Dead Man's Hand – Die unorthodoxen Fälle des Grimshaw Griswald Grimsby (eBook)
James Butcher verbringt den größten Teil seiner Zeit an Orten, die gar nicht existieren - weil er sie sich ausgedacht hat. Er ist der Sohn des New-York-Times-Bestsellerautors Jim Butcher. James Butcher lebt in Denver und arbeitet gerade an seinem nächsten Roman.
Prolog
Leslie Mayflower blickte aus seinem verdunkelten Wohnzimmer grimmig zwischen den verstaubten Streben der Jalousie hindurch und beobachtete die Straße. Dabei musste er seine verquollenen Augen zusammenkneifen, die Morgensonne verursachte einen wummernden Schmerz in seinem Hinterkopf.
Er war nicht sicher, was er mehr verfluchte: die Sonne oder die leere Flasche Whiskey in seiner Hand. Oder vielleicht die andere leere Flasche auf der Couch hinter ihm. Oder vielleicht die kaputte Flasche, die er vorige Nacht gegen den Kühlschrank geschleudert hatte.
Am leichtesten war es wohl, einfach sich selbst zu verfluchen.
Das Telefon klingelte, der Apparat schepperte dabei aufdringlich. Fast hätte er das Geräusch nicht erkannt. Die Kopfschmerzen wurden noch schlimmer – aber wenigstens wusste er jetzt, was er verfluchen sollte.
Er tastete nach dem Hörer, ohne dabei seine Augen vom Fenster abzuwenden. Die Station fiel dabei auf den Boden, er machte sich nicht die Mühe, sie aufzuheben, und hielt den Plastikhörer an sein Ohr.
»Ja.« Seine Stimme war ein Krächzen. Er konnte sich nicht erinnern, vor wie vielen Tagen er das letzte Mal gesprochen hatte.
»Damien Grieves hier. Ich möchte bitte mit Les Mayflower sprechen.« Die Stimme war ruhig und bestimmt. Und vertraut.
»Bastard«, knurrte Mayflower.
»Ah, du bist’s«, antwortete Grieves.
»Kein Interesse.«
»Les, hör einfach zu …«
Mayflower hörte nicht zu. Er ließ den Hörer fallen und stampfte so lange mit dem Fuß auf der Station herum, bis die blecherne Stimme am anderen Ende verstummte. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf das, was wirklich zählte.
Auf der anderen Straßenseite war Sarah dabei, ihre Rosen zurückzuschneiden. Die Kinder waren tagsüber in der Schule und sie hatte donnerstags frei. Normalerweise verbrachte sie ihre freien Tage in ihrem Garten und genoss es, die verwaiste Straße für sich allein zu haben, bis die anderen Nachbarn am Nachmittag zurückkehrten. Manchmal beobachtete er sie dabei, wie sie diese stillen Morgen verlebte, so friedlich, und fand darin selbst so etwas wie Frieden.
Die Tasche auf der Vorderseite seines Flanellbademantels fing an zu vibrieren, er zuckte kurz zusammen und machte sich instinktiv breiter, als müsste er gleich kämpfen. Dann zog er knurrend sein aufgebrachtes Mobiltelefon aus seiner Tasche und starrte auf den kleinen Bildschirm auf der Vorderseite. Dort stand nur: Unbekannt.
»Unbekannt am Arsch«, sagte er. Er schnaubte verächtlich und ließ das Telefon aufschnappen. »Fahr zur Hölle.« Er nuckelte ein letztes Mal an seiner Whiskeyflasche, wurde für seine Mühe aber nur mit ein paar Tropfen belohnt. Dann stellte er die Flasche neben die anderen, die auf seinem Couchtisch aufgereiht waren, und öffnete die Haustür. Er ging hinaus und schreckte dabei den Staub auf, der es sich über zahllose Tage hinweg in seinem Hauseingang bequem gemacht hatte und jetzt durch den grellen Lichtstrahl wirbelte, der sich von draußen ins Haus ergoss.
