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Blue Sisters (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024
448 Seiten
Eichborn AG (Verlag)
978-3-7517-6461-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Blue Sisters -  Coco Mellors
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Drei ungleiche Schwestern, wo zuvor vier waren: Ein Jahr nach Nickys Unfalltod treffen sich Avery, Bonnie und Lucky in New York wieder, um den Verkauf ihres Elternhauses zu verhindern. Doch Nicky hat eine solche Lücke hinterlassen, dass die übrigen drei nacheinander völlig aus der Bahn geraten. Gelingt es ihnen, aus dem existenziellen Scherbenhaufen gemeinsam etwas Neues entstehen zu lassen?

Nach dem internationalen Bestseller CLEOPATRA UND FRANKENSTEIN legt Coco Mellors ihr zweites Buch vor, das ihrem Debüt an Warmherzigkeit, sprachlicher Brillanz und psychologischem Tiefgang in nichts nachsteht. Ein unvergessliches Schwesterngespann und ein einzigartiger Roman!

Coco Mellors ist in London und New York aufgewachsen und hat an der New York University studiert, wo sie mit dem renommierten Goldwater Fellowship ausgezeichnet wurde. Ihre Texte sind u.a. in der "Modern Love"-Kolumne der NEW YORK TIMES, in THE CUT und THE STACK erschienen. Ihr erster Roman CLEOPATRA UND FRANKENSTEIN war ein SUNDAY TIMES-Bestseller und wurde in viele Sprachen übersetzt. Eine Verfilmung ist in Arbeit.

PROLOG


Eine Schwester ist keine Freundin. Woher kommt der Drang, eine Beziehung, die so ursprünglich und komplex ist wie die zwischen Geschwistern, auf etwas derart Austauschbares und Banales wie Freundschaft zu reduzieren? Und dennoch wird dieser Status immer wieder zur Charakterisierung der innigsten Verbindungen herangezogen. Meine Mutter ist meine beste Freundin. Mein Mann ist mein bester Freund. Nein. Wahre Schwesternschaft, nachdem dir im selben Mutterleib Fingernägel gewachsen sind, du schreiend aus demselben Geburtskanal gepresst wurdest, ist nicht dasselbe wie Freundschaft. Ihr wählt einander nicht aus, es gibt keine zaghafte Phase des Kennenlernens. Ihr seid Teil voneinander, von Anfang an. Nimm eine Nabelschnur – dick, sehnig, unansehnlich und doch lebensnotwendig – und vergleiche sie mit einem Freundschaftsbändchen aus buntem Garn. Das ist der Unterschied zwischen Schwester und Freundin.

Die älteste der Blue-Schwestern, ihre Anführerin, ist Avery. Sie kam weise und lebensmüde auf die Welt. Mit vier Jahren ging sie allein vom Kindergarten nach Hause in die elterliche Wohnung in der Upper West Side und verkündete, sie sei zu erschöpft, um weiterzumachen. Doch sie machte weiter, immer weiter. Avery brachte allen Schwestern bei, wie man vom Einmeterbrett springt, wie man Deli-Katzen unterm Kinn krault, um sich mit ihnen anzufreunden, und wie man Karten mischt, ohne sie zu zerknicken. Sie hasst Obrigkeiten, aber liebt Struktur. Sie hat ein fotografisches Gedächtnis; in der Highschool ist sie einmal ins Schularchiv eingebrochen, um sich die Sozialversicherungsnummern der gesamten Klassenstufe einzuprägen und ihre Mitschüler·innen den Rest des Schuljahrs in den Wahnsinn zu treiben, indem sie sie mit ihren neunstelligen Nummern ansprach.

Mit sechzehn machte sie ihren Highschool-Abschluss und absolvierte innerhalb von drei Jahren einen Bachelor an der Columbia University. Dann tauchte sie unter, um sich einer »anarchistischen, nicht-hierarchischen, konsensbasierten Gemeinschaft« alias Kommune anzuschließen, ehe sie kurze Zeit in San Francisco auf der Straße lebte, wo sie anfing, Heroin zu rauchen und schließlich auch zu spritzen. Ohne dass ihre Familie davon wusste, ging sie ein Jahr später in eine Entzugsklinik und ist seitdem clean. Im Anschluss schrieb sie sich für ein Jurastudium ein, in dem ihr fotografisches Gedächtnis ihr endlich zugutekam.

