Die Idee kam Jan und Rode natürlich auf einer Hochzeitsfeier. Es war nicht ernst gemeint. Jedenfalls nicht sofort. Schließlich kann man nicht einfach so seinen besten Kumpel heiraten, wenn man eigentlich heterosexuell ist und keine romantischen Gefühle füreinander hegt. Andererseits ... Mitbewohner sind sie sowieso schon, und keiner von beiden ist in einer festen Beziehung. Die steuerlichen Vorteile einer Ehe könnten ihr Leben deutlich entspannter machen. Und es muss ja niemand erfahren ... Doch das ist nur die erste einer langen Reihe von Fehleinschätzungen.
Eine rasante Komödie über eine Männerfreundschaft, die (fast) in die Brüche geht, und eine pointierte Gesellschaftssatire über Ehe, Freundschaft und die Suche nach dem Glück.
Tankred Lerch ist Schriftsteller, ausgebildeter Journalist, Autor und Drehbuchautor zahlreicher preisgekrönter TV Shows und Comedyserien.
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Hier wäre zunächst Jan Juan. Und zwar in einer für ihn absolut typischen Situation. Er hängt irgendwo rum, kann keine Entscheidung fällen und wartet so lange ab, bis irgendwas passiert, das ihm diese Last von den Schultern nimmt. Jetzt – und jetzt ist vor ziemlich genau einem Jahr – steht er auf einem Parkplatz rum und kann sich nicht entscheiden, ob er weiter auf seinen Freund Rode warten oder zu Fuß nach Hause gehen soll.
Rode ist Jan Juans bester Freund. So einer, mit dem man alles zusammen macht. Einer, von dem man meint, dass er alles über einen weiß. Zum Beispiel, wie man beim Aufstehen, beim Essen und beim Kacken aussieht.
Einer, mit dem man seit Jahren zusammenwohnt, zusammen feiert, zusammen einkauft, zusammen abhängt. Einer, zu dem man irgendwann mal unter Promilleeinwirkung gesagt hat: »Wenn wir mit dreißig noch nicht unter der Haube sind, dann heiraten wir beide eben.« Natürlich nur aus Spaß. Denn damals, als man das gesagt hat, durften Männer zwar zusammenleben, aber noch keinen standesamtlichen Bund fürs Leben eingehen.
Die Häuser sind steingrau, der Himmel aschgrau, die Gesichter der Passanten graugrau. Selbst die ein Stück weiter blinkende Weihnachtsdekoration, die freudlos »F ohe We hn cht« morst, wirkt grau. Am Sonntag ist erster Advent, ein nasser Flyer auf dem Boden lädt zur weihnachtlichen Tombola der Kirchenseniorengruppe des Veedels ein, es soll Kekse und Glühwein geben, gegen Aufpreis mit Schuss.
Jan und Rode werden allerdings nicht hingehen. Sie wollen zur Hochzeit von Jans Cousine Juli nach Sylt reisen, und Jan wartet frierend vor dem Supermarkt Mega 3000 auf Rode, der ihn hier schon vor einer halben Stunde hatte abholen wollen.
Jan tritt von einem Bein aufs andere und fühlt sich ein wenig wie ein Kind, das vor dem Bälleparadies vergessen wurde.
Er starrt wütend auf sein Smartphone. Das Smartphone ist schuld, dass seine Einkäufe zermatscht zu seinen Füßen liegen. Weil er zu geizig war, eine Papiertüte zu kaufen, hat er alles in der Hand transportiert, und beim Herausholen des Handys ist ihm alles runtergefallen.
Jans Handy ist quasi ein großer Teil seines Büros. Was einerseits praktisch ist, aber wer nimmt schon gerne sein Büro überallhin mit? Generell hat sich das ja in den letzten Jahren bei vielen Berufstätigen so entwickelt, aber ob das auch wirklich eine gute Entwicklung ist, das ist fraglich.