»Mayflower, bitte«, sagte Grieves, seine Stimme klang über das altertümliche Mobiltelefon noch kleiner und verrauschter als im Festnetz. »Es ist wichtig.«
Die Sonne schien mächtig sauer zu sein, dass Mayflower sein Versteck verlassen hatte: Sie intensivierte ihre Bemühungen, ihm den Kopf der Länge nach zu spalten. Mayflower richtete seine schlechte Laune auf Grieves. »Ich bin beschäftigt«, log er.
»Das kann warten.«
»Das kannst du nicht wissen.«
»Was auch immer es ist: Es kann warten. Ich habe was Wichtigeres.«
»Kümmer dich selbst drum. Ich bin im Ruhestand.« Er tat so, als inspizierte er die Stabilität seines Gartenzauns. Dabei kam er zum Ergebnis, dass der Holzzaun, an dem schon die Farbe abblätterte, in der Tat genauso klapprig war, wie es die Arschgeigen aus der Nachbarschaftsversammlung in ihren ständigen Briefen an ihn immer behaupteten.
»Typen wie wir sind nie im Ruhestand. Das weißt du.«
Mayflower versteifte sich sofort, er spürte, wie seine Zähne knirschten, und sein altes Herz begann zu klopfen. Nicht schneller, aber fester, als sei es plötzlich in stramme Drähte gewickelt. Das Blut, das es durch seinen Körper pumpte, schmerzte in seinen angespannten Muskeln. »Männer wie wir?«, sagte er, seine Stimme ein Flüstern. »Du und ich haben nichts gemeinsam, Hexer.«
»Das sehe ich anders …«
»Fahr zur Hölle, Grieves.«
Mayflower ließ das Telefon wieder zuschnappen und nahm den Akku raus, dann stopfte er beides wieder in die Tasche seines Bademantels.
Auf der anderen Seite der Straße blickte Sarah auf und entdeckte ihn. Sie lächelte unter der breiten Krempe ihres Sonnenhuts hervor und winkte ihm mit einem dreckigen Handschuh zu. Ihm gelang es mit großer Mühe, ihren Gruß mit einem schmallippigen Lächeln zu erwidern – aber er spürte einen Stich im Magen und schlich wieder in die Dunkelheit seines leeren Hauses.
Er schloss die Tür hinter sich und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Er knurrte, zog eine Zigarette aus der zerdrückten Packung in seiner Bademanteltasche, zündete sie an und saugte tief die kratzige Hitze ein. Einen langen Moment hielt er den Rauch unten in seiner Brust, bevor er ihn wieder aus der Lunge strömen ließ, dann ging er in Richtung seiner zunehmend leeren Schnapsvitrine, um sich eine neue Flasche Whiskey zu holen.
Vor dem Kühlschrank blieb er jedoch stehen, seine Füße knirschten auf den Glasscherben der Flasche, die er letzte Nacht dort zertrümmert hatte. Das Gerät war weiß und schmucklos, wie eine leere Leinwand – bis auf einen einzelnen sonnenverblichenen gelben Post-it-Zettel in der Mitte. Der Klebestreifen hatte schon lang den Geist aufgegeben, also hatte er den Zettel mit einem Magneten festgepinnt.
Der Magnet verdeckte die obere Hälfte des Papiers, aber auf der unteren Hälfte stand: Pass auf dich auf, die Handschrift weiblich und schmerzhaft vertraut.
Er las den Zettel, immer und immer wieder. Dann atmete er tief ein und drückte die Zigarette auf seinem Handballen aus. Es tat weh, und alles was er denken konnte, war: Gut. Er steckte die halb gerauchte Zigarette wieder in die Packung, schnappte sich den Besen und kehrte das zerbrochene Glas zusammen.
Er war schon wieder auf dem Weg zur Schnapsvitrine, als er innehielt. »Du brauchst Wasser, Idiot«, krächzte er sich selbst an. Er füllte eine große Tasse mit Leitungswasser und zwang sich, das ganze Ding zu exen.