Es heißt, seine Prinzipien erkenne man erst, wenn sie nervig werden, und Avery ist das beste Beispiel dafür. Sie ist extrem prinzipientreu und oft genervt. Sie wäre gern Dichterin oder Dokumentarfilmerin geworden, ist aber Anwältin. Jetzt, mit dreiunddreißig, lebt sie mit ihrer Frau Chiti, einer sieben Jahre älteren Therapeutin, in London. Sie hat alle Studienkredite abbezahlt und besitzt Möbelstücke, die nahezu dieselbe Summe gekostet haben. Noch weiß sie es nicht, aber in wenigen Wochen wird sie ihr Leben und ihre Ehe auf eine Weise gegen die Wand fahren, wie sie es niemals für möglich gehalten hätte. Avery wäre gern durch und durch Rückgrat, ist aber zugleich weicher Kern.

Zwei Jahre nach Averys Geburt bekamen ihre Eltern Bonnie. Bonnie hat eine leise Stimme und einen starken Willen. Ihre Sprache ist die des Körpers. Mit sechs konnte sie auf den Händen laufen. Mit zehn konnte sie fünf Mandarinen gleichzeitig jonglieren. Sie machte erst Ballett, dann Bodenturnen, passte aber nie in die Schar biegsamer, femininer Mädchen. Als sie fünfzehn war, bekam sie von ihrem Vater Boxhandschuhe, nachdem sie ein Loch in ihre Zimmerwand geschlagen hatte, und fand ihre wahre Leidenschaft. Bonnies erstes Mal beim Boxen war vermutlich wie für andere der erste Sex. Ach, deshalb die ganze Aufregung.

Bonnie huldigt dem Gott der Disziplin. Nachdem sie schweigend den frühen Niedergang ihrer Schwester mit angesehen hatte, schwor sie sich, niemals auch nur einen Tropfen Alkohol anzurühren. Ihre Drogen sind Schweiß und Gewalt. Das hat sie bis in die IBA-Frauenweltmeisterschaften gebracht, neben den Olympischen Spielen der bedeutendste Amateurinnenwettbewerb im Boxen, wo sie Silber im Leichtgewicht gewann, bevor sie Profi wurde. Bonnie ist, was angesichts ihrer Sportart niemand vermuten würde, die sanfteste der Schwestern. Sie bekommt Eiswürfel aus der Form, ohne sie auf die Arbeitsplatte zu knallen. Babys und Hunde vertrauen ihr instinktiv. Sie ist eine schlechte Lügnerin. Auch wenn ihr Körper einer massiven Eichentür gleicht, ist ihr Wesen durchschaubar wie ein Fenster. Mit inzwischen einunddreißig Jahren – auf dem Höhepunkt ihrer Boxkarriere – hat Bonnie nach einer krachenden Niederlage sowohl New York als auch dem Sport den Rücken gekehrt. Sie ist nach Venice Beach, Los Angeles, geflohen, wo sie einen Job als Türsteherin in einer leicht zwielichtigen Bar angenommen hat.

Die meisten Menschen gehen durchs Leben, ohne das Gefühl zu kennen, eine Berufung zu haben und flüchtige Alltagsfreuden einem Traum zu opfern, der wenn überhaupt erst Jahre später in Erfüllung gehen wird. Es hebt dich von anderen ab, ob du willst oder nicht. Das kann zermürbend sein, einsam und hart, aber wenn es wirklich deine Berufung ist, hast du keine andere Wahl. So fühlte sich Boxen für Bonnie an. Und trotzdem findet man sie jetzt in irgendeiner Seitenstraße in Venice, wo sie leere Pints einsammelt, beschwipsten Frauen ins Taxi hilft und Zigarettenstummel auffegt, keine Spur mehr von der anarchischen, erbarmungslosen Kämpferin, zu der das Boxen sie gemacht hatte.

Ihre Eltern wünschten sich als Nächstes einen Sohn, doch nach zwei Fehlgeburten, über die nie wieder gesprochen wurde, bekamen sie Nicole, die immer nur Nicky genannt wurde. Von allen Mädchen war Nicky die Mädchenhafteste. Sie machte Kaugummiblasen, die so groß waren wie ihr Kopf. Sie hörte bis ins Erwachsenenalter ganz unironisch Teen Pop. Ihr Lieblingshobby als Kind war, Schmetterlinge aus Raupen zu züchten, die sie mit winzigen Kürbisstückchen fütterte. Mit zehn kaufte sie sich den ersten Bügel-BH, um gut vorbereitet zu sein. Bis zum Highschool-Abschluss hatte sie bereits fünf Freunde gehabt. Sie plante gern die kompletten Outfits der Woche im Voraus, einschließlich passender Unterwäsche. Sie konnte sich im fahrenden Taxi mit flüssigem Eyeliner perfekte Katzenaugen schminken, ohne den Schwung nach oben zu versauen. Nicky war bei den Jungs beliebt, zog aber Mädchenfreundschaften vor. Am College schloss sie sich einer Studentinnenverbindung an, womit ihre Schwestern sie gnadenlos aufzogen, aber das war ihr egal. Da ihre Schwestern die meiste Zeit mit ihrer eigenen Karriere beschäftigt waren und Nicky sie vermisste, suchte sie sich eben eine Wahlfamilie aus Freundinnen.

