er dreizehn Monate älter als sein Bruder war, hatte er sich mittlerweile damit abgefunden, dass er von Ekenes Urteil abhängig war und jedes Mal die schlichte Freude genoss, die ihm dessen Bestätigung bescherte.
Ekene zuckte mit den Schultern und prellte weiter den Ball neben sich her. Mit seinen vierzehn Jahren hatte er bereits die Körpergröße eines erwachsenen Mannes und auch schon dessen Art der Abgeklärtheit. Die Leute sagten, mit seinem schmalen, ernsten Gesicht und den berechnenden Augen sei er das Abbild ihres Vaters. Und auch Anozies Temperament hatte er geerbt, nur war Ekenes noch impulsiver und die Folgen schockierender. Mit zehn hatte er mal einem Mitschüler die Spitze eines Kugelschreibers unten in den Rücken gerammt, als der ihm den Stuhl weggezogen hatte; in der zehnten Klasse hatte er seine Klassenlehrerin als Prostituierte bezeichnet, nachdem sie ihn vor der Klasse wegen eines nicht bestandenen Tests gerügt hatte. Die Schläge seines Vaters hatte er anschließend mit schier unmöglicher Geduld über sich ergehen lassen. Erst letztes Jahr hätte er Obiefuna fast mit einer Pfanne heißem Öl übergossen, weil er in einer belanglosen Rangelei gegen ihn verloren hatte. Über die Jahre hatte Obiefuna gelernt, Ekene mit unausgesprochener Vorsicht zu begegnen. Ihre Beziehung beruhte auf dem beiderseitigen Einverständnis, dass Obiefunas Autorität klare Grenzen hatte.
Als sie am Platz ankamen, waren erst ein paar Jungen da, die umherrannten und mit Fußbällen unterschiedlicher Größe dribbelten, einige von ihnen in ausgeblichenen Trikots und abgenutzten Fußballschuhen, die meisten aber mit freiem Oberkörper und barfuß. Tobe sah sie schon von weitem und kam ihnen entgegengerannt.
»Männer!« Er schüttelte ihnen die Hände, Ekenes etwas länger. Er nahm Ekene den Ball ab und prellte ihn. »Wie geht’s?«
»Alles gut.« Ekene blickte über den Platz. »Wo sind denn alle?«
»Mal wieder zu spät, o«, sagte Tobe. »Nicht mal der Trainer ist da.«
Ekene sah auf sein nacktes Handgelenk. »Es ist fast fünf, na«.
Tobe zuckte die Achseln. »Aber was interessieren wir den schon? Wir sind halt keines der großen Teams.«
Ekene schüttelte mit einem enttäuschten Lächeln den Kopf.
»Aber wir können doch trotzdem trainieren, oder?«, fragte Tobe. »Ohne dass uns jemand beobachtet, auf der Suche nach Kandidaten für irgendeine ›Akademie‹«, sagte er, und betonte dabei das letzte Wort ironisch gedehnt.
Ekene lachte. »Klar.«
»Wer hat Lust zu spielen? Erster!«, rief Tobe. In der Ferne...
Erscheint lt. Verlag | 24.4.2024 |
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Übersetzer | Cornelius Reiber |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Ablehnung • Anspruchsvolle Literatur • Aufwachsen • Bücher über LGBTQ Erfahrungen in Afrika • Coming-of-Age Roman Nigeria • Diskriminierung • Ein Buch von S. Fischer • Einsamkeit • Gewalterfahrung • Homosexualitität • Internat • Liebe • Nigeria • Religion • Romane über persönliche Freiheit und Politik • Schuld • Strenge • Verbundenheit • Verlangen • Wunsch nach Dazugehörigkeit |
ISBN-10 | 3-10-491954-2 / 3104919542 |
ISBN-13 | 978-3-10-491954-6 / 9783104919546 |
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