Dann, und erst dann, ging er zum Schnapsschrank und holte seine vorletzte Flasche Whiskey raus. Mit einem Knacken öffnete er den Deckel und nahm einen Schluck, bevor er es sich wieder an seinem Platz am Fenster bequem machte. Es gab wenig anderes zu tun, als dem Tag dabei zuzuschauen, wie er ihm langsam durch die Finger glitt.
In dem Moment hörte er das Geräusch eines Motors näher kommen. Es war nicht das heisere Grollen eines der alten Laster, mit dem die Post die Nachbarschaft patrouillierte, und auch nicht das leise Rauschen der typischen Vorstadtlimousine. Es klang sanft und leise, wie ein säuselnder Atem, als es sich näherte. Wäre es in seiner Straße nicht so still gewesen, hätte er es vielleicht nie kommen hören. Aber er hörte es. Und er erkannte es wieder.
»Bastard«, knurrte er und knallte die Jalousien zu, damit sich nur noch der dünnste Spalt Licht durchzwängen konnte. Er beobachtete die Straße und wartete.
Als das Auto schließlich in Sichtweite kam, sah er, dass es schnittig und schwarz war – und fast kein Licht reflektierte. Sogar die Fenster waren so dunkel, dass man sie kaum wahrnahm. Er musste an einen Käfer mit schwarzem Panzer denken. Das Auto schlich langsam die Straße runter, als würde es die Umgebung erkunden. Schließlich erreichte es Mayflowers Haus, bog in seine Einfahrt ein und parkte hinter seinem panzerartigen, heruntergekommenen Jeep.
Ein Jeep, dachte er stolz, der diesen schwarzen Käfer, dieses Plastikauto, mühelos zerquetschen könnte.
Die Wagentür ging auf und ein Mann in einem feinen und teuren schwarzen Anzug stieg aus. Auf seiner Habichtsnase saß eine geschmackvolle Halbrandbrille.
Mayflower spuckte einen Fluch aus und nahm einen großen, großen Schluck aus seiner Flasche.
»Grieves«, murmelte er, der Schnaps brannte noch in seinem Atem. »Du Hurensohn.«
Grieves ging zu Mayflowers Tür und klopfte mit drei präzisen, identischen Handbewegungen an.
Mayflower erwog kurz, einfach nicht zu antworten. Einfach in seinem abgedunkelten Wohnzimmer sitzen zu bleiben und aus dem Fenster zu stieren, bis der Hexer wieder ging. Aber damit wäre die Sache nicht erledigt.
Drei weitere Schläge an der Tür, genauso exakt wie die zuvor.
»Ich weiß, dass du zu Hause bist, Les. Ich hab dich gerade angerufen.«
»Ich komme«, bellte er, stampfte zur Haustür und riss sie auf. »Was willst du hier?«
Grieves entgegnete ihm mit einem höflichen Lächeln: »Ich hab auf dem Weg hierher angerufen. Dachte mir schon, dass du einen Wutanfall kriegst und sofort auflegst.«
»Kannst gleich einen richtigen Wutanfall erleben«, sagte Mayflower leise.
Grieves strich seine Krawatte glatt, Mayflower bemerkte genervt, wie wenig die Drohung ihn getroffen hatte. »Ich bin nicht hier, um zu streiten. Ich wollte es dir selbst sagen, bevor du es von woandersher hörst.«
Er hielt inne. Irgendwas stimmte nicht. »Was?«
»Samantha ist tot.«
Mayflower hörte etwas zu seinen...
Erscheint lt. Verlag | 11.4.2024 |
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Übersetzer | Thomas Salter |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Dead Man's Hand – The Unorthodox Chronicles |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | 2024 • Ben Aaronovitch • Boston • eBooks • Fantasy • grimshaw griswald grimsby • Hexen • Jim Butcher • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Magie • Monster • Neuerscheinung • Urban Fantasy |
ISBN-10 | 3-641-30517-9 / 3641305179 |
ISBN-13 | 978-3-641-30517-8 / 9783641305178 |
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