Wenn Avery die Vernünftige und Bonnie die Stoische war, dann war Nicky die Sensible. Sie war ein Jahrmarkt der Gefühle, die sie nie zu verbergen versuchte. Manchmal war sie ein wild kreiselndes Karussell, manchmal die Karambolage im Autoscooter und manchmal die regungslos wartende Zielscheibe in der Schießbude. Sie war die geborene Mutter, aber ihr Körper hatte anderes im Sinn. Nach jahrelangen monatlichen Qualen wurde Mitte zwanzig Endometriose bei ihr diagnostiziert. Obwohl sie mit siebenundzwanzig starb, war sie kein typisches Mitglied dieses Clubs; sie war weder Sängerin in einer Band, noch führte sie ein sonderlich wildes Leben, und trotzdem starb sie jung. Hätte man Nicky gefragt, hätte sie gesagt, ihr Leben sei sogar außergewöhnlich gewöhnlich, als Englischlehrerin in der zehnten Klasse einer Highschool in der Upper West Side, zehn Blocks von ihrem Elternhaus entfernt. Es mochte ein bescheideneres Leben als das ihrer Schwestern sein, doch sie empfand es nie so. Sie liebte ihre Schüler·innen und träumte davon, eines Tages eine eigene Familie zu gründen. Nichts an ihrem Leben deutete auf ihren Tod hin, außer der Tatsache, dass sie Schmerzen hatte.

Ein Jahr nach Nickys Geburt versuchten ihre Eltern ein letztes Mal ihr Glück mit dem langersehnten Sohn. Und bekamen Lucky. Versehentlich innerhalb von fünfzehn Minuten zu Hause geboren, machte Lucky sehr schnell klar, welchen Platz innerhalb der Familie sie einnehmen würde. Wie alt Lucky auch sein mag, sie wird immer das Baby sein. Zu Nickys ersten Worten gehörte mein Baby, und fortan schleppte sie das winzige Wesen überall mit hin. Die beiden blieben unzertrennlich, aber klein blieb Lucky nicht. Sie brachte es auf einen Meter achtzig. Ihre Eltern hatten vier Versuche, etwas Heißbegehrtes zu erschaffen: weibliche Schönheit. Bei Lucky war es ihnen gelungen. Selbst ihr schiefes Gebiss mit den ungewöhnlich spitzen Eckzähnen verleiht ihrem Lächeln etwas Sinnliches, Wölfisches. Kürzlich hat sie sich ohne Einverständnis ihrer Agentur die Haare scheren und weiß bleichen lassen. Jetzt sieht sie aus wie eine Mischung aus Barbie, Billy Idol und einem Husky. Lucky arbeitet als Model, seit sie vierzehn ist, und war schon überall auf der Welt unterwegs, was im Umkehrschluss bedeutet, sie war schon überall auf der Welt einsam.

Wenn Lucky einen Raum betritt, ist es, als glitte ein Zitteraal in ein Goldfischglas. Sie ist schlagfertig und insgeheim schüchtern. Während ihrer Zeit in Tokio hat sie sich das Gitarrespielen beigebracht und ist sogar ziemlich gut darin, würde sich aber niemals trauen, vor anderen aufzutreten. Sie liebt Computerspiele, liebt eigentlich jede Form von Eskapismus. Im Augenblick lebt sie allein in Paris. Sie hat die Worte Ich brauche einen Drink dieses Jahr schon einhundertzweiunddreißig Mal gesagt. Häufiger als Ich liebe dich in ihrem ganzen Leben. In ihrer Wohnung in Montmartre hängen die gerahmten blauen Schmetterlinge, die Nicky ihr vor ihrem Tod...

Erscheint lt. Verlag 30.8.2024
Übersetzer Lisa Kögeböhn
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abhängigkeit • Anwältin • BookMusikerin • book tok • Booktok • Boxen • boxerin • cleopatra and frankenstein • cleopatra und frankenstein • Deutsche Ausgabe • Essstörung • Fashion • Feminismus • Frauenfreundschaft • Freundschaft • Gegenwartsliteratur • lifestyle • London • Los Angeles • Malibu • Mental Health • Model • Musik • Musikerin • New York • Paris • Psychische Gesundheit • Schwestern • Style • Tod • Türsteherin • ungleiche Schwestern • unglückliche Liebe • Verlust • Vintage • weibliche Solidarität
ISBN-10 3-7517-6461-5 / 3751764615
ISBN-13 978-3-7517-6461-2 / 9783751764612
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