Seit Jan den Supermarkt verlassen hat, hat er drei E-Mails bekommen, vier SMS, einundvierzig WhatsApps aus drei Gruppen von sieben Absendern, sechs Voicemails und drei Anrufe in Abwesenheit, alle drei von seiner Mutter. Grundsätzlich würde er das schon alles abhören und beantworten, aber er kann nicht. Sein iPhone verabscheut – so wie jeder einigermaßen normale Mensch – Temperaturen um den Gefrierpunkt und schränkt bei derartiger Wetterlage seine Funktionen selbstständig ein. Mal mag es nicht entsperrt werden, mal mag es keine Apps öffnen, ab und zu geht es einfach aus und behauptet, dass der vor ein paar Minuten noch vollständig aufgeladene Akku leer sei, und manchmal verselbstständigt es sich einfach und tut, was es will, ohne dass Jan Einfluss darauf hat.
Genauso wie sein Leben eigentlich.
Jan Juan wollte sich schon vor Monaten ein neues Smartphone zulegen, eines, das immer funktioniert. Aber wann kommt man schon zu was?
Er schüttelt das Scheißding, aber nichts tut sich.
Noch etwas unangenehmer als der kalte Regen von oben ist die Kälte von unten, die Jan ins Bein zieht. Und zwar über die Unterschenkel ins Knie, von dort aus erst in die Leiste und dann in den gesamten Körper, wo sie sich großzügig ausbreitet. Jan hätte sich wärmer anziehen sollen, aber er konnte sich nicht für ein den Temperaturen angemessenes Outfit entscheiden.
Plötzlich piept es, und das Handy gibt wie aus dem Nichts die Verriegelung frei. Mit zitternden Händen tippt Jan den Code ein, denn sein Fingerabdruck wird nicht anerkannt, wahrscheinlich weil die Fingerspitzen gefroren sind.
Die meisten WhatsApps sind aus der DNW-Gruppe.
Der nackte Wahnsinn, oder wie die Mitarbeiter sagen DNW, ist eine Trash-TV-Show, in der Promis, die größtenteils keiner kennt, in Dating-Spielen nackt gegeneinander antreten müssen.
Jan ist der Producer der Show, also so etwas wie eine Mischung aus Moderator hinter den Kulissen und Mutter der Kompanie. Laut Vertrag ist er der »sendungsverantwortliche Mann« der Produktionsfirma Best Times. Rode nennt es »Arsch vom Dienst«. Das Einzige, was Jan bei der Produktion hält, ist das zwar nicht besonders üppige, aber seinen Lebensstil finanzierende Gehalt. Die Show selbst genießt seine höchste Verachtung. Wenn er noch einen Fernseher hätte – für DNW würde er ihn sicherlich nicht anschalten.
Als er nach dem Studium begonnen hatte, fürs Fernsehen zu arbeiten, war sein erklärtes Ziel gewesen, Drehbücher zu schreiben, aber irgendwie hing er seit über zehn Jahren beim Trash-TV fest, und sich davon zu befreien, würde finanzielle Einbußen bedeuten, die er bislang nicht zu tragen bereit war.
Hätte er dort rechtzeitig die Reißleine gezogen, wäre vielleicht alles anders gelaufen.
Nach Abzug von Steuern, Krankenkasse und Rentenversicherung, Lebensversicherung und privater Altersvorsorge blieb ihm genug, um seinen Teil der Miete zu zahlen, sich einigermaßen modisch zu kleiden und nicht jedes Bier zu zählen, das er in Bars trinkt. Mehr aber auch nicht.
Aber zurück zum Parkplatz, wo Jan seine Nachrichten liest. Die DNW-Gruppe ist in Aufregung, weil Hansen, ein abgehalfterter Schauspieler, sowohl beim Nackt-Skat als auch beim Strip-Poker betrogen haben soll. Fünf der sechs Voicemails sind von ihm, keine ist kürzer als drei Minuten, die längste 09:47, und genau bei dieser entscheidet Jans Smartphone sich dazu, sie selbstständig abzuspielen. Erst rauscht es länger, dann knackt es, dann brüllen Menschen im Hintergrund, und irgendwann beginnt Hansen zu sprechen. »Hör mal, du …«
So beginnt jeder Satz von Hansen.
Dann lässt er sich Zeit. Es knistert im Hintergrund, als hätte jemand Feuer gemacht. »Hör mal«, setzt Hansen wieder an, »was die hier mit mir machen, das ist reinste Folter.«
Es knackt, und Jans Smartphone macht eine Ansage.
»Die Nachricht wurde gelöscht.«
Innerlich frohlockt Jan, weil er sich den Mist jetzt nicht anhören muss. Dumm ist nur, dass er Hansen irgendwann zurückrufen muss, weil das zu seinem Job gehört. Sein Handy bietet ihm derweil an, die Vorschau der nun aufploppenden Nachrichten zu lesen. Allerdings in einer Geschwindigkeit, die es selbst bestimmt, nur um die Nachrichten dann nach ein paar Sekunden eigenmächtig wieder zu löschen.
Mama schreibt: Jan, ruf mich doch bitte …
Nächste Nachricht. Rode: Wir kommen nicht über …
Nächste Nachricht. Tasi: Nachricht wurde gelöscht.
Nächste Nachricht. Mama: Es ist wirklich …
Rode: Schätze, ein paar …
Eine Nachricht seiner Cousine Juli: Denkt an den Fahr…
Tasi: Nachricht wurde gelöscht.
Noch mal Tasi: Nachricht wurde gelöscht.
Tasi heißt eigentlich Anastasia und ist die Schwester von Rode, der – wo wir jetzt schon dabei sind, kann ich es ja auch sagen – eigentlich Roderich heißt. Jan und Tasi hatten mal was miteinander. Auf jeden Fall haben sie es versucht. Sympathie war da. Sicher auch mehr als das. Die beiden haben gerne Zeit miteinander verbracht, sie konnten ganz gut miteinander reden und sogar schweigen. Aber da war die dumme Geschichte mit dem Sex, der dann ja doch auch irgendwie zu so einer Beziehung gehört. Sowohl Jan als auch Tasi kann man getrost als »Meister:innen der verpassten Gelegenheiten« bezeichnen, was Sex angeht. Als Jan klar wurde, dass Tasi mit ihm schlafen wollte, hat sein Trauma wieder eingesetzt.
Und jetzt stehen wir vor einem Problem.
Eigentlich kennt ihr Jan noch nicht gut genug, um an dieser Stelle von seinem Trauma zu erfahren. Irgendwie fühlt es sich an, als würde ich euch ein Dickpic von einem Typen schicken, bevor ich euch mit ihm bekannt mache. Aber was die Beziehung zu Tasi angeht, muss ich euch das Trauma erklären.
Jan kann nur Sex mit Frauen haben, die ihm völlig egal sind, denn jedes Mal, wenn er mit einer Frau schlafen wollte, die ihm etwas bedeutet hat, ist das nicht gut gegangen.
Angefangen hatte es mit Sandra, einem Mädchen aus seiner Klasse (damals die 7a), die schon zweimal sitzen geblieben war und ihre sexuellen Erfahrungen aus Pornos hatte. Sandra hatte ihn ins Kino eingeladen, ihn in die hinterste Ecke bugsiert, ihn dort kurz geküsst, seine Hose geöffnet und dann zu seinem Entsetzen laut schmatzend seinen nicht besonders erigierten Penis in den Mund genommen. Jan musste sich regelrecht wehren, damit sie aufhörte, und sein Popcorn fiel auf den Boden. Glücklicherweise war es Frühsommer, das Schuljahr war kurz darauf zu Ende. Sandra blieb erneut sitzen, und Jan wurden weitere peinliche Begegnungen erspart.
Mit achtzehn, was ihm eh schon spät erschien, wollte Jan bei Geraldine seine Jungfräulichkeit ablegen, und sie war bereit zu helfen. Geraldine hatte schon Erfahrungen gesammelt, Jan hingegen war über Knutschen, Befummeln und nackt Anfassen noch nicht hinausgekommen und empfand es als höchste Zeit, das zu ändern. Wild rissen sie sich die Klamotten vom Leib. Geraldine nahm die Pille und wies Jans Frage nach einem Kondom ab,...
Erscheint lt. Verlag | 11.4.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 2024 • beste Freunde • Comedy • eBooks • Gesellschaftssatire • Hochzeit • Homosexualität • Humor • LGTBQ • Liebesgeschichte • lustig • lustige • Marc-Uwe Kling • Maxim Leo • Neuerscheinung • Roadtrip • Roman • Romane • Tommy Jaud • Wohnmobil |
ISBN-10 | 3-641-29463-0 / 3641294630 |
ISBN-13 | 978-3-641-29463-2 / 9783641294632 |
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